Was wird da bloß ausgebrütet?
Gentechnik-Hühner als Präzedenzfall für Gentechnik-Deregulierung
Wissenschaftler*innen wollen mit gentechnisch veränderten Hühnern dem Töten von Küken ein Ende bereiten. Laut EU-Kommission könnten die so produzierten Legehennen und Eier bald ohne Regulierung und Kennzeichnung zu kaufen sein – ein Präzedenzfall, der geltendem Recht widerspricht. Interview mit Annemarie Volling, Mitarbeiterin der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) und dort zuständig für die Sicherung der gentechnikfreien Landwirtschaft sowie Saatgut und Patente.
Foto: Marlene Herzog
In Deutschland mussten jedes Jahr ca. 45 Millionen männliche Hühnerküken sterben, weil es sich für die Unternehmen finanziell nicht lohnte, sie neben den Legehennen großzuziehen. Seit Januar dieses Jahres wurde diese Praxis verboten.1 Welche Wege stehen den Unternehmen und Bäuer*innen heute schon zur Verfügung, um das Töten von Küken zu umgehen?
Da gibt es verschiedene Lösungen. Eine ist die Bestimmung des Geschlechts im Brutei, bevor die Küken schlüpfen. Dafür wurden in den letzten Jahren viele Forschungsgelder investiert und verschiedene Verfahren entwickelt. Man kann das Geschlecht z.B. über Hormone feststellen oder DNA-Untersuchungen, über Lichtstreuung oder aber über Magnetfelder, bekannt als MRT. Diese Methoden stehen an der Schwelle zur Serienreife und Praxistauglichkeit. Allerdings wird die gesetzliche Grundlage 2024 nochmal verschärft, weil man sagt, dass Embryonen ab dem siebten Tag eine gewisse Empfindungsfähigkeit haben. Das heißt die Verfahren müssen bis dahin so weit entwickelt werden, dass das Geschlecht der Küken schon entsprechend früh bestimmt werden kann. Das setzt die Branche also weiter unter Druck.
Das grundsätzliche Problem, nämlich die extrem spezialisierte Zucht auf entweder hohe Legeleistung, also viele Eier, oder Mastfleisch, wird dadurch aber nicht gelöst. Sehr viel nachhaltiger ist unserer Meinung nach entweder die Legeperiode zu verlängern oder aber männliche Küken auch aufzuziehen. Das passiert in der sogenannten Bruderhahnmast und wird seit einigen Jahren erfolgreich umgesetzt. Eine andere Möglichkeit ist das Zweinutzungshuhn – wir denken, das ist der Zukunftsweg! Hier legen die weiblichen Tiere die Eier und die Hähne werden zur Fleischerzeugung genutzt. Die Tiere haben zwar etwas geringere Leistungen, dafür sind sie aber vitaler und auch weniger anfällig für Krankheiten als die Hochleistungstiere. Auch hinsichtlich von Tierschutzaspekten ist das positiv zu bewerten.
Das klingt schon nach einem sehr vielversprechenden und nachhaltigen Einsatz. Dennoch gibt es Vorstöße, das Problem der männlichen Küken mit Gentechnik anzugehen. Im Frühjahr 2022 bist du mit anderen Organisationen auf ein Verfahren aufmerksam geworden, was von der Firma NRS Poultry entwickelt worden ist. Wie funktioniert es?
Israelische und australische Wissenschaftler*innen forschen an Gentechnik-Hühnern, bei denen männliche Küken in einem sehr frühen Embryonalstadium absterben sollen. Die israelische Firma NRS Poultry will solche Hühner auf den Markt bringen. Sie haben mittels neuer Gentechnik – in diesem Fall CRISPR-Cas – ein komplexes Genkonstrukt in das männliche Geschlechtschromosom der Zuchthennen eingefügt.2 Dieses Genkonstrukt besteht aus mehreren Genen: ein Gen, das auf UV-Licht reagiert und ein Gen, was tödlich wirkt, ein sogenanntes Letalgen. Die männlichen Tiere bekommen das Genkonstrukt weitervererbt und über UV-Licht kann das Letalgen aktiviert werden, damit die männlichen Tiere im Ei absterben. Laut Hersteller sollen nur noch die weiblichen Küken schlüpfen und sich zu Legehennen entwickeln, die dann Eier legen. Die Wissenschaftler*innen haben dazu auch bereits ein Patent angemeldet.
