Lebensmittelsicherheit vor Profite stellen

„Für unser Recht auf gentechnikfreie Landwirtschaft müssen wir laut werden!“

Im Falle einer Deregulierung steht für gentechnikfrei wirtschaftende Landwirt*innen einiges auf dem Spiel. Das gilt für konventionell arbeitende Betriebe genauso wie für Biobetriebe. Sie könnten sich nicht mehr vor Kontaminationen schützen, ihre Absatzmärkte würden wegbrechen und ihre Existenz würde bedroht.

Portrait von Bärbel Endrass

Frau Endrass, können Sie uns kurz etwas zu Ihrem  Betrieb sagen?

Wir bewirtschaften seit 27 Jahren einen Biobetrieb in Wangen im Allgäu. Unsere Betriebsschwerpunkte sind Legehennenhaltung mit Bruderhahnaufzucht und eigener Schlachtung. Wir arbeiten mit anderen Betrieben in einer Futter-Mist-Kooperation zusammen. Einen großen Teil unserer Produkte vermarkten wir direkt. Außerdem kultivieren wir Weihnachtsbäume, bewirtschaften einen kleinen Wald und beteiligen uns mit einem Teil unserer Ackerfläche an einer Solidarischen Landwirtschaft. Ein mit uns kooperierender Imker hat seine Bienenstöcke auf unserem Betrieb.

Sie setzen sich schon seit Jahren für die gentechnikfreie Landwirtschaft ein, was sind Ihre Beweggründe?

Ein Großteil der Bevölkerung will nach wie vor keine Gentechnik auf dem Teller. Gerade meine Kund*innen in der Direktvermarktung legen großen Wert darauf. Für uns als Biobetrieb ist die Gentechnik-Freiheit vorgeschrieben und ein wichtiges Qualitätskriterium. Wenn wir das nicht mehr sicherstellen können, suchen sich unsere Kund*innen Alternativen. Ich finde es aber auch aus gesellschaftlichen und politischen Gründen wichtig. Gentechnik hat vor allem in den USA, aber auch global, zu einer Machtkonzentration der Konzerne geführt. 60 Prozent des Saatguts wird von nur vier Konzernen hergestellt und verkauft.1 Sie bestimmen, welche Sorten mit welchen Eigenschaften auf den Markt kommen. In den USA kann man fast kein konventionelles Soja- oder Zuckerrübensaatgut mehr kaufen, weil die Konzerne es schlicht nicht anbieten. Das geht nur noch über Umwege und kleine Saatgutfirmen. Gentechnik-Saatgut ist immer patentiert, oft im Doppelpack mit Pestiziden. Das schafft enorme Abhängigkeiten. Für eine bäuerliche, vielfältige und klimaangepasste Landwirtschaft sind diese Einengung der Sorten und die Abhängigkeit eine große Bedrohung. Die gentechnischen Veränderungen an Lebewesen bergen Risiken, deren Auswirkungen auf die Umwelt und Ökosysteme noch viel zu wenig erforscht wurden. Das wollen wir nicht verantworten und deshalb will ich keine Gentechnik auf meinem Acker oder in meinem Stall. Meine Nachbar*innen und Kolleg*innen wollen das auch nicht. Deshalb braucht es auch für die sogenannten neuen Gentechniken eine strikte Regulierung, damit eine verpflichtende Risikoprüfung, aber auch das Recht auf Gentechnik-Freiheit, gesichert wird.

Was haben Sie getan, als Mitte der 2000er Jahre Gentechnik in Deutschland auf kleinen Flächen angebaut wurde?

Wir haben uns zu regionalen und bundesländerweiten Aktionsbündnissen zusammengeschlossen und zu gentechnikfreien Regionen – Bäuer*innen zusammen mit der Zivilgesellschaft, Unternehmen und Wissenschaftler*innen. 2009 wurde dann der Anbau von Mais MON810, der einzigen bis dahin zugelassenen Sorte, verboten. Grund waren unerwartete Risiken für Insekten, aber auch Boden- und Gewässerorganismen. Wir waren auf vielen Veranstaltungen und haben unbequeme Fragen gestellt. Auch bei den neuen Gentechniken müssen wir wieder laut werden.

Was würde der Anbau von Gentechnik für Sie bedeuten? Welche Verunreinigungsmöglichkeiten gibt es?

