Anfang der Ausweitung

Test auf Trisomie wird Kassenleistung

Entgegen mannigfaltiger Kritik beschloss der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) am 19. September die nicht invasiven pränatalen Tests (NIPT) auf die Trisomien 21, 13 und 18 in die Regelversorgung der gesetzlichen Krankenkassen aufzunehmen.

Gemeinsamer Bundesausschuss

Foto: © G-BA

Mit dieser Reform der Mutterschaftsrichtlinien findet ein seit 2013 andauernder Prozess, den das GeN zusammen mit anderen Organisationen häufig und scharf kritisiert hat, einen vorläufigen Abschluss.1 Die neuen Richtlinien treten erst mit der Veröffentlichung einer Patient*inneninformation in Kraft. Deren Fertigstellung durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) ist für das Ende des kommenden Jahres vorgesehen. Dann erst wird der Test durch die Kassen finanziert werden. Dieser Beschluss zeigt einmal mehr die Fokussierung auf Information und Beratung der einzelnen Schwangeren. Die damit verbundene Individualisierung und Verantwortungsverschiebung erscheint als logische Konsequenz von fehlender gesellschaftlicher Handlungsfähigkeit beziehungsweise des Unwillens, größere gesellschaftliche Probleme anzugehen.

Der unparteiische Vorsitzende des Ausschusses, Josef Hecken, wurde auch während dieser Ausschusssitzung nicht müde, sein seit Jahren etabliertes Mantra zu wiederholen: Zwar habe diese Entscheidung große ethische und gesellschaftliche Auswirkungen, über die habe aber der G-BA nicht zu entscheiden, vielmehr sei die Politik gefragt. Diese Position verleugnet die eigene Handlungsfähigkeit und übersieht, dass die jetzige Entscheidung sehr wohl Politik macht – wie auch bereits die Entscheidungen der Vergangenheit, wie die Tests auf die Trisomien 13 und 18, die nicht Teil des ursprünglichen Herstellerantrags waren, in das Verfahren hineinzuholen oder die Umwandlung von einem Erprobungs- in ein Methodenbewertungsverfahren.

Thema: Beratung

Nicht nur die jetzige Entscheidung, sondern auch ihre Begründung wird voraussichtlich weitreichende Folgen haben. Die NIPTs fallen auch ohne die Änderung der Mutterschaftsrichtlinien und eine Finanzierung durch die Krankenkassen unter das Gendiagnostikgesetz (GenDG). Dieses verfügt, dass die Beratung vor genetischen Tests bestimmten Kriterien genügen muss.2 Wenn Hecken aber in der improvisierten Pressekonferenz in einer Sitzungspause behauptet, der NIPT würde als Selbstzahler*innenleistung ohne jegliche Beratung durchgeführt, ignoriert er auf gefährliche Weise die geltende Gesetzeslage. In der Praxis mag unzureichende Beratung oft vorkommen, legal ist das nicht. Das Gendiagnostikgesetz gilt nicht nur für Leistungen, die von den Krankenkassen übernommen werden, sondern für alle Tests auf genetische Besonderheiten. Wenn der Ausschussvorsitzende den verabschiedeten Entwurf gegenüber der jetzigen Praxis als „Quantensprung“3 bezeichnet, suggeriert das, das hier ein Reglungsbedarf vorliegt. Nun könnte man argumentieren, dass es sinnvoll ist, bestimmte Gesetze in bestimmten Richtlinien zu wiederholen, um ihre Bekanntheit zu erhöhen. Wenn aber ein seit 2010 geltendes Gesetz wie das GenDG, das ja unter anderem die umfassende und frühzeitige Beratung von Schwangeren sicherstellen sollte, anscheinend regelrecht missachtet wird, liegt das Problem doch offensichtlich deutlich tiefer als pure Unkenntnis. Die fehlenden Beratungen dürften nicht nur die NIPTs betreffen, sondern auch die ebenfalls privat zu bezahlenden Ersttrimesterscreenings – auch hier wird schließlich nach der genetischen Besonderheit Trisomie 21 gesucht. Zudem erschließt sich nicht, warum eine Richtlinie eher eingehalten werden soll als ein ja immerhin mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr belegtes Gesetz. Wenn der Bundestag den Faden der Orientierungsdebatte vom April wieder aufnimmt und die politischen Rahmenbedingungen für die pränatale Diagnostik einer Revision unterzieht, sollte eine Evaluation der Sinnhaftigkeit und Einhaltung des GenDG auf jeden Fall dazugehören.