Gibt es diese Hühner und ihre Eier schon irgendwo zu kaufen?
Bislang nicht, aber wir wissen, dass die Firma versucht auch in Deutschland Hühnerzüchter*innen zu gewinnen, die das Verfahren nutzen wollen. Das ist bisher noch nicht gelungen. Parallel befragt die Firma Länderbehörden, ob sie die Legehennen und die Eier als Gentechnik einstufen oder nicht. Auch die EU-Kommission ist gefragt worden und ihre Antwort an NRS Poultry war, dass sie die Hennen und die Eier nicht als Gentechnik einstufen. Das kritisieren wir, denn die Hennen und Eier sind ganz klar Gentechnik.
Deshalb hat die AbL gemeinsam mit Testbiotech einen offenen Brief 3 an die EU-Abteilung GD SANTE – Generaldirektion Gesundheit und Lebensmittelsicherheit – geschrieben. Warum sind diese Hühner, aber auch die Eier von NRS Poultry für euch gentechnisch verändert und fallen damit unter das Gentechnikgesetz?
Sowohl juristisch als auch biologisch sind die Nachkommen, also die Legehennen und deren Eier, als Gentechnik einzustufen. Zum Rechtlichen: Das aktuell in der EU geltende Gentechnikgesetz geht von einem prozessorientierten Ansatz aus und das heißt, wenn im Zuchtprozess ein Gentechnikverfahren, wie in diesem Fall CRISPR-Cas, eingesetzt wurde und das Genom gentechnisch verändert wurde, dann handelt es sich um einen gentechnisch veränderten Organismus. Auch die Nachkommen und deren Produkte, in diesem Fall die Hennen und die Eier, sind Gentechnik. Wenn man sich, wie die Kommission es macht, nur noch das Endprodukt anguckt und sagt, in den weiblichen Hennen sei dieses Konstrukt nicht enthalten, dann ist das ein Paradigmenwechsel hin zu einem produktorientierten Ansatz, so wie er beispielsweise in Kanada angewendet wird. Das widerspricht aber dem europäischen Gentechnikrecht und auch dem Vorsorgeprinzip, denn es gibt Studien die zeigen, dass die einzelnen Prozessschritte zu spezifischen Risiken bei den Gentechnikorganismen führen können. Das, was die Kommission hier versucht, wäre also ein Präzedenzfall, der unserer Meinung nach geltendem EU-Recht widerspricht. Würden die Legehennen und Eier nicht als Gentechnik eingestuft, dann dürften sie einfach so auf den europäischen Markt ohne Risikoprüfung, ohne Zulassungsverfahren, aber auch ohne Kennzeichnungspflicht und Rückverfolgbarkeit, ohne Nachweisverfahren und Haftung im Schadensfall.
Und die biologischen Gründe? NRS Poultry geht davon aus, dass der Einsatz von CRISPR-Cas nicht zu unerwünschten Veränderungen im Erbgut führt. Die von ihnen gemachten Veränderungen in der DNA seien die einzigen, die tatsächlich entstanden sind. Wie bewerten Sie das?
