Wem gehört unser Salat?

Wie Fachanwälte vorgehen, um aus klassischen Zuchtmethoden gezielte technische Verfahren zu machen

Das Europäische Patentamt (EPA) erteilte – auch nach der Bestätigung des Verbots von Patenten auf herkömmlich gezüchtete Pflanzen – ein Patent auf Salat. Der Antrag zeigt exemplarisch, wie Fachanwälte von großen Saatgutunternehmen versuchen, aus klassischen Zuchtmethoden gezielt technische Verfahren zu machen.

Im Juni 2018 erteilte das EPA der niederländischen Firma Rijk Zwaan ein Patent auf Salat, der noch bei Temperaturen über 22 Grad keimt. Der Patentantrag EP2966992 1 erstreckt sich auf alle Lactuca sativa L. Variationen und schließt damit alle Kopf- und Pflücksalate, sowie Eis- und Römersalate ein. Normalerweise können diese Salate nur bei Temperaturen unterhalb von 22 Grad keimen. Deshalb sind sie typische Salate der gemäßigten Zonen. Im Sommer werden sie auch dort in Saatschalen vorgezogen und zum Keimen in extra kühle Räume gestellt.

Die im Patentantrag beschriebenen Salate wären für wärmeres Klima geeignet. Der Patentantrag zeigt, wie gut bezahlte Anwälte in langen Anträgen versuchen, ihren Geldgebern Rechte auf eine Pflanzeneigenschaft zu erstreiten, die sogar bei wild wachsenden Arten vorkommt. „Keine Patente auf Saatgut“ (NPOS) legte im Februar 2019 Einspruch 2 gegen dieses Patent ein. Bis heute ist über diesen Einspruch nicht entschieden.

Keine Entdeckung einer neuen Eigenschaft

Im Antrag wird kein genotypisch eindeutig definierter Genabschnitt beschrieben, der für die Keimfähigkeit bei hohen Temperaturen verantwortlich ist. Dabei wird immer wieder suggeriert, ein solcher Genabschnitt sei entdeckt worden. So benennen die Antragsteller als Zuchtziel homozygote Pflanzensorten, bei denen die gewünschte Eigenschaft möglichst deutlich ausgeprägt sowie stabil vererbbar sei. Als entscheidend dafür, dass ein Merkmal als erfindungsgemäße Ausprägung bewertet wird, gilt, dass die entsprechenden Allele homozygot, also reinerbig, vorliegen. Die mehrmalig erwähnte Homozygotie wird aber nirgends genotypisch beschrieben. Zur Überprüfung dieser wäre eine genaue DNA-Sequenzierung der funktionalen Gene notwendig. Diese ist nirgends zu finden. Es bleibt auch unklar, welchen genauen Einfluss die funktionellen Gene auf die beschriebene Eigenschaft haben. Die Antragsteller schreiben, das Merkmal in den Pflanzen sei unterschiedlich ausgeprägt. Dies spricht eindeutig dagegen, dass die Ausprägung nur davon abhängig ist, ob ein bestimmtes Gen reinerbig vorliegt. Die Autoren nutzen die Homozygotie in dem Antrag ausschließlich dafür, die Pflanzen phänotypisch zu beschreiben.

Genotypisch definiert werden die Pflanzen ausschließlich anhand von Markergenen. Die Anwälte beschreiben, dass sich Markergene in der Nähe des Ortes befinden sollen, der die Ausbildung der Eigenschaft entscheidend beeinflusse und mit dem Auftreten der gewünschten Eigenschaft korreliere. Eine genotypische Auswahl nach diesen Markergenen wurde aber nicht vorgenommen. Wie die Antragsteller beschreiben, wählten sie die betreffenden Pflanzen ausschließlich nach dem Phänotyp aus, wie es in jedem klassischen Zuchtverfahren gemacht wird. Die Markergene dienen den Antragstellern lediglich zur Beschreibung, wo die gewünschte Mutation in etwa liegen soll. Sie geben aber weder Auskunft über die genetischen Informationen der Mutation noch über die genaue Lage des entscheidenden Genabschnitts.

Zusammenspiel mehrerer Gene entscheidend

Experten gehen davon aus, dass die Keimfähigkeit bei hohen Temperaturen nicht von einer einzigen Stelle im Genom gesteuert wird. Als ein quantitatives Merkmal wird sie vielmehr durch das Zusammenspiel mehrerer Gensequenzen geprägt. Dabei sind Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Genen entscheidend. Dafür spricht, dass bei den im Patentantrag beschriebenen Pflanzen das Merkmal in unterschiedlicher Ausprägung und Intensität vorhanden ist. Das Merkmal ist also nicht monogenetisch und wird nicht durch ein einziges homozygotes Allel vererbt. Bei der Keimfähigkeit bei Temperaturen über 22 Grad handelt es sich also um ein typisches Sortenmerkmal, welches in einer bestimmten Form von mehreren genetischen Eigenschaften zur Ausprägung kommt. Welche und wie viele genetische Veranlagungen zu einem Genotyp kombiniert werden müssen, um die zu patentierenden Pflanzen zu erhalten, bleibt unklar.

