UNESCO-Erklärung zur Bioethik

Es ist die erste grundlegende globale Erklärung zur Bioethik – und dennoch ist die im Herbst dieses Jahres verabschiedete "Universelle Erklärung der UNESCO über Bioethik und Menschenrechte" in der Öffentlichkeit bislang kaum beachtet worden. Das ist erstaunlich, weil bioethische Projekte mindestens in den westlichen Industrienationen seit einigen Jahren stets Anlass für hart geführte gesellschaftliche Auseinandersetzungen gegeben haben.

Die Erklärung der UNESCO, die auf der 33. Generalkonferenz im Oktober 2005 per Akklamation beschlossen worden ist, spart nicht etwa die konfliktreichen Themen wie transnationale Forschung, Forschung an nicht-einwilligungsfähigen Menschen oder den Zugang der Entwicklungsländer zu neuen Therapeutika aus. Allerdings bleiben die Forderungen und Vorstellungen zu den konfliktbeladenen Themen, wie beispielsweise Verteilungsgerechtigkeit von Medikamenten oder Schutz der Biodiversität, recht allgemein. Zwar sieht Artikel 15 beispielsweise vor, dass neue Behandlungsmöglichkeiten auch den Entwicklungsländern zugute kommen müssen, aber die Erklärung erwähnt die Auseinandersetzungen über Anti-Aids-Wirkstoffe mit keinem Wort und blendet die ökonomischen Konsequenzen der Verwirklichung dieses Grundsatzes konsequent aus. Dass einleitend Bezug auf das TRIPS-Abkommen der Welthandelsorganisation genommen wird, das den Umgang mit Patenten regelt, signalisiert, dass die Erklärung keine neuen, besseren rechtlichen Grundlagen beispielsweise für den Anspruch auf bezahlbare Medikamente schaffen will, sondern sich mit dem Verweis auf die existierenden unzulänglichen Möglichkeiten und einer allgemeinen Absichtserklärung begnügt.

Verlagerung von Risiken

Auch in Artikel 21, in dem Grundsätze von transnationalen Forschungskooperationen formuliert werden, die verhindern sollen, dass es hierbei zu einer bloßen Verlagerung von Risiken in Länder der Dritten Welt kommt, wird lediglich verlangt, dass die in den Gaststaat ausgelagerte Forschung auch im Herkunftsland einer "angemessenen ethischen Überprüfung" unterzogen werden soll. Zwar gilt auch hier das Prinzip der freiwilligen und informierten Zustimmung, die Teilnehmer an Forschungsvorhaben nach Artikel 6 der Erklärung geben müssen. Gerade dieses unbedingte Prinzip der Einwilligung wird aber in der Erklärung gleichzeitig in erheblichem Maße durchbrochen - ein Schritt, der Konsequenzen über die konkrete Ausnahmeregelung hinaus haben könnte.

Forschung an Nicht-einwilligungsfähigen

Zwar fordert die Erklärung grundsätzlich, dass Probandinnen und Probanden auf der Basis verständlicher Informationen nur unter der Voraussetzung ihrer Einwilligung in Forschungsvorhaben einbezogen werden dürfen. In Artikel 7b) der Erklärung wird dann aber von diesem grundlegenden medizinethischen Grundsatz Abstand genommen. Wenn das geplante Forschungsprojekt einen direkten gesundheitlichen Nutzen für nicht-einwilligungsfähige Patienten hat und es nicht gleichermaßen gut und effizient mit einwilligungsfähigen Personen durchgeführt werden kann, soll auch Forschung mit nicht-einwilligungsfähigen Personen möglich sein. Von da ist es dann kein überraschender Schritt mehr zur Festlegung einer zweiten Ausnahme: Auch wenn die Forschung keinen direkten gesundheitlichen Nutzen für die nicht-einwilligungsunfähigen Personen hat, soll an ihnen geforscht werden können. Die UNESCO-Bioethik-Erklärung, für die auch die Bundesregierung geworben hat, weil sie angeblich strengen Prinzipien zum Durchbruch verhilft und weltweit einen akzeptablen Mindeststandard schafft, erlaubt also fremdnützige Forschung an Menschen, die nicht einwilligen können.