Die Firma geht davon aus, dass ihr Verfahren zu 100 Prozent funktioniert, das ist aber sehr fraglich. Bisher hat NRS Poultry keine Daten oder Studien dazu vorgelegt. Auch Wissenschaftler*innen halten das für falsch. Sie gehen davon aus, – das zeigen eben auch verschiedene Studien – dass neue Gentechniken wie CRISPR-Cas zu unerwünschten Veränderungen im Genom führen können. Bei Studien an Zebrafischen kam es z.B. zu großen strukturellen Veränderungen durch CRISPR-Cas an anderen Stellen des Genoms als gewollt, also außerhalb der Zielregion. Es kann also zu unbeabsichtigten Mutationen kommen und diese können bedenklich sein, vor allem wenn sie unentdeckt bleiben. Andere Studien haben gezeigt, dass sich unbeabsichtigte Veränderungen auch vererben und es kann sogar zu Abweichungen von den normalen Vererbungsregeln kommen. Deshalb müssen auch die Nachkommen, in diesem Fall die Legehennen, an die das gewollte Gen theoretisch nicht vererbt werden soll, eingehend auf Risiken untersucht werden. Auch deshalb, weil es sich um die erste Nachkommenschaft handelt, also die erste Generation nach der Kreuzung zwischen den Gentechnik-Zuchthühnern und herkömmlichen Hähnen. Deshalb fordern wir die EU-Kommission auf, ihre Position zu widerrufen. Die Legehennen und Eier sind Gentechnik und sie müssen als Gentechnik reguliert und geprüft werden.
Sehr spannend! Jetzt frage ich mich natürlich, reguliert und geprüft – was heißt das eigentlich genau? Was muss passieren, wenn ich einen gentechnisch veränderten Organismus (GVO), z.B. eine gentechnisch veränderte Soja, in der EU verkaufen möchte?
Wenn eine Gentechnik-Soja in Europa angebaut oder importiert werden soll, dann müssen die Hersteller*innen einen Zulassungsantrag in der EU stellen. Danach erfolgt eine Risikoprüfung und -bewertung. Werden die Risiken als hinnehmbar eingestuft, dann erfolgt ein Zulassungsverfahren, bei dem die EU-Mitgliedsstaaten für oder gegen eine Importzulassung der Soja abstimmen können. Die Hersteller*innen müssen ein Nachweisverfahren liefern, und die Rückverfolgbarkeit und ein Monitoring sicherstellen. Eine Zulassung ist zeitlich begrenzt und kann gegebenenfalls verlängert werden. Nach der Zulassung kann ein GVO in der EU verkauft werden, aber er muss gekennzeichnet werden. Auf dem Produkt steht dann bei pflanzlichen Inhaltsstoffen die Angabe „Soja gentechnisch verändert“ oder „aus gentechnisch veränderter Soja“ bei verarbeiteten Produkten.
Das heißt, dass z.B. Sojaöl, das in einem Keks verarbeitet wurde, nicht noch einmal extra zugelassen wird, sondern es basiert dann auf der Zulassung von der ursprünglichen Gentechnik-Soja-Pflanze?
Genau, die Zulassung bezieht sich auf das Event, aber auch auf verarbeitete Produkte, wo man letztendlich den Gentechnikevent gar nicht mehr nachweisen kann, also den entsprechenden DNA-Abschnitt. Das Endprodukt muss trotzdem auch als GVO gekennzeichnet werden.
Und das würde dann auch für tierische Produkte gelten? Also in unserem Fall für die Eier von den Gentechnik-Hühnern?
Ja, auch die Hühner und die Eier müssten als Gentechnik gekennzeichnet werden. Die Eier sind Produkte, die aus einem GVO gewonnen wurden. Die müssen also gekennzeichnet werden. Ebenso die Legehennen, da sie ja beispielsweise als Suppenhühner oder Geflügelfleisch durchaus vermarktet werden können.
Der Verband Lebensmittel ohne Gentechnik hat in einer Umfrage Konsument*innen in Deutschland gefragt, ob Eier gentechnisch veränderter Hennen als GVO gekennzeichnet werden sollten oder nicht. An dieser Umfrage haben 2.500 Personen teilgenommen und 80 Prozent forderten ganz klar, dass die Eier gekennzeichnet werden sollten. Ich denke das bestärkt Sie und Testbiotech in Ihrem Vorgehen. Was sind denn jetzt Ihre nächsten Schritte?
