Monsanto gegen BRD

Der Agro-Gentechkonzern klagt wieder gegen das Vorsorgeprinzip

Dass Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) den gentechnisch veränderten Mais MON810 verboten hat, konnte Monsanto nicht kommentarlos hinnehmen. Der Konzern, der die Rechte an dem Mais hält und diesen auch entwickelt hat, steht nun vor Gericht einer Behörde gegenüber, die eigentlich seiner Meinung ist. Mit am Tisch: Das Vorsorgeprinzip.

Vermutlich Ende des Jahres wird das Verwaltungsgericht Braunschweig im Hauptsacheverfahren darüber entscheiden, ob das im April 2009 vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) verhängte Verbot der Genmais-Sorte MON810 von Monsanto rechtens war. Monsanto versucht, sich gegen das Verbot der Braunschweiger Behörde, welche wiederum auf Weisung des Bundeslandwirtschaftsministeriums (BMELV) gehandelt hatte, mit einer ganzen Reihe von Argumenten zu wehren. Ein in der Regel verlässliches Indiz für den Ausgang des Verfahrens sind die bereits vorliegenden Eilentscheidungen, da bereits hier - wenn auch nur überschlägig - die Rechtmäßigkeit des Verbots überprüft wurde. Sowohl das Verwaltungsgericht (VG) Braunschweig als auch das Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg in der Beschwerdeinstanz hatten im Mai 2009 den Antrag der Firma Monsanto, das Saatgut zumindest bis zum Erlass der Hauptsacheentscheidung noch vermarkten zu dürfen, abgelehnt.

Gültige Marktzulassung in Deutschland ausgesetzt

Zwar verfügt MON810 nach wie vor über eine europaweit gültige Marktzulassung. Die EU-Mitgliedstaaten dürfen aber im so genannten Schutzklauselverfahren nach Artikel 23 EU-Freisetzungsrichtlinie bei auftretenden Risiken solche Marktzulassungen vorübergehend aussetzen - die so genannten nationalen Verbote. Die Folge ist, dass dann so lange ein nationales Vermarktungsverbot besteht, bis auf EU-Ebene eine andere Entscheidung getroffen wird. Da eine Kommissionsvorlage im europäischen Rat nur mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit vom Rat zurück gewiesen werden können und die Kommission bisher immer gegen die nationalen Verbote der Mitgliedsländer war, ist es zur Verteidigung der Vebote notwendig, eine ebensolche Mehrheit zu bekommen. Nachdem bereits Frankreich, Griechenland, Ungarn, Luxemburg und Österreich ein solches Verbot erlassen hatten, beruft sich jetzt auch Deutschland auf diese in das deutsche Recht umgesetzte Schutzklausel.1 Monsanto argumentiert, die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme dieser Schutzklausel lägen nicht vor, da von der Maissorte keine Gefahr für Mensch und Umwelt ausginge. Der Konzern kann sich dabei auf mächtige - wenn auch aus Sicht vieler Kritiker nicht immer unabhängige - Verbündete stützen. Nahezu alle in Deutschland nach dem Gentechnikgesetz hierfür maßgeblichen Behörden sehen das nämlich genau so: Sowohl das Bundesamt für Risikobewertung, das Julius Kühn-Institut, das Robert Koch-Institut, die Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft, die Zentrale Kommission für die Biologische Sicherheit und auch die Europäische Lebensmittelbehörde EFSA halten MON810 für sicher. Selbst das BVL, also jene Behörde, welche das Verbot aussprach, bekundete vor Gericht, seine Wissenschaftler sähen keine Gefahr durch diese Pflanze. Man habe das Verbot nur deshalb erlassen, weil auf politischen Druck eine entsprechende Weisung des BMELV ergangen war.

