Kritische Stimmen zu Gentechnik in der Landwirtschaft

Argumente für einen weiter kritischen Blick

Der seit Jahren geführte Diskurs um Gentechnik in Lebensmitteln und dem Ernährungssystem hat viele Menschen dazu gebracht sich zu engagieren, sich zu organisieren und ihre Kritik laut werden zu lassen. So vielfältig das Feld des Widerstands ist, so vielfältig sind auch die Argumente gegen Gentechnik in der Landwirtschaft.

Kritik an Gentechnik wird rund um den Globus geäußert. Obwohl der Gegenstand der Kritik der gleiche ist, gibt es Uneinigkeiten und Widersprüche. Die Positionen unterscheiden sich unter anderem durch verschiedene Weltansichten, Betroffenheiten und Sozialisierungen.
Die meisten Argumente sind komplex und vielschichtig, einige benötigen Fachwissen um sie beurteilen zu können, andere bauen auf Glaube oder einer weitergefassten systematischen Kritik auf. Nebenher ändert sich der Wissenstand und die Popularität von Meinungen. Dabei den Überblick zu behalten ist eine Herausforderung. Umso wichtiger ist es, sich der eigenen Argumente und Positionen bewusst zu werden, um diese kritisch zu hinterfragen, sich andere Meinungen anzuhören und damit fokussiert und überzeugend in Diskussionen einzubringen.
Zur Bereicherung dieser Auseinandersetzung wollen wir hier einige kritischen Stimmen – kurz und knapp – zu Wort kommen lassen, die sich in ihrem privaten Leben und ihrer beruflichen Praxis mit der Kritik an Gentechnik befassen. Einige sind betroffen von den direkten potenziellen Auswirkungen von gentechnisch veränderten (gv) Pflanzen, andere beschäftigen sich mit den globalen gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen.
Gudrun Kordecki vom Institut für Kirche und Gesellschaft, Mute Schimpf von der Nichtregierungsorganisation Friends of the Earth, Gebhard Rossmanith vom ökologischen Saatgutproduzenten Bingenheimer Saatgut und Sabrina Masinjila von der Nichtregierungsorganisation African Center for Biodiversity beleuchten Aspekte wie Biodiversität, Machtkonzentration von Konzernen, Saatgut und Biosicherheit.

Landwirtschaft braucht Vielfalt

"Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) setzt sich für eine nachhaltige Entwicklung ein und unterstützt eine agrarökologische Landwirtschaft, die standort- und klimagerecht sowie kulturell und regional angepasst ist. Dies beinhaltet den Erhalt der biologischen Vielfalt sowohl in Bezug auf Ackerpflanzen und Nutztierrassen (Agrobiodiversität), als auch auf Flora und Fauna im ländlichen Raum insgesamt. Ein wichtiges Ziel ist dabei, die globale Ernährungssicherheit und Ernährungssouveränität der Länder zu gewährleisten. Die bisher kommerziell angebauten gentechnisch veränderten und patentierten Pflanzen erfüllen diese Kriterien nicht. Die Bilanz des Anbaus von gv-Pflanzen in Nord- und Südamerika weist auf den steigenden Einsatz von Herbiziden, das Auftreten von mehrfach resistenten Ackerbegleitkräutern sowie das Versagen der gentechnisch induzierten Insektenresistenz hin. Der für dieses Anbaukonzept erforderliche großflächige Einsatz von Pestiziden führt zu Umweltschäden und Gesundheitsproblemen der Bevölkerung. Die offensive großräumige Vermarktung von gv-Saatgut verdrängt regional angepasstes herkömmliches Saatgut und führt damit zu einem Verlust der biologischen Vielfalt. Angesichts des Klimawandels ist eine breite genetische Basis bei Saatgut für die Züchtung jedoch von großer Bedeutung."

Dr. Gudrun Kordecki ist Referentin für Umwelt und Bioethik im Institut für Kirche und Gesellschaft der Evangelischen Kirche von Westfalen (EKvW), Stellvertretende Vorsitzende der EKD-Kammer für nachhaltige Entwicklung und im Vorstand der Arbeitsgemeinschaft der Umweltbeauftragten in der EKD (AGU).

