Bald in unserem Brot?
In Argentinien wird um den Anbau von gv-Weizen gestritten
Erstmalig ist der kommerzielle Anbau gentechnisch veränderten Weizens im großen Stil zugelassen. Die Debatten in Argentinien, dem Land des Anbaus, sind heftig. Kritiker*innen verweisen auf irreversible Folgen für Mensch und Natur sowie Interessenkonflikte in den zuständigen Behörden.
Argentinien gehört zu den wichtigsten Weizenexporteuren weltweit – eine wichtige Grundlage für Lebensmittel wie Brot. Foto: gemeinfrei auf pixabay.com (4840960)
Die jüngste Zulassung des HB4-Weizens, der gegen Dürre und das Herbizid Glufosinat-Ammonium tolerant ist, hat in Argentinien die seit 25 Jahren währende Debatte über den Einsatz transgenen Saatguts neu entfacht. Am 12. Mai 2022 hat das argentinische Landwirtschaftsministerium (MAGYP) die Vermarktung von gentechnisch veränderte (gv) HB4-Weizen autorisiert.1 Ausschlaggebend war, dass Brasilien als Hauptabnehmer argentinischen Weizens den Import und die Verwendung von Mehl aus HB4-Weizen genehmigte.2 Kolumbien und die USA zogen nach. Im April und Mai 2022 gelang es der Gentechnikfirma Bioceres, Australien und Neuseeland zur Zulassung von gv-Weizen zu bewegen.3 Auch der EU liegt ein entsprechender Genehmigungsantrag vor.4 Bereits im Oktober 2020 hatte der argentinische Staat trotz zahlreicher Warnungen grünes Licht für die Aussaat von rund 52.775 Hektar gegeben (von insgesamt 6,7 Millionen Hektar Weizenanbaufläche im Land), die bislang nur von 250 lizensierten Betrieben bestellt werden. Inzwischen sind in Argentinien fünf gv-Weizensorten mit dem HB4-Konstrukt zugelassen.
Niedrige Erträge und Widerspruch von Verbänden
Die bisher eingefahrene Ernte des gv-Weizens ist eher schwach. Im Januar 2022 berichtete das argentinische Agrarministerium, dass die Produktivität nur bei 2,4 Tonnen pro Hektar lag – eine Tonne unter dem nationalen Durchschnittsertrag von konventionellem Weizen (3,4 Tonnen pro Hektar).5 Der gv-Weizen wird nicht nur auf einigen internationalen Märkten wie der EU abgelehnt. Auch national stößt er bei kritischen Wissenschaftler*innen und großen nationalen Landwirtschaftsverbänden wie Sociedad Rural, Federación Agraria, Confederaciones Rurales Argentinas CRA und dem Kooperativen-Dachverband CONINAGRO auf Ablehnung. Die Organisationen warnen, dass die große HB4-Produktionsfläche eine Kontrolle durch die Behörden praktisch unmöglich mache, sodass eine Kontamination von nicht-gv-Weizen unvermeidlich sei. Dies hat zu heftigen Protesten von Landwirtschaftskammern, Lagerhalter*innen und Müller*innen geführt, die befürchten, dass ihr Getreide verunreinigt wird und ganze Ladungen von ausländischen Märkten zurückgewiesen werden, die den gv-Weizen nicht zugelassen haben.3
Zweifelhafte Eigenschaften
Neben dem gentechnischen Eingriff an sich, steht vor allem die Herbizid-Toleranz in der Kritik. Der HB4-Weizen ist das Ergebnis einer mehr als 18-jährigen öffentlich-privaten Zusammenarbeit zwischen BIOCERES und der Forschungsgruppe des Instituto de Agrobiotecnología unter der Leitung der Biochemikerin Dr. Raquel Chan der Nationalen Universität von Litoral. Der HB4-Weizen weist zwei genetische Veränderungen auf: Ein Fremd-Gen aus Sonnenblumen im Weizengenom verleiht ihm Trockenheitstoleranz (wobei das Unternehmen einräumt, dass der gv-Weizen nur ein paar Tage mehr ohne Regen „durchhält“).3 Ein weiteres Fremd-Gen aus einem Bakterium macht den Weizen resistent gegen Glufosinat-Ammonium, ein Herbizid, das dreimal so giftig ist wie das wahrscheinlich krebserregende Glyphosat, und dessen zulässige Tagesdosis gemäß Welternährungsorganisation FAO (0,3 Milligramm pro Kilo für Glyphosat und 0,02 für Glufosinat) 15-Mal niedriger ist. Bereits 2012 warnte der Wissenschaftler Andrés Carrasco: „Glufosinat hat bei Tieren nachweislich verheerende Auswirkungen. Bei Mäusen löst es Krämpfe aus, stimuliert die Produktion von Distickstoffoxid und den Zelltod im Gehirn“.3, 6 Es gilt außerdem als hormonschädigend. In der EU ist der Einsatz von Glufosinat daher verboten. Die Behauptung der Befürworter*innen vom gv-Weizen, dass Glufosinat-Ammonium im Anbau nicht verwendet werde, ist Kritiker*innen zufolge unwahr.7 So erwähnt die Zulassung 27/2022 des Agrarministeriums MAGYP eine Stellungnahme, der zufolge „Glufosinat-Ammonium eine neue Alternative zur Optimierung der Unkrautbekämpfung in Weizenkulturen und zur Steigerung der Erträge bei Wasserstress darstelle“.1 Gleichzeitig wirbt Bioceres selbst auf seiner Website für das Technologiepaket von HB4-Weizen in Kombination mit Glufosinat-Ammonium.