Vorsorgeprinzip: Verhältnis zwischen Recht und Wissenschaft

Warum Monsanto dennoch in allen Instanzen verlor, hat mit den strengen Vorgaben des deutschen und europäischen Gentechnikrechts sowie mit Besonderheiten des Verhältnisses zwischen Recht und Wissenschaft zu tun. Das Gentechnikrecht ist vom Vorsorgeprinzip geprägt. Es ermöglicht staatlichen Schutz nicht erst dann, wenn es zu konkreten Gefahren oder gar Schäden kommt, sondern fordert wegen des der Gentechnik inhärenten Basisrisikos und der vielen wissenschaftlichen Unsicherheiten ein Einschreiten bereits im Vorfeld von Gefahren. Es muss nicht abgewartet werden, bis das Bestehen und die Schwere von Risiken vollständig dargelegt sind. Vermarktungsverbote können vielmehr bereits aus reiner Risikovorsorge getroffen werden. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sind daher Schutzmaßnahmen bereits dann zulässig, wenn wissenschaftliche belegbare Indizien bestimmte Risiken nahe legen, auch wenn sie noch nicht endgültig bewiesen sind. Ist dies der Fall, verlangt Art. 23 Freisetzungsrichtlinie als weitere Voraussetzung lediglich noch, dass die Risiken durch neue Erkenntnisse, die nach der Zulassung der Pflanze - im Fall von MON 810 also nach dem Jahr 1998 - offenbar wurden. Solche Risiken hat das BVL nicht erst in seiner Verbotsverfügung vom April 2009 dargelegt. Bereits der Bescheid über das zeitweise Vermarktungsverbot vom April 2007, der übrigens ebenfalls erst auf eine Weisung des BMELV zustande kam, enthielt auf drei Seiten dicht gedrängt neue Studien international anerkannter Wissenschaftler.2 Diese gehen von ökologischen Risiken, insbesondere von Risiken für so genannte Nichtzielorganismen wie Schmetterlinge, Bienen und sonstige Insekten aus. Im April 2009 wurden zusätzliche Erkenntnisse angeführt, welche sich auf die Schädlichkeit des Bt-Toxins für Marienkäferlarven, Schmetterlinge und für aquatische Organismen wie Wasserflöhe beziehen. Außerdem zeigten neue Studien, dass generell von einem deutlich höheren Eintrag von Maispollen in die Umgebung auszugehen ist, als man bisher dachte - mit der Folge entsprechend höherer Risikoexposition für gefährdete Arten.

Minderheiten-Meinungen zur Vorsorge

Die Tatsache, dass mit Ausnahme des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) alle oben angeführten im Rahmen der Gentechnikaufsicht tätigen Fachbehörden inklusive des BVL selbst trotz der Flut neuer Erkenntnisse keine Risiken für MON810 erkennen konnten, steht der Rechtmäßigkeit des Verbotes nicht entgegen. Denn erforderlich für Verbotsmaßnahmen sind nur neue wissenschaftlich belegbare Erkenntnisse, nicht unbedingt ein Konsens unter den Wissenschaftlern. Das Vorsorgeprinzip erlaubt es ganz bewusst, auch Minderheiten-Meinungen als Anlass für Verbotsmaßnahmen zu nehmen, sofern diese seriös begründet sind. Das Bundeslandwirtschaftsministerium als vorgesetzte Behörde hatte also das Recht, sich aus Gründen der Vorsorge für die Einschätzung des Bundesamtes für Naturschutz und damit gegen die Einschätzung aller anderen beteiligten Fachbehörden zu entscheiden. Diese so genannte Einschätzungsprärogative muss das Gericht dann respektieren und darf nicht seine eigene wissenschaftliche Einschätzung an dessen Stelle setzen. Dies hätte übrigens auch im umgekehrten Fall gegolten: Eine Entscheidung für die weitere Vermarktung von MON810 unter Verweis auf die Mehrheitsmeinung hätte das Gericht ebenfalls respektieren müssen.

Welche Mittel sind bei Risiko geeignet?

Die Einschätzung des Bundeslandwirtschaftsministeriums, wonach von MON810 wenn zwar nicht Gefahren, aber doch Risiken ausgehen, kann Monsanto damit vor Gericht nicht angreifen. Es bleibt dann aber immer noch die Frage des Risikomanagements: Mit welchen Mitteln soll man diesen Risiken begegnen? Muss es gleich ein Vermarktungsverbot sein oder reicht auch ein anbaubegleitendes Monitoring, mit dem die ökologischen Risiken beobachtet und erst dann weitere Maßnahmen erforderlich werden, wenn es tatsächlich zu Schäden kommt. Nach Auffassung der Monsanto-Anwälte darf nicht mehr als ein Monitoring verlangt werden, da ein komplettes Verbot gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip verstößt. Auch mit diesem Punkt wird Monsanto vermutlich nicht „durchdringen” - wie es in der Juristensprache heißt, wenn jemand Erfolg hat. Ob das Übermaßverbot (das sich aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip ergibt) das mildere Mittel eines Monitoringplans verlangt hätte, braucht das Gericht deshalb nicht zu entscheiden, weil Monsanto keinen geeigneten Monitoringplan vorgelegt hatte. Bereits im April 2007 verlangte das BVL einen detailliert beschriebenen Monitoringplan, dessen Anforderungen Monsanto nicht erfüllte. Die zuständige Fachbehörde BfN prüfte das Monitoring und kam zu dem Schluss, dass das Monitoring jeglicher wissenschaftlichen Grundlage entbehre. Mit dem Plan sei es überhaupt nicht möglich, ökologische Risiken zu erkennen. Damit werde den wissenschaftlichen Mindestanforderungen nicht genügt. Auch hier durfte das BMELV den Einschätzungen des BfN folgen und war wegen seiner Einschätzungprärogative nicht etwa verpflichtet, dem BVL zu folgen, welches im Dezember 2007 den von Monsanto vorgelegten Monitoringplan noch akzeptierte, zumal neueste Studien zu erhöhten Risiken durch MON810 erst danach veröffentlicht wurden. Nachdem bereits im Jahre 2007 das VG Frankfurt/Oder eine Klage Monsantos gegen ein Anbauverbot in ökologisch sensiblen Gebiete abgewiesen hatte 3 , stellt das für ganz Deutschland verhängten Vermarktungsverbot die bisher empfindlichste gerichtliche Niederlage Monsantos in Deutschland dar. Der juristische Kampf um MON810 ist damit aber noch lange nicht beendet. Da Monsanto bereits im Jahr 2007 bei der EU-Kommission einen Antrag auf Erneuerungszulassung nach der europäischen Lebens- und Futtermittelverordnung 4 gestellt hat, wird MON810 vermutlich bereits nächstes Jahr wieder über eine europaweit und damit auch in Deutschland wieder gültige Zulassung verfügen.

