„Ob“ oder Flop

Vererbbares Genome Editing am Menschen

Anfang März diskutierten weltweit führende Expert*innen in London über biotechnologische Eingriffe ins menschliche Genom. Auch vererbbare Veränderungen am Menschen – die Erschaffung von „Designerbabies“ – standen dabei zur Debatte.

Fünf Menschen stehen vor einem Gebäude. Sie halten Schilder und ein Banner mit der Aufschrift "Stop Designer Babies".

Einige Mitglieder der Initiative Stop Designer Babies UK (SDB UK) protestierten vor dem imposanten Francis Crick-Institut in London u.a. gegen die Pläne einiger Wissenschaftler*innen, die Erschaffung von sog. Designerbabies voranzutreiben. Foto: © International Coalition to Stop Designer Babies

Im März 2023 fand zum dritten Mal ein internationales Gipfeltreffen statt, um über die Zukunft von Anwendungen neuer Gentechnologien wie CRISPR-Cas im biomedizinischen Bereich zu diskutieren und den aktuellen Stand der Forschung vorzustellen – diesmal im imposanten Francis Crick-Institut in London.1 Am ersten Tag der dreitägigen Konferenz wurden die rund 400 Naturwissenschaftler*innen, Bioethiker*innen, Patient*innen und Journalist*innen, die sich ihren Weg in das verglaste Gebäude bahnten, von einer kleinen Gruppe Protestierender begrüßt. Die Mitglieder der Initiative Stop Designer Babies UK (SDB UK) hielten u.a. Schilder mit der Aufschrift „Never again to Eugenics“ (Nie wieder Eugenik) und verteilten Flyer gegen die Pläne einiger Wissenschaftler*innen, die Erschaffung von sog. Designerbabies voranzutreiben.

Die Existenz solcher Kinder, die im Embryostadium genetisch verändert wurden, sodass sie diese Eingriffe an potenziell alle zukünftigen Generationen weitergeben, ist längst keine Science Fiction mehr. Zum einen wurde bereits 2016 das erste Kind nach einem sogenannten Mitochondrientransfer geboren – ein etwas irreführender Begriff, denn die Technologie ist eher dem Klonen ähnlich: Dabei lassen Personen, deren Eizellen genetische krankheitsauslösende Abweichungen in bestimmten Zellbestandteilen mit eigenem Genom, den Mitochondrien, aufweisen, deren Zellkern in „gesunde“ Eizellen von Dritten übertragen. Die aus den Eizellen erschaffenen Embryonen und späteren Kinder, auch „3-Personen-Kinder“ genannt, sind genetisch in einer Art verändert, die ohne den gentechnologischen Eingriff nicht möglich wäre. Zum anderen konfrontierte der chinesische Wissenschaftler He Jiankui im November 2018, kurz vor dem letzten internationalen Genome Editing-Gipfeltreffen, die Welt mit der Nachricht, dass die ersten mit CRISPR-Cas behandelten Kinder geboren seien.

Tabubruch oder Pionierarbeit?

Die wissenschaftliche Community reagierte – ebenso wie die Öffentlichkeit – schockiert, als He seine Forschungsergebnisse auf dem Kongress vorstellte. In Reaktion auf die Nachricht wurde versucht, ihn als „rougue scientist“, als isolierten Einzeltäter, darzustellen, später stellte sich jedoch heraus, dass er führende Wissenschaftler*innen über seine Pläne informiert hatte, aber keine*r Alarm geschlagen hatte. Überraschen sollte Hes Vorstoß eigentlich nicht, da sich zuvor wichtige Ethik- und Wissenschaftsorgane, wie der Britische Ethikrat und die US-amerikanischen Nationalen Wissenschaftsakademien (NAS), grundsätzlich für vererbbares Genome Editing zur Verhinderung von „schweren Erkrankungen oder Behinderungen“ ausgesprochen hatten. Der britische Ethikrat nannte gar die Erschaffung von „Supersinnen“ und „Superfähigkeiten“ als mögliche Ziele, die der „reproduktiven Freiheit“ Einzelner überlassen werden sollten. Auch der deutsche Ethikrat hat inzwischen geurteilt, dass vererbbares Genome Editing grundsätzlich moralisch zulässig sei. Alle diese Organisationen formulieren vage Kosten-Nutzen-Abschätzungen als Grundlage für den Beginn klinischer Studien, die eine Reduzierung der Fehleranfälligkeit der Technologie voraussetzen, aber nicht konkret benennen, wieviel Risiko hinnehmbar ist. He hatte offensichtlich diese Abwägung anders getroffen als der Wissenschaftsmainstream und die Technologie als bereits präzise genug für den Einsatz in der Klinik eingeschätzt. Von den negativen Reaktionen, auch aus der Wissenschaft, schien er überrascht zu sein.

