Frauen gegen Gentechnik
Feministinnen in der Gentechnologie-kritischen Bewegung der 1980er Jahre
Der zweite Teil dieser Artikelreihe beleuchtet die Rolle feministischer Initiativen in der Anfangszeit von GID und GeN. Um auf die Konsequenzen der Gen- und Reproduktionstechnologie für Frauen aufmerksam zu machen, vernetzten sich kritische Feministinnen.
Foto: Linda Unger ausZeiten e.V. – Bildung, Information, Forschung und Kommunikation für Frauen (CC BY-SA 4.0)
Bereits in den 1970er Jahren nahm die Anzahl an organisierten Frauengruppen zu, die unter anderem Frauen- und Gesundheitszentren, Frauenhäuser, Frauentheater oder Frauenbuchläden hervorbrachten. Im Zuge der Abtreibungsdebatte und der geforderten Streichung des §218 im Strafgesetzbuch, in welchem die strafrechtlichen Konsequenzen für einen Schwangerschaftsabbruch geregelt werden, hatten sich immer mehr Frauen in der Frauenbewegung organisiert und engagiert. So entstanden zahlreiche Initiativen, die sich mit der Reproduktionstechnologie und deren Folgen kritisch auseinandersetzten. In Bereichen wie der Embryonenforschung, pränatalen Diagnostik oder künstlichen Befruchtung befürchteten die Aktivistinnen1 gefährliche Konsequenzen für Frauen.
Mitte der 1980er Jahre existierten bereits dezidierte Widerstandsgruppen wie die Feministische Aktion Münster gegen Gen- und Reproduktionstechniken, die Schwarze Witwe, der Göttinger Arbeitskreis gegen Gentechnologie, die Gruppe BürgerInnen beobachten Petunien oder die Bochumer Frauen gegen Gen- und Reproduktionstechnologie. Schon anhand dieser Namen wird deutlich, dass Gen- und Reproduktionstechnologie inhaltlich nicht unbedingt voneinander getrennt wurden – im Gegenteil. Häufig wurden sie sogar gezielt miteinander verwoben, um ihre Gemeinsamkeiten und die sich zum Teil überschneidenden Anwendungsgebiete hervorzuheben: Was würde passieren, wenn Ärzt*innen zu Reproduktionsingenieur*innen werden und entscheiden, welche Frauen welche Kinder bekommen dürfen? Wenn diese Kinder bestimmte Eigenschaften erfüllen müssten?2 Vor dem Hintergrund derartiger Szenarien begannen sich verschiedene feministische Gruppierungen für eine Aufklärung über die Gefahren der neuen Querschnittstechnologien einzusetzen. Dabei wählten die Feministinnen unterschiedliche Ansatzpunkte, von denen einige im Folgenden exemplarisch aufgezeigt werden sollen.
Der Bonner Kongress „Frauen gegen Gentechnik“
1985 bündelten sich viele Tendenzen und Ansichten feministischer Kritik im Kongress Frauen gegen Gentechnik. In der Einladung zu dem Kongress, der vom 19.-21.04.1985 in Bonn stattfand, findet sich folgender Text: „Gentechnik und Reproduktionstechnik sind neue Techniken, deren Folgen sich besonders gegen Frauen richten, eine neue Form von Gewalt. Während Computertechnik die Abwertung und Vernichtung weiblicher Erwerbsarbeit zur Folge hat, geht es bei Gen- und Reproduktionstechnik um die Zerstückelung und Kommerzialisierung der außermenschlichen Natur und des weiblichen Körpers. […] Bei all diesen Methoden geht es um eine umfassende Abwertung des weiblichen Lebens überhaupt.“3
Statt wie erwartet 400 versammelten sich rund 2.000 Teilnehmerinnen in der Integrierten Gesamtschule Bonn-Beuel, um über die Möglichkeiten und Konsequenzen der Gen- und Reproduktionstechnologie zu diskutieren, sich zu vernetzen und den Vorträgen zuzuhören.4 Unter ihnen befanden sich auch die Soziologin Maria Mies, die Biologieprofessorin Ruth Hubbart von der Harvard University, die Journalistin Gena Corea und die Wissenschaftshistorikerin und Grünen-Politikerin Erika Hickel – vor allem letztere wird für die Entstehung des Gen-ethischen Informationsdienstes (GID) und des Gen-ethischen Netzwerks (GeN) noch eine wichtige Rolle spielen.5 Der Kongress sollte dazu dienen, eine