Kurz notiert – Mensch und Medizin

Schwangerschaft

Pränataltest zurück auf der politischen Tagesordnung

Mitte Juni hat der Bundesrat einstimmig einer Initiative des Landes Bremen zum nicht-invasiven Pränataltest (NIPT) zugestimmt. Der NIPT auf Trisomie 13, 18 und 21 wird seit Juli 2022 in bestimmten Fällen von der Krankenkasse übernommen. In der Debatte um die Kassenfinanzierung war mehrfach betont worden, der Test dürfe nicht zu einem Reihenscreening auf Trisomie 21 werden – allerdings fehlen belastbare Daten, inwiefern dies in der Praxis dennoch geschieht. Neben den derzeit von den Kassen abgedeckten Tests bietet das Verfahren schier unbegrenzte Möglichkeiten, auf weitere genetische Abweichungen zu testen, teilweise sind diese auf eigene Rechnung bereits verfügbar. In Deutschland gibt es derzeit kein etabliertes Verfahren zur Prüfung der Kassenzulassung solcher Tests. Mit dem Bundesratsbeschluss ist die Regierung nun aufgefordert, ein Monitoring zur Umsetzung und zu den Folgen des Beschlusses der Kassenzulassung von nicht-invasiven Pränataltests durchzuführen sowie ein Expert*innengremium einzusetzen, das neben medizinischen Aspekten auch die rechtlichen, ethischen und gesundheitspolitischen Grundlagen der Kassenzulassung prüft. (Bundesrat Drucksache 204/23, 04.05.23, www.bundesrat.de; kobinet Nachrichten, 19.06.23, www.kobinet.de) (jl)

USA: NIPT soll reguliert werden

Die FDA (Food and Drug Administration) will aufgrund der Häufigkeit von falsch-positiven Ergebnissen, insbesondere bei seltenen genetischen Abweichungen, die Vermarktung von nicht-invasiven Pränataltests (NIPT) stärker regulieren. Bei manchen Erkrankungen würden die Tests eine Falsch-Positiv-Rate von 80-93 Prozent aufweisen, von Herstellerfirmen jedoch mit Attributen wie „akkurat“ und „Informationen, denen Sie vertrauen können“ beworben. Expert*innen bezeichnen das Informationsmaterial als irreführend. Dabei hätten die Testergebnisse teilweise weitreichende Folgen. Eine Regulierung durch die FDA könnte beispielweise beinhalten, dass Werbematerialien der Firmen zur Freigabe vorgelegt werden müssen. Bestimmte Tests könnten von der FDA als „hoch riskant“ eingestuft werden, und einen umfangreichen Überprüfungsprozess durchlaufen, bevor sie für den Markt zugelassen werden. Momentan nutzen mehr als ein Drittel der Schwangeren in den USA nicht-invasive Pränataltests. (New York Times, 27.06.23, www.nytimes.com) (jl)

 

Genomforschung

Gefährliche Keimbahneingriffe

Laut Ergebnissen von Forschenden des Jesus College Oxford ist der Einsatz von CRISPR-Cas an menschlichen Embryonen schwieriger als gedacht. Auf einer Konferenz erläuterte die Wissenschaftlerin Nada Kubikova, dass CRISPR-Cas die angezielten DNA-Sequenz in ihren Experimenten effizient verändert hatte. Doch die Mehrheit der Zellen reparierte den durch CRISPR induzierten DNA-Bruch mit einem Prozess, der zusätzliche Mutationen einführt, anstatt bestehende zu korrigieren. In Kubikovas Studie waren nur neun Prozent der durch CRISPR-Cas verursachten Doppelstrangbrüche wie gewünscht korrigiert worden und 40 Prozent der DNA-Schäden sogar gar nicht, was in chromosomalen Abweichungen und Zelltod resultierte. Dies wäre eine Herausforderung, wenn versucht würde, CRISPR-Cas zur Korrektur krankheitsauslösender Genvarianten bei menschlichen Embryonen einzusetzen. (PET, 27.06.23, www.progress.org.uk) (ib)

Gentherapie nach Protest

An ADA-SCID, einer angeborenen Immunschwäche, erkrankte Kinder werden nun eine potenziell lebensrettende Gentherapie nur aufgrund jahrelangen Engagements einer Elterngruppe erhalten können. Wie der US-amerikanische Sender CNN berichtet, hatte die Herstellerfirma Orchard die äußerst effektive Therapie 2020 aus ihrem Portfolio genommen, weil sie nicht lukrativ genug war. Ursprünglich wurde sie jedoch u.a. von Donald Kohn von der University of California (UCLA) entwickelt. Nach Orchards Ausfall setze sich sowohl Kohn als auch eine Gruppe Eltern von betroffenen Kindern dafür ein, die Lizenz für die Therapie an die UCLA zurück zu geben – 2021 kam die Firma den Forderungen nach. Durch staatliche Förderung konnte dieses Jahr eine neue klinische Studie starten. Bisher gibt es jedoch nur genügend Geld um maximal vier Kinder zu behandeln. In den USA und Kanada gibt es momentan jedoch 26 Kinder, bei denen die konventionelle Therapie, eine Stammzelltransplantation, aufgrund fehlender Spender*innen, nicht möglich ist. (CNN, https://edition.cnn.com, 27.04.23) (ib)

