Genetische Geschlechterfantasien

Ein Kommentar zu Trumps Transgesetz

Kann Geschlecht genetisch festgestellt werden? So einfach, wie einige es gerne hätten, ist es nicht.

Am 21. Oktober 2018 berichtete die New York Times über eine interne Vorlage der US-amerikanischen Regierung unter Präsident Donald Trump: Eine neue juristische Definition von Geschlecht solle unter anderem für die Geschlechtsdiskriminierung in staatlich geförderten Schulen gelten. Das klingt erstmal gut, wäre aber tatsächlich ein Rückschritt. In der Vorlage wird Geschlecht nämlich als der vorgeburtlich oder spätestens bei der Geburt feststellbare, „unveränderliche biologische“ Status als männlich oder weiblich definiert. Dieser sei durch den Geburtseintrag nachzuweisen, es sei denn dieser beurkundete Status werde durch genetische Beweismittel widerlegt. Transgender Identitäten würden dadurch als nicht existierend wegdefiniert. Wie eine solche Regelung in der Praxis überhaupt aussehen könnte ist völlig unklar. Es ist beispielsweise kaum vorstellbar, den tatsächlichen und ja durchaus häufigen Zugang zu Schul- und anderen geschlechtergetrennten Toiletten über Geburtsurkunden oder genetische Tests zu regeln. Und selbst die bereits bestehende Geschlechtertrennung solcher öffentlichen Räume nach sozialer, oft entwürdigender Gesichtskontrolle würde auf immer peinlichere Weise unmöglich und in ihrer Absurdität bloßgestellt: Nach der vorgeschlagenen Definition könnten Transmänner mit Vollbart rechtlich aufs Frauenklo gezwungen werden. Der Versuch, soziale Zuschreibungen von Geschlecht rechtlich als biologisch zu verankern, wäre so in vielen Situationen praktisch entweder undurchführbar oder potentiell genau gegenteilige Wirkungen erzielen.
Trotz der mit Vorschlägen der Trump-Regierung oft einhergehenden Unklarheit, ob einzelne Pläne überhaupt zur Umsetzung kommen, ist eine Diskussion um die Rolle von Genetik in der Geschlechterpolitik dringend erforderlich. Die Geisteswissenschaftlerin Ellen Samuels hat uns hierzu bereits 2014 einen nützlichen Begriff an die Hand gegeben. Sie beschreibt in ihrem Buch, dass „fantasies of identification bestrebt sind, Körper genau zu bestimmen, sie in Kategorien nach Race, Geschlecht oder Behinderung einzusortieren und diese Zuweisung dann durch verifizierbare, biologische Identitätsmarker zu bestätigen. Fantasien der Identifizierung haben gewisse Kennzeichen gemeinsam: Sie behaupten auf naturwissenschaftlichen, oft medizinischen Erkenntnissen zu basieren und konsolidieren so die Autorität der Medizin, wobei aber in der Praxis oft weit über die tatsächlichen wissenschaftlichen Grundlagen hinausgegangen oder diesen widersprochen wird. Sie beschränken sich auch nicht auf die naturwissenschaftliche Ebene sondern stoßen immer in die Gesellschaft vor und nehmen Einfluss auf Recht, Politik und die mediale Darstellung“ (Samuels S.2f., eigene Übersetzung des Autors).
Bei dem Dokument der US-Regierung handelt es sich nach diesen Kriterien um einen klaren Fall einer solchen Fantasie: Binäre Zweigeschlechtlichkeit soll festgeschrieben werden, in dem sie als biologisch – und dabei letztlich genetisch – festgeschrieben behauptet wird. Samuels Beschreibung dieser Fantasie ist wichtig, wenn wir über politische Antworten nachdenken. Solche Fantasien lassen sich eben gerade nicht durch wissenschaftliche Einwände richtigstellen. Daher ist es zwar begrüßenswert, aber leider keineswegs genug, wenn sich 1.600 Naturwissenschaftler*innen in einem offenen Brief gegen diese Pläne aussprechen und klarstellen, dass kein wissenschaftlicher Test Geschlecht (weder Gender noch Sex) eindeutig bestimmen kann. Vielmehr muss die mit einem genetischen Deckmantel bekleidete, politische Fantasie von zwei eindeutigen und eindeutig getrennten Geschlechtern politisch bekämpft werden.
Im Übrigen regiert diese medizinische, genetische Fantasie von Geschlecht nicht nur in den USA oder erst durch ihre Verschärfung unter Trump. Die jüngst in Deutschland verabschiedete Regelung zum Geschlechtseintrag „divers“ verlangt nicht zufällig eine medizinische Nachweispflicht. Während die eine Nachricht einen klaren Rückwärtstrend in der Geschlechterdiversität markiert, wird die andere – durchaus mit gutem Grund – als ein wichtiger Schritt zur rechtlichen Gleichstellung von Geschlechtervielfalt gesehen. Beiden ist jedoch entgegenzuhalten: Geschlecht ist nicht nachweisbar, schon gar nicht genetisch.

 

22. Januar 2019

Anson Koch-Rein lehrt und forscht als Visiting Assistant Professor am Grinnell College, USA.

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