Wissenstransfer
Information und Mobilisierung zur Gentechnik in der Landwirtschaft
Anfang März trafen sich 65 überwiegend gentechnikkritisch eingestellte Aktive zu einem dreitägigen „Informations- und Mobilisierungstreffen“ in Naumburg/Saale (Sachsen-Anhalt).
Aktuell wächst in der gentechnikkritischen Bewegung eine Gewissheit: Spätestens nach der Sommerpause und der Neu-Konstitution von Europäischem Parlament und Europäischer Kommission beginnt die heiße Phase einer Auseinandersetzung um die Gentechnikregulierung in der EU.
Information und Mobilisierung
Vor diesem Hintergrund lag es nahe, auf diese Entwicklungen mit einem bundesweiten Treffen der gentechnikkritischen Bewegung zu reagieren. Für das Organisationsteam (siehe Kasten) gab es zwei wichtige Ausgangspunkte für diese Idee: Das Ende eines Verfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) am 25. Juli 2018 und die in den letzten Jahren verstärkt wahrnehmbaren Forderungen nach Liberalisierungen im europäischen Gentechnikrecht. Diese begleiten eine aktuelle Welle von Versprechen, was mit neuen Gentechnikverfahren in Zukunft erreicht werden kann. Grund genug, die Informationen über die Gentechnik mit der Mobilisierung von Aktiven für zukünftige politische Arbeit zu verknüpfen.
Erreichtes sichern
Keine Frage, auch in der jüngeren Vergangenheit war eine Vielzahl von Personen in Vereinen und Verbänden gut damit beschäftigt, das Erreichte zu sichern und sich abseits der Felder in laufende Prozesse auf nationaler, wie auch europäischer und internationaler Ebene einzubringen. In den Jahren von etwa 2005 bis 2012 waren weitreichende Erfolge erzielt worden: Seit 2013 ist auf den Äckern der Bundesrepublik legal keine gentechnisch veränderte (gv) Pflanze mehr gewachsen; weder in Freisetzungsversuchen noch zu irgendeinem anderen Zweck. In den Jahren 2005 bis 2008 gab es allein in Deutschland neben einer langen Reihe von Freisetzungsversuchen auch kommerziellen Anbau von bis zu 3.000 Hektar. Annemarie Volling, die für die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft gentechnikfreie Regionen unterstützt und koordiniert hat, erinnerte in ihrem Vortrag daran: „Eine Vielzahl von lokalen Bündnissen hat in diesen Jahren oft gemeinsam mit kritischen Bäuer*innen vor Ort gegen die gentechnisch veränderten Pflanzen auf den Feldern gearbeitet“, so Volling. „Mit einem breiten, bunten, vielfältigen und kreativen Protest aus ganz unterschiedlichen Kreisen – von Bäuer*innen, Gärtner*innen, Züchter*innen, Imker*innen, über Wissenschaftler*innen, Rechtsanwält*innen, Lebensmittelhandel bis zu den Einkaufenden – haben wir die Agro-Gentechnik in die Schranken gewiesen. Das ist ein großer Erfolg, an den können wir anknüpfen.“
Erinnerungen
Beim Treffen in Naumburg wurde deutlich: Gerade die Teilnehmer*innen, die seit langer Zeit an den Diskussionen beteiligt sind, fühlen sich an längst vergangene Anfangsjahre der Gentechnik und an die damals gemachten Versprechen der klassischen Gentechnik erinnert. Martha Mertens zum Beispiel, Urgestein im BUND beziehungsweise beim Bund Naturschutz in Bayern und im Gen-ethischen Netzwerk, ist seit mehr als zwanzig Jahren dabei. Sie saß in den frühen 1990er-Jahren für die Umweltverbände in der Zentralen Kommission für Biologische Sicherheit, einem im Gentechnikgesetz verankerten Beratungsgremium der Bundesregierung. Mertens‘ Themen sind bis heute die Wirkung von gv-Pflanzen auf die Biodiversität und die Nutzung von Pestiziden. Auch in Naumburg hat sie darüber gesprochen: „Insbesondere das System aus Beikrautvernichtungsmitteln wie Roundup (Wirkstoff Glyphosat) und die gegen dieses Mittel toleranten gentechnisch veränderten RoundupReady-Pflanzen hat eben nicht dazu geführt, dass weniger Gifte auf die Äcker gekommen sind.“ Unzählige andere Beispiele derartiger Kontinuitäten in der Debatte machten im Verlauf des Wochenendes für die Teilnehmer*innen deutlich, wie wichtig der Austausch zwischen den verschiedenen Generationen und der damit einhergehende Wissenstransfer ist.
