Gentechnik zur Armutsbekämpfung?
Gentechnisch veränderte Baumwolle in Indien
Ein immer wieder aufkommendes Argument ist, dass Gentechnik in Ländern des Globalen Südens zu höherem Wohlstand führen würde. Ist dem wirklich so? Eine Forschungsgruppe hat sich dieser Frage angenommen und am Beispiel von gentechnisch veränderter (gv) Baumwolle in Indien untersucht.

Für Ihr Forschungsprojekt waren Sie in Indien unterwegs. Dort haben Interviews mit gv-Baumwolle anbauenden Haushalten geführt.1 Was genau haben Sie dort untersucht?
Keck: Uns ging es um die Frage, ob gv-Baumwolle einen Beitrag zur Armutsbekämpfung leisten kann. Diese Debatte wird seit 2002, seit der Einführung von gv-Baumwolle in Indien, kontrovers geführt und hat sich ab dem Jahr 2015 nochmals verschärft. Seit 2015 mehren sich Berichte, dass der sogenannte rote Baumwollkapselbohrer (Anm. d. Red.: im Weiteren Kapselbohrer genannt) wieder zurückgekehrt ist, was darauf hinweist, dass die Technik nicht mehr so funktioniert wie gedacht. Was die Bt-Baumwolle mit dem Kapselbohrer zu tun hat, müssen wir vielleicht noch einmal erklären.
Najork: Bt-Baumwolle ist eine gentechnisch veränderte Baumwolle. Dabei werden Gene aus dem Bodenbakterium Bacillus thuringiensis entnommen und in das Erbgut der Baumwollpflanze eingebaut, daher auch der Name Bt. Diese Gene produzieren Proteine, die giftig sind für bestimmte Insektengruppen. Dazu gehören gewisse Käfer- und Mottenarten, wie der für die Baumwollproduktion interessante Baumwollkapselbohrer. In Indien ist momentan der Kapselbohrer von besonderer Relevanz. Man hat sich von dieser Technik versprochen, dass der Insektizideinsatz im Baumwollanbau verringert werden kann und es zu geringeren Ernteschäden kommt.
Was bedeutet die Rückkehr dieses Schadinsektes für die baumwollanbauenden Haushalte in der Region?
N: Das erneute Auftreten des Kapselbohrers führt dazu, dass die Erträge in der Baumwollproduktion viel stärker schwanken. Die Bt-Technologie ist unzuverlässiger geworden und die Baumwollproduktion dadurch risikoreicher.
K: In Indien liegt die Baumwollproduktion in der Hand von Kleinbäuer*innen, also Landwirt*innen mit Flächen weit unter einem Hektar. Für die ist es eine ganz existenzielle Frage, wie die Ernte ausfällt. Da geht es nicht nur um fehlende Einnahmen, sondern um ein erhöhtes Risiko in die Armut abzustürzen.
Bis zu der Frage: Kann ich überleben, habe ich Nahrung?
N: Auf jeden Fall!
K: Wir haben eine quantitative Studie durchgeführt im Bundesstaat Telangana in Zentralindien. Das ist einer von vielen Bundesstaaten, die aktuell von dem Kapselbohrer betroffen sind. Wir konnten sehen, dass 80 Prozent der befragten Landwirt*innen von der Rückkehr des Insektes betroffen sind. Es handelt sich also nicht um ein randständiges Problem, sondern es ist ein Problem, das fundamental ist, das nahezu alle Landwirt*innen in Telangana, die Baumwolle anpflanzen, betrifft.
N: Was man da natürlich betonen muss, ist, dass die befragten Haushalte alle die aktuelle Generation der Bt-Baumwolle nutzen, die ja nun gerade verspricht eine inhärente Schädlingskontrolle vorzuweisen. Wenn jetzt Resistenzen auftreten und der Kapselbohrer bei 80 Prozent der befragten Haushalte auftritt, dann ist dieses Versprechen in Frage zu stellen.
Die Bäuer*innen haben Bt-Baumwolle angebaut in der Annahme, somit den Fraß-Schäden zu entgehen. Ein bitteres Erwachen.
K: Genauso ist es. Man muss wissen, das gv-Baumwolle aktiv beworben wird auf dem Land. Es gibt quasi kein Dorf, wo nicht Aufkleber von Saatgutunternehmen zu finden sind. Diese verheißen mehr Einnahmen und damit auch einen Weg aus der Armut heraus. Das ist natürlich ein Versprechen, das Menschen, die am Armutslimit leben, sehr gerne glauben möchten. Indien hat in den vergangenen Jahren eine enorme Entwicklung durchgemacht und ist mittlerweile der größte Baumwollproduzent der Welt. Das fußt letzten Endes genau auf dieser Erzählung, dass der Anbau von gv-Baumwolle sich lohnt. Jetzt sehen die Landwirt*innen, dass dieses Versprechen auf Sand gebaut ist und müssen mit der Situation umgehen.