einheitlich ablehnende Position gegen die Gen- und Reproduktionstechnologie zu erarbeiten. Doch die konkreten Ansichten unterschieden sich zum Teil maßgeblich: So herrschte zum Beispiel bis zum Ende des Kongresses Uneinigkeit darüber, ob Schwangere im Sinne der Selbstbestimmung nun die Möglichkeiten der pränatalen Diagnostik und der Abtreibung eines behinderten Fötus in Anspruch nehmen könnten oder nicht. Dieses vermeintliche Dilemma zwischen der Selbstbestimmung der Frau über ihren Körper auf der einen und der Ablehnung von gentechnischen Methoden, auch im Bereich der pränatalen Diagnostik auf der anderen Seite, bildete einen großen, unlösbaren Konflikt.6
Unter den teilnehmenden Gruppen des Kongresses befand sich auch das feministische Netzwerk FINRRAGE (Feminist International Network of Resistance to Reproductive and Genetic Engineering), in dem sich Aktivistinnen aus 35 Ländern organisierten. Sie setzten sich u.a. aus Veterinärmedizinerinnen, Ärztinnen, Pharmazeutinnen, Biologinnen und Soziologinnen zusammen und brachten somit einen breiten fachlichen Hintergrund in die laufenden Debatten mit ein. Eine offizielle Mitgliedschaft gab es nicht: Mitmachen konnte, wer sich interessierte und einbringen wollte. In der eigenen Zeitung „Issues in Reproductive Genetic Engineering: Journal of International Feminist Analysis“ kommentierte und informierte das Netzwerk aus feministischer Sicht über die Reproduktionstechnologien. Über Personen wie Helga Satzinger und Regine Kollek – beide Gründungsmitglieder des Gen-ethischen Netzwerkes – waren FINRRAGE und das GeN eng vernetzt.
Ebenfalls auf dem Bonner Kongress vertreten war das Archiv Gentechnologie aus Essen. Mit einer Broschüre, die über die Zusammenhänge zwischen Forschungspolitik, Universitäten und Industrie informierte, trat es im Rahmen des Kongresses zum ersten Mal öffentlich in Erscheinung. Seit Anfang der 1980er Jahre hatte sich die Gruppe formiert und damit angefangen, Zeitschriften und Tageszeitungen nach relevanten Artikeln zu durchforsten und etwa in Fachabteilungen der öffentlichen Bibliotheken Material über Status Quo und Entwicklungen in der Gentechnologie zu sammeln. Dies taten sie allerdings keinesfalls nur zu dokumentarischen Zwecken. Vielmehr sahen sie in den Unterlagen hochbrisantes Material, das den Widerstand befeuern sollte. Mit diesem Ziel veröffentlichten sie ab Juli 1985 auch einige Texte im GID. Den Auftakt machte ein Artikel, in dem sich das Archiv vorstellt und um die Einsendung und Auswertung relevanter Zeitungsartikel bittet. Zudem wird in dem kurzen Text auch die Rubrik „Genmafia“ angekündigt, in welcher der GID – passend zur oben genannten Broschüre des Gen-Archivs – über die Verknüpfungen zwischen Akteur*innen wie Einzelpersonen, Forschungsinstituten, Ethikkommissionen und Industrie berichten wollte. Für diese Rubrik sollte die Essener Initiative dem GID zuarbeiten.7
Wie weit feministischer Aktivismus gegen Gentechnologie noch gehen konnte, zeigt sich am Beispiel der linksradikalen militante Gruppe Rote Zora. Nur wenige Tage vor dem Beginn des Bonner Kongresses verübten die militanten Feministinnen einen Sprengstoffanschlag auf einen sich im Bau befindlichen Technologiepark in Heidelberg. Die Rote Zora verübte im selben und im darauffolgenden Jahr weitere Anschläge, etwa auf das Humangenetische Institut in Münster, die Gesellschaft für biotechnische Züchtungsforschung in Braunschweig oder das Kölner Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung. Bei den sich anschließenden Ermittlungen gerieten auch Frauen des Essener Gen-Archivs in den Fokus des Verfassungsschutzes und des Bundeskriminalamtes. Es kam zu Hausdurchsuchungen und Festnahmen, was letztlich auch zum hohen Bekanntheitsgrad des Spezialarchivs beitrug.
