Rezension: Blind in der Wut
Der als Bauer Willi bekannte Blogger, Autor und Landwirt spiegelt in seinem Buch „Satt und Unzufrieden“ wider, wofür ein Teil der Landwirt*innen aktuell auf den deutschen Straßen protestiert. Die zentrale These aus seinem Werk besagt, dass die Kluft zwischen Bäuer*innen und Verbraucher*innen viel zu groß geworden sei. Die Ansprüche aus der Gesellschaft und der Agrarpolitik an die Menschen, die auf landwirtschaftlichen Betrieben arbeiten, seien unrealistisch. Zum Beispiel würden klimaschützende Forderungen sich existenzgefährdend auf Bäuer*innen auswirken. Eine ähnliche Meinung vertreten auch die protestierenden Landwirt*innen bezüglich der Kürzungen der Agrardiesel-Subventionen durch die Ampelkoalition. Obwohl in beiden Fällen versucht wird, den gegenteiligen Anschein zu erwecken, ist nicht zu vernachlässigen, dass sowohl die Bäuer*innen auf den Straßen, als auch Bauer Willi nicht für alle Bauernhöfe sprechen. Bäuer*innen sind keine homogene Gruppierung. Familienbetriebe, Biobäuer*innen, Betriebe, die intensive Landwirtschaft betreiben – alle haben eigene Interessen, die sich teilweise widersprechen. Dementsprechend ist auch die Meinung des Autors zu Gentechnik nicht als repräsentativ für die „Essensmacher“ einzuordnen. Im Gegenteil, er scheint viele Aussagen aus der Lobby-Kampagne großer Agrarkonzerne zu wiederholen: Gentechnik würde eine Lösung für den Klimawandel und die Ernährungsknappheit bieten und landwirtschaftliche Betriebe in ihrer Verantwortung, die Menschheit zu ernähren, entlasten. In seinem Frust gegenüber Natur- und Klimaschutz vernachlässigt Bauer Willi, die systemischen Auswirkungen von Gentechnik auf landwirtschaftliche Betriebe. Patente und eine Monopolisierung des Saatgutmarkts schränken die Wahlfreiheit auf dem Acker ein und bringen Mehrkosten durch Lizenzvereinbarungen mit sich. Das ist keine gute Aussicht für die Mehrheit der Bäuer*innen.
Kremer-Schillings, W. (2023): Satt und Unzufreiden. Westend, 288 Seiten, 24,- Euro. ISBN: 978-3-86489-395-7.
Pascal Segura Kliesow ist Molekularbiologe und Referent für Landwirtschaft und Lebensmittel beim Gen-ethischen Netzwerk.