EFSA-Konsultation zur Risikoabschätzung

Oktober 2008: Das Gen-ethische Netzwerk hat sich an dem Konsultationsprozess der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) zur Überarbeitung des so genannten „Guidance Document for the Risk Assessment of genetically modified plants and derived food and feed” (draft guidance document) beteiligt und die entsprechenden Kommentare an die beiden in Deutschland zuständigen Bundesminister, Horst Seehofer (CSU) und Sigmar Gabriel (SPD) geschickt.

Allgemein:

Beteiligte EU-Behörden

Grundsätzlich sind wir der Ansicht, dass die Aufgaben im Rahmen der Bewertung von gentechnisch veränderten Organismen in der Europäischen Union stärker nach den Fachkompetenzen der Behörden der EU verteilt werden sollten. Entsprechend plädieren wir dafür, dass die EFSA sich auf den Bereich Nahrungs- und Futtermittelsicherheit konzentriert. Ökologische Fragen sollten eher in der Europäischen Umweltagentur (EEA) bearbeitet werden, entsprechend müssen fehlende Kompetenzen dort ggf. aufgebaut werden.

Zeitpunkt der Überarbeitung

Zudem halten wir den Zeitpunkt der Überarbeitung des guidance document angesichts der anhaltenden Debatte über das EU-Zulassungsverfahren gentechnisch veränderter Organismen für äußerst ungünstig gewählt. Es macht nach unserem Dafürhalten wenig Sinn, das guidance document zu überarbeiten, wenn die Rahmenbedingungen für die Zulassung von gentechnisch veränderten Organismen diskutiert und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch schon bald geändert werden. Dies gilt umsomehr, als dass die Art und Weise des risk assessment, der Risikoabschätzung/ Risikobewertung, wesentlicher Teil dieser Debatten ist. Die EFSA muss gewährleisten, dass die Ergebnisse dieser aktuellen Diskussionen über die Rahmenbedingungen der Zulassung und Bewertung von GVO in das guidance document einfließen

Crash-Test

Wir denken, dass es nach wie vor eine Reihe grundlegender unbeantworteter Fragen zu gentechnisch veränderten Pflanzen (GVP) gibt. Diese weißen Flecken stehen einer wissenschaftlich zuverlässigen Bewertung gentechnisch veränderter Pflanzen im Wege. Das Gen-ethische Netzwerk hat in diesem Zusammenhang am Beispiel des gentechnisch veränderten insektengiftigen Mais MON810 des US-Konzerns Monsanto gefordert, gentechnisch veränderte Pflanzen obligatorisch einem Crash-Test zu unterziehen, bei dem bestimmte biotische und abiotische Faktoren und ihre Einflüsse auf die GVP untersucht werden.1

Antragsdossiers - case by case & step by step

Die Europäische Union muss die Antragsteller insofern stärker in die Pflicht nehmen, als dass diese nachvollziehbare, einheitliche, möglichst standardisierte Unterlagen in ihren Dossiers vorlegen, ohne dass dies zu Lasten eines der beiden Grundprinzipien des Zulassungsverfahrens der Europäischen Union geht. Diese Prinzipien sind die Fallspezifität der Zulassungs- bzw. Genehmigungsverfahren (case by case), das heißt jeder gentechnisch veränderte Organismus muss einem eigenständigen Verfahren unterzogen werden. Außerdem müssen einer gegebenenfalls stattfindenden Freisetzung eines GVO die schrittweise Entwicklung und Bewertung von der Laborbank über (verschiedene weitere) geschlossene Systeme (Gewächshäuser) vorausgehen (step by step). Dabei ist auf jeder Stufe die Berücksichtigung und Darstellung der Ergebnisse der jeweils vorhergehenden Stufe zu beachten.

Transparenz

Wir halten es zudem für notwendig, dass die Verfahren an verschiedener Stelle transparenter gestaltet werden:

  1. Antragsdossiers müssen weit gehend veröffentlicht werden.
  2. Entscheidungswege, Gremienbesetzungen und Entscheidungen der EU-Zulassungen müssen deutlich transparenter werden.

