Kommt der Test?

Bluttests auf Trisomien vor Kassenzulassung

Die Entscheidung um die Kassenzulassung der Bluttests auf Trisomien rückt näher, der Diskurs um die gesundheitspolitischen und gesellschaftlichen Folgen nimmt Fahrt auf.

Gegen behindertenfeindliche Politik

Aktive und Schauspieler*innen des Berliner RambaZamba Theaters zeigen behindertenfeindlicher Politik den Finger. Foto: Kirsten Achtelik (c)

Er hat es getan: Am 22. März veröffentlichte der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) seinen Beschlussentwurf zur Finanzierung der nichtinvasiven pränatalen Bluttests (NIPT) auf die Trisomien 13, 18 und 21. Das Gremium, das entscheidet, ob medizinische Leistungen von den gesetzlichen Krankenkassen finanziert werden, will die Mutterschafts-Richtlinien so ändern, dass die Untersuchungen künftig „nach ärztlicher Beurteilung im konkreten Einzelfall“ übernommen werden sollen, „um der Schwangeren eine Auseinandersetzung mit ihrer individuellen Situation hinsichtlich des Vorliegens einer Trisomie im Rahmen der ärztlichen Begleitung zu ermöglichen.“(1) Der Test soll nicht als Reihenuntersuchung (Screening) allen Schwangeren angeboten werden, sondern nur denen mit einem besonderen Risiko, erläuterte der Vorsitzende des G-BA, Josef Hecken.

Die Patient*innenvertretung, die Teil des G-BA ist, aber kein Stimmrecht hat, sprach sich dafür aus, dass die Tests erst ab der vollendeten 12. Schwangerschaftswoche (SSW) durchgeführt werden sollten. Eine empfohlene Abklärung durch invasive Methoden kann erst ab der 15. SSW erfolgen, weswegen Schwangere nach einem positiven NIPT-Befund mehrere Wochen belastende Wartezeit vor sich hätten. Zudem solle verhindert werden, dass die Schwangerschaft ohne diagnostische Bestätigung der genetischen Abweichung aus Furcht vor der Behinderung und den Hürden der medizinischen Indikation innerhalb der zwölfwöchigen Beratungsregelung abgebrochen wird.

Das Stellungnahmeverfahren zum jetzigen Beschlussentwurf lief bis Anfang Mai, zu Redaktionsschluss war also das Ergebnis noch nicht bekannt. Anders als üblich sollen nicht nur Organisationen wie wissenschaftliche Fachgesellschaften, die Bundesärztekammer, der Deutsche Ethikrat oder die Gendiagnostik-Kommission stellungnahmeberechtigt sein, vielmehr soll das Verfahren geöffnet werden und alle Stellungnahmen, die über die reine Methodenbewertung hinausgehen, gebündelt dem Bundestag zur Verfügung gestellt werden.

Methodisch wird an dem Vorschlag vor allem kritisiert, dass zur Problematik und Gefährlichkeit der invasiven Untersuchungen veraltete Zahlen und Wahrscheinlichkeiten herangezogen wurden. Dies war auch schon bei dem Gutachten des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), auf das der G-BA sich stützt, problematisiert worden. Neuere Studien legen nahe, dass das Risiko eines Spontanaborts bei professioneller Durchführung nicht bei rund einem Prozent liegt sondern wesentlich darunter.(2) Damit entfällt aber das bisher stärkste Argument der Befürworter*innen der Kassenfinanzierung der Tests.