Aneignung der gesamten Landwirtschaft

"Seit mehr als 20 Jahren setzt sich Friends of the Earth Europe für eine gentechnikfreie Landwirtschaft ein. Einige Gründe dafür sind Bedenken über die Monopolisierung und Monetarisierung von Saatgut, biologische Vielfalt und öffentliche Forschungsressourcen.
Unter anderem durch patentgeschütztes gentechnisch verändertes Saatgut haben Agrargiganten wie Bayer, Syngenta, Corteva Agriscience (Dow-Dupont) und BASF ihre Monopolstellung in der Landwirtschaft weiter ausbauen können. Mit den jüngsten Fusionen sind die Großkonzerne von sechs auf vier Konzerne geschrumpft, die nun mehr als 70 Prozent des Pestizidmarktes und 60 Prozent des kommerziellen Saatgutmarktes kontrollieren.
Diese Monopole blockieren Innovationen in der Landwirtschaft und Züchtung, dazu werden durch orchestriertes Lobbying selbst öffentliche Forschungsgelder vor allem in Hightech-Biotechnology statt in Agrarökologie gesteuert. Viele Entscheidungsträger*innen lassen sich nur zu gerne von den Versprechungen und Heilsbotschaften der Kommunikationsabteilungen der Gentechnikkonzerne einwickeln. Obwohl seit 20 Jahren eine zweite Generation mit verbesserten Eigenschaften an Gentechnik-Pflanzen versprochen wird, haben nun auch die neuen Gentechniken den Einzug auf die Felder mit einem weiteren herbizidresistenten Raps gehalten. Deswegen sagen wir: Gentechnik ist überflüssig und veraltet und lenkt uns von den dringend benötigten Lösungen für unsere Landwirtschaft und den Lebensmittelsektor ab. Welche Ackerbausysteme können unter extremen Wetterbedingungen bestehen? Welche Änderungen brauchen wir, um Zugang zu guten, fairen und angepassten Lebensmitteln auch für einkommensschwache Haushalte zu gewährleisten?"

Mute Schimpf, arbeitet als Food Campaignerin für Friends of the Earth Europe zu den Themen Landwirtschaft, Gentechnik und Digitalisierung im Ernährungssystem.

Schutz von Gesundheit und Umwelt

"Das African Center for Biodiversity setzt sich gegen gentechnisch veränderte Organismen ein, weil diese die Ernährungssouveränität bedrohen, Ungleichheiten fördern und den Zugriff von Konzernen auf unser Saatgut und Nahrungssystem verfestigen. Sie sind schädlich für die Umwelt, für die Gesundheit von Mensch und Tier und für die Gesellschaft. Die Gentechnik-Konzerne sind sehr große agrarchemische Unternehmen, deren einziges Interesse die Gewinnoptimierung ist und nicht die Ernährung der Armen und Hungrigen. Soja und Mais – zwei der vier bedeutendsten gentechnisch veränderten Kulturpflanzen – werden hauptsächlich für Tierfutter, Biokraftstoffe für Autos und industriell weiterverarbeitete Lebensmittel hergestellt.
Zahlreiche Studien haben das Versagen der Gentechnik aufgezeigt. Insbesondere bei der Verbreitung von herbizidresistenten Unkräutern und Resistenzen von Schädlingen gegen das Bt-Toxin (Anmerkung: Toxin des Bakterium Bacillus thuringiensis) von Bt-Nutzpflanzen. Die Insektenplage in Südafrika, die sich 2017 auf Feldern mit Monsantos Bt-Maissorte MON810 ereignete, ist ein Beispiel dafür. Es gibt eine Vielzahl an Unsicherheiten und Risiken von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) in Bezug auf die menschliche Gesundheit. Ein Blick auf Toxizitätsstudien bezüglich GVO zeigt, dass gv-Lebensmittel möglicherweise schädliche Effekte haben, die Auswirkungen auf Leber, Bauchspeicheldrüse, Niere oder auf die Fortpflanzung haben. Zudem beeinflussen sie eventuell Blutwerte sowie biochemische und immunologische Merkmale. Die mit GVO verbundene hoch industrialisierte landwirtschaftliche Praxis, die mit dem Einsatz von Agrarchemikalien wie Herbiziden und vor allem Glyphosat einhergeht, führt zu einem hohen Grad der Kontaminierung von Boden und Wasserquellen und zu chemischen Rückständen in Lebensmitteln. Es ist höchste Zeit, dass Regierungen die Nutzung von GVO und ihren Produkten verbieten und die Landwirtschaft von einem industriellen auf ein agrarökologisches Modell umstellen, das ökologisch nachhaltiger sowie sozial und kulturell geeigneter ist."