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Unabhängige Risikoforschung stärken

Außerdem sind wir der festen Überzeugung, dass die unabhängige Risikoforschung gestärkt werden muss. Zumindest ein Teil der Risikobewertung von GVO muss von unabhängigen Gutachterinnen und Gutachtern durchgeführt werden. Die EU muss dafür ein plausibles Konzept vorlegen, in dem die Antragsteller an der Finanzierung der unabhängigen Risikoforschung beteiligt werden, soll heißen, diese in weiten Teilen finanzieren.

Spezielle Anforderungen an eine Risikobewertung von GVO und deren Beobachtung nach dem Inverkehrbringen:

Wir möchten an dieser Stelle betonen, das wir hier nur beispielhafte Kritikpunkte vorbringen. Die Punkte dürfen nicht als abgeschlossene Liste verstanden werden. Wir haben uns entschlossen auch zu dem Punkt Monitoring den einen oder anderen Kommentar abzugeben, auch wenn dieser Punkt - nach den Vorstellungen der EFSA - nicht Teil des Verfahrens sein soll.

Familiarity und substantial equivalence

Das draft guidance document nennt zwei Konzepte, die im Rahmen von vergleichenden Überprüfungen von gentechnisch veränderten Organismen (mit ihren isogenen konventionellen und ggf. mit ihren Eltern-Linien) zur Anwendung kommen (sollen): Diese sind familiarity (etwa: Vertrautheit oder Bekanntheit) und die substantial equivalence (Substantielle Äquivalenz; etwa: wesentliche Gleichwertigkeit). Unbeschadet der im draft guidance document genannten Bezüge zu den Arbeiten internationaler Organisationen 2 , 3 über die Bewertung der Umwelt- und Nahrungsmittelsicherheit von GVO muss festgestellt werden, dass die Aussagekraft der genannten Konzepte im Rahmen der Risikobewertung von GVO in einer Reihe von wissenschaftlichen Publikationen kritisiert wird und diese nicht selten zu dem Schluss gekommen sind, dass sie unter Anwendung neuerer Erkenntnisse der Genomforschung in Zweifel gezogen werden muss. Siehe für eine Übersicht zum Beispiel: Terje Traavik, Kaare M. Nielsen und David Quist: „Genetically engineered cells and organisms: substantially equivalent or different?”; in: Terje Traavik und Lim Li Ching (eds.): Biosafety First; 2007. Generell ist weder das Konzept der familarity noch das der substantiellen Äquivalenz der neuen Qualität der wissenschaftlichen Fragen, die sich in der Ära der Postgenomik stellen, angemessen. Die Ergebnisse der Grundlagenforschung zeigen, dass die Wechselwirkungen im Genom wesentlich komplexer sind als ursprünglich angenommen 4 , 5 Da bei gentechnischen Eingriffen nicht nur die genetische Information, sondern auch die Gen-Regulation teilweise außer Kraft gesetzt wird,6 ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Ähnlichkeit zwischen konventioneller Pflanze und gentechnisch veränderter Pflanze nicht Ausgangspunkt und Basis der Risikobewertung sein kann. Vielmehr müssen alle gentechnisch veränderten Pflanzen per se einem risk assessment unterworfen werden,7 das von der Methodik als eine Art Crash-Test (siehe oben) aufgebaut ist. Das heißt die Pflanzen werden unter verschiedenen Bedingungen (zum Beispiel verschiedenen Umweltstressreizen) und auf längere Zeit gezielt auf Schwachstellen (wie Schwankungen in der Expression des neuen Gens) untersucht. Als ein Standard sollte der Test unter kontrollierten Bedingungen in einer Klimakammer durchgeführt werden 8 . Weiterhin müssen potentielle Auswirkungen auf das Nahrungsnetz umfassend und unter voller Berücksichtigung von unerwarteten Effekten bei Ziel- und Nichtzielorganismen, auf allen Stufen des Nahrungsnetzes untersucht werden.

Bewertung Herbizid-resistenter GVO mit ihrem Herbizid

Trotz der Zuordnung der Risikobewertung von so genannten Pflanzenschutzmitteln (= Unkrautvernichtungsmittel, Herbizide oder andere obligatorisch in Verbindung mit einem GVO ausgebrachte Mittel) in den Zuständigkeitsbereich der Richtlinie 91/414/EEC (vom 15. Juli 1991 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln - siehe zum Beispiel draft guidance document, Zeile 429ff) halten wir es für unabdingbar, dass eine intensivere Bewertung von einem GVO in Verbindung mit dem (seinem) Herbizid vorgenommen wird. Dies gilt sowohl für die Untersuchung des GVO selbst als auch für die Untersuchung möglicher schädlicher Effekte durch die vermehrte Anwendung des Herbizids in Verbindung mit dem GVO. Es mag sinnvoll sein, die Unkrautvernichtungsmittel auch für sich genommen - entsprechend der Richtlinie 91/414/EEC - zu überprüfen, dem soll nicht per se widersprochen werden.