Das zweite Gipfeltreffen endete mit einem Statement der Organisator*innen, in dem sie zwar Hes Experimente verurteilten, aber gleichzeitig basierend auf dem aktuellen Stand der Forschung proklamierten, es sei „an der Zeit, einen rigorosen, verantwortungsvollen Weg zur Durchführung klinischer Studien zu definieren“. Wie die US-amerikanische Organisation Alliance for Humane Biotechnology (AHB) in einem Diskussionspapier zusammenträgt2, nehmen diese Pläne seit 2018 eine sehr konkrete Form an: Eine von den NAS und der britischen Royal Society eingesetzte Kommission soll die Rahmenbedingungen für klinische Studien entwickeln.3 Potenzielle Anwendungsgebiete sind dabei nicht auf genetische Erkrankungen begrenzt, auch „Enhancements“, also die genetische „Verbesserung“ stehen zur Diskussion. Die aus Naturwissenschaftler*­innen und Medizi­ner*­innen bestehende Kommission plant einen internationalen Aufsichtsrat zu etablieren, der den Weg von der Laborforschung zum Einsatz am Menschen ebnen und die Langzeitbeobachtung von genetisch veränderten Kindern standardisieren soll. Wie die AHB und andere zivilgesellschaftliche Organisationen kritisieren, wird die Entscheidung der Gesellschaft für oder gegen Keimbahneingriffe damit praktisch vorweggenommen. Zwar sieht die Kommission eine Beteiligung der Öffentlichkeit vor, doch durch die Trennung der wissenschaftlichen Machbarkeitsdebatte von gesellschaftlichen Fragestellungen, seien die Möglichkeiten, sich Keimbahnveränderungen und der Forschung daran zu widersetzen, eingeschränkt, so die Autor*innen des Diskussionspapiers. Wie David King, Sprecher von SDB UK gegenüber dem US-amerikanischen Sender NPR sagte, sei es ein „extremer Fall wissenschaftlicher Verantwortungslosigkeit“, wenn Forschende sich anmaßen würden, allein über die Zukunft des Genome Editings zu entscheiden. Den Organisator*innen des wissenschaftlichen Gipfeltreffens dieses Jahr in London attestierte King „eine mangelnde Bereitschaft zu akzeptieren, dass die Gesellschaft das Recht hat, der Wissenschaft ethische Grenzen zu setzen“4. Tatsächlich ist vererbbares Genome Editing momentan in über 70 Ländern verboten. Hierzulande gilt beispielweise – abgesehen vom deutschen Embryonenschutzgesetz – die Oviedo-Konvention der EU. Sie verbietet Interventionen, die auf „eine Veränderung des Genoms von Nachkommen“ abzielen. Vorangetrieben durch die Versprechen der Wissenschaft könnten diese gesetzlichen Einschränkungen jedoch bald bröckeln: In Großbritannien wird momentan darüber diskutiert, Keimbahnveränderungen noch in diesem Jahr zu legalisieren.

Aufgrund dieser Entwicklungen wurden für den dritten, wegen der Corona-Pandemie um ein Jahr verschobenen, Gipfel vom 6. bis 8. März in London weitere Schritte auf dem Weg zur Implementierung von Designerbabies in die reproduktionsmedizinische Praxis erwartet. Nicht nur SDB UK protestierte dagegen. Um die britische Initiative herum hatten sich im Vorfeld des Gipfeltreffens mehrere zivilgesellschaftliche Organisationen wie das Center for Genetics and Society (USA) und das Gen-ethische Netzwerk (D) zu einer „International Coalition to Stop Designer Babies“ zusammengeschlossen.5 Dieses Bündnis veröffentlichte am Tag vor Beginn der Konferenz eine Erklärung gegen vererbbare genetische Veränderungen am Menschen. Sie sieht in vererbbarem Genome Editing einen Verstoß gegen die Menschenwürde, u.a. weil sie den Menschen auf den „Status eines designten und optimierten Konsumobjekts reduziert“.

Fokus auf somatische Gentherapien

Das Organisationskomitee des Kongresses versuchte offensichtlich nach dem skandalträchtigen Auftritt von He Jiankui 2018 die Möglichkeit für Kontroversen dieses Jahr zu minimieren. Anders als bei den beiden vorangegangenen Gipfeltreffen wurden vererbbare Anwendungen von CRISPR-Cas & Co. erst am dritten Tag der Konferenz thematisiert. An den beiden ersten Tagen forderten die Moderator*innen mehrfach dazu auf, die Diskussion nach den Fachvorträgen ausschließlich auf sog. somatische Anwendungen beim Menschen zu beschränken. Damit sind Behandlungen gemeint, die nur den Körper der jeweiligen Person betreffen und nicht vererbbar sind. Grundsätzlich ethisch wenig umstritten, wird bei solchen Gentherapien vorrangig diskutiert, wie Sicherheitsrisiken für Patient*innen begrenzt werden können – und über ihren enormen Preis. Rund 2,8 Millionen US-Dollar soll die Dosis einer neuartigen CRISPR-Cas-basierten Gentherapie für die genetische Erkrankung Sichelzellanämie kosten. Darin sind die für die Behandlung notwendige Chemotherapie, Krankenhausaufenthalte etc. noch nicht inbegriffen.6 Der Preis errechnet sich nicht aus den tatsächlichen Herstellungskosten der Gentherapie, sondern daran, was die lebenslange Standardbehandlung einer erkrankten Person im momentanen Gesundheitssystem in den USA kosten würde. Auf dem Gipfeltreffen In London wurde vielfach die Frage der Verteilungsgerechtigkeit gestellt, konnte jedoch bis zum Schluss nicht beantwortet werden. Gerade bei der Krankheit Sichelzellanämie wird die eklatante Ungerechtigkeit im Zugang zu Gesundheitsversorgung deutlich. Denn in den USA sind besonders Afroamerikaner*innen betroffen, welche wiederum aufgrund von strukturellem Rassismus öfter keine oder mangelhafte Krankenversicherungen haben. Weltweit treten 90 Prozent der Fälle von Sichelzellanämie auf dem afrikanischen Kontinent und in Indien auf. In einem Panel fragte der indische Patientenvertreter Gautam Dongre provokant, wie Gentherapien die Durchschnittsbevölkerung erreichen sollen, wenn diese seit dessen Einführung vor 40 Jahren immer noch keinen Zugang zu dem Standardmedikament Hydroxyurea hat.