Argumente
In Naumburg wurden diese und weitere Argumente in verschiedenen Formaten verhandelt: Neben Vorträgen waren viele auf einen interaktiven Austausch angelegt. Friedhelm von Mering vom Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) und Teil des Organisationsteams sagte dazu: „Ich war noch nie auf einer vergleichbaren Veranstaltung, bei der es mich als Moderator so viele Mühen gekostet hat, Gesprächsrunden aufzulösen, damit der Zeitplan nicht völlig aus den Fugen gerät. Dabei hätte ich mich oft liebend gerne dazugesetzt und mitdiskutiert.“
Katharina Kawall von der Fachstelle Gentechnik und Umwelt stellte in ihrem Beitrag die wissenschaftlichen Grundlagen der neuen Gentechnikverfahren in den Mittelpunkt. Kawall, die selbst im Labor mit CRISPR und vergleichbaren Verfahren gearbeitet hat, betonte, dass es sich bei CRISPR und Co. um sehr „vielversprechende Biotechnologien“ handele. CRISPR sei das bekannteste und wohl auch beliebteste der neuen Werkzeuge. Es wird mit weiteren gentechnischen Werkzeugen auch als Genome Editing-Verfahren zusammengefasst. Mit CRISPR sei, so Kawall in ihrem Beitrag in Naumburg, eine neue Art der Eingriffstiefe verbunden. Zum Beispiel könnten alle Genorte mit derselben Zielsequenz verändert werden. Auch sei es nunmehr möglich, mehrere verschiedene DNA-Bereiche in einer Zelle zu verändern, selbst wenn diese relativ nah beieinander liegen würden. Für den Schutz der Gesundheit von Menschen, Tieren und Pflanzen „sollten Risiken untersucht werden.“
Neben den wissenschaftlich-technischen Grundlagen wurden in Naumburg auch die rechtlichen Aspekte der Gentechnikdebatte ausführlich besprochen. Anlass dazu gab auch der Versuch des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) einen gentechnisch veränderten Raps des US-Unternehmens Cibus an der geltenden Regulierung vorbei zu schleusen. Dieser hatte seit 2015 umfangreiche Aktivitäten nötig gemacht. Ein Bündnis aus zahlreichen Landwirtschafts-, Umwelt- und anderen zivilgesellschaftlichen Verbänden mit Saatgut-Initiativen und betroffenen Unternehmen hatte durch den Widerspruch gegen den entsprechenden Bescheid und eine Klage vor dem Verwaltungsgericht in Braunschweig die Gefahr, dass dieser Raps auf die Felder kommt, stoppen können. Die Rechtsanwältin der Kläger*innen, Katrin Brockmann, informierte die Teilnehmer*innen über die neuesten rechtlichen Entwicklungen.
In den letzten Jahren hatte insbesondere auch das oben bereits erwähnte Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof die Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Schlussendlich hatte der EuGH im Sinne der gentechnikkritischen Bewegung entschieden. Besonders bemerkenswert in diesem Zusammenhang war Brockmanns Einschätzung, dass sich in dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes kein Hinweis der Kammer findet, dass die europäische Gentechnikrichtlinie 2001/18 nicht mehr zeitgemäß sei. Das Gericht habe, so Brockmann, ein „glasklares“ Urteil gesprochen, in dessen Folge das BVL auch den Cibus-Bescheid zurückziehen musste.
Austausch
Wuselig wurde es am Samstagnachmittag. Bis zu fünf verschiedene Worldcafé-Tische – Kleingruppen mit einem speziellen Moderationsverfahren – plus parallel stattfindende Workshops ließen den Interessierten kaum Zeit zum Verschnaufen. Im Stundentakt konnten die Themen gewechselt werden. Manche schlenderten auch von Tisch zu Tisch. Andere verbrachten praktisch den ganzen Nachmittag mit dem gleichen Thema. Zur Auswahl standen unter anderem „Gene Drives“, „Lösungen für Klimawandel und Welternährung“ oder „Ökologische/nachhaltige Züchtung“. Wer wollte, konnte bei „Argumente kritisch hinterfragt“ die eigenen – und die fremden – Argument überprüfen oder sich beim Autor dieses Textes über die aktuelle Risikobewertung informieren.
Nicht zuletzt das Format „Auf ein Bier mit …“ (unter anderem Benny Härlin, Gebhard Rossmanith oder Christine von Weizsäcker) funktionierte als Brücke zwischen den jüngeren und den jung gebliebenen Teilnehmer*innen und erfreute sich großer Beliebtheit. Nach kurzen persönlichen Anekdoten aus längst vergangenen Zeiten, saßen Teilnehmer*innen am Samstag bis in den späten Abend zusammen, um einerseits von den Erfahrungen berichtet zu bekommen und gleichzeitig diese Erfahrungen auf die aktuelle Situation anzuwenden.
Das Gezwitscher der Anderen
Auch Gentechnik-Befürworter*innen hatten das Treffen in Naumburg im Vorfeld zur Kenntnis genommen und im sozialen Netzwerk Twitter kommentiert. Eher im Scherz tauschten sich zum Beispiel der mittlerweile zu gewisser Bekanntheit gekommene Twitter-User „@ForscherRobert“ und „@NevertillUli“ darüber aus. In ihrem Chat äußerten sie die Idee, selbst das Treffen zu besuchen. Die Idee wurde offenbar wieder verworfen. Weder eine Anmeldung, noch eine Anfrage erreichte das Organisationsteam. Fürs Protokoll: Das Treffen wurde zwar in kleinem Rahmen öffentlich kommuniziert, es war jedoch nicht öffentlich. Das Anliegen wäre abgelehnt worden, auch wenn @NevertillUli – in besagtem Chat – einen guten Grund äußerte: „Andererseits würden mich deren Argumente schon interessieren“.
Gut informiert und hoch motiviert
Was letztendlich in den kommenden Jahren aus diesem Treffen hervorgeht, kann zum heutigen Tag niemand wissen. Am Ende fuhren die meisten Teilnehmer*innen gut informiert und für die bevorstehenden Auseinandersetzungen hoch motiviert in ihre Heimatregionen.
Christof Potthof war bis Ende April 2020 Mitarbeiter im GeN und Redakteur des GID.
Organisationsteam
Vertreter*innen aus folgenden Vereinen und Verbänden bildeten das Organisationsteam: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft, Bund Umwelt und Naturschutz Deutschland, Demeter, Gen-ethisches Netzwerk, Heinrich-Böll-Stiftung, Interessengemeinschaft gentechnikfreie Saatgutarbeit und Save our Seeds.
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