Der Anbau von Gentechnik wäre ein großes Problem, weil Koexistenz eine Utopie ist. Würden meine Nachbar*innen Gentechnik-Pflanzen anbauen, könnten diese leicht in meine Kulturen einkreuzen und meine Ernte verunreinigen. Ich könnte versuchen, auf meine Nachbar*innen Einfluss zu nehmen. Wenn es gut läuft, kann man sie vom Gentechnik-Anbau abbringen. Das hat in der Vergangenheit teilweise funktioniert, manchmal aber auch nicht. Wenn angebaut wird, müssen Abstandsregelungen eingehalten werden, diese sind aber viel zu knapp bemessen, Bienen und andere Insekten wurden nicht mit kalkuliert. Auskreuzungen und Verunreinigungen sind also sehr wahrscheinlich. Auch durch die gemeinsame Maschinennutzung gibt es große Verunreinigungsmöglichkeiten.

Können Sie das näher erläutern?

Normalerweise tauschen wir mit unseren Kolleg*innen Maschinen aus. Aber jeder Austausch wird zum Kontaminationsrisiko. Weil es unheimlich aufwendig und kostenintensiv ist, z.B. Sämaschinen, aber vor allem Erntemaschinen, so zu reinigen, dass von ihnen keine Kontamination ausgeht. Zu Zeiten des Erntestresses, wo jede Minute zählt, ist das nicht machbar. Das sind enorme Verunreinigungspotenziale. Hier muss nur ein Betrieb Gentechnik anwenden – oder unwissentlich verwenden – und schon haben alle Betriebe das in ihrer Ernte beigemischt. Wir kaufen viel Biofuttergetreide von Kolleg*innen aus der Region. Da können wir nicht von jedem Kipper eine Analyse machen. Einmal verfüttert kann ich mein Fleisch und meine Eier nicht mehr als „ohne Gentechnik“ oder Bio vermarkten.

Was kostet es, die Gentechnik-Freiheit sicher zu stellen?

Das ist nicht so einfach zu beziffern. Aktuell haben wir den großen Vorteil, dass in Deutschland und fast ganz Europa keine Gentechnik angebaut wird. Auch der konventionelle Anbau in Deutschland ist 100 Prozent gentechnikfrei. So gibt es derzeit wenig Kontaminationsrisiken im Acker- und Gemüsebau. Trotzdem müssen wir regelmäßig Analysen machen. Alleine die Prüfung einer Probe, ob sie gentechnikfrei ist, kostete bei der alten Gentechnik 150,- Euro für den Scan (ist Gentechnik drin oder nicht) und ca. 300,- Euro für die genaue Analyse (welches Event ist drin und wie hoch ist die Verunreinigung). Schwierig und aufwendig ist es, die ganze Kette gentechnikfrei zu halten. Gentechnikfreie Soja aus Brasilien ist deshalb möglich, weil eine eigene separate Logistikkette aufgebaut wurde, vom Saatgut bis zum Futtersilo. Der Aufschlag, der für zertifizierte gentechnikfreie Soja gezahlt werden muss, ist teuer – dabei ist es gar nicht einzusehen, dass die normale konventionelle und ökologische Landwirtschaft diese Kosten trägt. Das müssten die Verursacher*innen tragen, diejenigen, die satte Gewinne durch die Gentechnik einfahren.

Wie sieht es mit der Gentechnik-Freiheit im Saatgut aus?

Es ist schwierig von den Züchter*innen eine Garantie zu bekommen, dass ihr Saatgut gentechnikfrei ist. Das ist aber die Voraussetzung für eine gentechnikfreie Ernte. In den letzten Jahren gab es immer wieder Probleme, weil bei Saatgut, das als gentechnikfrei gekauft und ausgesät wurde, bei staatlichen Kontrollen „Spuren“ von gentechnischen Verunreinigungen gefunden wurden – oft nicht zugelassene Konstrukte. Es gilt Nulltoleranz, die Saat muss umgebrochen und alles nicht ausgesäte Saatgut vernichtet werden. In den nächsten Jahren sollte nicht die gleiche Kultur ausgesät werden, um möglichen Durchwuchs zu verhindern. Diese staatlichen Anordnungen sind gerechtfertigt, um die Kette möglichst gentechnikfrei zu halten. Wer aber trägt die Kosten? Saatguthändler*innen aber auch Züchter*innen wollen es nicht gewesen sein. Gentechnikfreie Bäuer*innen und Züchter*innen bleiben im Regen stehen. Hier braucht es unbedingt die Umsetzung des Verursacherprinzips: Diejenigen die mit Gentechnik Experimente machen und sich einen Vorteil von der Gentechnik versprechen, müssen alle Folgekosten der gentechnikfreien Kette tragen.

