„Dringlichkeit zum Handeln noch da“

Wie weiter mit dem Weizen-Komitee?

Vor zehn Jahren startete der erste und bisher einzige Freisetzungsversuch mit gentechnisch verändertem Weizen - ausgerechnet auf dem Gelände der Genbank Gatersleben, die den Auftrag hat, altes Saatgut zu erhalten. Als eine Reaktion darauf gründete sich das internationale Notkomitee für die Erhaltung der Weizenvielfalt ohne Gentechnik. Ende November zogen Beteiligte auf einem Treffens des Dachverband Kulturpflanzen- und Nutztiervielfalt Bilanz und berichteten dem GID davon.

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Das Weizen-Notkomitee feiert 2017 seinen zehnjährigen Geburtstag. Erzählen Sie doch mal, was vor zehn Jahren passiert ist.

Damals gab es den Skandal, dass die Genbank in Gatersleben Freisetzungsversuche mit gentechnisch verändertem Weizen durchgeführt hat. Trotz der starken Proteste hat die Aussaat im Herbst 2006 stattgefunden. Als Erhalter von alten Sorten haben wir uns direkt betroffen gefühlt und beteiligten uns daher an der Organisation eines europäischen Zusammentreffens. Das fand dann 2007 in Halle/Saale statt. Es waren wirklich viele Erhalter-Organisationen vertreten, also bäuerliche Organisationen, die mit alten Getreidesorten arbeiten. Auch Getreidezüchter waren dabei sowie Vertreter von Genbanken aus anderen Ländern. Wir haben die Frage gestellt: Welche Folgen hat das, wenn die Genbank sich nicht mehr in erster Linie um die Erhaltung der eigenen Sorten kümmert, sondern stattdessen einen Schwerpunkt auf Gentechnikforschung und Freisetzungsversuche von gentechnisch verändertem Weizen legt? Denn das ist ja eine schwere Verletzung ihres eigentlichen Auftrages.

 

Was war das Ergebnis des Treffens?

Allen Anwesenden war klar, dass es sehr verheerende Folgen hat, wenn die Genbank nicht mehr unter Kontrolle hat, ob gentechnische Verunreinigungen in ihren Sorten auftreten. Mittlerweile ist es ja sogar so, dass die Genbank nicht mehr garantiert, dass ihre Proben gentechnikfrei sind. In den Diskussionen wurde dann nochmal deutlicher, dass Gatersleben in der Weizenerhaltung eine ziemlich wichtige Rolle spielt und damit auch die relativ große Verantwortung, die Arbeit aufrechtzuerhalten. Dann ist natürlich die Frage aufgekommen, was wir ganz konkret machen können - die erste Aussaat der Gentechnik-Sorten hatte ja schon stattgefunden. Und so kam es zum Aufruf des Notkomitees, die bedrohten Sorten aus der Genbank rauszuholen und privat zu erhalten.

 

Dann haben Sie Saatgutproben von der Genbank angefordert. Wie haben Sie die ausgewählt?

Wir wollten alle Sorten haben, die zeitgleich zum Gentechnikversuch zur Vermehrung ausgesät wurden, und zwar aus den alten Beständen, die in der Genbank eingelagert waren. Das waren im ersten Jahr rund 400 Sorten, danach nochmal rund 400. Nach offiziellen Zahlen lagern in der Genbank insgesamt rund 22.000 Weizensorten, von denen jedes Jahr ungefähr 500 ausgesät und für die Erhaltung vermehrt werden.

 

Das ist eine ganz schöne Menge, das unterstreicht die Bedeutung der Gaterslebener Sammlung. Und die Genbank hat Ihnen die Proben einfach so zur Verfügung gestellt?

Nein, es gab eine längere Auseinandersetzung darüber. Entscheidend war, dass für 2008 ein Treffen der internationalen Biodiversitäts-Konvention in Bonn auf dem Plan stand. Im Rahmen der Konvention wurde darüber diskutiert, wer die biologische Vielfalt erhält. Genbanken sollten dabei eine besondere Rolle spielen. Sie sollten die Sorten einerseits selbst erhalten, andererseits aber auch dafür sorgen, dass eine On Farm-Erhaltung stattfindet. Sie bekamen also den Auftrag, auch die Erhaltung der Biodiversität landwirtschaftlicher Sorten auf den Höfen zu fördern. Wenn sich die Genbank wirklich geweigert hätte, uns die Weizenproben zu geben, hätten wir das auf der CBD-Konferenz thematisiert. Das hatten wir ihr gegenüber auch im Vorfeld deutlich gemacht.

 

Wie viele Leute haben sich bereit erklärt, bei der Sortenerhaltung mitzumachen? Und wie ging es weiter?

