Das Reproduktionseldorado Spanien

Artikelreihe Teil 1: Die Ökonomisierung der spanischen „Eizellspende“

Spanien ist europaweit führend, was assistierte Reproduktion allgemein und die „Eizellspende“ im Speziellen anbelangt. Das liegt an der spezifischen medizinischen, rechtlichen, wirtschaftlichen und politischen Situation Spaniens, welche in diesem Artikel beleuchtet wird.

Hormonbehandlung

Die hormonelle Stimulation der Spender*in dauert etwa zwei Wochen. Foto: © Tamara Sánchez Pérez

„Im April 2013 war es, als wir begannen, ernsthaft über unsere berufliche Zukunft nachzudenken‘, begann Marina. Ganz allgemein habe die ökonomische Krise viele Fragen ausgelöst: ‚Wie soll es weitergehen? Sind unsere Renten noch gesichert? Wie sieht unsere Zukunft aus?‘. Marina und Pedro erzählten mir, wie sie damals realisierten, dass die Zeiten sich änderten: Auch wenn man einen guten Job hatte, war es möglich, von einem Tag auf den anderen arbeitslos zu werden. So begannen sie, sich Gedanken über eine selbständige Erwerbstätigkeit zu machen. Eines Abends waren sie bei Bekannten, welche zum Abendessen auch eine Direktorin einer Reproduktionsklinik eingeladen hatten. Der Abend wurde wegweisend für das Paar. Das Gespräch drehte sich – wie so oft – um die Krise. Das Votum der besagten Ärztin legte die Weichen für die Zukunft der beiden. Sie meinte nämlich lapidar: ‚Heute reden alle von urbanen Gärten und Selbstversorgung. Aber hört doch auf, eure Tomaten zu pflanzen, sondern bringt mir einfach blonde Frauen mit blauen Augen.‘ So entstand die Idee, eine Vermittlungsagentur zu gründen, welche Eizellspenderinnen an Kliniken weitervermittelt.“ (Tagebuchnotiz, Barcelona, 10.04.2017)

In der Geschichte von Marina und Pedro spiegeln sich verschiedene Facetten der Reproduktionsmedizin im spanischen Kontext wider: Die Technik der „Eizellspende“ ist fundamental für die Etablierung eines transnationalen Marktes, welcher sich – relativ krisenresistent – dynamisch entwickelt. Marinas und Pedros Geschäftsidee verweist darauf, dass in diesem Markt nicht mehr nur Kliniken, sondern auch viele andere Akteur*innen involviert sind: Von Eizellbanken über Spenderinnen-Vermittlungsagenturen bis hin zu Genetiklaboren. Die Nachfrage nach „blonden Frauen mit blauen Augen“ zeigt aber auch, dass der Bedarf nach „Eizellspenden“ primär von Seiten reisender Mittel- und Nordeuropäer*innen kommt. Darin eingeschrieben sind die rassifizierten „geographies of desirability“ (Begehrens-Geographien)1, sind doch gewisse Phänotype erwünschter als andere. Die „Eizellspende“ konnte sich schließlich gerade dank Verboten in anderen Ländern in Spanien zu einem rentablen Geschäftsmodell für die einen, und einer Subsistenzmöglichkeit für die anderen, entwickeln.