Kein medizinischer Nutzen

Die Frage nach dem Nutzen von Keimbahneingriffen, die am letzten Tag des Gipfeltreffens endlich gestellt werden durfte, erscheint vor dem Hintergrund, dass die meisten Menschen keinen Zugang zu den modernen Gentherapien haben, abgehoben. Wie es die Bioethikerin Tina Rulli in Ihrem Beitrag zum Panel „Gibt es zwingende Gründe für die vererbbare Veränderung des menschlichen Genoms?“ erläuterte, geht es bei reproduktivem Genome Editing eben nicht darum kranke Menschen zu therapieren, sondern es werden nur zum Zweck der Anwendung Embryonen bzw. spätere Menschen erschaffen. In dem eher befürwortenden Beitrag der Humangenetikerin Ephrat Levy-Lahad und der anschließenden Diskussion wurde klar, dass es bei Keimbahneingriffen nicht um Prävention oder medizinischen Nutzen geht – für Paare mit Kinderwunsch, die Angst haben, schwere genetische Erkrankungen weiterzugeben, gibt es immer alternative Möglichkeiten, wie Samenspende, Adoption, oder die (ebenfalls kritisch diskutierte) Präimplantationsdiagnostik. Keimbahneingriffe machen nur dann „Sinn“, wenn es den Eltern um die 100-prozentige biologische Verwandtschaft geht – ohne Berücksichtigung des immensen Risikos für das zukünftige nicht-einwilligungsfähige Kind. Denn CRISPR-Cas und seine präziseren Derivate sind nicht fehlerlos, wie die Vorträge in einem Panel zum Forschungsstand eindrucksvoll zeigten. Die „Genschere“ schneidet z.T. so radikal, dass ganze Chromosomen fehlen. Eine umfassende Kontrolle auf ungewollte genetische Veränderungen in allen Zellen eines Embryos vor dessen Einpflanzung ist aber momentan nicht möglich.

Die Zivilgesellschaft ist gefragt

Die Organisator*innen sowie Teilnehmende des Treffens in London wiesen immer wieder auf die – im Vergleich zu den vorangegangenen Treffen – hohe Vielfalt der Perspektiven unter den Vortragenden hin. Auffällig fehlend waren jedoch Vertreter*innen aus der Behindertenrechtsbewegung, die sicher eine ganz andere Perspektive zur Vision, alle möglichen Behinderungen heilen zu wollen, beigetragen hätten. Das US-amerikanische Center for Genetics and Society hatte daher Ende Februar eine Art „Gegengipfel“ veranstaltet bei dem vielfältigen Stimmen aus der Zivilgesellschaft Raum gegeben wurde.7

Dennoch wurden auch in London hier und da soziale und ethische Probleme von Keimbahneingriffen thematisiert. Die Sozialwissenschaftlerin Sarojini Nadimpally führte zum Beispiel ihre Arbeit zu „Leihmutterschaft“ in Indien an, wo sich die Praxis von Reproduktionstechnologien in postkoloniale und sexistische Gesellschaftsstrukturen einbettet, in denen hellhäutige Kinder und die Geburt von Söhnen vorgezogen werden. Wenn bestehende Machtstrukturen nicht reflektiert werden, könnte Genome Editing ebenfalls die Diskriminierung von bereits marginalisierten Bevölkerungsgruppen fördern, so Nadimpally. Die Kritik vor und auf dem Kongress scheint nicht spurenlos an dem Organisationskomitee vorbeigegangen zu sein. Das Abschlussstatement des diesjährigen Gipfeltreffens liest sich wesentlich weniger ambitioniert als noch 2018. Die Autor*innen schreiben: „Öffentliche Diskussionen und politische Debatten gingen weiter“ und seien „wichtig für die Entscheidung, ob diese Technologie verwendet werden sollte“. Dieses Wörtchen „ob“ sollte als dringende Einladung für die Zivilgesellschaft verstanden werden, sich vehement in die Debatte über die Zukunft von Keimbahneingriffen einzubringen.

GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
265
vom Mai 2023
Seite 30 - 32

Dr. Isabelle Bartram ist Molekularbiologin und Mitarbeiterin des GeN.

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