Ökologische und soziale Folgen
Mit den Folgen vom Einsatz potenziell giftiger Herbizide hat die argentinische Bevölkerung einige Erfahrungen. Zwischen 1996 und 2020 hat das argentinische Agrarministerium 62 transgene Kulturen zugelassen. Ein Großteil der gv-Kulturen Mais, Soja und Baumwolle sind tolerant gegenüber einem oder mehreren Herbiziden gleichzeitig und werden von Agrarchemie-Konzernen wie Bayer verkauft. In Argentinien ist der Pestizidverbrauch laut der FAO von rund 26.000 Tonnen (1990) auf 205.000 Tonnen pro Jahr (2019) sprunghaft angestiegen; vor allem infolge der erstmaligen Einführung des glyphosat-resistenten gv-Sojas Roundup Ready von Monsanto und durch die Zulassung großflächiger Pestizid-Spritzungen per Flugzeug. Die Umweltorganisation Naturaleza de Derechos geht sogar von einem jährlichem Verbrauch von über einer halben Million Tonnen Pestizid-Wirkstoff aus, was in 2019 bei einer Bevölkerung von 44 Millionen rund 12 Kilo pro Argentinier*in entspricht.8
Auch aufgrund dieser Zahlen haben im Juni 2022 Betroffene und Wissenschaftler*innen anlässlich eines Treffens der von Pestizid-Sprühflügen geschädigten Gemeinden (Pueblos Fumigados) und des Kollektivs für sauberen Weizen die Zulassung des HB4-Weizens scharf kritisiert.7 Sie fordern die Regierung auf, die Zulassung rückgängig zu machen und seine Vermarktung zu untersagen. Durch den Anbau von gv-Kulturen hätten sich die Konzentration des Reichtums, die Vertreibung und Verelendung der ländlichen Bevölkerung und der indigenen Völker verstärkt. Zu den dokumentierten Folgen der auf gv-Pflanzen basierenden agrarindustriellen Produktion zählten die Zerstörung artenreicher Agrarökosysteme wie der Chaco-Wälder. Es gebe keine Möglichkeit, mit dem Anbau von gv-Monokulturen zu koexistieren, da die Gesundheit der ländlichen Gemeinden durch intensiven Pestizideinsatz vorsätzlich geschädigt und ihr Tod in Kauf genommen werde. Argentinien sei zum Gentechnik-Versuchslabor verkommen.
Bei dem Treffen wurde auch auf tiefgreifende Interessenkonflikte bei den Zulassungsbehörden CONABIA und SENASA hingewiesen, deren meiste Mitglieder für dieselben Gentechnik-Unternehmen arbeiteten, deren Produkte sie eigentlich unabhängig bewerten sollten. So wurde 2017 bekannt, dass von den damals 34 Mitgliedern von CONABIA, 26 für Unternehmen arbeiteten, die gentechnisch veränderte Organismen (GVO) herstellen und verkaufen, oder Wissenschaftler*innen mit Interessenkonflikten waren.9
GVO: Keine Antwort auf Nahrungsmittelknappheit
Die lateinamerikanische Sektion des Pestizid-Aktionsnetzwerks (RAP-AL) lehnt die Zulassung des HB4-Weizens von Bioceres vehement ab.10 Seit über 25 Jahren warnt RAP-AL, dass gv-Pflanzen keines der angekündigten Versprechen erfüllen: Sie hätten weder zu einer Verringerung des Pestizid-Einsatzes, noch zu einer Senkung der Produktionskosten oder zu Ertragssteigerungen beigetragen, und weder die Armut noch den Hunger in der Welt beendet. Im Gegenteil, die Ausdehnung der gv-Monokulturen mit Direktsaat hat RAP-AL zufolge zu gesteigertem Pestizideinsatz und erhöhten Produktionskosten, zur Vergrößerung der Produktionseinheiten und wirtschaftlichen Konzentrationsprozessen geführt, wie die argentinische Landwirtschaftszählung belegte.11 Die Zulassung von trockenheitstolerantem gv-Saatgut wie dem HB4-Weizen ignoriere, dass die industrielle Landwirtschaft durch den Einsatz von Stickstoffdünger, Bodenbearbeitung und den übermäßigen Einsatz fossiler Betriebsmittel für ein Drittel der argentinischen Treibhausgasemissionen verantwortlich sei.