Thema: Unzumutbarkeit

Die jetzt beschlossene Reform der Mutterschaftsrichtlinien enthält keinen Verweis mehr auf ein bestimmtes „Risiko“ der Schwangeren als Begründung für pränatale Tests. Das ist einerseits gut, war der Risikobegriff doch schwammig und für eine Ausweitung der Anwendung geradezu prädestiniert. Die nun gewählte Alternative einer „unzumutbaren Belastung“ ist jedoch ebenso heikel. Die neue Formulierung verweist auf das Schwangerschaftskonfliktgesetz (SchKG). Dies mag zwar in den Gremien des G-BA „streitfrei“ (Hecken) gewesen sein, das macht es jedoch nicht weniger problematisch.
Das Schwangerschaftskonfliktgesetz ergänzt die Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen im Strafgesetzbuch (§§ 218ff.). Die Regelung der Tests an dieses Gesetz und seine Formulierungen zu binden, koppelt die pränatalen Tests unnötigerweise an Schwangerschaftsabbrüche, während auf der anderen Seite hartnäckig behauptet wird, es ginge lediglich um das Informationsbedürfnis von Schwangeren und eben nicht um die Ermöglichung von frühzeitigen Schwangerschaftsabbrüchen bei beeinträchtigten Föten. Die Formulierung einer „unzumutbaren Belastung“ ist zudem, ähnlich wie der Risikobegriff, maximal schwammig. In der Sitzung des G-BA wurde wiederholt und vehement zurückgewiesen, dass der NIPT auf die Trisomien als Screening eingeführt werde. Das ist insofern richtig, als die Tests nicht allen Schwangeren angeboten und nahegelegt werden. Für die reale Praxis und die Zahl der durchgeführten Tests dürfte das jedoch kaum einen Unterschied machen, wenn die Schwangere nur ihre Angst vor einem Kind mit Behinderung äußern muss und dies als Indikation für die Unzumutbarkeit der Belastung gilt.

  • 1Alle bisherigen Stellungnahmen und Analysen finden sich unter www.gen-ethisches-netzwerk.de/fortpflanzung-und-s….
  • 2§ 10 Genetische Beratung: „Die genetische Beratung erfolgt in allgemein verständlicher Form und ergebnisoffen. Sie umfasst insbesondere die eingehende Erörterung der möglichen medizinischen, psychischen und sozialen Fragen im Zusammenhang mit einer Vornahme oder Nichtvornahme der genetischen Untersuchung und ihren vorliegenden oder möglichen Untersuchungsergebnissen sowie der Möglichkeiten zur Unterstützung bei physischen und psychischen Belastungen der betroffenen Person durch die Untersuchung und ihr Ergebnis.“ www.buzer.de/gesetz/8967/index.htm
  • 3Alle nicht weiter ausgewiesenen Zitate beruhen auf einer Mitschrift der Autorin während der Sitzung des G-BA am 19.09.2019.
GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
251
vom November 2019
Seite 32 - 33

Kirsten Achtelik arbeitet als freie Autorin und Journalistin zu behinderten- und geschlechterpolitischen Themen.

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Neuer Bluttest

Wie Anfang Oktober bekannt wurde, bringt die Firma Eluthia1 einen NIPT auf Mukoviszidose, spinale Muskelatrophie, die Sichelzellkrankheit und Thalassämien auf den deutschen Markt, der „Unity-Test“ heißen wird. Der Test kann ab der 11. Schwangerschaftswoche durchgeführt werden und soll 695 Euro kosten. Die genetischen Besonderheiten, auf die der Test screent, sind vererblich, anders als Trisomien, die spontan entstehen. Daher beinhaltet der Test ein Screening auf eine Anlageträger*innenschaft (Carrier-Screening) für die Schwangere, bei dem eine vollständige Gensequenzierung durchgeführt wird. Das Carrier-Screening soll Eluthia zufolge eine Sensitivität von mehr als 99 Prozent für Mukoviszidose, mehr als 90 Prozent für spinale Muskelatrophie, mehr als 99 Prozent für β-Thalassämie und Sichelzellenkrankheit sowie mehr als 95 Prozent für α-Thalassämie haben. Nur wenn die werdende Mutter sich als Anlageträgerin erweist, soll der zweite Teil des Tests, der NIPT, durchgeführt werden. Der NIPT-Teil des Testes soll nach Herstellerangaben eine Sensitivität von mehr als 98,5 Prozent und einer Spezifität von über 99 Prozent aufweisen.2 Warum das Carrier-Screening nicht auch bei dem werdenden Vater durchführt wird, ist unklar.

(Kirsten Achtelik)

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