Europas Blue Deal

Die Reaktion der Europäischen Union auf den Wassermangel in der Landwirtschaft

Während die europäische Landwirtschaft unter den Folgen des Klimawandels leidet, entfernt sich die EU von den Nachhaltigkeitszielen des Green Deals. Stattdessen werden kurzfristige Anpassungsstrategien wie die Deregulierung der neuen Gentechnik vorangetrieben.

EU-Parlament

Noch vor der kommenden Europawahl soll ein Beschluss zum NGT-Entwurf im EU-Parlament stehen. Foto: gemeinfrei auf pixabay.com

Juli 2023 war weltweit der wärmste Monat seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Eine Schlagzeile, die gar nicht mehr auffällt. Denn erst 2018 hatten wir mit einer Durchschnittstemperatur von 10,5°C das wärmste Jahr in Deutschland, gefolgt von 2019 mit 10,3°C und 2020 mit 10,4°C.1 Die hohen Temperaturen gingen mit einem Ausfall von Niederschlägen in Mittel- und Nordeuropa einher, die extreme Dürren im gesamten Gebiet zur Folge hatten.

Extreme Wetterbedingungen häufen sich in den letzten Jahren und die Landwirtschaft, deren Produktion direkt von den klimatischen Bedingungen abhängt, leidet stark darunter. Natürlich sind die Ertragseinbußen anbau- und regionsspezifisch. So gibt es auch Beispiele von höheren Erträgen durch ansteigende Temperaturen, zum Beispiel von Winterweizen in Zentraleuropa oder durch längere Vegetationsperioden in Berggebieten. Doch Untersuchungen zeigen, dass in den letzten 20 Jahren die meisten Ertragsausfälle in Deutschland auf extreme Dürreereignisse zurückzuführen sind. Für Südeuropa ist die Faktenlage noch eindeutiger. Auch Prognosen der relativen globalen Ernteveränderung zeigen, dass die vier wichtigsten Ackerkulturen Reis, Soja, Mais und Weizen als Folge des Temperaturanstiegs Erträge einbüßen werden. Abgesehen davon sind Schwankungen von Wetterereignissen durch die nachfolgenden Ertragsfluktuationen ein klarer Risikofaktor für landwirtschaftliche Systeme. Weniger Planungssicherheit reduziert die Anreize für Investitionen und betrifft auch vor- und nachgeschaltete Wirtschaftssektoren, wodurch ganze Ernährungssysteme ins Schwanken geraten.

Aktuelle Bemühungen greifen zu kurz

Es wird jetzt entschieden, mit welchen Maßnahmen die Regierungen steigende Temperaturen, Dürre und Wasserknappheit angehen, um eine resilientere Landwirtschaft gestalten zu können. Ansätze gibt es viele – doch welche davon sich als effizient und realistisch umsetzbar erweisen, ist nicht immer eindeutig. In Frankreich gab es im Frühjahr Protestaktionen gegen den Bau von riesigen Wasserauffangbecken, die dazu dienen sollen, die Bewässerung von landwirtschaftlichen Flächen in Trockenperioden sicherzustellen. Umweltorganisationen und Bauernverbände fanden sich zusammen und beklagten, dass die Wasserreservoire nur für einige wenige Bäuer*innen vorgesehen sind, die intensive Landwirtschaft betreiben. Abgesehen davon zögere die Tatsache, dass man sich auf diese Wasserreserven verlassen soll, nur die Umstellung auf widerstandsfähige Produktionssysteme hinaus; so Gabrielle Bouleau, Politikwissenschaftlerin des französischen Forschungsinstituts für Landwirtschaft, Lebensmittel und Umwelt (INRAE)2. Nachhaltiger wäre es, die maximale Wasserentnahme, die keiner Autorisierung bedarf, an die aktuellen Klimaverhältnisse anzupassen. Aktuell liegt diese in Frankreich bei 200.000 Kubikmeter pro Jahr verglichen mit den 5.000 Kubikmeter in Deutschland.

