Materialien

Der Pfad der neuen Gentechnik in Europa

Eine aktuelle Analyse des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) zeigt, welche konkreten Auswirkungen eine Zustimmung zum Gesetzesentwurf für Verfahren der neuen Gentechnik (NGT) in der EU mit sich bringen würde. Ein Fakt, der heraus sticht sind die 94 Prozent an NGT1-Pflanzen, die sich aktuell in der Entwicklungsphase befinden, und keiner Risikobewertung mehr unterliegen würden. Des Weiteren zeigt eine Einordnung der angestrebten veränderten Eigenschaften der NGT-Pflanzen, dass hauptsächlich Lifestyle- oder industriebezogene Eigenschaften bei einer großen Bandbreite an Feldfrüchten verändert wurden – Klimaanpassungen scheinen eine untergeordnete Rolle in der Gentechnikforschung zu spielen. Die Studie untersucht weiterhin NGT1-Fallbeispiele auf potenzielle Umweltauswirkungen und vergleicht diese mit klassischen, gentechnisch veränderten Pflanzen im Lichte des rechtlich verankerten Vorsorgeprinzips. 

Bohle, F. et al. (2023): Where Does the EU-Path on NGTs Lead Us? In: Preprints 2023, 2023111897. Online: www.doi.org/10.20944/preprints202311.1897.v1 oder www.kurzelinks.de/gid268-aa.

 

Greenwashing in der Gentechnikdebatte

Diese Broschüre von Friends of the Earth Europe dient als Faktencheck gegenüber den Nachhaltigkeitsversprechen großer Agrar- und Chemie-Konzerne in Bezug auf das Thema neue Gentechnik (NGT). Der Gesetzesentwurf der EU-Kommission für Produkte der neuen Gentechnik sieht eine starke Abschwächung der aktuell geltenden Maßnahmen für NGT-Pflanzen vor. Zentral in der Argumentation der europäischen Behörde sind die Aussagen von Konzernen, dass NGT globale Herausforderungen wie den Klimawandel oder die Ernährungsunsicherheit lösen könnte. Das Dokument deckt diese falschen Versprechen auf und zeigt reale Auswirkungen der neuen Gentechnik in Bezug auf Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft auf. 

Mertens, M. (2023): Greenwashing in der Gentechnikdebatte: Ein Blick auf die Marketingversprechen und was dahintersteckt. Online: www.kurzelinks.de/gid268-ab.

 

Wissenschaftler*innen gegen Deregulierung der neuen Gentechnik

In einem gemeinsamen offenen Brief an das Europaparlament warnen über 70 Wissenschaftler*innen aus unterschiedlichen Disziplinen vor einer voreiligen Deregulierung der neuen Gentechnik (NGT). Die Akademiker*innen beklagen, dass der Gesetzesvorschlag der EU-Kommission die Unterschiede zwischen Verfahren der neuen Gentechnik und konventioneller Züchtung ignoriere und damit auch die Risiken von NGT. Darüber hinaus wird die Art und Weise, wie Klima- und Nachhaltigkeitsziele zur Rechtfertigung der Deregulierung herangezogen werden, kritisiert. Dies würde die EU daran hindern, sich gemeinsam mit anderen Ländern „wirksam an der Bewältigung der weltweiten Herausforderungen in der Landwirtschaft zu beteiligen“, heißt es in dem Schreiben. 

Open Letter (2023): Serious concerns about the EU Commission proposal on New Genomic Techniques. Online: www.kurzelinks.de/gid268-ac.

 

Verbändeposition: Keine Deregulierung neuer Gentechnikverfahren

139 Verbände und Organisationen aus der Zivilgesellschaft fordern die Bundesregierung und das Europäische Parlament auf, den Vorschlag der EU-Kommission zur Deregulierung von neuen Gentechnikverfahren abzulehnen. Gentechnik muss weiterhin konsequent nach dem EU-Gentechnikgesetz und im Sinne des Vorsorgeprinzips reguliert werden, heißt es in dem Schreiben. Bei den Verbänden handelt es sich um Vertreter*innen aus der Land- und Lebensmittelwirtschaft, dem Umwelt- und Verbraucherschutz, der Entwicklungszusammenarbeit und Jugendbewegungen. Fünf Stellvertretende Organisationen – BUND, AbL, BÖLW, BUNDjugend und junge ABL – haben nachdrücklich über einen offenen Brief die Forderungen aus der Verbändeposition an Bundeslandwirtschafsminister Cem Özdemir vermittelt.

 BUND (2023): Keine Deregulierung neuer Gentechnikverfahren. Online: www.kurzelinks.de/gid268-ad.

 

Zine über radikale Abtreibungs­gegner*innen

Die antisexistische Aktion München (ASAM) hat eine hochaktuelle Broschüre über die selbsternannte Lebensschutzbewegung herausgebracht und teilt darin ihre Recherchen und Analysen. Neben Zahlen und Fakten zu antifeministischen Tendenzen in der Gesellschaft und Statistiken zu Schwangerschaftsabbrüchen finden sich auch Einblicke in die Strategien der Abtreibungsgegner*innen, zentrale Akteur*innen der Bewegung und die manipulative Arbeitsweise falscher Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen. Mit einem Blick in die USA wird zudem nachgezeichnet, wie die religiöse Rechte sich über Jahrzehnte institutionelle Macht sichern und so das Recht auf reproduktive Selbstbestimmung gezielt untergraben konnte. 