Kein gentechnisches Verfahren

Die Antragsteller versuchen den Eindruck zu erwecken, es seien gezielte, technische Verfahren zum Einsatz gekommen. Sie erheben aber lediglich Anspruch auf Salatpflanzen und Samen, die aus klassischen Zuchtverfahren kommen. Nur Pflanzen, die mit gezielten technischen Verfahren erzeugt wurden, sind patentierbar. Die Antragsteller beschreiben, dass chemische Reize auf Samenkörner ausgeübt wurden. Dieses Verfahren zählt zur Mutationszüchtung, bei der tausende Samen unspezifischen Reizen ausgesetzt werden. Die physikalischen oder chemischen Reize erhöhen die Anzahl der spontanen, ungerichteten Mutationen. Dabei entsteht ganz bewusst eine große biologische Vielfalt. Der größte Anteil dieser Mutationen wird nicht weiterverwendet. Diese Verfahren, die auch Mutagenese genannt werden, sind bis zu diesem Zeitpunkt ausschließlich durch Zufälligkeit geprägt. Die eigentlichen Sorten entstehen durch einen langwierigen Prozess von Selektionen und Kreuzungen mit bestehenden Sorten. Die Mutagenese ist als ein „im wesentlichen biologisches Verfahren“ eingestuft. Pflanzen, die aus ihr hervorgegangen sind, sind damit nicht patentierbar.

Für die Erteilung eines Patents ist die Wiederholbarkeit des Prozesses entscheidend. Diese ist bei der Mutagenese nicht gegeben, da sie ein ausschließlich zufälliger Prozess ist. Eine Wiederholbarkeit ist ausschließlich bei gezielt durchgeführten, technischen Prozessen möglich, zu denen auch gentechnische Verfahren zählen, wie die Veränderung der DNA oder das Einführen von Genen. Solche gezielten technischen Verfahren werden aber im gesamten Antrag nicht beschrieben.

Im Antrag wird keine Eigenschaft beschrieben, die isoliert auf artfremde Arten übertragbar ist. Die Antragsteller versuchen aber genau diesen Eindruck zu erweckten. Dabei wird die genaue DNA-Sequenz der funktionellen Gene an keiner Stelle des Antrags genannt. Als quantitatives Merkmal kommt die Keimfähigkeit bei hohen Temperaturen nur in einer bestimmten Kombination von genetischen Eigenschaften zur Ausprägung. Somit umfasst das Patent keine Eigenschaft, die in isolierter Form auf jede beliebige Sorte oder sogar auf artfremde Arten übertragen werden kann. Gezielte technische Eingriffe, wie die Einführung eines Gens oder die Veränderung des Genoms, die patentierbar wären, sind somit nicht möglich. Nur mit solchen gentechnischen Verfahren können genetische Eigenschaften auf artfremde Organismen übertragen werden.

Auch die wiederholte Nennung von Markergenen soll den Eindruck von gezielten, technischen Verfahren erwecken. Rijk Zwaan versucht mit dem Einführen der Markergene, klassische Pflanzenzucht, die auf der Auswahl eines Phänotyps basiert, zu einer technischen Erfindung umzukonstruieren. Die Markergene wurden als sogenannte technische Garnierung hinzugefügt.

Patent mit enormer Wirkbreite

Das Patent der Firma Rijk Zwaan erstreckt sich auf Samen, Pflanzen, alle Pflanzenteile sowie die Nutzung der Ernte. Im Prinzip müsste also jedes Restaurant, das diesen Salat auf dem Buffet anbietet, Lizenzgebühren an die Firma Rijk Zwaan bezahlen. Das Patent erstreckt sich auf alles, was als Vermehrungsmaterial geeignet ist und die beschriebene Eigenschaft aufweist. Ein Patent würde damit alle Sorten, bei denen die Eigenschaft auftritt, umfassen. Dabei ist unerheblich wie diese Sorte entstanden ist, ob sie durch herkömmliche Zucht oder Gentechnik hergestellt wurde. Auch alle neuen Sorten, die diese Eigenschaft besitzen, würden unter das Patent fallen.

Patente behindern den freien Zugang zu Pflanzensorten. Dieser ist durch das Sortenschutzgesetz geregelt. So hat jeder Züchter das Recht, herkömmlich gezüchtete Sorten ohne Zustimmung des Sorteninhabers zur Züchtung neuer Sorten zu nutzen. Dies soll die Zucht fördern. Bei patentierten Sorten gibt es dieses Recht nicht. Die patentierte Eigenschaft der erhöhten Keimtemperatur sorgt dafür, dass die Salate auch bei einem Klima mit erhöhten Temperaturen angebaut werden können. Sie hat damit eine große Bedeutung für die zukünftige Zucht von Sorten mit einer verbesserten Anpassung an den Klimawandel. Das Patent hätte damit weitrechende Auswirkungen auf zukünftige Zucht und Landwirtschaft und könnte sogar die Ernährungssicherheit gefährden.

GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
254
vom August 2020
Seite 25 - 26

Gudula Madsen war 2020 Redakteurin des GID und Mitarbeiterin im GeN.

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Das Europäisches Patentübereinkommen (EPÜ) bildet die Grundlage des europäischen Patentrechts und
wurde 1973 von den Vertragsstaaten unterzeichnet. Es beinhaltet auch die sogenannte Ausführungsordnung.

Übereinkommen über die Erteilung europäischer Patente

„Artikel 53
Ausnahmen von der Patentierbarkeit

Europäische Patente werden nicht erteilt für:
[…] b) Pflanzensorten oder Tierrassen sowie im Wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen oder Tieren. Dies gilt nicht für mikrobiologische Verfahren und die mithilfe dieser Verfahren gewonnenen Erzeugnisse“.

Ausführungsordnung, letzte Änderung von Juni 2017

„Regel 28
Ausnahmen von der Patentierbarkeit

[…] (2) Nach Artikel 53 b) werden europäische Patente nicht erteilt für ausschließlich durch ein im Wesentlichen biologisches Verfahren gewonnene Pflanzen oder Tiere.“

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