„Eizellspende“ und „finanzielle Entschädigung“

Die immer noch unstabile Wirtschaftslage mit einer der höchsten Arbeitslosigkeitsraten der EU ist auch der Grund dafür, dass die spanischen Kliniken auf eine schier unendliche Anzahl an jungen Frauen zählen können, welche bereit sind, für rund 1.000 Euro ihre Eizellen zu „spenden“. Im Jahr 2018 haben die spanischen Reproduktionskliniken 16.355 „Eizellspende“-Zyklen durchgeführt, daraus wurden insgesamt 294.089 Eizellen gewonnen.2 Die „Spenderinnen“ generieren damit den zentralen Rohstoff, ohne den die spanische Bioökonomie nicht funktionieren würde. Über den „Transfer von reproduktiver Kapazität“3 leisten sie reproduktive Arbeit, welche aber nicht als solche anerkannt werden kann. Denn die „Eizellspende“ ist in Spanien gesetzlich nicht nur anonym, sondern auch als altruistisch festgelegt.4 Jedoch – und hier zeigt sich das Paradox, welches die spanische „Eizellspende“ auszeichnet – erhält die „Eizellspenderin“ eine „finanzielle Kompensation“, welche zur Zeit meiner Forschung, also von 2016 bis 2020, zwischen 900 und 1.300 Euro pro „Spende“ betrug. Im Vergleich dazu: Das durchschnittliche Monatseinkommen für einen Vollzeitjob in Spanien lag im Jahr 2020 bei 1.050 Euro.
Dass es sich bei dieser „finanziellen Kompensation“ de facto um eine Bezahlung handelt, wurde mir informell auch immer wieder bestätigt. Eine Embryologin, welche seit Jahrzehnten in Kliniken arbeitet, formulierte dies etwa so: „Der brutale Boom [der „Eizellspende“], das war in der Zeit der Wirtschaftskrise. Denn die Spenderinnen werden ja für ihre Unannehmlichkeiten entschädigt. In Krisenzeiten ist es schon ein Unterschied zwischen nichts verdienen und einer Kompensation erhalten. Auch wenn es nur wenig Geld ist, das macht einen Unterschied.“ (Verónica, Embryologin, Valencia, 13.07.2018). Und doch wird die offizielle Version einer „finanziellen Entschädigung“ aufrechterhalten. Denn klar ist: Babys, und somit auch Eizellen, dürfen und sollen nicht verkauft werden. Dass der Marktaspekt der Reproduktionsmedizin so vehement heruntergespielt wird, hat also auch marketingtechnische Gründe, und dies ist bei einem so transnationalen Markt wie dem spanischen unerlässlich. Von den Kliniken wird vielmehr das Bild einer altruistischen Studentin gezeichnet, nicht selten gepaart mit dem Verweis darauf, dass in Spanien auch viel Blut gespendet wird, Spanier*innen also allgemein sehr spendenfreudig seien. Zudem sei die Spende kulturell so lange schon etabliert, dass diese kein Tabu mehr darstelle.
Tatsächlich gehörte Spanien 1988 zu den ersten Ländern weltweit mit einer Gesetzgebung zu assistierter Reproduktion. Das erste Gesetz ist in der noch jungen Demokratie Spaniens unter der Regierung von Felipe González, ein Sozialist der spanischen Arbeiterpartei PSOE, entstanden und legalisierte beinahe alle damals möglichen Verfahren. So etwa die „Eizell- und Samenspende“, und dies auch für Alleinstehende oder lesbische Paare. Diese liberale Grundhaltung ist auch dem Zeitgeist zuzuschreiben: Die erste Dekade nach der langen Diktatur Francisco Francos (1936 – 1975) brachte nämlich in gesellschaftlicher Hinsicht eine Öffnung und Modernisierungswelle.5 Dieses Gesetz war also ein Kind seiner Zeit und bot eine günstige Ausgangslage für die Etablierung von Reproduktionskliniken mit internationalem Renommee.

Die Spezifika: Privatkliniken mit Fokus auf reproduktiver Mobilität

Heute wird der Reproduktionsmarkt in Spanien klar von den privaten Anbieter*innen dominiert: 80 Prozent der rund 250 spanischen Kliniken sind in privater Hand.6 Die „Eizellspende“ nimmt in diesem Geschäft eine führende Rolle ein: Im Jahr 2018 wurden 30 Prozent von den rund 150.000 In-vitro-Fertilisationen (IVF) mit gespendeten Eizellen durchgeführt. Der traditionell von Tourismus geprägte Mittelmeerraum beherbergt den größten Anteil dieser Kliniken.7
Die „reproduktive Mobilität“8, also die Reisen von ausländischen Paaren auf der Suche nach reproduktionsmedizinischen Verfahren und das Verschicken von Embryonen und Eizellen ins Ausland, ist die zentrale Treibkraft dieses Marktes. Gerade mit der Möglichkeit, Eizellen kryokonservieren zu können, hat sich die Option ergeben, über Eizellbanken Keimzellen ins Ausland zu verschicken. Dies wird beispielsweise in Zusammenarbeit mit italienischen Kliniken, wo die „Eizellspende“ ohne Vergütung seit 2014 wieder erlaubt ist, rege genutzt, denn in Italien finden sich nicht genügend „Spender*innen“. Dabei ist die Kinderwunschbranche trotz der hohen Investitionskosten ein relativ krisensicheres Geschäft, da der Wunsch nach Kindern für viele ein existenzielles Bedürfnis darstellt. So steigt das jährliche wirtschaftliche Wachstum der Reproduktionskliniken stetig an (mit einem leichten Rückgang 2019 aufgrund der Covid-Pandemie). Das totale Geschäftsvolumen der spanischen Reproduktionskliniken lag 2020 bei 460 Millionen Euro.9 Dabei zeichnet sich eine regelrechte Neoliberalisierung der Reproduktionsmedizin ab, wie das folgende Beispiel einer Klinik veranschaulicht.

