Eltern: drei, Garantien: keine
Mitochondrientransfer: experimentelle Technologie mit ungeklärten Folgen?
„1. Baby mit 3 Eltern kommt zur Welt: Wie geht das?“ titelte das Onlineportal Euronews im Mai 2023. Das stimmt nicht ganz: Das erste Baby, das auf diese Weise gezeugt wurde, kam schon 2016 zur Welt. Dennoch handelt es sich beim Mitochondrientransfer um eine experimentelle Technologie mit ungeklärten Folgen.
Der Mitochondrientransfer wurde ursprünglich als Technologie propagiert, um Menschen mit Uterus, bei denen eine vererbbare Funktionsstörung der Mitochondrien vorliegt, genetisch eigene Kinder zu ermöglichen – ohne das Risiko, schwerwiegende und unter Umständen auch lebensverkürzende Krankheitsanlagen weiterzugeben. Da die Mitochondrien vor allen Dingen für die Bereitstellung von Energie für die Körperzellen verantwortlich sind, zählen hierzu Erkrankungen, die mit Muskelschwäche, verlangsamter Entwicklung oder sogar dem Verlust bereits erworbener Fähigkeiten einhergehen können.
Als die Möglichkeit von Mitochondrientransfers bei menschlichen Eizellen ab 2012 nach erfolgreichen Tierversuchen öffentlich breiter diskutiert wurde, standen viele Hoffnungen im Raum: die Methode könne vielen Menschen ihren Kinderwunsch erfüllen, vielleicht sogar Krankheiten ausmerzen. Fakt ist aber: Bei ca. 85 Prozent der mitochondrialen Erkrankungen ist auch nukleäre DNA involviert, das Zusammenspiel wird dabei oft noch nicht vollständig verstanden. Außerdem wäre das Austragen einer Schwangerschaft für viele Menschen mit mitochondrialen Erkrankungen nicht möglich oder zumindest sehr riskant.1
Mitochondrien enthalten ihre eigene, vom Zellkern vollständig getrennte DNA (mtDNA), die maternal vererbt wird. Auch wenn das mitochondriale Genom nur 37 Gene enthält, sind diese keinesfalls unwichtig – so kodieren sie etwa für 13 der 80 an der Atmungskette beteiligten Proteinuntereinheiten. Und: das mitochondriale Genom ist etwa zehnmal anfälliger für Mutationen als das nukleäre.
Beim Mitochondrientransfer kommen vor allem zwei Methoden zum Einsatz: der sogenannte „maternal spindle transfer“ und der pronukleare Transfer. Für beide werden sogenannte Eizellspenden und die künstliche Befruchtung benötigt. Sie ähneln in den Grundzügen dem Verfahren, mit dem 1996 das Klonschaf Dolly gezeugt wurde.
Für den „maternal spindle transfer“ werden der Person mit Kinderwunsch Eizellen entnommen. Aus diesen werden dann in der Metaphase II der Zellteilung die Zellkerne entnommen und in die entkernte Eizelle einer anderen Person eingesetzt. Diese wird befruchtet und schließlich wieder der Empfänger*in implantiert. Der pronukleare Transfer läuft im Prinzip ähnlich ab, nur werden beide Eizellen schon vor der „Entkernung“ mit dem Sperma der gleichen Person befruchtet. Bei beiden Techniken gilt: es ist nicht möglich, einen sogenannten „Carryover“ komplett zu vermeiden. Ein kleiner Teil des Zytoplasmas haftet am entnommenen Zellkern – und trägt somit auch die mitochondriale DNA.
Carryover und andere unerwünschte Effekte
Eine kürzlich veröffentlichte Pilotstudie aus Griechenland 2 wirft nun ein genaueres Licht auf die Folgen der „unsauberen“ Übertragungstechnik. 25 kinderlose Paare hatten an der Studie teilgenommen, Grund war hier aber nicht eine vererbbare Erkrankung, sondern Unfruchtbarkeit. Angewandt wurde der „maternal spindle transfer“ und es wurden schließlich in 19 Fällen Embryonen eingesetzt, in sechs Fällen kam es zu einer Schwangerschaft, am Ende wurden fünf Kinder geboren. Sie entwickelten sich in den ersten 24 Lebensmonaten gesundheitlich völlig unauffällig. Allerdings zeigte eine DNA-Untersuchung einen unerwünschten Effekt: bei einem Kind vermehrte sich die versehentlich mitübertragene mtDNA schneller, als die mtDNA der Spenderin. Obwohl der Anteil im Blastozystenstadium bei lediglich 0,8 Prozent gelegen hatte und damit mit den Werten der anderen Embryonen vergleichbar war, lag er bei der Geburt bei 30 bis 60 Prozent. Ein Ergebnis, das den Nutzen des Mitochondrientransfers zur Vermeidung der Vererbung von Krankheiten in Zweifel ziehen lässt.