Antisexistische Aktion München (2023): Fundis LOL. PDF, 80 Seiten, online: www.kurzelinks.de/gid268-li.

 

Genetische Diagnostik in der  Kinder- und Jugendpsychiatrie

Das Übersichtspapier gibt Einblicke in Leitlinien und Praxis der genetischen Abklärung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie, verweist auf Leerstellen und Probleme und gibt Handlungsempfehlungen für eine verbesserte, leitlinienkonforme Praxis, von der Patient*innen profitieren. Die Autor*innen betonen u.a. die aktuelle Diskrepanz zwischen Empfehlungen und Praxis, viele Patient*innen erhielten demnach keinen oder unzureichenden Zugang zu genetischer Diagnostik. Vorteile einer genetischen Abklärung sehen sie vor allem in einer syndromspezifischen Versorgung, Anbindung an Selbsthilfegruppen und einer allgemein verbesserten Informationslage für Betroffene und Angehörige. Die Autor*innen fordern u.a. eine bessere Zusammenarbeit zwischen Kinder- und Jugendpsychiatrie und Humangenetik.

Degenhardt, F. et al. (2023): Genetische Diagnostik im klinischen Alltag der Kinder- und Jugendpsychiatrie – Indikationen, Rahmenbedingungen, Hürden und Lösungsvorschläge. PDF,  17 Seiten, online: www. doi.org/10.1024/1422-49 17/a000941 oder www.kurzelinks.de/gid268-lh.

 

Rassismus-sensible klinische  Algorithmen

Die Kategorie Race taucht als Variable in vielen klinischen Algorithmen in den USA auf und beeinflusst so Diagnostik und Behandlung. Dabei sind diese so unterschiedlich gestaltet, dass ihre Effekte von positivem Nutzen für Patient*innen bis zur Fortschreibung rassistischer Benachteiligung im Gesundheitssystem reichen. Der Bericht stellt neben einer Ist-Analyse auch Prinzipien und Richtlinien vor, um diese Algorithmen so zu konzipieren, dass sie dazu geeignet sind, Diskriminierung entgegen zu wirken und Nachteilsausgleiche zu schaffen und somit zu mehr Gerechtigkeit in der Gesundheitsversorgung beizutragen. Darüber hinaus werden auch Empfehlungen für die Implementierung und Praxisanwendung dieser Richtlinien gegeben.

Council of Medical Specialty Societies (2023): Reconsidering Race in Clinical Algorithms: Driving Equity through New Models in Research and Implementation, PDF, 40 Seiten, online: www.kurzelinks.de/gid268-lj.

 

In Vitro-Keimzellen

Die US-amerikanische Akademie der Wissenschaft veranstaltete 2023 einen Workshop zu der Erforschung von künstlicher Herstellung menschlicher Keimzellen im Labor, auch In-Vitro-Gametogenese (IVG) genannt. Der Tagungsband enthält die Beiträge der Referent*innen über die Technologie und deren soziale, ethische und rechtliche Fragen.

Packard Dawson, E. et al. (2023): In Vitro Derived Human Gametes as a Reproductive Technology: Scientific, Ethical, and Regulatory Implications: Proceedings of a Workshop (2023).162 Seiten, Englisch, kostenloses PDF, ISBN 978-0-30971-080-0, www.doi.org/10.17226/27259.

 

Digitalisierte Gesundheitsdaten

Das Netzwerk Datenschutzexpertise hat im August ein juristisches Gutachten und im November 2023 eine Stellungnahme zum Entwurf für ein Gesundheitsdatennutzungsgesetz der Bundesregierung veröffentlicht. Die Aufhebung der ärztlichen Schweigepflicht dadurch, dass alle Gesundheitsdaten ohne Einwilligung der Patient*innen pseudonymisiert für alle möglichen Zwecke und auch von Firmen verwendet werden dürfen, sieht das Netzwerk kritisch.

Weichert, T. (2023): Stellungnahme des Netzwerks Datenschutzexpertise zum Entwurf eines Gesetzes zur verbesserten Nutzung von Gesundheitsdaten. Online: www.netzwerk-datenschutzexpertise.de oder www.kurzelinks.de/gid268-bi.

 

Medizin im Nationalsozialismus

The Lancet ist eine der ältesten und renommiertesten medizinischen Fachzeitschriften. Eine dazugehörige Kommission hat sich jetzt dem Thema Medizin, Nationalsozialismus und dem Holocaust gewidmet, mit dem Ziel, auf der Grundlage einer Bewertung bestehender medizinischer Lehrpläne Bildungsansätze zu entwickeln, die ethisches Verhalten und die Herausbildung einer empathiebasierten beruflichen Identität durch Aufklärung über das Thema fördern. Das Ergebnis wurde jetzt veröffentlicht.

Czech, H. et al. (2023): The Lancet Commission on medicine, Nazism, and the Holocaust: historical evidence, implications for today, teaching for tomorrow. In: The Lancet, 402, S.1867-940,  www.doi.org/10.1016/S0140-6736(23)01845-7.
 

GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
268
vom Februar 2024
Seite 34 - 36

GID-Redaktion

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