Exemplarisch für den Markt: Die aufgekaufte Klinik

Während noch vor einem Jahrzehnt IVF-Kliniken lokale, oft von Reproduktionsmediziner*innen geführte Einzelplayer waren, geht die Tendenz heute hin zu transnationalen Klinikkonsortien, welche über den Verbund mit starken Finanzpartner*innen über das nötige Kapital verfügen, um diese kostenintensiven Bereiche zu finanzieren. Gerade alternative Investmentfirmen, welche über ein enormes Finanzkapital von privaten Investor*innen, aber auch von Pensionskassen verfügen, haben nach der ökonomischen Krise 2008 weltweit großen Aufschwung erhalten. Da die traditionellen Investments durch tiefe Zinsen kaum mehr rentabel waren, konzentrieren sich diese Firmen auf Private Equity. Damit ist die Kapitalbeteiligung an nicht börsennotierten Unternehmen mit dem Ziel, diese rentabel umzustrukturieren und dann mit hoher Rendite wieder zu verkaufen, gemeint. Reproduktionskliniken wurden so zu rentablen Anlageobjekten.
Exemplarisch für diese Entwicklung ist das Beispiel der katalanischen Klinik Eugin. Sie wurde 1999 von zwei Ärzten aus Barcelona gegründet. Sehr schnell wurde die Klinik zu einem wichtigen Akteur in Bezug auf internationale Kundschaft. Während Wunscheltern zuerst nach Barcelona reisten, um sich dort behandeln zu lassen, hat die Klinik im Laufe der Jahre weitere Standorte eröffnet. So beispielsweise in Kolumbien, Italien, Brasilien und Dänemark. 2010 hat ProA Capital, eine spanische Private Equity Gesellschaft, die Klinik aufgekauft. Nur vier Jahre später stellte ProA Capital das Klinikkonsortium, welches sie laut der Zeitung El Confidencial für weniger als 75 Millionen Euro gekauft haben soll, wieder zum Verkauf. Während sowohl das größte chinesische Finanzkonglomerat Fosun als auch die schwedische Private Equity Gesellschaft Nordic Capital Interesse am Kauf zeigten, wurde die Klinik schließlich von NMC Health, einem börsennotierten Gesundheitsunternehmen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, für 143 Millionen Euro aufgekauft.
Der spanische Markt der Reproduktionsmedizin ist also Teil einer kapitalistischen Wirtschaftslogik. Die liberale Gesetzgebung ergibt zusammen mit einem dynamischen Markt eine ideale Ausgangslage für (internationale) Investor*innen, welche über Restrukturierungen, Optimierungen und Relokalisierungen von Kliniken ihr Kapital vermehren.

Im nächsten Artikel dieser Reihe im GID 259 (erscheint 11 / 21) können Sie lesen, welche Rolle Gendiagnostik im Geschäft mit der „Eizellspende“ in Spanien spielt.