In jedem Fall bestärkt uns das und wir werden die Position der EU-Kommission nicht hinnehmen, das wäre Gentechnik durch die Hintertür. Niemand könnte mehr erkennen, ob Gentechnik verwendet wurde oder nicht. Aber auch Züchter*innen und Hühnerhalter*innen, ebenso wie die Bäuer*innen, die die Eier vermarkten, wollen eben wissen, ob die Hühner gentechnisch verändert wurden. Sie wollen eine Klarstellung und dass die geltenden Gentechnikgesetze der EU angewendet werden. Deshalb planen wir nochmal einen Brief an die EU-Kommission und, wenn sie weiter bei ihrer Meinung bleibt, dann werden wir eine Klage anstreben, um zu verhindern, dass solche Gentechnik-Hühner und Eier so einfach auf den europäischen Markt kommen können. Wir fordern auch das zuständige Bundeslandwirtschaftsministerium auf, hier eine klare Position zu beziehen und eine Deregulierung zu verhindern.
In meiner Recherche bin ich häufiger auf das Argument gestoßen, dass man mit Gentechnik auch das Tierwohl fördern kann und die Tierhaltung nachhaltiger gestalten kann. Sind gentechnisch veränderte Tiere, z.B. Kühe, die ohne Hörner auf die Welt kommen, tatsächlich sinnvoll für eine nachhaltige und artgerechte Haltung?
Ich glaube das nicht. Zum einen muss man sich ja mal den Begriff Nachhaltigkeit anschauen. Der betrifft drei Dimensionen: ökologisch, ökonomisch und sozial. Vielleicht kann so eine Hörnerlosigkeit bei Rindern zu ökonomischen Vorteilen führen. Dieses Merkmal gibt es aber bereits natürlich bei bestimmten Rindern und wir brauchen dafür gar keine Gentechnik. Hornlose Rinder, die durch ein neues Gentechnikverfahren erzeugt wurden, waren lange Zeit ein Vorzeigeprojekt der Gentechnikindustrie. Die Industrie hat immer betont, sie seien sicher und notwendig. Bei einer unabhängigen Untersuchung durch Behörden, bei der man das ganze Genom sequenziert hat, wurde jedoch festgestellt, dass nicht nur das gewollte Merkmal integriert wurde, sondern auch Genabschnitte, die für eine Antibiotikaresistenz kodieren. Das wollte man aber natürlich gar nicht in dem Rinder-Genom haben, denn das kann auch zur Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen führen. Deshalb ist das Projekt gestoppt worden. Interessant ist, dass die Hersteller*innen immer sagen, alles sei sicher. In der Regel machen sie selbst aber keine besonders umfangreichen Risikountersuchungen. Deshalb ist eine unabhängige Risikoprüfung durch Behörden oder auch unabhängige Wissenschaftler*innen sehr wichtig. Die Frage ist auch, ob diese hornlosen Rinder tatsächlich artgerechter oder tierfreundlicher sind. Die Hörner sind auch ein Sinnesorgan für die Tiere und wichtig für ihre Körpersprache und Körperpflege. Wenn man Kühe auf der Weide hält oder ihnen in einem Laufstall genug Platz verschafft, dann sind die Hörner an den Kühen kein Problem.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Judith Düesberg, redaktionelle Bearbeitung Isabelle Bartram. Danke an Lilly Presser für die Transkription.
- 1Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (28.01.22): Ausstieg aus dem Kükentöten. Online: www.kurzelinks.de/gid263-jn.
- 2Im Gegensatz zu Säugetieren haben männliche Vögel zwei Z-Geschlechtschromosomen und weibliche Tiere ein W- und ein Z-Chromosom. Das Muttertier vererbt ihrem männlichen Nachwuchs ihr tödliches Z-Chromosom, die weiblichen Tiere bekommen von der Mutter das W-Chromosom und vom Vater das harmlose Z-Chromosom.
- 3Testbiotech (04.03.22): EU-Kommission: Eier von CRISPR/Cas-Gentechnik-Hühnern sollen weder auf Risiken geprüft noch gekennzeichnet werden. Online: www.kurzelinks.de/gid263-jo.
Annemarie Volling ist Mitarbeiterin der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) und dort zuständig für die Sicherung der gentechnikfreien Landwirtschaft sowie Saatgut und Patente.
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