Was sind denn die Strategien von baumwollanbauenden Haushalten, um auf diese Krise zu reagieren?
N: Kurzfristig müssen die Baumwollbäuer*innen sich Kredite beschaffen um die Ernteausfälle ausgleichen zu können. Zum Anfang der Saison kaufen sie die Inputs für die kommende Saison ein, das heißt Saatgut, Düngemittel und im Zweifel auch Pestizide. Dafür leisten sie einen gewissen Vorschuss, den sie mit der Ernte ausgleichen müssen. Wenn die Ernte ausbleibt, dann haben sie offene Schulden, die sie refinanzieren müssen. Dafür können Haushalte, die über bestimmte Rücklagen verfügen, entweder direkt auf diese zurückgreifen oder aber Zugang zu dem offiziellen Banksystem bekommen und sich dort Kredite beschaffen. Für Haushalte, die diese Rücklagen nicht haben, ist der Zugang zu dem offiziellen Banksystem verwehrt und sie müssen eine inoffizielle Kreditaufnahme über inoffizielle Geldverleiher tätigen.
K: Die Zinsen, die bei informellen Geldverleihern anfallen, liegen weit über dem gewöhnlichen Zinsniveau. Es gibt dazu Studien, die von fünf bis zehn Prozent Zinsen pro Monat sprechen, die die Landwirt*innen zu zahlen haben. Das sind schnell große Summen für solche kleinen Mikrobetriebe und es besteht die Gefahr, in eine Schuldenfalle zu geraten. Das Einzige, was diesen Landwirt*innen dann häufig übrig bleibt, ist ein verstärkter Pestizideinsatz. Das ist eine finanzielle Mehrbelastung. Sie haben das teurere gv-Saatgut gekauft und müssen obendrauf noch Pestizide kaufen, die sie angenommen hatten einzusparen. Je nachdem wie weit der Befall vorangeschritten ist, sind dann die Erträge trotzdem geringer und die Refinanzierung der Ausgaben ist bedroht.
Sie hatten eingangs erwähnt, dass gerade in Bezug auf Indien die Bt-Baumwolle als passende Technologie für die kleinbäuerlichen Strukturen im Globalen Süden beworben wurde. Wie schätzen Sie diese Aussage ein?
K: Wir sehen diese Aussage als sehr kritisch an. Es gibt zahlreiche Studien, gerade kurz nach der Kommerzialisierung von Bt-Baumwolle in Indien, die geradezu euphorisch waren. Es wurde behauptet, es wäre eine nachhaltige Technologie, die langfristig zu einer Verbesserung der Situation der Landwirt*innen führen könne. Wir sehen aber im Rückblick, dass die Technologie nur auf eine gewisse Zeit angelegt gewesen ist. Die erste Generation des Saatguts funktionierte ungefähr bis zum Jahr 2008/2009, bis sich eine Resistenz in den Zielinsekten entwickelte. Die Saatgutentwicklung reagierte und hat die zweite Generation von Bt-Baumwolle mit zwei Bt-Genen auf den Markt gebracht. Seit 2015 sehen wir, dass auch die zweite Generation nicht mehr funktioniert. Das ist kein Problem, das man mit einer dritten oder vierten Generation von Bt-Baumwolle aus der Welt schaffen kann. Die Zielinsekten vermehren sich sehr schnell und können sich so immer wieder an die toxischen Proteine in der Bt-Baumwolle anpassen. Das ist letztendlich ein Kernproblem und die Saatgutindustrie ist davon natürlich weit weniger betroffen als die Landwirt*innen. Man könnte sogar soweit gehen zu sagen, das spielt der Industrie in die Hände. Denn die Saatgutindustrie kann jetzt alle paar Jahre, wenn Resistenzen auftreten, eine neue Generation von Bt-Baumwolle auf den Markt bringen und wieder Einnahmen generieren. Neues Saatgut ist zumeist wesentlich teurer, als das sich bisher im Umlauf befindende. Das heißt man kann hier gute Einnahmen generieren und weiter Profite machen.