Die ethisch-gesellschaftliche Kritik an dem Entwurf zielt vor allem auf die fehlende konkrete Definition für Risikoschwangerschaften und die damit verbundenen Ausweitungstendenzen, die eine Finanzierung für jede Frau, die sich genügend Sorgen macht, in naher Zukunft wahrscheinlich erscheinen lassen. Damit sei auch ein gesellschaftlicher Druck verbunden, den niedrigschwelligen Test durchführen zu lassen, geben das Netzwerk gegen Selektion durch Pränataldiagnostik, das Gen-ethische Netzwerk und zehn weitere Organisationen in einem ausführlichen Argumentationspapier zu bedenken.(3) Allerdings weist der G-BA in seiner Begründung zu Recht darauf hin, dass auch für die bisher kassenfinanzierte Pränataldiagnostik keine abschließende Definition vorliegt,(4) das gilt sowohl für zusätzliche Ultraschalluntersuchungen als auch für invasive Verfahren. Der Vorschlag fügt sich also durchaus in die Logik der historischen Entwicklung der pränatalen Suche nach Beeinträchtigungen am Fötus ein, allerdings wird diese Logik ja auch schon genauso lange als behindertenfeindlich kritisiert.

Geschickter Weise orientiert sich der G-BA in seiner Begründung nicht nur an der bisherigen Praxis der pränatalen Diagnostik sondern bezieht sich auch auf die Formulierung des Bundesverfassungsgerichts zur Rechtfertigungsmöglichkeiten für Schwangerschaftsabbrüche und die medizinische Indikation.(5) Durch diese Einbettung macht er seine Empfehlung relativ unangreifbar, wenn die geltenden Regeln nicht in Frage gestellt werden.

Die Orientierungsdebatte

Am 11. April gab sich der Bundestag zwei Stunden Zeit, um eine Orientierungsdebatte über den Bluttest und dessen etwaige Aufnahme in die Kassenversorgung zu führen. Jede*r Abgeordnete hatte nur drei Minuten Zeit, was zu einer etwas angespannten Atmosphäre führte.(6) Die meisten Abgeordneten sprachen sich dagegen aus, den Bluttest allen Schwangeren kassenfinanziert anzubieten – eine Abgrenzung, die als rhetorische Figur interpretiert werden kann, da diese Option niemand vorgeschlagen hat. Einige Redner*innen ließen bedauerlicherweise größere Unkenntnisse in der Funktionsweise der Test, der bisherigen Praxis der pränatalen Diagnostik und den Mechanismen des deutschen Gesundheitssystems erkennen. Das Bekenntnis zu mehr Inklusion und Teilhabe von Menschen mit Behinderung war beinah omnipräsent – solche Beteuerungen sind aber wohlfeil, solange es um keine konkreten Maßnahmen geht.(7) Behindertenpolitische Aktivist*innen werden die Parteien an ihre schönen Worte zu erinnern wissen.

Die Behindertenbeauftragte der Grünen, Corinna Rüffer, war die erste, die die Menschen mit Trisomie 21 und ihre Familien, die die Debatte auf der Zuschauer*innentribüne verfolgten, explizit begrüßte.(8) Als einer der wenigen Redner*innen sprach SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach etwas konkreter über mögliche Änderungen der Architektur des Gesundheitswesens. Er schlug ein weiteres Gremium vor, das statt dem G-BA über die Zulassung von pränatalen Tests überhaupt und über die Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenkassen entscheiden solle. Dieses Gremium solle durch „Ethiker, Wissenschaftler, Soziologen, Psychologen“ besetzt werden. Der G-BA war oft dafür kritisiert worden, dass er nur unter medizinischen und ökonomischen Aspekten entscheidet. Kathrin Vogler von der Linkspartei thematisierte im Hinblick auf zukünftig wahrscheinliche Tests auf unterschiedlichste Beeinträchtigungen eine nötige Novelle des Gendiagnostikgesetzes, sowie einen Ausbau der Beratung.

Ausblick

Die Orientierungsdebatte im Bundestag hat nicht viele Hinweise geboten, ob und wie sich der Gesetzgeber weiter mit dem Thema beschäftigen wird. Hier werden voraussichtlich in nächster Zeit in den jeweiligen Ausschüssen des Bundestages Initiativen gestartet werden.