Sabrina Masinjila ist tätig für die Öffentlichkeitsarbeit und Interessensvertretung vom African Center of Biodiversity (ACB), eine Forschungs- und Lobbyorganisation, die sich für Ernährungssouveränität und Agrarökologie in Afrika einsetzt. ACB engagiert sich für die Bekämpfung von Ungleichheiten und den Widerstand gegen die unternehmerische und industrielle Expansion innerhalb des afrikanischen Ernährungs- und Landwirtschaftssystems.

Erhalt der ökologischen Landwirtschaft

"Ökologische Produkte sollen frei von Gentechnik sein und bleiben, dafür steht die Bingenheimer Saatgut AG. Daher müssen die Saaten, die für die Produktion von ökologischen Lebensmitteln verwendet werden, ebenfalls frei von Gentechnik sein. Bei der sogenannten Alten Gentechnik ist diese Sicherheit in Europa zurzeit noch relativ einfach zu gewährleisten. Denn es gibt mit wenigen Ausnahmen keinen Anbau von gentechnisch veränderten Sorten, wir haben in einigen Ländern ein relativ gutes Monitoring sowie Standortregister, und die Genkonstrukte sind bekannt, also zu entdecken. In Bezug auf die sogenannte Neue Gentechnik wissen wir noch nicht, was auf uns zukommt. Insofern sind wir sehr froh über die Entscheidung des EuGH, diese Methoden allesamt klar als Gentechnik zu regulieren.
Für die ökologische Züchtung ist es von allergrößter Wichtigkeit, über das züchterische Ausgangsmaterial Kenntnis zu haben, um nicht gleich zu Beginn einer Sortenentwicklung gentechnisch veränderte Organismen (GVO) dabei zu haben. Für den weiteren Verlauf des Züchtungsganges sowie die Erhaltung von bereits bestehenden Sorten muss insbesondere bei auskreuzungsfähigen Arten wie zum Beispiel Rote Bete oder Radies allergrößte Sorgfalt auf der Vermeidung von Einkreuzungen aus der Umwelt gelegt werden. Dies ist zwar Standard, erhält aber vor dem Hintergrund von Kontaminationsgefahr zusätzliche Bedeutung. Gleiches gilt für die Produktion von Verkaufssaatgut, welches wegen der größeren Mengen häufig auf Flächen in freier Landschaft angebaut wird, wodurch das Kontaminationsrisiko potenziell größer ist.
Womöglich bleibt uns nicht viel Zeit für den weiteren Aufbau von eigenen „Genbanken“ für züchterisches Ausgangsmaterial sowie der Verfeinerung von technischen Möglichkeiten zur Verhinderung von Kontaminationen. Wir werden jedenfalls alles dafür tun, auch in Zukunft für den Ökolandbau gentechnikfreies Saatgut anbieten zu können."

Gebhard Rossmanith ist Vorsitzender des Vorstands der Bingenheimer Saatgut AG. Diese Firma ist Teil eines bäuerlichen Netzwerkes für ökologische Saaten und Züchtung. Sie bietet ausschließlich nachbaufähige, samenfeste Sorten von Gemüse, Kräutern und Blumen an.

 

GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
247
vom November 2018
Seite 16 - 18

Judith Düesberg ist Ökologin und Mitarbeiterin des GeN.

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Argumente zum Nachlesen

Weitere Argumente gegen Gentechnik in der Landwirtschaft hat die IG Saatgut in einer neuen Broschüre gesammelt. Die Broschüre „Schöne neue Gentechnik?!“ stellt die alten und neuen Gentechnikverfahren vor und widmet sich Argumenten für eine gentechnikfreie Landwirtschaft.
Ethische Gründe, Unsicherheiten im Wissensstand sowie die fortschreitende Monopolisierung der Landwirtschaft sind einige der Felder die beleuchtet werden. Dabei wird immer wieder ein Bezug zu den neuen Gentechnikverfahren hergestellt. Die Broschüre richtet sich an eine breite Öffentlichkeit und beinhaltet anschauliche Grafiken und Bilder.

IG Saatgut: „Schöne Neue Gentechnik?! Eine Informationsbroschüre zum Einsteigen und Auffrischen“ (August 2018). Download unter: www.gentechnikfreie-saat.org/files/ig_broschuere_final_web_einzelseiten_1.pdf

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