Monitoring

Im draft guidance document wird in den allgemeinen Einlassungen über einen Umwelt-Beobachtungsplan (auch: Umweltverträglichkeitsprüfung - Environmental Monitoring Plan) ein dafür wichtiger Grundsatz aus dem Anhang der Freisetzungs-Richtlinie (2001/18) der EU unterschlagen: Neben den im draft guidance document genannten „direct or indirect, immediate and/ or delayed adverse effects of GMOs, their products and their management to human health or the environment, after the GMO has been placed on the market” (direkten oder indirekten, unmittelbaren und/ oder verzögerten negativen Effekten [gentechnisch veränderter Organismen] GVO, ihrer Produkte und deren Management auf die menschliche Gesundheit oder die Umwelt, nachdem die GVO in Verkehr gebracht worden sind), besteht der Freisetzungs-Richtlinie zufolge ein „allgemeiner Grundsatz für die Umweltverträglichkeitsprüfung darin, dass eine Analyse der mit der Freisetzung und dem Inverkehrbringen zusammenhängenden ‚kumulativen langfristigen Auswirkungen‛ durchzuführen ist”. Die EFSA fordert ein fallspezifisches Monitoring (eine fallspezifische Beobachtung) für einen GVO nur in solchen Fällen, wenn ein etwaiges Risiko bereits annähernd erwiesen ist („Where there is scientific evidence of a potential adverse effect linked to the genetic modification, then case-specific monitoring should be carried out after placing on the market” - Gibt es eine wissenschaftliche Evidenz für einen potentiellen negativen Effekt, der mit der gentechnischen Veränderung [des GVO] zusammenhängt, soll nach dem Inverkehrbringen eine fallspezifische Beobachtung durchgeführt werden - draft guidance document, Zeile 2212ff). Wir denken, dass dies nicht plausibel ist, da es in der Regel nicht leistbar ist, bereits auf der Basis der Risikobewertung derart umfassend - mit wissenschaftlicher Evidenz - „vorherzusehen” und/ oder zu beschreiben, welcher Art die Risiken sind, die von einem bestimmten GVO für eine bestimmte Umgebung/ für eine bestimmte Umwelt ausgehen. Dies ist umso bedeutender, als dass die zitierte Einschränkung auch im Kontext von möglichen unvorhergesehenen negativen Effekten („Monitoring of effects: Foreseen and unforeseen”) beschrieben wird. Ein fallspezifisches Monitoring sollte demgegenüber die konsequente Fortführung des fallspezifischen Zulassungsverfahrens und entsprechend obligatorisch sein. Da das Monitoring ganz wesentlich auf der Grundlage des Vorsorgeprinzips beruht und sich nicht nur auf bereits bekannte und abgesicherte Risiken beschränken darf, ist die Entscheidung über die Art und Weise des Monitorings grundsätzlich dem risk management zuzuordnen. Die EFSA sollte sich darauf beschränken, bei allen ihren Stellungnahmen alle möglichen Elemente eines fallspezifischen Monitorings zu beschreiben, unabhängig davon ob sie die Durchführung für notwendig hält. Die Entscheidung über das Monitoring muss aber auf der Ebene des risk management getroffen und auch politisch verantwortet werden.

Untersuchung auf gesundheitliche Risiken

Wie der Fall des gentechnisch veränderten Mais MON863 zeigt, sind die derzeitigen Standards der Risikobewertung nicht nur im Hinblick auf ihre statistische Auswertung strittig.9 Der Fall einer Erbse, die mit einem Eiweiß (Amylase) aus der Bohne verändert wurde 10 , zeigt, dass aus gentechnisch veränderten Pflanzen erhebliche gesundheitliche Risiken resultieren. Eine vertiefte Analyse des Falles verdeutlicht,11 dass die derzeitigen Standarduntersuchungen, wie sie auch von der EFSA vorgesehen sind, in diesem Fall kaum geeignet gewesen wären, dieses Risiko zu erkennen. EFSA muss aus den Fällen wie MON863 und der Amylase-Erbse umfassende Konsequenzen für die eigenen Vorgaben ziehen. Das ist in der jetzt präsentierten Vorlage in keinster Weise erfolgt.
In dem hier unten auf der Seite verlinkten pdf-Dokument finden Sie den Brief an Bundeslandwirtschaftsminister Horst Seehofer. Das Anschreiben an Bundesumweltminister Sigmar Gabriel ist diesem pdf-Dokument hinten angehaengt.

