Ganze Arten mit CRISPR ausrotten?
Gene Drives in der Landwirtschaft
Gene Drives gehören zu den riskantesten Anwendungen der Gentechnik, die bisher entwickelt wurden. In einer gentechnischen Kettenreaktion erzwingen Gene Drives die genetische Veränderung ganzer Populationen und Arten, indem sie die Vererbung ausgewählter Eigenschaften forcieren.
After the extinctions ... at least our kids will always have the dominoes. Foto: woodleywonderworks (CC BY 2.0)
Im Bereich der Gentechnik haben Gene Drives aufgrund ihrer potenziellen Anwendung bei der Kontrolle von Malaria übertragenden Mücken oder beim Ausrotten invasiver Arten viel Aufmerksamkeit erhalten. Ein genauerer Blick in die Forschung und ihre Hauptfinanziers – vorneweg die militärische Forschungsagentur der USA, die Bill & Melinda Gates Stiftung, The Tata Trusts und das Open Philanthropy Project – zeigt jedoch, dass weder Naturschutz noch Gesundheit die Prioritäten bei der Anwendung von Gene Drives sind. Mit der Aussicht auf höhere Erträge durch radikalere Pestkontrollstrategien werden Gene Drives auch in der Landwirtschaft als Techno-Fixes gegen Beikräuter und invasive Arten immer häufiger vorgeschlagen.
Wie Gene Drives funktionieren
Mit Hilfe von neuen Gentechnikverfahren wie CRISPR-Cas9 wurden in den letzten Jahren sogenannte Gene Drives entwickelt, mit denen der Mensch neue Gene im Erbgut wild lebender Tierpopulationen verbreiten kann. Dabei wird eine DNA-Kassette bestehend aus einem CRISPR-Cas9 Abschnitt und der zu vererbenden Gensequenz in ein Chromosom einer sich replizierenden Zelle eingefügt. Das CRISPR-Cas9-Konstrukt verursacht einen Bruch in dem gegenüberliegenden, homologen Chromosom. Um den Fehler zu beheben, nutzen die zellinternen Reparaturmechanismen das ursprüngliche Chromosom als Vorlage. Da sich auf diesem die zu vererbende Gensequenz befindet, wird das Gen auf beide Chromosomen kopiert und somit mit einer 100-prozentigen Wahrscheinlichkeit an die nächste Generation weitergegeben. Selbst wenn die Überlebenschancen der betroffenen Art dadurch sinken, erzwingen Gene Drives die Vererbung an sämtliche Nachkommen. Im äußersten Fall könnte die Gene Drive-Technologie eine ganze Art in die Ausrottung treiben oder wild lebende Populationen durch gentechnisch veränderte Organismen ersetzen.
Gene Drives in der Landwirtschaft: häufige Vorschläge
Die Bekämpfung tödlicher Krankheiten und invasiver Arten sind derzeit die einzigen Beispiele für Gene Drive-Forschung in der Öffentlichkeit. Patentanmeldungen und wissenschaftliche Veröffentlichungen deuten allerdings auf sehr lukrative Anwendungsgebiete in der Landwirtschaft hin. Zum Beispiel zitieren die Patente der Gene-Drive-Pioniere Esvelt und Schmidler über hundert Beikräuter und mehr als 300 landwirtschaftliche Schädlinge, die durch Gene Drives manipuliert werden könnten. Es wurden auch 186 Herbizide, Insektizide, Fungizide und andere Stoffe identifiziert, auf die wilde Arten durch den Einsatz von Gene Drives wieder sensibilisiert werden könnten, falls resistente Varianten auftreten.1 Eine aktuelle Studie betont, dass sich die Mehrheit der Gene Drive-Entwicklungen auf landwirtschaftliche Maßnahmen gegen Schädlinge und Beikräuter konzentriert.2
Als landwirtschaftliche „Schädlinge“ werden Organismen bezeichnet, die Ackerbau oder Viehbestand schädigen und so die Menge und Qualität landwirtschaftlicher Produkte reduzieren. Diese reichen von Bakterien über Pilze bis hin zu Insekten. Die meisten Vorschläge für den Einsatz von Gene Drives in der Schädlingsbekämpfung zielen darauf ab, überlebenswichtige Gene in den Zielpopulationen zu schädigen, sodass Organismen, die diese Veränderung tragen, sich nicht mehr – oder nur schwer – fortpflanzen können. Ein Beispiel ist die gezielte Beeinflussung des Doppelsex-Gens der Fruchtfliege Drosophila suzukii. Diese Insekten zerstören die Ernte, indem sie Eier in weichschalige Früchte legen – vor allem in Nordamerika, Europa und Teilen von Südamerika. Bei einigen Experimenten mit Gene Drives wurde die Fähigkeit der Weibchen, Eier zu legen, gehemmt, was zu weiblicher Sterilität führte.3