Bruch mit ethischen Prinzipien

Die Voraussetzungen für diesen Bruch mit elementaren ethischen Prinzipien, wie sie bislang gerade auf internationaler Ebene nach den Medizinverbrechen im Nationalsozialismus mehrfach bekräftigt wurden, entsprechen in etwa denen, die auch schon im "Menschenrechtsabkommen zur Biomedizin des Europarates" festgelegt wurden: Die Forschung soll in eng umrissenen Ausnahmefällen erlaubt sein, wenn erwartet werden kann, dass sie der Gruppe der Menschen an denen geforscht wird, nützen wird und wenn sie die Betroffenen nur geringfügigen Risiken und Belastungen aussetzt. Die Argumente gegen diese Position sind in Zusammenhang mit der Debatte über das Abkommen des Europarates vorgetragen worden – und sie haben dazu geführt, dass Deutschland dieses Abkommen, das entgegen seinem Namen Menschenrechte verletzbarer Personen eher gefährdet, als schützt, bis heute nicht unterzeichnet hat. Im Zentrum steht der Einwand, dass hier ohne Not der Grundsatz, dass fremdnützige Forschung nur freiwillig erfolgen darf, aufgegeben wird und nicht-einwilligungsfähige Menschen zu einer Zwangssolidarisierung genötigt werden, damit später vielleicht einmal Krankheiten besser bekämpft werden können, an denen sie heute erkrankt sind. Ein weiteres grundlegendes Problem ist, dass sehr weit auslegbar und wahrscheinlich gar nicht individuell feststellbar ist, was einen Menschen zum Beispiel im Wachkoma an Forschungsvorhaben nur "gering" belastet: Ist es die Rückenmarkspunktion? Oder die Untersuchung in einem Computertomographen? Ist es eine Woche im Schlaflabor oder ein Verhaltenstest mit Elektroden am Kopf?

Vornehmes Schweigen

Angesichts dessen ist erstaunlich, dass das Auswärtige Amt noch unter Joschka Fischer auf seiner Homepage ausgerechnet "die Aufnahme scharfer Schutzbestimmungen für Nichteinwilligungsfähige" als deutschen Verhandlungserfolg charakterisierte. Die Passage hat der neue Außenminister Steinmeier noch nicht überarbeiten lassen. Ein Indiz dafür, dass auch Joschka Fischers Mannen und Frauen von der vollmundigen Behauptung selbst nicht so überzeugt waren, ist aber wohl, dass trotz solcher "Verhandlungserfolge" über die UNESCO-Erklärung in der Öffentlichkeit lieber vornehm geschwiegen wurde. Und als Behindertenverbände kurz vor der Verabschiedung öffentlich gegen die Erklärung mobil machten, äußerte die rot-grüne Bundesregierung in einer erneuten UNESCO-Diskussionsrunde immerhin Bedenken gegen die Formulierung, ohne sie allerdings scharf zu attackieren. Wirkungen zeitigte der unentschlossene deutsche Vorstoß daher auch keine nennenswerten.

Nur eine Absichtserklärung

Allerdings entfaltet die Erklärung der UNESCO zur Bioethik keine unmittelbare Rechtskraft. Sie ist eine Absichtserklärung, schafft aber kein Völkerrecht. Dennoch sollten die Konsequenzen der Verabschiedung in dieser Form nicht unterschätzt werden: Vor allem dass fremdnützige Forschung an nicht-einwilligungsfähigen Menschen grundsätzlich legitimiert wird, verfestigt auf internationaler Ebene einen von Europa vorgegebenen niedrigen Schutzstandard, der auf diesem Umweg dann auch leichter seinen Weg ins nationale Recht der verschiedenen Staaten finden wird.

GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
173
vom Dezember 2005
Seite 17 - 18

Oliver Tolmein hat über ein strafrechtliches bioethisches Thema promoviert und ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht in Hamburg. Er vertritt überwiegend Menschen mit Behinderungen. Einer seiner Schwerpunkte in der „Kanzlei Menschen und Rechte“ ist Anti-Diskriminierungsrecht.

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