In Ihrem Artikel benutzen Sie den Begriff der „socio-biological obsolescence“? Wie würden Sie das auf Deutsch übersetzen und erläutern?
N: Also die soziobiologische Obsoleszenz kann man vielleicht mit einer technischen Sollbruchstelle vergleichen. Von Druckern ist bekannt, dass kleine Elemente eingebaut sind, meistens in einer minderwertigen Qualität, die nach einer bestimmten Zeit, wenn die Garantie abgelaufen ist, kaputtgehen. Die Bt-Technologie hat keine technische Sollbruchstelle, aber sie ist sozial und biologisch eingebettet. Ihr Funktionieren hängt auch immer von dem Schadinsekt und der Resistenzentwicklung ab. Man kann nicht genau vorhersagen, wann das Schadinsekt die Resistenz entwickeln wird, aber dass es dazu kommt – das wissen wir aus der Biologie – ist ziemlich sicher.
K: Wir haben diesen Begriff der soziobiologischen Obsoleszenz gewählt, um diese von Katharina Najork erklärte Parallele deutlich zu machen und benennen zu können. Wir sehen es sehr kritisch, dass diese zeitlich befristete Funktionsweise von Bt-Baumwolle in ihrem Design angelegt ist. Der Begriff der Obsoleszenz spricht eine sehr deutliche Sprache und ist auch als Kritik gegen die Saatgutindustrie weltweit zu sehen.
Ihre Studien beziehen sich auf Indien und Bt-Baumwolle. Ist dieses Konzept auch erweiterbar für andere gentechnisch herbeigeführte Eigenschaften in Pflanzen?
N: Das Konzept gilt insbesondere für biotische Stressfaktoren, also für den Befall von Schadinsekten und weniger für abiotische Stressfaktoren der Pflanze, wie Dürre oder Salinität (Anm. d. Red.: Salzgehalt eines Gewässers). Bei den abiotischen Stressfaktoren gibt es kein aktives Gegenüber, das im evolutionären Prozess mit einer Resistenzentwicklung antworten könnte. Allerdings wurde uns von Innovationsakteur*innen der Biotechnologie in Indien gesagt, dass diese abiotischen Stressfaktoren schwerer durch gentechnische Veränderungen zu beeinflussen sind.
K: Genau, das ist ein wichtiger Punkt. Wenn wir von unserer Studie ausgehend verallgemeinern möchten, dann möchte ich mich für viel mehr Forschung im Bereich abiotischer Stressfaktoren, die Katharina eben angesprochen hat, aussprechen. Wir haben gerade in Südasien, in Bangladesch mit der Versalzung von Böden zu tun. Hier wäre es durchaus denkbar, gentechnisch zu arbeiten und Pflanzen zu entwickeln, die an erhöhte Salzgehalte im Boden angepasst sind. Das wäre ein Beitrag für Landwirt*innen, der nicht dem Risiko ausgeliefert ist, dass die Technik nach fünf oder zehn Jahren nicht mehr funktioniert. Allerdings besteht die Frage, ob Gentechnik sich überhaupt in einem Stadium befindet, wo man so vollmundige Versprechungen, wie die Bekämpfung von Armut und das Leisten von Ernährungssicherung, machen kann. Es sieht so aus, als ob das im Moment noch leere Versprechen sind.
N: Ich glaube was auch noch relevant ist, im Hinblick auf die Zukunft, ist eine kritischere Technologieoffenheit. Man sollte wirklich vorsichtig sein, vorschnell zu behaupten, dass eine Technologie nachhaltig sei und vor allem auch einsehen, wenn eine Technologie nicht funktioniert. Da muss man den nötigen Abstand wahren und auch nicht nur Gentechnik einbeziehen, sondern eben auch agrarökologische Technologien oder Wissen insgesamt.