Wie sieht es mit der Haftungsregelung bei verunreinigten Ernten aus?

Im deutschen Gentechnik-Recht gibt es Haftungsregelungen. Es gilt die verschuldensunabhängige und gesamtschuldnerische Haftung. Wenn meine Ernte verunreinigt ist, muss ich nicht nachweisen, welche*r meiner Nachbar*innen das gewesen sein kann. Die müssen sich untereinander einigen – oder es wird gesamtschuldnerisch gehaftet. Allerdings wird nur der „merkantile“ Mehrwert gezahlt, also die Differenz, wenn ich die Ware nicht mehr als gentechnikfrei – sondern nur als „enthält Gentechnik“ verkaufen kann. Dafür gibt es keinen Markt, denn die Abnehmer*innen, Mühlen, der Handel, Molkereien, Geflügelschlachtereien und Eierverkäufer*innen verlangen gentechnikfreie Ware. Bei den Haftungsregelungen werden allerdings die ganzen vorsorgenden Maßnahmen, um meine Erzeugerkette frei von Gentechnik zu halten, nicht erstattet. Das ist nicht hinnehmbar.

Könnten Verunreinigungen verhindert werden?

Würden gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut werden, sind Kontaminationen aus bäuerlicher Sicht nicht oder nur mit sehr großem Aufwand zu verhindern. Wenn, dann bräuchte es extrem große Abstände, um Pollenflug bzw. Auskreuzung über Insekten zu verhindern. Es bräuchte geschlossene gentechnikfreie Anbaugebiete, gemeinsame Maschinennutzung wäre nicht mehr möglich. Das ist praxisfern und utopisch und in kleiner strukturierten Regionen nicht umsetzbar. Mitte der 2000er haben sich viele zu gentechnikfreien Regionen zusammengeschlossen. Das war viel Überzeugungsarbeit vor Ort, aber auch gut und wichtig. Es war hilfreich in der Vermarktung, weil die Abnehmer*innen Gentechnik-Freiheit verlangen – und es für sie sicherer war, ihre Ware aus gentechnikfreien Regionen zu beziehen. Einen kompletten Schutz bietet das aber nicht.

Was würde eine Deregulierung der neuen Gentechnik-Verfahren in der Landwirtschaft konkret bedeuten?

Das würde eine vollkommene Verunsicherung auf vielen Ebene bedeuten. Würden neue Gentechnik-Pflanzen oder -Tiere nicht mehr reguliert, hätten wir überhaupt keine Möglichkeiten des Schutzes mehr – aber auch keine Wahlfreiheit. Wir Bäuer*innen wüssten nicht mehr, was wo drin ist und könnten nicht mehr selbstbestimmt anbauen und füttern. Letztendlich würde unser gesamtes Saatgut schutzlos den Gentechnik-Kontaminationen ausgeliefert, ohne zu wissen, welche Risiken tatsächlich damit verbunden sind. Selbst ein eigener Nachbau ist dann nicht mehr möglich, weil ich ja nicht weiß, ob ich eine Kontamination von den Nachbarflächen habe. Ich könnte mir nicht mehr sicher sein, dass meine Ernte gentechnikfrei ist. Es gäbe keine Möglichkeiten der Rückverfolgbarkeit und Kontrolle mehr. Niemand wäre mehr verpflichtet, das sicherzustellen. Man könnte nicht mehr nachvollziehen, woher Verunreinigungen bzw. Gefahren (Allergene, Toxine) in der Lebensmittelkette kommen. Man könnte diese nicht mehr zurückholen. Es könnten viele Sorten und noch mehr Kulturen gentechnisch verändert und angebaut werden. Mögliche Kombinationswirkungen der unterschiedlichen Gentechnik-Eigenschaften würden erst auf dem Acker und in der Natur erprobt. Wenn es keine verpflichtende Risikoprüfung mehr gibt, werden unsere Äcker und Ställe zu Versuchsflächen der Gentechnik-Konzerne. Die Techniken sind neu und unerforscht, es gibt keine Erfahrungen, wie die Laborpflanzen auf dem Acker und unter Umwelteinflüssen reagieren. Auch die Gen-Scheren zeigen unerwartete Effekte. Mich macht das wütend, Profite würden über unsere Lebensmittelsicherheit gestellt. Am Ende sind es die Bäuer*innen, die die Last haben, Kontaminationen wieder aus der Produktion zu kriegen und wir sind es, die sich dafür rechtfertigen müssen. Die Konzerne entziehen sich der Verantwortung, erst recht, wenn Gentechnik nicht mehr reguliert wird, und machen den Reibach.

