Kein wissenschaftlicher Konsens

Sicherheit gentechnisch veränderter Organismen umstritten

Über die Art, wie Vererbung und Evolution funktionieren, wurde in den vergangenen Jahren sehr viel gelernt. Es wird Zeit, dass dieses Wissen in die Risikobewertung für gentechnisch veränderte Organismen eingeht.

Hilbeck, Angelika

Angelika Hilbeck, (c) Privat

Aktuell wird in der EU wieder viel darüber gestritten, inwieweit gentechnisch veränderte (gv) Pflanzen, ihr Anbau und ihre Verarbeitung als sicher angesehen werden können. Wissenschaftler*innen aus dem Netzwerk ENSSER hatten sich bereits 2015 mit einem Artikel1 zu Wort gemeldet. Wie ist Ihr Eindruck heute?

Gerade nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes über die Regulierung von Mutagenese-Verfahren ist die Gentech-Diskussion in Europa nochmals schärfer geworden. Als wir unseren Artikel 2015 ganz programmatisch mit „No scientific consensus on GMO safety“ betitelten, sahen wir uns zunehmend mit der These konfrontiert, dass Anbau und Nutzung von gentechnisch veränderten Pflanzen aus wissenschaftlicher Perspektive für Umwelt und Gesundheit sicher und unproblematisch seien. Diese – man muss schon sagen steile – These war in der Form nicht unbedingt in wissenschaftlichen Fachmagazinen zu lesen, wurde jedoch so prominent verhandelt und oftmals unkritisch von den Medien wiedergegeben, dass wir widersprechen mussten.2 Die Nutzung von gentechnisch veränderten Pflanzen ist weder rundweg sicher noch rundweg unsicher – nicht für die Umwelt und nicht für die Gesundheit. Es muss der Einzelfall im Kontext der Anwendung geprüft werden.

Die Befürworter*innen der Agro-Gentechnik sagen, es gebe tausende von Publikationen, die die Unbedenklichkeit von gentechnisch veränderten Pflanzen und Produkten belegen – was entgegnen Sie denen?

So ein Statement ist unlauter und entspricht nicht den Tatsachen. Es gibt Fachartikel, die über Forschungen berichten, in denen keine negativen Effekte gefunden werden konnten. Aber es gibt eben auch Artikel, in denen negative Auswirkungen beschrieben werden. Einige davon werden in unserem Artikel zitiert. Zudem bringen wir in dem besagten Artikel eine Reihe von Beispielen wissenschaftlicher Arbeiten, in denen methodische Unzulänglichkeiten dazu geführt haben können, dass keine negativen Effekte entdeckt wurden. Zudem gibt es Fachartikel, die über Entwicklung und Grundlagenforschung berichten, die einfach zu „Sicherheitsstudien“ umetikettiert und interpretiert werden – auch das nenne ich unlauter.

Welche Position haben Sie genau in Ihrem Artikel vertreten?

Wir haben insbesondere eines nicht getan: Wir haben nicht geschrieben, dass gentechnisch veränderte Pflanzen grundsätzlich unsicher sind. Uns war es wichtig zu betonen, dass es keinen wissenschaftlichen Konsens über die Sicherheit gibt. Das heißt aber nicht, dass alles unsicher ist, sondern, dass es von Fall zu Fall Evidenzen für diese und die andere These gibt. Die Welt besteht aus Grautönen und ist nicht nur schwarz und weiß. Das war unsere Kernaussage und dafür haben wir Belege gebracht.

Wie ging es weiter in der Diskussion?

Differenzierte Betrachtungen werden nicht akzeptiert. Bemerkenswert ist, dass wir uns in der Folge mit dem Vorwurf konfrontiert sahen, unsererseits eine steile These aufgestellt zu haben – eben die, dass Gentechnik per se unsicher sei. Zum Teil waren die Zuschreibungen alles andere als nett formuliert. Es wurde versucht, den einen oder die andere aus unseren Reihen zu diskreditieren. Das war aber auch schon davor gang und gäbe. Wenn man sich mit einer nuancierten Gegenposition zu Wort meldet und dies der Widerspruch zu einer Schwarz-weiß-Meinung ist, ist beides nicht das Gleiche und nur eine andere Seite derselben Medaille – es sind zwei Medaillen. Wir malen nicht schwarz, sondern in Grautönen. Immer wieder werde ich und auch Kolleg*innen und Mitstreiter*innen damit konfrontiert, dass Leute sagen „Ihr seid ja genau die gleichen, nur auf der anderen Seite.“ Dagegen verwehre ich mich.

Gab es eine Antwort auf Ihren Artikel?

Nein, bisher gab es im Sinne eines Artikels in einem wissenschaftlichen Journal keine Antwort. Man nutzt dafür eher andere Wege, vor allem im Internet.

Im September sind Sie im Rahmen einer Veranstaltung mit verschiedenen Kolleg*innen3 der Frage nachgegangen, warum es speziell bei der Entwicklung von gv-Pflanzen seit 30 Jahren so wenig vorangeht.