Intransparentes Zulassungsverfahren
Nicht nur argumentativ, sondern auch juristisch formiert sich Widerstand. Seit 2012 schon laufen Verfahren gegen die Bestrebungen zur Zulassung von gv-Weizen in Argentinien. Ein Erfolg war Anfang Juli 2022 zu verzeichnen, als das Provinzgericht von Mar del Plata ein einstweiliges Anbauverbot für den HB4-Weizen in der Hauptstadt-Provinz Buenos Aires verhängte – solange, bis eine landwirtschaftliche Kommission für biologische Sicherheit gebildet wird.12 Diese soll die Risiken und Auswirkungen der GVO-Freisetzung auf natürliche Ressourcen, Gesundheit, Produktion und Vermarktung bewerten. Solche Kommissionen für landwirtschaftliche Biotechnologie und Biosicherheit hätten aufgrund des Gesetzes Nr. 12.822 auf Provinzebene bereits vor über 20 Jahren eingerichtet werden müssen, allerdings hat keine Provinzverwaltung das Gesetz umgesetzt.
Die nun gerichtlich verhängte Vorsichtsmaßnahme beruht auf dem umweltrechtlichen Vorsorgeprinzip, demzufolge bei Gefahr schwerwiegender Schäden Abwehrmaßnahmen nicht aus Mangel an Informationen oder wissenschaftlicher Gewissheit aufgeschoben werden dürfen. Die Gerichtsentscheidung bestätigt, dass der Nationalstaat zwar befugt ist, die Kommerzialisierung von GVO und Pestiziden zu genehmigen, dass aber die Provinzen verfassungsmäßig die Kontrolle über die natürlichen Ressourcen und damit die Befugnis behalten, GVO in ihren Gebieten tatsächlich freizugeben. Das Urteil erfolgte aufgrund einer Sammelklage agrarökologischer Erzeuger*innen, Umwelt- und Sozialverbänden sowie indigener Völker.
Ein weiteres Verfahren hängt seit einem Jahr am argentinischen Bundesverwaltungsgericht, welches im November 2021 einen „klaren und unbestreitbaren“ Verstoß des Agrarministeriums und anderer beteiligter Behörden in Bezug auf die Zulassung des HB4-Weizens feststellte. Die von Bioceres vorgenommene HB4-Weizentransformation sei die weltweit erste Zulassung ihrer Art und erfordere daher einen breiten Zugang zu allen verfügbaren Informationen und eine Beteiligung der Öffentlichkeit am Entscheidungsprozess, was nicht geschehen war.13
Das Bundesverwaltungsgericht reagierte damals auf eine weitere, 2012 eingereichte Sammelklage, worin Nachbarschaftsgruppen und zivilgesellschaftliche Organisationen von der Justiz aufgrund der dokumentierten Umweltschäden die endgültige Aussetzung von allen gv-Kulturen und dem Einsatz von Herbiziden fordern, sowie die verpflichtende Kennzeichnung von Lebensmitteln, die GVO enthalten. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft ist die Zulassung des HB4-Weizens rechtswidrig, da das Agrarministerium die Umweltauswirkungen der Freisetzung des gv-Saatguts und des Herbizids Glufosinat-Ammonium nicht berücksichtigt hat. Der Bundesanwaltschaft zufolge ist jegliche Zulassung und Verwendung von GVO unausweichlich mit dem Einsatz von Herbiziden verbunden. Der Staatsanwalt betonte das öffentliche Interesse, das auf dem Spiel stehe und schwerer wiegen müsse als das private Profitinteresse von Bioceres.
Perspektivisch ist die Zulassung des gv-Weizens in Argentinien ein weiteres Paradebeispiel für den Lobby-Einfluss von Agrarchemie-Konzernen auf Regierungen, das aufgrund der internationalen Handelsbeziehungen globale Tragweite hat. Die immensen Kosten hingegen für Kontrollen, Kontamination sowie die Gesundheitsschäden werden verantwortungslos der Gesellschaft aufgebürdet.
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Ulrike Bickel ist Tropenlandwirtin und Umweltwissenschaftlerin und arbeitet als Senior Consultant bei Arepo zu internationaler Umweltpolitik, Emissionsminderung der Landwirtschaft und zu Pestiziden.
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