Und für Ihre Direktvermarktung?

Meine Kund*innen legen großen Wert auf Gentechnik-Freiheit. Für mich als Direktvermarkterin wäre die Deregulierung eine Katastrophe. Wenn ich einmal Produkte verkaufe, wo Gentechnik drin ist, oder ich ihnen erklären muss, dass ich die Gentechnik-Freiheit nicht mehr sicherstellen kann, werden sie woanders einkaufen. Ich würde meine Öko-Anerkennung und meine Absatzmärkte verlieren. Ich könnte mir aber auch keine neuen aufbauen, weil die Abnehmer*innen (in diesem Fall die Schlachtereien und Eierpackstellen) selber auf gentechnikfreie Ware angewiesen sind. Entsprechend wäre das ein wirtschaftlicher K.-o.-Schlag für meinen Betrieb. Diesen wichtigen Wettbewerbsvorteil der ökologischen und konventionellen Gentechnik-Freiheit darf Europa nicht aufs Spiel setzen.

Der Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes, Bernhard Krüsken sagt: „Unsere Bauern brauchen dringend neue Züchtungstechniken, um schnell widerstandsfähigere Kulturpflanzen zu erhalten. Auch damit kann den Folgen des Klimawandels (…) begegnet werden."2 Wie denken Sie darüber?

Gerne wird behauptet, dass mittels neuer Gentechnik schnell klimawandelanpassungsfähige Pflanzen erzeugt werden könnten. Erstens stimmt es nicht, dass es schneller gehen würde. Zweitens sind die Klimawandelauswirkungen sehr vielfältig, ein Jahr trocken, das nächste zu feucht, Frühjahrstrockenheit, Spätfröste, jedes Jahr ist anders. Dafür gibt es keine Gentechnik-Lösungen. Die Anpassung zu einer klimagerechten Landwirtschaft braucht andere Antworten: andere Anbauformen wie Mischanbau, Agroforst, andere vielfältigere Kulturen, breite Fruchtfolgen, robuste, regional anpassungsfähige Sorten, Vielfalt im Saatgut, Mischungen. All das kann die konventionelle und ökologische Züchtung leisten, das Zuchtmaterial bietet genug Variabilität dafür. Wir brauchen dazu keine Risikotechnologie. Die Selektion auf dem Acker ist viel effizienter, als eine hypothetische Rettungssorte in Laboren zu entwickeln.

Und der Ökolandbau – ist er zukunftsfähig ohne Gentechnik?

Auf jeden Fall – auch der Ökolandbau braucht keine Gentechnik. Die Versprechen sind groß. Bislang sind sie nicht eingehalten worden. Mehr Ertrag ist mittels Gentechnik bisher nicht möglich, das Zusammenspiel der Gene ist viel zu kompliziert. Wir Bäuer*innen konzentrieren uns auf wirklich nachhaltige und klimaschonende Lösungen. Die Konzerne wollen ihre Profite sichern und am Ende keine Verantwortung für ihre Produkte übernehmen. Monogene Resistenzen gegen Krankheiten sind sehr kurzlebig und werden schnell durchbrochen. Hier sind breite Fruchtfolgen und widerstandsfähige Sorten der richtige Ansatz. Die Zukunft ist gentechnikfrei – ökologisch und konventionell.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Annemarie Volling von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL).

 

  • 1Volling, A./Nürnberger, M. (2019): Wahlfreiheit und Vorsorgeprinzip vorerst gestärkt. In: Kritischer Agrarbericht, S.279-289. Online: www.kurzelinks.de/gid261-pb [letzter Zugriff: 14.04.22].
  • 2DBV (27.04.21): Bauernverband positioniert sich zu neuen Züchtungstechniken. Online: www.kurzelinks.de/gid261-pa [letzter Zugriff: 14.04.22].
GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
261
vom Mai 2022
Seite 12 - 14

Bärbel Endrass ist Landwirtin mit eigenem Biobetrieb in Wangen (Allgäu).

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