Zunächst haben sich 270 Personen gemeldet, von denen 240 dann auch wirklich eine oder mehrere Getreideproben von uns erhalten haben. 170 dieser Personen haben uns später Proben aus ihrem Anbau zurückgeschickt, die wir eingelagert, also eingefroren, haben. Die restlichen Erhalter haben sich nicht zurückgemeldet, daher wissen wir nicht, ob sie die Sorten selbst erhalten oder eingefroren haben. Von den 752 Sorten, die wir damals von der Genbank bekommen hatten, haben wir 447 Sorten erneuert, das heißt sie wurden mindestens einmal ausgesät und geerntet, und die neue Ernte wieder eingelagert. Wenn die Einlagerung korrekt ist, sind die Sorten für die nächsten zehn Jahre gesichert. Manche Leute haben auch jedes Jahr oder alle zwei Jahren diese Sorten bei sich ausgesät, manche wollten eine andere Sorte haben, weil die erste nicht gut funktioniert hatte. In unserem Netzwerk sind nicht nur Leute aus Deutschland, sondern zum Beispiel auch aus Frankreich, Italien, Spanien und Griechenland vertreten, dadurch hatten wir auch ein bisschen Spielraum, um Sorten in verschiedene klimatische Gegenden zu schicken.

 

Wie geht es jetzt weiter?

Wir haben einerseits beschlossen, verschiedene Sorten in Zukunft nicht mehr bei uns auszusäen und zu vermehren. Die Sorten, die in der Genbank lagern, kommen ja aus der ganzen Welt, oft aus Regionen mit ganz anderen klimatischen Bedingungen. Welchen Sinn hat es, die hierzulande zu erhalten? Sie werden dabei entweder kränker oder verändern sich so stark, dass sie in ihren Ursprungsregionen nicht mehr brauchbar sind. Wir wollen also Leute und Initiativen in diesen Ländern finden, denen wir die Sorten zurückgeben können, die damit weiterarbeiten und sie sinnvoll einsetzen. Das Interesse ist in vielen dieser Länder auf jeden Fall vorhanden, denn die grüne Revolution hat die einheimischen Sorten zum Teil sehr stark verdrängt. Andererseits zeigt sich ganz klar, dass die Bereitschaft und Motivation innerhalb des Erhalter-Netzwerks stark abgenommen hat, seitdem die ganze Diskussion über die Gefahren der Gentechnik abgeflaut ist. Nachdem das Gaterslebener Versuchsfeld 2008 zerstört worden war 1 , hat die Genbank ja keine weiteren Freisetzungsversuche mehr angemeldet. Die meisten Leute glauben, dass die Gefahr gebannt ist und wir die Proben wieder an die Genbank zurückgeben könnten. Ich denke jedoch, dass wir eine Diskussion darüber brauchen, was die Genbank eigentlich macht und was ihre Schwerpunkte sind.

 

In der Weizenzüchtung liegt der allgemeine Schwerpunkt im Moment ja ganz klar auf der Entwicklung von Hybridsorten.

Wir müssen uns fragen, mit welchen Methoden diese Hybridweizen-Züchtung gemacht wird und was das für unser Anliegen bedeutet, alte Sorten zu erhalten. Das müssen wir auch in der Öffentlichkeit thematisieren. Wenn man sich die Projekte der Genbank anschaut, sieht man: Es gibt keine Programme, die die On Farm-Erhaltung fördern, aber es gibt sehr viele Programme, die in Richtung Entschlüsselung von Gensequenzen gehen. Das ist ja die zentrale Frage in der Hybridforschung: Wie können wir Resistenzen aus alten Sorten in neue Sorten reinbringen? Für mich zeigt das, dass die Genbank viel mehr damit beschäftigt ist, Zuträger-Arbeit für die Züchtungsindustrie und Züchtungsforschung zu machen, und weniger Zuträgerarbeit für die On Farm-Erhaltung zu machen. Und das heißt für mich, dass die Dringlichkeit etwas zu unternehmen immer noch besteht.

 

Wir danken Ihnen für das Gespräch.

 

Das Interview führten Christof Potthof und Anne Bundschuh.

  • 1Zu der Feldbefreiung siehe zum Beispiel ein Interview mit Lea Hinze im GID 229 (April 2015), im Netz unter www.gen-ethisches-netzwerk.de/3023. Im April 2016 hat das Landgericht Magdeburg die Schadensersatz-Klage des Leibniz Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben abgewiesen. Denn es sei nicht gelungen, „einen ersatzfähigen Schaden zu beweisen“. Die Berufung des IPK gegen dieses Urteil läuft bis heute.
GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
239
vom Dezember 2016
Seite 14 - 15

Jürgen Holzapfel war einer der Mit-Initiatoren des Weizen-Notkomitees. Er lebt auf dem Hof Ulenkrug in Mecklenburg-Vorpommern, einer landwirtschaftlichen Kooperati- ve, die Teil des Netzwerkes Longo maï ist. Dort werden unter anderem die Aktivitäten des Weizen-Notkomitees koordiniert und auch selbst alte Pflanzensorten erhalten.

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