Als Beikräuter werden Pflanzen bezeichnet, die in landwirtschaftlichen Systemen nicht erwünscht sind und oft mit Kulturpflanzen um Ressourcen konkurrieren. Ähnlich wie bei der Schädlingsbekämpfung könnten Gene Drives entwickelt werden, um bestimmte – invasive und nicht invasive – Beikrautpopulationen zu reduzieren oder zu eliminieren. Pflanzen könnten dabei so verändert werden, dass sie weniger konkurrenzfähig sind.2 Zum Beispiel können durch den Einsatz von Gene Drives Nachkommen mit abnormaler Blütezeit und Blütenentwicklung erzeugt werden oder die Ruhephase von Samen so verändert werden, dass die Keimfähigkeit in der Umwelt verringert wird.4 In anderen Fällen wurde die Wettbewerbsfähig reduziert, indem die Empfindlichkeit gegenüber Herbiziden über die Gene Drive-Technologie verstärkt wurde.5
Ökologische Risiken
Aufgrund ihrer Fähigkeit, die Vererbung eines Merkmals zu erzwingen, würden sich Gene Drives nach ihrer Freisetzung rasch in wilden Populationen ausbreiten. Dies trägt zu nicht zu vernachlässigenden Risiken bei, z.B. wenn die modifizierten Organismen oder ihre Gene über das vorgesehene Gebiet hinaus verbreitet werden. Abgesehen davon können Gene auch über horizontalen Gentransfer – also zwischen zwei nicht verwandten Arten – weitergegeben werden. Solche Änderungen wären nicht kontrollierbar, da sich Gene Drives aktiv und über große Entfernungen sowie durch ganze Ökosysteme unkalkulierbar verbreiten würden.
Zudem könnten durch das Ausrotten einer bestimmten Art durch Gene Drives unerwartete Konsequenzen für die restliche Tierwelt entstehen. Wenn beispielsweise zahlreiche Tiere in ihrer Ernährung von einem „Schädling“ abhängig sind, der durch Gene Drives dezimiert wird, könnte dies einen Rückgang der Raubtierbestände und somit unvorhersehbare Veränderungen im gesamten Ökosystem zur Folge haben.6 Die Freisetzung von Gene Drives ist irreversibel. Ein Gene Drive führt zu permanenten genetischen Veränderungen, die von allen zukünftigen Generationen geerbt werden.
Ethische Überlegungen und der Einklang mit der Natur
Jenseits der möglichen ökologischen Risiken müssen die ethischen Überlegungen, die genetische Beschaffenheit ganzer Populationen und damit auch Ökosysteme absichtlich zu verändern, berücksichtigt werden. Wer entscheidet über das genetische Schicksal einer Art? Wer kontrolliert die Technologie? Wer ist für ihre Auswirkungen verantwortlich? Werden diejenigen, deren Lebensräume direkt von der Technologie betroffen sind, in den Entscheidungsprozess mit einbezogen?
Die Art und Weise, wie Forschung und Entwicklung von Gene Drives durchgeführt werden, ist untrennbar mit diesen Fragen verbunden. Machtungleichgewichte entstehen, wenn eine kleine Gruppe von Wissenschaftler*innen und Organisationen die Fähigkeit besitzt, Ökosysteme grundlegend zu verändern und potenziell zu entscheiden, welche Arten existieren dürfen und welche nicht. Dies wirft auch Fragen zu möglichen Befangenheiten und Interessenkonflikten auf, die Forscher*innen aufgrund von institutionellen Zielen, Finanzierungen oder persönlichen Überzeugungen mitbringen könnten.
Ein Beispiel dafür ist die mangelnde Transparenz bei der Bewerbung bestimmter Technologien, mit der Schutzmaßnahmen absichtlich umgangen werden sollen. Wie in einer kürzlich veröffentlichten Studie über biotechnologische Beikrautbekämpfungsmethoden erwähnt, möchten CRISPR-Cas9-Entwickler*innen den Schwerpunkt auf die Zufälligkeit der Zellreparaturmechanismen legen, um einer Regulierung zu entgehen.4 Das bedeutet konkret, dass durch diese Fokussierung auf die „natürliche“ Zellreparatur die Technologie in einer Grauzone operieren könnte, die sie von strengen Regulierungsauflagen befreit. Dies ist besonders brisant, da es die Tür für die Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen öffnen könnte, ohne dass diese einer genauen Risikobewertung unterzogen werden. In der Konsequenz würde dies dazu führen, dass gentechnisch veränderte Produkte „gleichbedeutend mit Mutagenese oder natürlicher Mutation betrachtet werden können, so dass gentechnisch veränderte Produkte nicht als gentechnisch verändert eingestuft werden müssen“.4 Dies geht Hand in Hand mit dem derzeit hoch kontroversen Vorschlag der Europäischen Kommission zur Deregulierung neuer gentechnisch veränderter Organismen (GVO). Ein Vorschlag, der darauf abzielt, Pflanzen, die mittels neuer Gentechnik hergestellt werden, als gleichwertig mit konventionellen Pflanzen darzustellen, um eine Risikobewertung und Regulierung zu umgehen.