Ungewisse Zukunft der nationalen Verbote

Ob auf Basis der Schutzklausel verhängte nationale Verbote dann noch angewendet werden dürfen, ist zweifelhaft. Ein Verfahren wie in den letzten Jahren bei MON810, in dem die Mitgliedstaaten über Jahre hinweg nationale Verbote jedenfalls vorläufig ohne Genehmigung der Kommission aufrechterhalten konnten, ist nach der Lebens- und Futtermittelverordnung nicht mehr möglich, was übrigens eine der Hauptziele der Lobbyarbeit der Gentechnikkonzerne im Rahmen der Reform des EU-Gentechnikrechts war. Gentechnisch veränderte Lebens- und Futtermittel sind damit in Zukunft zwingend ausschließlich nach dieser Verordnung zu behandeln. Lediglich bei Saatgut käme theoretisch daneben auch noch die Freisetzungsrichtlinie - und damit auch das Schutzklauselverfahren - in Betracht. Da hier aber ein Wahlrecht zwischen beiden Rechtsgrundlagen besteht und keine Firma freiwillig das Risiko nationaler Anbauverbote, welches mit der Zulassung nach der Freisetzungsrichtlinie verbunden ist, auf sich nehmen wird, wird wohl kaum je eine Firma ihre Zulassung noch auf die Freisetzungsrichtlinie stützen. Pattsituationen im Ministerrat werden daher in Zukunft genau die gegenteilige Wirkung wie früher haben: Sie hindern nicht - wie bisher - eine Aufhebungsentscheidung nationaler Verbote durch die Kommission, sondern sie verhindern nationale Schutzmaßnahmen. De facto wird damit den EU-Mitgliedstaaten jede Möglichkeit zum effektiven Schutz von Mensch und Umwelt genommen. Lediglich, wenn auch die Europäische Lebensmittelbehörde EFSA Risiken sieht, sind dann noch nationale Anbauverbote wie jetzt in Deutschland bei MON810 möglich. Eine solch komplette Beschneidung nationaler Schutzmöglichkeiten stellt nach Auffassung vieler Rechtsexperten einen Verstoß gegen die EG-Verträge dar, da hiermit in Form von EFSA und EU-Kommission supranationale Gentechnikbehörden geschaffen werden. Die EU hat zwar umfassende Rechtsetzungsbefugnisse, aber keine Vollzugsbefugnisse. Dies gilt auch nach Ratifikation der Lissaboner Verträge. Hinzukommt, dass die EFSA gegen zentrale Vorschriften des EU-Rechts zur Sicherung von Unabhängigkeit und Wissenschaftlichkeit verstößt.

Klage gegen gv-Mais

Aus diesen Gründen wird das internationale Bündnis Aktion Genklage auf der Basis eines diese Themen detailliert aufarbeitenden Rechtsgutachtens die zu erwartende Wiederzulassung von MON810 vor dem Europäischen Gerichtshof anfechten.

  • 1Gentechnikgesetz Artikel 20 Absatz 2.
  • 2Der damalige Bundeslandwirtschaftsminister Horst Seehofer (CSU) hat im April 2007 den Handel mit dem gentechnisch veränderten Mais verboten. Da die zuständige Fachbehörde, das BVL nicht der Meinung des Ministers und seines Hauses war, musste das BVL angewiesen werden, den entsprechenden Bescheid zu schicken. Er wurde Ende des gleichen Jahres außer Kraft gesetzt. Siehe dazu zum Beispiel „MON810 beobachten: Monsanto und BVL in der Kritik” im Gen-ethischen Informationsdienst GID 186, Februar 2008, Seite 24.
  • 3Siehe den Beitrag „Bt-Mais vielerorts verboten”, vom gleichen Autor wie der vorliegende Text im GID 185, Dezember 2007, Seite 23.
  • 4Verordnung der Europäischen Union über gentechnisch veränderte Lebens- und Futtermittel (2003/1829).
GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
196
vom November 2009
Seite 27 - 29

Dr. iur. Christoph Palme hat eine große Anzahl von wissenschaftlichen und nicht-wissenschaftlichen Publikationen insbesondere zu Fragen des Gentechnik- und des Umweltrechts veröffentlicht.

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