Rezension: "Zeitgeschichte: Landwirtschaft und Ernährung im Nationalsozialismus"
Ernährung ist politisch

Im Nationalsozialismus wurde die vernichtende Rassenideologie der Nazis wie auch kriegsstrategische Überlegungen in die gesetzlichen Richtlinien für die Landwirtschaft integriert. Der wissenschaftliche Sammelband „Landwirtschaft und Ernährung im Nationalsozialismus“ beschreibt einige dieser Verflechtungen und weist auf Widersprüche, Auswirkungen und Kontinuitäten hin. Zum einen wird die propagandistische Ernährungspolitik der Nazis, die vor allem auf die Ernährungsgewohnheiten der Bevölkerung abzielte, beschrieben. Die Erfolge einiger Kampagnen sind noch heute Bestandteil der deutschsprachigen Gesellschaft. Beispiele hierfür sind die Vorliebe für Vollkornbrot und die Tradition des Sonntagseintopfs und des kalt angerichteten Abendbrots. Diesem leicht zugänglichen Thema folgen einige Aspekte aus damaligen agrarpolitischen Programmen, die einen „institutionellen Fußabdruck“ hinterlassen haben. Interessant ist hier vor allem der immer wieder auftauchende Widerspruch zwischen Modernität und Tradition, aber auch, wie die patriarchalen und rassistischen Ansichten in die landwirtschaftlichen Programme eingebaut wurden. Zuletzt wird ein Blick auf die Dissertationen, die in der Zeit von 1938 bis 1945 an der Wiener Hochschule für Bodenkultur verfasst wurden, geworfen. Die Bandbreite der Artikel zeigt die große Vielfalt der Politisierung von Landwirtschaft im Nationalsozialismus auf und illustriert ihren hohen Stellenwert im Dritten Reich. Die Artikel sind in Sprache und Komplexität sehr unterschiedlich anspruchsvoll. Das Buch bietet damit wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse, ist aber in seiner Themenwahl zum Teil sehr spezifisch. Ob nun nur ein Artikel gelesen wird oder alle: Das erlangte Wissen über die Begrifflichkeiten und Denkmuster von damals ermöglicht es heute Kontinuitäten zu erkennen und achtsam gegenüber Begriffen zu sein.
➤ Langenthaler, Ernst; Markova, Ina (Hg.) (2018): Zeitgeschichte: Landwirtschaft und Ernährung im Nationalsozialismus. Jg. 45, Heft 3. Göttingen: V&R unipress GmbH, 186 Seiten, 25 Euro, ISBN 978-3-8471-0850-4.
Judith Düesberg ist Ökologin und Mitarbeiterin des GeN.