Dieser „reserval effect“ war zwar zuvor in Tierversuchen ebenfalls aufgetreten, allerdings weniger deutlich. Zwar haben Forscher*innen des Assisted Reproductive Department and Laboratory Animal Center des Shanghai Ninth People’s Hospital und der Shanghai JiaoTong University in einer Versuchsreihe 3 an Mäusen und menschlichen Eizellen nachgewiesen, dass mit einer verfeinerten Entnahmetechnik der Carryover deutlich reduziert werden kann, allerdings wurden die menschlichen Embryonen nach dem Blastozystenstadium verworfen – daher können keine Aussagen darüber getroffen werden, wie stark der „unerwünschte“ Anteil der mtDNA trotz des geringen Carryovers gewachsen wäre.
Aber das ist nicht das einzige Risiko. Beim Mitochondrientransfer findet eine genetische Veränderung statt, deren Folgen nicht nur unabsehbar sind – sie ist auch vererbbar und stellte damit zurecht lange ein Tabu dar. Das erste bekannte Kind, das nach diesem Verfahren zur Welt kam, ist mittlerweile sieben Jahre alt und augenscheinlich gesund. Doch um das Auftreten von Langzeiteffekten einschätzen zu können, müsste die Entwicklung bis ins höhere Erwachsenenalter begleitet werden – und die Stichprobe müsste größer sein.
Wegen der Mutationsanfälligkeit der mtDNA handelt es sich um einen äußerst sensiblen Bereich. Bereits kleine Veränderungen können fatale Folgen für den Energiestoffwechsel haben. Und: die „Zusammenarbeit“ mit der nukleären DNA ist für viele Prozesse entscheidend. Wie genau der Umstand, dass diese von einer anderen Person stammt, diese Schnittstellen beeinflusst, ist aber unklar. In Versuchen mit Fliegen zeigten sich hier bereits Kompatibilitätsprobleme.4
Rechtlicher Sonderfall Mitochondrientransfer?
Tatsächlich war Großbritannien lange das einzige Land, das den Mitochondrientransfer explizit gesetzlich geregelt und auch zugelassen hat – erst 2022 folgte Australien. In Großbritannien wurde bereits 2015 eine Ausnahme für das Verbot von gentechnischen Eingriffen an Embryos erlassen, das Vorhaben erhielt damals breite Unterstützung in der britischen Öffentlichkeit. Seit 2017 hat die Universität von Newcastle als einzige medizinische Einrichtung eine Lizenz, um den Eingriff durchzuführen. Die Genehmigung unterliegt strengen Auflagen. Seit der Legalisierung vor gut acht Jahren wurden weniger als fünf Kinder geboren, die mit dieser Methode gezeugt wurden. Und auch das bestätigte die zuständige Human Fertilisation and Embryology Authority (HFEA) erst auf eine Nachfrage des Guardian hin, die auf dem Freedom of Information Act beruhte.5
In den USA wurde die Debatte zwar etwa zeitgleich geführt, verlief aber völlig anders. Die zuständige Behörde Food and Drug Administration (FDA) hielt mehrere öffentliche Anhörungen ab, bei denen die Sprecher*innen den Risiken weitaus mehr Aufmerksamkeit schenkten. Die FDA gab schließlich eine Empfehlung ab, die unter anderem vorsah, dass nur männliche Embryos genutzt werden dürfen, um die maternale Weitervererbung der veränderten mtDNA zu verhindern.6 Zu einer Legalisierung kam es trotzdem nicht: ein Haushaltsgesetz verbietet die Finanzierung von gentechnischen Eingriffen an Embryonen.