Nun, es ist ja unbestreitbar, dass die Gentechniker*innen längst nicht das geliefert haben, was sie vollmundig vor Jahrzehnten versprochen haben. Die Gründe dafür werden nur sehr unterschiedlich verortet. Während es in Gentechnikkreisen beliebt ist, gesetzliche Regulierungen jedweder Art dafür verantwortlich zu machen, wird außerhalb dieser Kreise das Versagen der Gentechnik eher in den wissenschaftlichen Konzepten und Annahmen gesehen, auf denen die Gentechnik aufbaut. Die beteiligten Akteur*innen können oder wollen die Erkenntnisse, die im Verlauf der Jahrzehnte aus der Grundlagenforschung der Genetik hervorgegangen sind, nicht anerkennen. Diese Erkenntnisse betreffen die Funktionsweisen der Vererbung wie auch der Evolution. Diese funktionieren oft nicht, wie Gentechnik-Ingenieur*innen sich das vorgestellt haben und offenbar heute immer noch vorstellen.
Sie gehen davon aus, dass die Gene ausschließlich aus DNA aufgebaut sind, und sie folgen weitgehend dem zentralen Dogma der Molekularbiologie, demzufolge aus der DNA die RNA, und aus der RNA die Proteine gebildet werden. DNA kommt in diesem Denken einem digitalen Code gleich, der die lineare Bauanleitung für Organismen ist. Das Bild, das damals von Genen herrschte, war – vorsichtig formuliert – sehr naiv. Heute wissen wir, dass zur Vererbung sehr viel mehr gehört als ein Paar DNA-Stränge.
Nach und nach wurde nachgewiesen, dass die DNA nur eine Komponente der Vererbung ist. Weitere Substanzen und Funktionen konnten beschrieben werden. Vererbung hat viel mehr Schichten als nur DNA. Besonders wichtig ist die sogenannte Epigenetik, die sich unter anderem in Molekülen manifestiert, die mit der DNA assoziiert sind – zum Beispiel Zuckerreste oder Proteine. Dadurch werden Eigenschaften an Nachkommen weitergegeben, die ein Elternteil im Laufe des Lebens erworben hat, aber die DNA nicht verändert hat.

Können Sie ein Beispiel für eine weitere Funktion nennen, bitte?

Wenn sie zum Beispiel in einer bestimmten Umgebung eine Substanz einbringen, die ursprünglich Schädlinge vergiftet oder fernhält, kann es sein, dass diese Substanz auch mal auf ganz andere Organismen wie ein Lockmittel wirken kann, denen das Gift nichts anhaben kann.
Außerdem gleicht das Bt-Toxin aus Bacillus thuringiensis, das man in gv-Pflanzen eingebaut hat, nur bedingt oder zum Teil auch nur in geringem Maße dem Toxin aus dem Bakterium. Sowohl der Transformationsprozess als auch die Pflanze verändern die Substanz zum Teil erheblich, wie sie aus der Natur nicht bekannt ist.

Was bedeutet das für Risikoforschung und -bewertung?

Aktuell funktioniert diese weitgehend im Sinne der Gentechnikbefürworter*innen. Das ist ja der ewige Zwist. Je nachdem wie ein Bewertungskomitee besetzt wird, kommt die entsprechende Risikobewertung raus. Wird sie von der Seite der Ingenieur*innen besetzt, dann werden in der Risiko­bewertung viele Dinge eben nur selektiv abgebildet. Würde man sie mit Leuten besetzen, die einen umfassenderen Blickwinkel haben, die nicht reduktionistisch aufgestellt sind, würde man eine andere Nachricht hören. Aber das ist bisher nirgends vorgekommen. Die erste Gruppe ist sehr erfolgreich damit, bestimmte Aspekte, Leute und Veröffentlichungen aus den Bewertungsgremien rauszuhalten – beziehungsweise bestenfalls als Minderheitsquotenstimme zuzulassen, die locker überstimmt wird.

Steht damit auch im Zusammenhang, wer den Zugang zu dem Untersuchungsmaterial für Forschungsprojekte bekommt und wer nicht?

Auf jeden Fall. An dieser Stelle wird der Zugang ganz entschieden kontrolliert. Das machen die Firmen. Damit kontrollieren sie die Forschungsergebnisse, die erzielt werden können. Sie wollen nicht, dass bestimmte Forschungen gemacht werden. Zum Beispiel solche, die ihnen darlegen, dass ihre Pflanzen vielleicht nicht nur A, B und C machen, wie gewünscht, sondern eben auch D, E und F – was vielleicht Effekte auslöst, die nicht okay sind. Aus diesem Grund bekommen Risikoforscher*innen mit einem breiteren Ansatz und mit einer größeren Unabhängigkeit von den Firmen das gentechnisch veränderte Material nicht.

Danke für das Gespräch.

Das Interview führte Christof Potthof.

  • 1Hilbeck, A et al. (2015): No scientific consensus on GMO safety. Environmental Sciences Europe, 27, 4. www.doi.org/10.1186/s12302-014-0034-1 [zuletzt abgerufen: 24.10.18].
  • 2Im Artikel von Hilbeck et al. (s. Fn 1) finden sich in diesem Zusammenhang Verweise auf verschiedene Quellen, unter anderem: White, M (2013): The scientific debate about GM foods is over: they’re safe. Pacific Standard Magazine, www.psmag.com, 24.09.13.
  • 3„Bound to fail – The flawed scientific foundations of genetic engineering“ am 05.09.18 in Berlin. Weitere Teilnehmer*innen waren unter anderem Ricarda Steinbrecher (Genetikerin der Nichtregierungsorganisation Econexus) und Ignacio Chapela von der Universität des US-Bundesstaates Kalifornien. Filmausschnitte im Netz unter www.gmo-free-regions.org oder www.kurzlink.de/gid247_y.
GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
247
vom November 2018
Seite 7 - 8

Angelika Hilbeck ist Wissenschaftlerin am Institut für Integrative Biologie der ETH Zürich. Sie ist im Vorstand von ENSSER, dem European Network of Scientists for Social and Ecological Responsibility. Hilbeck forscht seit Mitte der 1990er-Jahre über die Folgen des Anbaus von gentechnisch veränderten Pflanzen.

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