Ein Plädoyer für reproduktive Selbstbestimmung

Das GeN unterstützt den Bericht der German Alliance for Choice (GAfC) an den UN-Fachausschuss

Das GeN unterstützt den Alternativbericht zum Schwangerschaftsabbruch und zu reproduktiven Rechten. Die Autorinnen zeigen, dass Deutschland von einer Sicherung reproduktiver Selbstbestimmung fast 40 Jahre nach Inkrafttreten der UN-Frauenrechtskonvention noch weit entfernt ist.

Demobild My Body My Choice

„Mein Körper – Meine Entscheidung“ Foto: Lorie Shaull (CC BY-SA 2.0)

Als eine von 66 zivilgesellschaftlichen Organisationen unterzeichnete das GeN den Bericht der German Alliance for Choice (GAfC), der am 02. Februar 2020 nach Genf gesendet wurde. Er enthält detaillierte Informationen über die aktuelle Situation zum legalen Schwangerschaftsabbruch, zur Versorgung mit Verhütungsmitteln und zur Sexualerziehung in Deutschland. Ziel ist es mit Hilfe des Berichts den internationalen Druck auf die Bundesregierung zu erhöhen und die sofortige Implementierung der Inhalte der CEDAW (Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women) einzufordern.

Reproduktive Selbstbestimmung massiv eingeschränkt

Die GAfC erläutert, dass die Verortung der gesetzlichen Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch in den §§ 218 und 219 des Strafgesetzbuchs (StGB) problematisch ist und schwerwiegende Folgen für ungewollt schwangere Menschen1 mit sich bringt. So ist der ungehinderte Zugang zu Informationen zum Schwangerschaftsabbruch nicht gesichert, das Prozedere im Vorfeld eines Abbruchs ist bevormundend und stigmatisierend und eine Wahlfreiheit bezüglich der Methode ist nicht gewährleistet.

Bereits im Rahmen des letzten Staatsberichtverfahrens 2017 ist die Bundesregierung durch den CEDAW-Ausschuss dazu aufgefordert worden, die pflichtmäßige Schwangerschaftskonfliktberatung und die daran anschließende Wartefrist von mindestens drei Tagen abzuschaffen. Diese Maßnahmen weisen keinen medizinischen Nutzen auf und sind entmündigend.
Des Weiteren benennen und belegen die Autorinnen die Verschärfung der ärztlichen Versorgungslage. Es fehlen evidenzbasierte Leitlinien und Qualitätsstandards sowie eine Behandlung der Thematik in der medizinischen Ausbildung. Die flächendeckende, wohnortsnahe Versorgung für Schwangerschaftsabbrüche ist – insbesondere in den ländlichen und katholischen Regionen des Landes – nicht sichergestellt.

Daraus ergeben sich schwerwiegende Einschränkungen der Selbstbestimmung, was eine Verletzung der international verbrieflichten Rechte aller Frauen*2 in Deutschland bedeutet.

Sichere Schwangerschaftsabbrüche – ein wesentlicher Bestandteil von Geschlechtergleichberechtigung

Der Zugang zu einer adäquaten Gesundheitsversorgung ist ein Menschenrecht. Dazu gehört auch die sexuelle und reproduktive Gesundheit. Verhütungsmittel und Schwangerschaftsabbrüche müssen als integrale Bestandteile der Versorgung verstanden werden. Da der Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen ein geschlechtsspezifischer Bedarf ist, stellt er eine Grundvoraussetzung für die Gleichberechtigung aller Geschlechter dar.

In Deutschland werden das Leben und die Gesundheit von Frauen* durch die aktuelle rechtliche und institutionelle Ausgestaltung stark beeinträchtigt.

Die CEDAW

Mit der Ratifizierung der CEDAW verpflichtete sich Deutschland bereits 1985 dazu, die Rechte von Frauen* nicht nur zu respektieren und zu schützen, sondern auch zu gewährleisten.

Etwa alle vier Jahre muss die Bundesregierung einen Staatsbericht zur Implementierung der Inhalte der CEDAW vorlegen. Seit 2018 kommt Deutschland der Berichtpflicht nach, indem auf einen Fragenkatalog des zuständigen CEDAW-Ausschusses geantwortet wird. Dieser Fragenkatalog „List of issues prior to report (LOIPTR)“ wird in einer Sitzung der „Pre-Sessional Working Group (PSWG)“ zusammengestellt. Die nächste Sitzung wird vom 02. bis 06. März 2020 stattfinden.
Mit dem Alternativbericht der German Alliance for Choice steht der PSWG – neben dem letzten Bericht der Bundesregierung – eine kritische, ausführliche und unverblümte Arbeitsgrundlage zur Verfügung. Er zeigt Verstöße und Leerstellen auf und schlägt konkrete Fragen vor, die in die „List of issues prior to report“ aufgenommen werden sollten.

Das GeN schließt sich der GAfC an und hofft, dass mit Hilfe des vorgelegten Alternativberichts „angestoßen wird, was bisher noch nicht erreicht ist: eine menschenrechtskonforme gesetzliche und institutionelle Ausgestaltung im Bereich reproduktiver Rechte, Entkriminalisierung und Entstigmatisierung des Schwangerschaftsabbruchs, sowie adäquate gesundheitliche Versorgung von Frauen* – der Zugang dazu ist ein Menschenrecht.“ (PM der GAfC)

Weitere Informationen:

Alternativbericht der German Alliance for Choice: Joint Submission for the List of Issues Prior to Reporting to the UN Committee on the Elimination of Discrimination Against Women (PDF)

 

Pressemitteilung der German Alliance for Choice (PDF)

 

Zu den Hintergründen der CEDAW und den Überprüfungen der Umsetzung in Deutschland:

Dossier „40 Jahre UN-Frauenrechtskonvention“ der Heinrich Böll Stiftung

Deutscher Frauenrat

Deutschen Institut für Menschenrechte
 

 

  • 1Ich spreche von schwangeren oder gebärfähigen Menschen, um die geschlechtliche Vielfalt dieser Gruppe aufzuzeigen. Nicht nur Cis-Frauen (also Personen, denen bei der Geburt das weibliche Geschlecht zugeordnet wurde und die sich mit diesem Geschlecht identifizieren) können schwanger werden, sondern auch Menschen anderer Geschlechter, wie beispielsweise transmännliche oder nicht-binäre Personen.
  • 2Ich setze hinter das Wort ‚Frauen‘ ein Sternchen ‚*‘, um darauf aufmerksam zu machen, dass diese Kategorie der geschlechtlichen Vielfalt der Personen, die ihr zugeordnet werden, nicht gerecht wird.
24. Februar 2020

Taleo Stüwe ist Mediziner*in und Mitarbeiter*in des GeN.

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