  • 1Vgl. Nahman, M. (2008): Nodes of Desire. Romanian Egg Sellers, ‘Dignity’ and Feminist Alliances in Transnational Ova Exchanges. In: European Journal of Women’s Studies 15, no. 2, S. 65-82, doi: 10.1177/1350506807088068 und Payne, J. (2015): Reproduction in transition: cross-border egg donation, biodesirability and new reproductive subjectivities on the European fertility market. In: Gender, Place & Culture 22, no. 1, S.107-122, doi: 10.1080/0966369X.2013.832656.
  • 2Die genauen Zahlen finden sich im aktuellen Bericht der spanischen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin. Mehr Infos: www.sefertilidad.net.
  • 3Vgl. Lafuente-Funes, S. (2020): Shall We Stop Talking about Egg Donation? Transference of Reproductive Capacity in the Spanish Bioeconomy. In: BioSocieties 15, S.207-225, doi: 10.1057/s41292-019-00149-5.
  • 4Art. 5, Abs. 3 des spanischen Gesetzes zu Reproduktionsmedizin 14/2006 besagt: „Die Spende darf niemals lukrativer oder kommerzieller Natur sein. Jegliche finanzielle Entschädigung darf nur die körperlichen Unannehmlichkeiten und die Reise- und Arbeitsausgaben, die durch die Spende entstehen können, strikt ausgleichen und darf keinen finanziellen Anreiz für die Spende bieten“ (eigene Übersetzung).
  • 5Alkorta Idiakez, I. (tziar. 2006): «Los derechos reproductivos de las mujeres vascas en el cambio de siglo: de la anticoncepción a la reproducción asistida». In: Discursos y prácticas de género. Mujeres y hombres en la historia de Euskal Herria, S.3545–3571. Donostia-San Sebastián: Eusko Ikaskuntza.
  • 6Siehe Fußnote (3) und (7).
  • 7Vgl. Pavone, V. / Arias, F. (2012): Beyond the Geneticization Thesis: The Political Economy of PGD/PGS in Spain. In: Sience, Technology, & Human Values 37, no. 3, S.235-261, doi: 10.1177/0162243911411195.
  • 8Schurr, C. (2019): Multiple mobilities in Mexico’s fertility industry. In: Mobilities 14, no. 1, S.103-119, doi: 10.1080/17450101.2019.1522881.
  • 9Informe Especial DBK (2021): Centros de Reproducción Asistida.
GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
258
vom August 2021
Seite 32 - 34

Laura Perler ist Sozialanthropologin und hat sich in ihrer Dissertation an der Universität St. Gallen mit dem spanischen Reproduktionsmarkt beschäftigt.

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Zur Autorin der Artikelreihe

Portrait Laura Perler

Laura Perler ist Sozialanthropologin und hat sich in ihrer Dissertation an der Universität St. Gallen mit dem spanischen Reproduktionsmarkt beschäftigt. In ihrer Arbeit „Die Verheissung gesundes Kind. Eine Analyse der spanischen Eizellenspendeökonomie“ untersucht sie das Zusammenkommen von assistierter und genetischer reproduktiver Technologie und zeigt dabei auf, was genau geschieht, wenn in Reproduktionskliniken „gesunde“ Kinder hergestellt werden sollen und dafür Drittparteien benötigt werden. Dabei geht es ihr auch darum, die unsichtbare Arbeit von „Spenderinnen“ sichtbar zu machen. In ihrem PostDoc-Projekt beschäftigt sich Laura Perler mit den reproduktiven Biografien von Frauen im schweizerischen Asylkontext. Zudem beschäftigt sie sich weiterhin mit dem Dissertationsthema: Aus einer Zusammenarbeit mit der valencianischen Fotografin Tamara Sánchez Pérez ist eine Fotoausstellung entstanden, welche in den nächsten Jahren in der Schweiz und in Spanien gezeigt werden soll. Zudem arbeitet sie an der Veröffentlichung ihrer Dissertation als Buch, welches im April 2022 bei Edition Assemblage erscheinen wird.

In diesem und in den nächsten zwei GID- Ausgaben gibt Laura Perler einen Einblick in ihre Dissertation. Dieser erste Artikel zeigt den ökonomisierten Kontext des spanischen Reproduktionsmarktes auf. Im nächsten Artikel (Teil 2) stehen die genetischen Trägertests im Fokus und im letzten Artikel (Teil 3) die Biografien der „Eizellspenderinnen“.