  • 1Then, Christoph & Lorch, Antje, 2008. A simple question in a complex environment: How much Bt toxin do genetically engineered MON810 maize plants actually produce? In Breckling, B., Reuter, H. & Verhoeven, R. (2008) Implications of GM-Crop Cultivation at Large Spatial Scales. Theorie in der Ökologie 14. Frankfurt, Peter Lang. (in print) www.gen-ethisches-netzwerk.de
  • 2siehe www.oecd.org/dataoecd/26/26/1958527.pdf?channelId=34537&homeChannelId=3… - OECD, 1993a. Safety Considerations for Biotechnology: Scale-up of Crop Plants. OECD, 1993. OECD, 1993b. Safety evaluation of foods derived by modern biotechnology: concept and principles. OECD, 1993. www.oecd.org/dataoecd/57/3/1946129.pdf?channelId=34537&homeChannelId=33…. (der im EFSA draft guidance document angegebene Internet-Link ist nach unseren Erfahrungen nicht aktuell.)
  • 3NEU: http://www.fao.org/wairdocs/ae584e/ae584e00.htm, abgerufen am 19.09.08 - WHO/FAO, 2000. www.fao.org/3245 g/es/ESN/food/pdf/gmreport.pdf www.fao.org/es/esn/food/risk_biotech_aspects_en.stm. (die im EFSA draft guidance document angegebenen Internet-Links sind nach unseren Erfahrungen nicht aktuell.)
  • 4The Encode Project Consortium, 2007. Identification and analysis of functional elements in 1% of the human genome by the ENCODE pilot project. Nature, Vol 447, 14. Juni 2007, Seite 812.
  • 5Richard M. Clark, Gabriele Schweikert, Christopher Toomajian, Stephan Ossowski, Georg Zeller, Paul Shinn, Norman Warthmann, Tina T. Hu, Glenn Fu, David A. Hinds, Huaming Chen, Kelly A. Frazer, Daniel H. Huson, Bernhard Schölkopf, Magnus Nordborg, Gunnar Rätsch, Joseph R. Ecker, Detlef Weigel: Common Sequence Polymorphisms Shaping Genetic Diversity in Arabidopsis thaliana. Science 20.07.07. Siehe auch: Presseerklärung der Max Planck Gesellschaft, 20.07. 2007, http://www.mpg.de/english/illustrations Documentation/documentation/pressReleases/2007/pressRelease20070718/index.html.
  • 6Diehn, S. et al, 1996, Problems that can limit the expression of foreign genes in plants: lessons to be learned from B.t. toxin genes. Genetic engineering - principles and methods, Band 18, Seiten 83-99.
  • 7Siehe UPDATED GUIDANCE DOCUMENT FOR THE RISK ASSESSMENT OF GENETICALLY MODIFIED PLANTS AND DERIVED FOOD AND FEED, The EFSA Journal (2008) 727, 1-135, Draft document adopted in May 2008, Seite 16: „Where no comparator can be identified, a comparative safety assessment cannot be made and a comprehensive safety and nutritional assessment of the GM crop derived food/feed per se should be carried out.“
  • 8www.gen-ethisches-netzwerk.de/gen/2008/crash-test
  • 9Séralini, G.-E., Cellier, D. & Spiroux de Vendomois, J. 2007. New analysis of a rat feeding study with a genetically modified maize reveals signs of hepatorenal toxicity. Archives of Environmental Contamination and Toxicology.
  • 10Prescott V.E. et al, 2005. Transgenic expression of bean a-amylase inhibitor in peas results in altered structure and immunogenicity. J Agricultural and Food Chemistry, 53, 9023-30.
  • 11Valenta, R. & Spök, A., 2008. Immunogenicity of GM peas. BfN Skripten 239, Bundesamt für Naturschutz, Bonn.
5. Oktober 2008

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