Bis dato wurden, zumindest offiziell, noch keine Gene Drives freigesetzt. Dies bietet eine einzigartige und rechtzeitige Gelegenheit, gut informierte und vorsorgende Entscheidungen zu treffen. Gegenwärtig stellt das Fehlen eines globalen Regulierungsrahmens eine große Herausforderung dar, da es schwierig oder sogar unmöglich wäre, Akteur*innen für die Auswirkungen von Gene Drives zur Verantwortung zu ziehen. Aus den Erfahrungen mit GVO wird deutlich, dass Vorsicht oberstes Gebot ist. GVO haben – trotz ihrer anfänglichen Versprechungen – genau die Probleme, die sie beheben sollten, verschärft und weitere Probleme hervorgerufen, die von der Zivilgesellschaft prognostiziert wurden. Da wir mit Gene Drives eine neue Grenze der Biotechnologie erreichen, ist es wichtig, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und einer strengen Technologiebewertung, Regulierung und ethischen Verantwortung Vorrang einzuräumen.
Bevor wir uns auf die Suche nach Lösungen begeben, ist es wichtig, die Ursachen der Probleme zu verstehen, die wir angehen wollen. Die Jagd nach schnellen Lösungen lenkt in der Regel von den eigentlichen Ursachen landwirtschaftlicher Probleme ab. So ist die Notwendigkeit der Schädlings- oder Beikrautbekämpfung häufig auf Monokulturen, die Zerstörung von Lebensräumen und unausgeglichene Ökosysteme zurückzuführen. Anstatt sich ausschließlich auf moderne biotechnologische Maßnahmen zu konzentrieren, sollte der Schwerpunkt auf ganzheitliche und nachhaltige Anbaumethoden, die Diversifizierung der Kulturpflanzen und den indirekten Pflanzenschutz verlagert werden. Auf diese Weise kann die Landwirtschaft im Einklang mit der Natur arbeiten, anstatt zu versuchen, sie zu unterjochen. Der Einsatz von Gene Drives in der Landwirtschaft ist letztlich eine Frage der Wahl: eine Entscheidung darüber, ob wir die Natur bekämpfen oder mit ihr arbeiten wollen.
- 1Imken, M. & Haerlin, B. (2020): Gene Drives – Die neue Gentechnik zum Umbau der Evolution. In: AgrarBündnis. Der kritische Agrarbericht 2020: Stadt, Land – im Fluss. 28. Ausgabe, S.305-310. Online: www.kurzelinks.de/gid267-pskda [letzter Zugriff: 25.10.23].
- 2a2bSteinbrecher, R. et al. (2023): Gene Drive Development: Current and Proposed Non-Insect Targets, Including Vertebrates, Snails, Fungi and Plants. In: EcoNexus. Online: www.kurzelinks.de/gid267-pskdb [letzter Zugriff: 25.10.23].
- 3Kulikowski, M. (2023): CRISPR/Cas9-Based Split Homing Gene Drive Targeting Doublesex for Population Suppression of the Global Fruit Pest Drosophila Suzukii. In: PNAS, Vol. 120, No. 25, www.doi.org/10.1073/pnas.2301525120.
- 4a4b4cWong et al. (2022): Biotechnological Road Map for Innovative Weed Management. In: Frontiers in Plant Science 13, www.doi.org/10.3389/fpls.2022.887723.
- 5Steinbrecher, R. et al. (2022): Current and Proposed Insect Targets for Gene Drive Development: A Horizon Scanning Survey. In: EcoNexus. Online: www.kurzelinks.de/gid267-pskdd [letzter Zugriff: 25.10.23].
- 6Brandt, R. et al. (2019): Gene Drives: A Report on Their Science, Applications, Social Aspects, Ethics and Regulations. In: European Network of Scientists for Social and Environmental Responsibility (ENSSER). Online: www.genedrives.ch/report/ [letzter Zugriff: 25.10.23].
Barbara Pilz ist Mitarbeiterinnen und Campaignerinnen der Nichtregierungsorganisation Stop Gene Drives.
Naomi Kosmehl ist Mitarbeiterinnen und Campaignerinnen der Nichtregierungsorganisation Stop Gene Drives.