Feministische Perspektiven bei GID und GeN
Wie passen all diese Gruppen und Perspektiven nun zum GID und zum GeN? Es zeigt sich, dass die Vertreterinnen der feministischen Kritik an Gen- und Reproduktionstechnologie vielfältige Ansatzpunkte wählten, um ihren Argumenten Ausdruck zu verleihen. Der noch junge GID sah sich in diesem Zusammenhang als Sprachrohr der zahlreichen Initiativen und wollte zu deren Popularität und Vernetzung beitragen. Diese Bemühungen waren von Erfolg gekrönt: Neben E.coli-bri und den Issues in Reproductive and Genetic Engineering kann der GID in den 1980er Jahren tatsächlich als eine der wichtigsten Zeitschriften für die feministische Bewegung gegen Gentechnologie verstanden werden.8 Dies bedeutet allerdings keineswegs, dass die Zusammenarbeit innerhalb des GID immer problemlos verlaufen wäre. In ihrer Autobiografie kritisiert die Soziologin Maria Mies explizit den Stellenwert der Reproduktionstechnologie innerhalb des Vereins: „Um diese Zeit [Mitte der 1980er Jahre] galt das, was Frauen machten, prinzipiell als voreingenommen, emotionsgeladen und daher als nicht objektiv und nicht wissenschaftlich fundiert. Dieses allgemeine Vorurteil, das die meisten Frauen an Hochschulen kennen gelernt haben, existierte selbst in den Köpfen jener Männer, die schließlich auch die Gefahren der Gentechnik erkannten und in Berlin das GEN-ETHISCHE NETZWERK gründeten. Sie brauchten viele Jahre, bis sie bereit waren, Fragen der Reproduktionstechnologie genauso ernsthaft zu diskutieren wie die der Gentechnik in der Landwirtschaft.“9
Trotz derartiger Schwierigkeiten erhielten feministische und reproduktionstechnologische Fragestellungen Einzug in das Themenspektrum des GeN. Mehrfachmitgliedschaften, die Veröffentlichung von Texten in Zeitschriften wie dem GID oder der persönliche Austausch über Veranstaltungen ermöglichten es den Unterstützerinnen der feministischen Kritik an Gen- und Reproduktionstechnologie, sich zu vernetzen und Initiativen wie das GeN nachhaltig zu prägen.
- 1In diesem Artikel wird ausnahmsweise nicht das Gender-Sternchen * verwendet, sondern die historische Selbstbezeichnung der Aktivistinnen als „Frauen“.
- 2o.A. (1985): Frauenkongress gegen Reproduktionstechniken. In GID 0.
- 3Einladung zum Kongress FRAUEN GEGEN GENTECHNIK, 19. bis 21.04.1985 in Bonn.
- 4Es waren nur Frauen zur Teilnahme zugelassen. Vgl. Schmidt, A.M. (2020): Organisation von Widerstand. Der Kongress ‚Frauen gegen Gentechnik und Reproduktionstechnik (Bonn, 19.-21.04.1985). In: Ariadne 76, S.165.
- 5Satzinger, H. (2020): Erika Hickel, 1934-2020. In: GID 255, S.4.
- 6Feyerabend, E. (2015): Reproduktive Freiheit? In: GID 232, S.31-33.
- 7Genarchiv Essen (1985): Staub von Archiven kann zum Pulverfass werden. In: GID 5.
- 8Hofmann, H. (1999): Die feministischen Diskurse über Reproduktionstechnologien. Positionen und Kontroversen in der BRD und den USA. Frankfurt/New York: Campus Verlag, S.100.
- 9Mies, M. (2008): Das Dorf und die Welt. Lebensgeschichten – Zeitgeschichten, Papy-Rossa, S.217. Anmerk.: Das GeN wurde, entgegen ihrer Aussage, nicht in Berlin, sondern in Bonn gegründet. Berlin war allerdings der festgelegte Geschäftsort.
Eleyne Wenninger studierte Wissenschaftsgeschichte an der Universität Regensburg und schrieb ihre Masterarbeit über Gegenwissen und die Gründung des Gen-ethischen Netzwerks im Zuge der Gentechnologiekritik in der Bundesrepublik Deutschland der 1980er Jahre.
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