Gentechnologiebericht

Langzeitbeobachtung noch nicht am Ende

Die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften legt ihren vierten Gentechnologiebericht vor. Trotz Kritik setzt sie ihre als wissenschaftliche Langzeitbeobachtung getarnte Politikberatung fort.

Ende letzten Jahres veröffentlichte die Interdisziplinäre Arbeitsgruppe (IAG) der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW) ihren vierten Gentechnologiebericht.(1) Die IAG war von 2001 bis 2018 eine Langzeitaufgabe der BBAW zu den Themenbereichen Epigenetik, Gendiagnostik, Stammzellforschung, Gentherapie, Grüne Gentechnik und Synthetische Biologie.(2) Die Arbeitsgruppe sah sich selbst „als ein Observatorium, das Status und wissenschaftlichen Fortschritt einer Hochtechnologie beobachtet (…). Im Ansatz interdisziplinär, ergebnisoffen und unabhängig von Partikularinteressen ist es das erklärte Anliegen der IAG Gentechnologiebericht einen unvoreingenommenen und objektiven öffentlichen Diskurs um die Gentechnologien in Deutschland zu fördern.“ (3)

Diesem Anspruch ist die IAG nicht immer nachgekommen. Das geht auch aus dem neuen Bericht hervor. Sabine Könninger zum Beispiel schreibt in ihrem Beitrag, „dass die IAG nicht so sehr als ‚Beobachterin‘ gentechnologischer Forschungen und Entwicklungen, sondern vor allem als handlungsempfehlendes oder politikberatendes Gremium wahrgenommen wird, insbesondere in Bezug auf die Gesetzgebung, Forschungsförderung und Sicherung der Forschung in Deutschland“.(4)
Ende des vergangenen Jahres sollte eigentlich Schluss sein. Die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften hatte sich gegen eine weitere Finanzierung der Gruppe entschieden. Mittlerweile ist aber klar: Die Gentechnologiebericht-Arbeitsgruppe wird – ausgestattet mit einer Förderung der Friede Springer Stiftung – auch in den kommenden Jahren weiterexistieren.

Methodisch hat sich die IAG über die Jahre auf ein sogenanntes Indikatorenmodell festgelegt. Die Indikatoren sollten über die Zeit eine Vergleichbarkeit ermöglichen. Die jeweiligen Daten, die zur Anwendung des Modells notwendig sind, wurden aber nicht selbst erhoben, sondern aus öffentlich zugänglichen Quellen entnommen. Das hatte „Konsequenzen für die Fortschreibung [der Themenbereiche über einen längeren Zeitraum].“ Diese war „häufig nicht oder nur begrenzt möglich“, wie Lilian Marx-Stölting und Kolleg*innen schreiben.(5) Das Selbstbild der IAG als Langzeitprojekt und Observatorium vor Augen, eine fast tragische Bewertung.

Verschiedene „Wegbegleiter und Wegbegleiterinnen“ wurden für kurze Spotlight-Texte eingeladen. Zu diesen zählte auch das Gen-ethische Netzwerk (GeN). In ihrem Beitrag „Die Vertrauenskrise der Wissenschaft“ (6) stellen die Autor*innen des GeN unter anderem heraus, dass in der aktuellen Debatte um die Nutzung neuer Gentechnologien wieder – wie in den Anfangsjahren der klassischen Gentechnik – das Blaue vom Himmel versprochen wird. „[N]icht nur Medienleute, sondern auch Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen selbst“, so heißt es im Text des GeN weiter, seien „vorn mit dabei, wenn es gilt, CRISPR & Co. hoch zu feiern. (…) Wir haben es euch ja immer gesagt, der Gentechnik gehört die Zukunft, vertraut uns!“
Dass sich derartig kritische Inhalte in zumindest einem Teil der Beiträge des aktuellen Gentechnologieberichtes finden, ist sicher ein positiver Aspekt. Vergleichbarer Mut zum kritischeren Umgang mit der eigenen Rolle und den eigenen Inhalten wäre schon früher wünschenswert gewesen.


Fußnoten:
(1)    Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (Hg.) (2018): Vierter Gentechnologiebericht. Bilanzierung einer Hochtechnologie. Interdisziplinäre Forschungsgruppen, Forschungsberichte, Band 40, Nomos. Vollständig und kostenfrei online unter: www.doi.org/10.5771/9783845293790.
(2)    IAG: Der Gentechnologiebericht. Im Netz unter www.gentechnologie­
bericht.de/ueber/der-gentechnologiebericht oder www.kurzlink.de/gid249_v [letzter Zugriff: 22.04.2019].
(3)     Korte, Martin et al.: Einleitung. In: BBAW (Hg.): Der Vierte Gentechnologiebericht. Siehe Fußnote 1.
(4)     Könninger, Sabine: Ein Monitoring monitoren – die IAG Gentechnologiebericht in der Wahrnehmung der medialen Öffentlichkeit. In: BBAW (Hg.): Der Vierte Gentechnologiebericht. Siehe Fußnote 1.
(5)     Marx-Stölting, Lilian et al.: Ausgewählte Indikatoren zu den unterschiedlichen Gentechnologien. In: BBAW (Hg.): Der Vierte Gentechnologiebericht. Siehe Fußnote 1.
(6)     Gen-ethisches Netzwerk e.V.: Die Vertrauenskrise der Wissenschaft. In: BBAW (Hg.): Der Vierte Gentechnologiebericht. Siehe Fußnote 1.

GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
249
vom Mai 2019
Seite 27

Christof Potthof war bis Ende April 2020 Mitarbeiter im GeN und Redakteur des GID.

zur Artikelübersicht

Nur durch Spenden ermöglicht!

Einige Artikel unserer Zeitschrift sowie unsere Online-Artikel sind sofort für alle kostenlos lesbar. Die intensive Recherche, das Schreiben eigener Artikel und das Redigieren der Artikel externer Autor*innen nehmen viel Zeit in Anspruch. Bitte tragen Sie durch Ihre Spende dazu bei, dass wir unsere vielen digitalen Leser*innen auch in Zukunft aktuell und kritisch über wichtige Entwicklungen im Bereich Biotechnologie informieren können.

Ja, ich spende!  Nein, diesmal nicht