In Deutschland sind derartige Eingriffe durch das Embryonenschutzgesetz von 1990 verboten. Schon die dem Mitochondrientransfer zugrunde liegende „Eizellspende“ ist untersagt. Allerdings wird das Gesetz derzeit von mehreren Seiten unter Beschuss genommen: die Bundesregierung lässt in einer Kommission unter anderem Möglichkeiten zur Legalisierung des Eizelltransfers prüfen und die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina verfolgt eine klare Agenda zur Ausweitung der Forschungsmöglichkeiten an Embryonen, sie sprach sich wiederholt für eine Neubewertung des Embryonenschutzgesetzes aus.7
Aber wozu überhaupt ein Mitochondrientransfer, wenn die Gefahr besteht, dass der Carryover defekter mtDNA das ursprüngliche Ziel der Krankheitsvermeidung zunichtemacht? Tatsächlich geht es vielfach um einen unerfüllten Kinderwunsch – ganz ohne vorliegende seltene Krankheiten. So war auch das Ziel der in Griechenland durchgeführten Pilotstudie nachzuweisen, dass mit dem „maternal spindle transfer“ Menschen mit unerklärter Unfruchtbarkeit (und nach vorherigen erfolglosen Versuchen mit herkömmlicher In-Vitro-Fertilisation) schwanger werden können. Der umstrittene Reproduktionsmediziner John Zhang, der auch das jordanische Paar betreute, dessen Kind 2016 in Mexiko geboren wurde, gründete noch im selben Jahr eine Firma namens „Darwin Life“. Er will die Technik zur „Verjüngung“ von Eizellen anwenden und kommerziell anbieten – vor allem für altersbedingte Unfruchtbarkeit.8
In der Realität bedeutet dieses Anwendungsinteresse auch: Wir haben es hier mit einem Eingriff in die menschliche DNA zu tun, der bereits stattfindet – wahrscheinlich weitaus häufiger, als bekannt und oft ohne entsprechende wissenschaftliche Begleitung. Denn vielerorts ist der Mitochondrientransfer zwar nicht explizit gesetzlich geregelt, aber eben auch nicht verboten. So preist zum Beispiel die ukrainische Fertilitätsklinik IVMED die Methode als Alternative zu herkömmlichen „Eizellspenden“ an.9 Nicht, weil die Erfolgsaussichten höher sind, den Kund*innen geht es hier um die genetische Verwandtschaft zum Kind, dessen DNA dann nur noch zu einem kleinen Teil von der „spendenden“ Person stammt. Dafür sind sie offenkundig bereit, ungeklärte Risiken für die Entwicklung des Kindes in Kauf zu nehmen, ebenso wie die Reproduktionsmediziner*innen.
- 1Cussins, J. (06.04.17): 3-Person IVF: Putting the First Legal Genetic Modification of Babies in Context. Online: www.kurzelinks.de/gid268-la [letzter Zugriff: 10.01.24].
- 2Costa-Borges, N. et al. (2023): First pilot study of maternal spindle transfer for the treatment of repeated in vitro fertilization failures in couples with idiopathic infertility. In: Fertility and Sterility 119, 6, S.964-973, www.doi.org/10.1016/j.fertnstert.2023.02.008.
- 3Liao, X. et al. (2023): Significant decrease of maternal mitochondria carryover using optimized spindle-chromosomal complex transfer. Online: www.doi.org/10.1371/journal.pbio.3002313.
- 4Henn, V. (19.04.23): Mitochondrien-Spende: Drei Eltern für ein Kind. Online: www.kurzelinks.de/gid268-lb [letzter Zugriff: 10.01.24].
- 5Sample, I. (09.05.23): First UK baby with DNA from three people born after new IVF procedure. Online: www.kurzelinks.de/gid268-lc [letzter Zugriff: 10.01.24].
- 6Reardon, S. (2016): US panel greenlights creation of male ‚three-person‘ embryos. In: Nature, 530, 142, www.doi.org/10.1038/nature.2016.19290.
- 7Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina (2021): Stellungnahme: Neubewertung des Schutzes von In-vitro-Embryonen in Deutschland. Online: www.kurzelinks.de/gid268-le [letzter Zugriff: 10.01.24].
- 8Mullin, E. (13.06.17): The Fertility Doctor Trying to Commercialize Three-Parent Babies. Online: www.kurzelinks.de/gid268-lf [letzter Zugriff: 10.01.24].
- 9Aydin, B. (o.D.): The alternative to egg donation? Nuclear and spindle transfers for women with embryo development problem. Online: www.kurzelinks.de/gid268-lg [letzter Zugriff: 10.01.24].
Jonte Lindemann ist Mitarbeiter*in des GeN und Redakteur*in des GiD.