K: Was ich hier vielleicht noch ergänzen würde, wäre, auch in diesem Zusammenhang, dass man Technologie nicht nur aus einer rein technischen Perspektive betrachten darf. Bei der Gentechnik und bei unserem Beispiel von Bt-Baumwolle ist es ganz wichtig, die Wechselbeziehungen zwischen Landwirt*innen, Technik und Saatgutindustrie zu sehen. So ist die Frage, ob beziehungsweise wann sich Resistenzen entwickeln, auch eine Frage danach, wie Bt-Baumwolle angepflanzt wird. Es gibt verschiedene Strategien, um diesen Prozess zu verzögern. In den USA werden sogenannte Refugien angewendet, heißt auf etwa 20 Prozent der Fläche für Bt-Baumwolle pflanzt man nicht gv-Baumwolle an. Hier soll der Kapselbohrer weiterleben und sich auf geringem Niveau reproduzieren. Damit reduziert man den evolutionären Druck auf die Zielpopulation und kann die Toxizität der Bt-Baumwolle für die Zielinsekten über einen längeren Zeitraum aufrechterhalten. In Indien ist es aber so, dass wir Kleinstbetriebe haben, die Bt-Baumwolle anpflanzen, und für die ist 20 Prozent ihrer Flächen natürlich ein riesiger Prozentsatz. Keine Haushaltsökonomie kann es sich leisten, 20 Prozent der Flächen für nicht-Bt-Baumwolle zu nutzen, die dann hinterher von dem Kapselbohrer zerstört wird und dann auch kein Einkommen liefert. Das heißt wir haben hier einen sozialökonomischen Kontext, der ganz zentral ist für die Funktionsweise der Technologie. Dementsprechend mein Plädoyer für eine viel stärker interdisziplinär ausgerichtete Betrachtung von solchen Technologien wie der Gentechnik und das gilt auch für die zukünftige Gentechnik.
Also macht nicht nur innerhalb Indiens der Zugang zu Ressourcen einen Unterschied, ob und inwieweit die bäuerlichen Strukturen von der Technologie profitieren, sondern auch weltweit?
K: Ja definitiv, Gentechnik ist momentan ein Geschäftsmodell, das sehr kapitalintensiv ist und dementsprechend können das nur wenige Großunternehmen mit ausreichenden finanziellen Mitteln und dem nötigen Know-How stemmen. Deswegen haben wir seit Jahren eine Dominanz von Monsanto. Bis heute ist es so, dass jede*r einzelne Kleinbäuer*in mit dem Kauf von Bt-Samen einen gewissen Prozentsatz an Geld direkt an Monsanto bezahlt. Ein weiterer Teil wird an die inländischen Saatgutunternehmen ausgerichtet, die ebenfalls Patentrechte an dem Saatgut haben.
Welche Veränderungen bräuchte es, damit die Baumwollproduzent*innen aus diesen Dynamiken rauskommen?
N: Man muss im Hinblick auf die Technologie sehen, dass momentan die Kleinbäuer*innen die Kosten des Technologieerhalts selber tragen. Wenn man davon ausgeht, dass sie 20 Prozent ihrer Flächen als Refugium anbauen, dann führt das letztlich zu starken Einkommenseinbußen, für die sie nicht entschädigt werden. Der Anbau des Refugiums ist aber essenziell für den Erhalt der Wirkung der Technologie. Hier wären die Saatgutkonzerne zur Verantwortung zu ziehen, oder auch der Staat, um die Bäuer*innen zu unterstützen, diesen Technologieerhalt – wenn er denn gewünscht ist – auch durchzusetzen und im Falle eines Nicht-Funktionierens der Technologie Kompensationszahlungen zu leisten.
K: Momentan ist übrigens das Gegenteil der Fall. In Indien werden die Kleinbäuer*innen für das Versagen der Technologie verantwortlich gemacht. Das kann man nur grotesk nennen. Die Landwirt*innen, die aufgrund von Armut letzten Endes diese Refugien nicht anpflanzen können, deren Ausfälle nicht kompensiert werden und das innerhalb eines Marktes, wo es kaum nicht-Bt-Baumwolle zu kaufen gibt, die kriegen die Schuld in die Schuhe geschoben. Hier wird die Verantwortung komplett sozialisiert und auf den Rücken der Kleinbäuer*innen abgeladen. Währenddessen singt der indische Staat noch immer ein Lied auf seine Zukunftsvorstellungen, zu einem Global Player auf dem Gebiet der Biotechnologie zu werden.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Judith Düesberg.
- 1Najork, K. / Friedrich, J. / Keck, M. (2022): Bt cotton, pink bollworm, and the political economy of sociobiological obsolescence: insights from Telangana, India. In: Agriculture Human Values. Online: www.doi.org/10.1007/s10460-022-10301-w.
Katharina Najork hat zu den sozioökonomischen Auswirkungen von gentechnisch veränderter Baumwolle auf kleinbäuerliche Haushalte in Indien geforscht und im Projekt „Politics of Knowledge and Non-knowledge: Agricultural Biotechnology in India“ der Universität Göttingen promoviert.
Markus Keck ist Humangeograph und ehemaliger Gruppenleiter des Forschungsprojekts „Politics of Knowledge and Non-knowledge: Agricultural Biotechnology in India“ der Universität Göttingen.
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