Gentherapie mit unbelegtem Nutzen

Die US-Arzneimittelbehörde FDA hat eine Gentherapie für Duchenne-Muskeldystrophie zugelassen, ohne dass deren Wirksamkeit belegt ist. Die Therapie namens Elvidys der Firma Sarepta Therapeutics beinhaltet einen Adenovirus, der eine verkürzte Version des Dystrophin-Gens in Zellen von Patient*innen einführen soll. Bei diesen führt eine Genvariante dazu, dass im Kleinkindalter eine zunehmende Muskelschwäche auftritt. Die durchschnittliche Lebenserwartung von Betroffenen liegt heute bei etwa 35 Jahren. In einer bisher unveröffentlichten Studie konnte ein Anstieg der Dystrophin-Produktion gezeigt werden, eine Verbesserung der Muskelfunktion jedoch nicht. Die Zulassung erfolgte trotz kritischer Stimmen aus einem Expert*innen-Komitee, weil sich der Leiter der FDA ausdrücklich dafür einsetzte. Die Therapie soll 3,2 Millionen US-Dollar pro Patient*in kosten. (PET, 03.07.23, www.progress.org.uk; Wissensschau, 06.07.23, www.wissensschau.de) (ib)

 

Datenschutz

CH: Humanforschungsgesetz mit Mängeln

Seit dem Jahr 2014 ist das Bundesgesetz über die Forschung am Menschen (Humanforschungsgesetz) in Kraft und wird durch vier Ausführungsverordnungen konkretisiert. Nun ist eine Teilrevision dieser Verordnungen in der Vernehmlassung, in der Stakeholder zur Stellungnahme eingeladen sind. Eine Evaluation durch das Bundesamt für Gesundheit hat an einigen Stellen unzureichende Regelungen im Gesetz aufgedeckt. Wie der Schweizer Verein biorespect schon seinerzeit kritisiert hatte, zeigt sich nun in der Praxis, dass vor allem hinsichtlich der informierten Einwilligung in die Teilnahme an Forschungsprojekten einiges schiefläuft. Betroffene erteilen eine Generaleinwilligung und Daten sowie biologisches Material können dann auch für weitere Forschungsprojekte verwendet werden. Proband*innen erfahren davon jedoch häufig nichts. Auch der Umgang mit sog. Überschussinformationen, die vor allem bei der Ansammlung genetischer Daten anfallen können, werden jetzt als Problem gesehen. Biorespect bearbeitet zurzeit die umfangreichen Vernehmlassungsunterlagen. (BAG, 26.04.23, www.bag.admin.ch) (gp/tp)

CH: Polizeiliche DNA-Analysen ausgeweitet

Am 1. August 2023 tritt das revidierte DNA-Profil-Gesetz in der Schweiz in Kraft. Damit werden erweiterte DNA-Analysemethoden (DNA-Phänotypisierung, biogeografische Herkunft) zugelassen. Der Schweizer Verein biorespect hat viele Kritikpunkte in die Debatte eingebracht und befürchtet, dass aufgrund dieser Methoden in Zukunft Minderheiten diskriminiert werden könnten. Bei den erweiterten DNA-Analysemethoden handelt es sich um statistische Wahrscheinlichkeitsberechnungen, mit denen aus an einem Tatort aufgefundener DNA die Tätergruppe eingegrenzt werden soll. Die Ergebnisse sind allerdings oft wenig valide. Wissenschaftler*innen haben international auf die Probleme und Effekte der erweiterten DNA-Analysen hingewiesen. Insbesondere werden die Gefahren der Stigmatisierung und Verdächtigung ganzer Bevölkerungsgruppen, der Verfestigung rassistischer Vorstellungen und mithin das Risiko von „genetischem Racial Profiling“ kritisiert. (PM Bundesrat, 16.06.23, www.admin.ch) (gp/tp)