Vor dem Hintergrund ähnliche Wasserschutzmaßnahmen in allen EU-Mitgliedsstaaten zu erreichen, wurden im Jahr 2000 die EU-Wasserrahmenrichtlinien (WRRL) veröffentlicht. Deren übergeordnetes Ziel ist es, „gute ökologische und chemische Zustände“ von oberirdischen Gewässern sowie einen „guten quantitativen und chemischen Zustand“ europäischer Grundgewässer bis 2027 zu erreichen.3 Einzelnen Mitgliedstaaten wird eine gewisse Flexibilität gewährt, um diese Maßnahmen an eigene Wetterbedingungen, Produktions- und Ökosysteme anzupassen. Allerdings zeigt ein Bericht des Europäischen Rechnungshofs (EuRh), dass dieser Spielraum ausgenutzt wird, um vermehrt Ausnahmen gelten zu lassen.4 Das beschriebene Szenario in Frankreich ist ein gutes Beispiel dafür: die Obergrenze der Wasserentnahme, die ohne Autorisierung erfolgt, muss auf nationaler Ebene stärker gedeckelt werden. Auch in Deutschland gibt es solche Ausnahmen. In Berlin-Brandenburg müssen Landbesitzer*innen, die an einem Wasserweg wohnen, gar keine Autorisierung für die Wasserentnahme aus oberirdischen Gewässern beantragen. Außerdem entstehen in diesen beiden Bundesländern bei der Entnahme zur Bewässerung von Feldern Steuervergünstigungen für die Gebühr, die pro Liter entrichtet werden muss. In bestimmten Regionen Spaniens ist das Wasser für Bewässerungszwecke sogar komplett kostenfrei. Obwohl die Deckelung der Wasserentnahmemengen als auch die Bepreisung des Wassers effektive Maßnahmen der WRRL sind, zeigt sich, dass diese nicht greifen können, wenn einzelne Staaten diese nicht konsequent durchsetzen.

Einen direkten Einfluss auf landwirtschaftliche Bewässerungssysteme kann die EU über die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) ausüben. Ein zentrales Instrument sind die Direktzahlungen, die über ein Viertel des gesamten EU-Budgets ausmachen. Dabei handelt es sich um Auszahlungen an landwirtschaftliche Betriebe, die an bestimmte Konditionen gekoppelt und ausschlaggebend für deren Wirtschaftlichkeit sind. Mit steigender Sorge um den Klimawandel ist dieses Jahr eine Reform der GAP in Kraft getreten, die einen stärkeren Fokus auf Nachhaltigkeit und Naturschutz setzt.5 Innerhalb der neuen Forderungen wird an zweiter Stelle hervorgehoben, dass der Schutz von Feuchtgebieten, Feuchtbiotopen und Gewässern gewährleistet werden muss. Ob der Schutz ausreichend ist, wird anhand der lokalen Wasserentnahme- und Landnutzungsverordnungen gewertet – die, wie an den oben genannten Beispielen zu erkennen, nicht immer ausreichend ausgereift sind. Abgesehen davon wird deren Einhaltungen nur in etwas mehr als einem Prozent der Betriebe überwacht. Zu wenig, urteilt der EuRh, wenn ein adäquater Wasserschutz gewährleistet werden soll. In der Folge gibt es immer mehr illegale Wasserentnahmen, wie die Berichte über den nicht nachhaltigen Erdbeeranbau in Südspanien dieses Jahr bezeugt haben: Dort werden die Wasserreserven des Naturparks Doñana hinterrücks angezapft, wodurch dessen Austrocknung und das damit einhergehende Artensterben vorangetrieben werden.6

Eine Grüne Fassade, die bröckelt

Mit der Aussicht, Europa klimafreundlicher zu gestalten wurde zu Beginn der aktuellen Legislaturperiode der Green Deal eingeführt. „Sauberes Wasser in unseren Flüssen und Ozeanen – das ist es, was wir brauchen, damit wir zu einem gesünderen Leben auf einem Planeten beitragen können, der die gesamte Menschheit ernähren kann.“7 So äußerte sich Franz Timmermann, mittlerweile Ex-Vize-Präsident der EU, der dazu beauftragt wurde, den Green Deal voranzutreiben. Herzstück des Konzepts war und ist die Farm-to-Fork-Strategie, mit der die landwirtschaftliche Lebensmittelproduktion nachhaltiger gestaltet werden sollte. In einer Rekapitulation der letzten vier Jahre zeigt sich, dass vieles nur eine grüne Fassade war, die unter dem Druck der anstehenden Europawahl im kommenden Jahr stark am Bröckeln ist.