Der G-BA macht keine Anstalten, seinen Entscheidungsprozess anzuhalten oder die Ergebnisse etwaiger aus der Bundestagsdebatte entstehender Prozesse abzuwarten. Vielmehr will er voraussichtlich im August einen gegebenenfalls angepassten Beschlussentwurf in öffentlicher Sitzung abschließend beraten und entscheiden. In Kraft treten würde der Beschluss dann gleichzeitig mit einer geplanten Versicherteninformation im Herbst 2020.(9)

 

Fußnoten:

(1)    Gemeinsamer Bundesausschuss (2019): Beschlussentwurf des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der Mutterschafts-Richtlinien (Mu-RL): Nicht-invasive Pränataldiagnostik zur Bestimmung des Risikos autosomaler Trisomien 13, 18 und 21 mittels eines molekular-genetischen Tests (NIPT) für die Anwendung bei Risikoschwangerschaften im Rahmen der Mu-RL. Online: www.g-ba.de oder www.kurzlink.de/gid249_l [letzter Zugriff: 02.05.2019].
(2)    Scharf, Alexander; Frenzel, Jochen; Axt-Fliedner, Roland: Invasive Pränataldiagnostik: Abortrisiken reevaluiert, Frauenarzt 1/18, S.33-35.
(3)    Bundesverband evangelische Behindertenhilfe et al. (11.04.2019): Warum wir uns gegen eine Kassenzulassung des nichtinvasiven Pränataltests auf Trisomie 21 und weitere Trisomien aussprechen! Online: www.gen-ethisches-netzwerk.de/node/3910 [letzter Zugriff: 02.05.2019].
(4)    Gemeinsamer Bundesausschuss (22.03.19): Tragende Gründe zum Beschlussentwurf des Gemeinsamen Bundesausschusses über eine Änderung der Mutterschafts-Richtlinien (Mu-RL): Nicht-invasive Pränataldiagnostik zur Bestimmung des Risikos autosomaler Trisomien 13, 18 und 21 mittels eines molekulargenetischen Tests (NIPT) für die Anwendung bei Risikoschwangerschaften. Online: www.g-ba.de oder www.kurzlink.de/gid249_m [letzter Zugriff: 02.05.2019].
(5)    Die Richter*innen urteilten 1993, eine Abtreibung sei nur hinzunehmen, wenn das Gebären und die Aufzucht des Kindes „die zumutbare Opfergrenze übersteige“ (BVerfGE 88, 203 - Schwangerschaftsabbruch II. Online: www.servat.unibe.ch/dfr/bv088203.html [letzter Zugriff: 02.05.2019]). Mit der 1995 erfolgten Streichung der embryopathischen Indikation in der letztmaligen Reform des Paragrafen 218 ist diese Formulierung auch für Abbrüche nach Feststellung einer fötalen Beeinträchtigung relevant, da die medizinische Indikation auf die erwartete gesundheitliche Belastung der Schwangeren zielt und eben nicht mehr auf die prognostizierte Schwere der Beeinträchtigung des Fötus.
(6)    Deutscher Bundestag (11.04.2019): Plenarprotokoll 19/95. Online: http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/19/19095.pdf [letzter Zugriff: 02.05.2019].
(7)    Zu den Redebeiträgen der AfD siehe den Artikel „Fundis für Föten“ S.9. In der Debatte verwahrte sich René Röspel von der SPD ausdrücklich gegen die „Krokodilstränen“ der AfD.
(8)    Zu der lautstarken Demonstration dieser Akteur*innen am Vortag der Orientierungsdebatte siehe Bewegung, S.5.
(9)    Gemeinsamer Bundesausschuss (22.03.2019): Pressemitteilung. Online: www.g-ba.de/presse/pressemitteilungen/789 [letzter Zugriff: 02.05.2019], hier auch Hintergründe zum Verfahren.

GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
249
vom Mai 2019
Seite 34 - 36

Kirsten Achtelik arbeitet als freie Autorin und Journalistin zu behinderten- und geschlechterpolitischen Themen.

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Gemeinsame Stellungnahme von 27 Organisationen, darunter das GeN

„Ja“ zur Vielfalt des menschlichen Lebens!

Deshalb:

• Aufklärung über das Leben mit Beeinträchtigungen!