Neugeborenen-Sequenzierung

Ein Artikel im American Journal of Human Genetics (AJHG), stellte Anfang Juni die Ergebnisse der Babyseq-Studie vor. Sie wurde 2013 in den USA gestartet, um das Genom von Neugeborenen direkt nach der Geburt zu sequenzieren. Im Falle der Identifikation von krankheitsauslösenden Genvarianten sollte so eine frühzeitige Behandlung möglich sein. Laut der Veröffentlichung wurden bei rund 11 Prozent der ersten 159 untersuchten Babys Genvarianten entdeckt, die Erkrankungen auslösen könnten. Bei den meisten der 17 betroffenen Kinder ließen sich auch weitere Familienangehörige untersuchen. In drei Fällen ließen sich die Mütter der Neugeborenen präventiv operieren, weil bei ihnen Genvarianten gefunden wurden, die mit einem erhöhten Krebsrisiko in Verbindung stehen. Laut dem Projektleiter Robert Green würden diese Ergebnisse Kritiker*innen widersprechen, die meinen, dass bei Neugeborenen keine Genvarianten analysiert werden sollten, die mit Krankheitsrisiken im Erwachsenenalter assoziiert sind. Laut Humangenetiker Christian Schaaf vom Universitätsklinikum Heidelberg sei die hohe Anzahl an auffälligen Befunden keine Überraschung. Es gelte jedoch zu bedenken, dass nicht jede Risikovariante zwangsläufig zum Ausbruch einer Erkrankung führe. Schaaf ist an dem 2022 gestartete Projekt „NEW_LIVES: Genomic Newborn Screening Programs“ beteiligt. Es untersucht die Durchführbarkeit von Gesamtgenomsequenzierung bei Neugeborenen in Deutschland. (siehe auch GID 239, Kurz notiert: „Neugeborenen-Genomsequenzierung ungenau“, S.39; AJHG, 05.06.23, www.doi.org/10.1016/j.ajhg.2023.05.007; RND, 07.06.23, www.rnd.de; NEW_LIVES, o.D., www.kurzelinks.de/gid266-bb) (ib)

 

Reproduktionsmedizin

USA: Gefährliche Nebenwirkung bei „Eizellspende“

In einer retrospektiven Befragung von „Eizellspender*innen“ zeigen sich deutliche Unterschiede in der Häufigkeit und Schwere des sog. ovariellen Hyperstimulationssyndroms (OHSS), einer potenziell lebensbedrohlichen Nebenwirkung von Behandlungen mit bestimmten Hormonen. Insgesamt berichteten 39 Prozent der 289 „Eizellspender*innen“ von moderatem OHSS, 12 Prozent von schwerem OHSS, bei fünf von ihnen war es lebensbedrohlich. Das Auftreten von OHHS stand sowohl in Zusammenhang mit der Anzahl von entnommenen Eizellen als auch zwischen unterschiedlichen Protokollen in der Hormonbehandlung bzw. eingesetzten Präparaten. (Journal of Assisted Reproduction and Genetics, 22.06.23, www.doi.org/10.1007/s10815-023-02855-3) (jl)

Georgien: „Leihmutterschafts­verbot“ für Ausländer*innen

In Georgien liegt ein Gesetzesentwurf vor, der die Inanspruchnahme von „Leihmutterschaft“ für ausländische Wunscheltern verbietet. Nach ähnlichen Restriktionen in Indien und Russland sowie mit dem Beginn des Kriegs in der Ukraine war Georgien zu einem der Hauptzielländer geworden. In Georgien machen ausländische Kund*innen 98 Prozent der Wunscheltern aus. Teil der Reform ist auch ein Werbeverbot, dass die derzeitige offensive Rekrutierungspraxis der Agenturen beendet. Ähnlich wie auch in Russland wurden queerfeindliche Argumentationen für das Verbot in Stellung gebracht: die Kinder könnten von gleichgeschlechtlichen Paaren im Ausland großgezogen werden. Die derzeitige Regelung erlaubt die Inanspruchnahme von „Leihmutterschaft“ bereits ausschließlich für heterosexuelle Paare. Gleichzeitig befindet sich die kommerzielle „Leihmutterschaft“ insgesamt auf dem Prüfstand – auch für georgische Staatsbürger*innen könnte diese in Zukunft nur noch im sogenannten altruistischen Rahmen stattfinden. (New York Times, 27.06.23, www.nytimes.com) (jl)

 

Stammzellforschung

Künstliche Embryos

Wissenschaftler*innen der britischen University of Cambridge haben ein Embryomodell aus menschlichen Stammzellen erschaffen, das Merkmale wie einen Herzschlag und Blutzellen aufweist, die in der dritten oder vierten Schwangerschaftswoche auftreten. Der verantwortliche Wissenschaftler Jitesh Neupane stellte gegenüber dem Guardian jedoch klar, „dass es sich weder um Embryonen handelt, noch dass wir versuchen, Embryonen zu erzeugen“. Das ohne Spermium und Eizelle hergestellte Gewebe wurde absichtlich so konzipiert, dass es keine Plazenta oder Dottersack ausbilden konnte, d.h. sich nicht zu einem Fötus entwickelt. Die Forschung sei daher ethisch unproblematisch so die Wissenschaftler*innen. Kurz zuvor hatte bereits die Arbeitsgruppe von Magdalena Zernicka-Goetz, einer britischen Entwicklungsbiologin, ein ähnliches Embryomodell vorgestellt. Der Journalist Peter Shanks kritisierte in einem Artikel für das US-amerikanische Center for Genetics and Society (CGS) den unkritischen medialen Hype, der dem Narrativ folge, dass die Gesetzgebung sich dem wissenschaftlichen Fortschritt anpassen müsse. (The Guardian, 18.06.23, www.theguardian.com; CGS, 19.06.23, www.geneticsandsociety.org) (ib)

GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
266
vom August 2023
Seite 26 - 27

GID-Redaktion

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