Ein aktuelles Beispiel dafür sind die Debatten um eine der zentralen Verordnungen des Green Deals zum nachhaltigen Einsatz von Pestiziden (Sustainable Use of pesticide Regulation, SUR). Zweck dieser Gesetzgebung ist es, bis 2030 eine Reduktion von 50 Prozent in der Pestizidanwendung zu erreichen. Außerdem ist ein Verbot für den Einsatz von Pestiziden in sogenannten sensiblen Arealen – z.B. in Wasserschutzgebieten – vorgesehen. Indem der Ukraine-Krieg und die damit einhergehenden Lieferengpässe von der konservativen Fraktion im EU-Parlament als Vorwand genutzt wurden, um eine neue Folgenabschätzung der SUR für die europäische Lebensmittelsicherheit zu fordern, wurde die Entscheidung, die Verordnung anzunehmen, hinausgezögert. Obwohl das angeforderte Papier die Zweifel widerlegte, liegt die Verabschiedung des Gesetzes jetzt schon seit mehreren Monaten auf Eis. Die Folgen dieser politischen Machtspiele tragen die Umwelt und die menschliche Gesundheit, wie auch ein vor kurzem veröffentlichter Bericht des Pestizid Aktionsnetzwerks (Pesticide Action Network, PAN) betonte.8

Die gleichen Akteur*innen, die diesen Vorschlag – der ein klares Nachhaltigkeitsprinzip verfolgt – anzweifeln und hinauszögern, setzen sich lautstark für eine Deregulierung der neuen Gentechnik ein, um den Klimafolgen in der Landwirtschaft trotzen zu können. Anstatt Verantwortung für den Anteil an der Klimakrise zu übernehmen und entsprechend langfristig nachhaltige Maßnahmen voranzutreiben, versucht eine Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten, Strategien für eine kurzfristige Anpassung an die Klimaextreme zu finden. Abgesehen davon konnte schon die alte Gentechnik das Versprechen von klimaresilienten Pflanzen nicht halten, sondern hat nur zu einer Intensivierung des Agrarsektors beigetragen. Diese auf Ertrag und Profit ausgerichtete Nahrungsproduktion ist für einen höheren Einsatz von Pestiziden und den Anbau in Monokulturen verantwortlich, die landwirtschaftliche Ökosysteme noch anfälliger gegenüber den Folgen des Klimawandels machen.

  • 1Ruhnau, F. (01.02.22): Temperaturentwicklung in Deutschland seit 1881. Online: www.kurzelinks.de/gid267-pskae.
  • 2Arte TV (2023): Frankreich: Streit um Mega-Wasserbecken geht weiter. Min. 02:00 – 02:21. Online: www.kurzelinks.de/gid267-pskaf.
  • 3European Parliament and Council (2000): Directive 2000/60/EC of the European Parliament and of the Council of 23 October 2000 establishing a framework for Community action in the field of water policy. Official Journal L 327.
  • 4ECA (2021): Sustainable water use in agriculture: CAP funds more likely to promote greater rather than more efficient water use. Special Report N°20.
  • 5BMEL (2022): Grundzüge der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) und ihrer Umsetzung in Deutschland. Online: www.kurzelinks.de/gid267-pskag.
  • 6Süddeutsche Zeitung (20.04.23): Wo jede fünfte Erdbeere illegal wächst. Online: www.kurzelinks.de/gid267-pskah.
  • 7Amanatidis, G./Laky, Z. (2019): Commitments made at the hearing of Frans Timmerman. Policy Department for Economic, Scientific and Quality of Life Policies.
  • 8Gergely, S. (2023): Glyphosate is polluting our waters – all across Europe. Pan Europe’s water report. Pesticide Action Network.
GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
267
vom November 2023
Seite 15 - 16

Pascal Segura Kliesow ist Molekularbiologe und Referent für Landwirtschaft und Lebensmittel beim Gen-ethischen Netzwerk.

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