• Keine Bluttests auf genetische Abweichungen (NIPT) auf Kassenkosten!

• Mehr und bessere Beratungsangebote vor, während und nach vorgeburtlichen Untersuchungen mit Beteiligung der Behindertenselbsthilfe!

Den Bluttest auf genetische Abweichungen in den Leistungskatalog der Krankenkassen aufzunehmen bedeutet:

• die Angst vor Behinderung zu verstärken.

• die Diskriminierung von Menschen mit Beeinträchtigungen zu verschärfen.

• Menschen mit Beeinträchtigungen in unserer Gesellschaft als „vermeidbar“ und nicht willkommen zu bewerten.

• die Verpflichtungen der UN-Behindertenrechtskonvention nicht zu beachten.

• mit dem Eindruck, dieser Test sei medizinisch sinnvoll, falsche Hoffnungen bei werdenden Eltern zu wecken.

• den Druck auf Schwangere „alles zu tun, alles zu testen“ zu erhöhen.

• die Tür für die Kassenzulassung weiterer Tests auf genetische Merkmale zu öffnen.

 

Fußnote:

(1) Arbeitskreis Down-Syndrom Deutschland et al. (20.03.2019): Gemeinsame Stellungnahme.
Online: www.gen-ethisches-netzwerk.de/node/3905 [letzter Zugriff: 02.05.2019].

Der Runde Tisch

Einige Tage vor der Orientierungsdebatte Mitte April im Bundestag hatte der Berufsverband niedergelassener Pränatalmediziner (BVNP) zu einem Runden Tisch geladen, um über die anstehende Kassenzulassung des Bluttests auf die Trisomien 13, 18 und 21 zu diskutieren. 60 Vertreter*innen der verschiedenen, medizinischen Fachgesellschaften und Berufsverbände, Kirchen, Sozialverbände und Träger von Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen, Selbsthilfegruppen und kritische Organisationen (darunter das GeN) tauschten sich über ihre jeweiligen Bedenken aus. Die Problem­analysen und Lösungsansätze waren dabei durchaus kontrovers bis gegensätzlich: Das Problem vieler Mediziner*innen mit dem Test schien eher zu sein, dass mit ihm nur wenige genetische Konstellationen gefunden werden können und eine Kassenfinanzierung des NIPT dazu führen könnte, dass andere Beeinträchtigungen des Fötus übersehen würden, während zivilgesellschaftliche Akteure die Ausdehnung der Diagnostik, einen zunehmenden Druck auf Schwangere und negative Folgen für Menschen mit Beeinträchtigungen in den Mittelpunkt stellten.

Da aber niemand der Anwesenden mit dem Entwurf des G-BA zufrieden war, konnten sich die Beteiligten auf eine gemeinsame kurze Erklärung einigen, die die Forderung nach einem Moratorium für den G-BA-Prozess enthält:

Erklärung des Runden Tisches „NIPT als Kassenleistung“

„Der aktuell vorliegende Beschlussentwurf des G-BA und der Entwurf zu den tragenden Gründen ist grundlegend überarbeitungsbedürftig: Beispielhaft wichtige Punkte sind die Definition der medizinischen Notwendigkeit und die Aktualisierung der Daten zur Testqualität des NIPT, das Fehlen anderer, im Rahmen der Pränataldiagnostik angewendeten Untersuchungsverfahren und der Bezug zu gesellschaftlichen Kontexten. Gleiches gilt für das Verständnis des Begriffs der Risikoschwangerschaft.

Im Sinne einer sinnvollen, sachgerechten und nachhaltigen Lösung zur Versorgung von Schwangeren fordern die unterzeichnenden Teilnehmerinnen und Teilnehmer ein Moratorium hinsichtlich des aktuellen G-BA-Methodenbewertungsverfahrens.“

 

Fußnoten:

(1) Kohlschmidt, Nicolai et al. (08.04.2019): Runder Tisch „NIPT als Kassenleistung“. Online: www.gen-ethisches-netzwerk.de/node/3912 und www.bvnp.de [letzter Zugriff: 02.05.2019].

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