Behindert und verrückt feiern
Die Pride Parade findet am 9. September wieder in Berlin statt
Nach Pandemie-bedingter Pause ist die „Behindert-und-Verrückt Feiern Pride Parade“ wieder auf der Straße zurück. Die Aktivist*innen wollten die Tradition der Krüppelbewegung und der Disability- bzw. Mad-Pride-Bewegung aufgreifen sowie die Kämpfe behinderter und verrückter Menschen zusammen bringen.

Vor 10 Jahren, 2013, fand die erste "Behindert und verrückt feiern"-Parade in Berlin statt. Foto: Pride Parade Berlin
Seit 2013 feiern sich behinderte und verrückte Menschen auf der Pride Parade selbst und protestieren gegen Ausgrenzung und Diskriminierung. Das GeN war von Anfang an dabei und wird auch dieses Mal mit einem Redebeitrag zum Nicht-Invasiven Pränataltest (NIPT) vertreten sein.
Samstag, 9. September 2023, Start ist um 15 Uhr am Hermannplatz, 10967 Berlin
Aufruf der Pride Parade Bündnis
Redebeitrag Gen-ethisches Netzwerk
Hallo! Schön, dass heute so viele Leute gekommen sind!
Ich möchte über ein wichtiges Thema reden. Unser Verein beschäftigt sich schon sehr lange damit: Neue Bluttests für Schwangere, in schwerer Sprache auch nicht-invasive Pränataltests, kurz NIPT, genannt.
Diese Tests schauen sich die DNA von Föten an. Also von werdenden Kindern sehr früh in der Schwangerschaft. Ärzt*innen wollen damit herausfinden, ob das werdende Kind genetisch besonders ist. DNA ist die Erbinformation in unseren Zellen. DNA wird mit einem Bauplan verglichen. 99,9 Prozent der Zellen sind bei allen Menschen gleich. Manchmal gibt es Abweichungen.
Das Down-Syndrom oder Trisomie 21 ist eine der Abweichungen, die der Bluttest sucht. Oder Trisomie 13. Oder Trisomie 18. Seit letztem Jahr werden diese Tests von der Krankenkasse bezahlt. Es gab dagegen viel Protest, unter anderem von Menschen mit Trisomie 21. Denn wenn die Krankenkasse die Tests bezahlt heißt das, die Gesellschaft will, dass nach Föten mit Trisomie 21 gesucht wird. Bei den meisten genetischen Abweichungen geht es nicht darum, zu behandeln oder heilen. Sondern die schwangere Person kann nur entscheiden: „Will ich den Fötus abtreiben oder nicht?“ In den allermeisten Fällen entscheiden sich die Schwangeren dann für eine Abtreibung.
Wir als GeN finden natürlich: alle Menschen sollten über ihren eigenen Körper bestimmen können und sich frei für oder gegen eine Abtreibung entscheiden können. Aber wie frei ist diese Entscheidung in einer behindertenfeindlichen Gesellschaft? In einer Gesellschaft, die es gut findet, schon vor der Geburt nach Behinderungen zu suchen?
Es gibt auch schon mehr solche Tests. Ein Test sucht Abweichungen von Geschlechts-Chromosomen. Er wird nicht von der Krankenkasse bezahlt – noch nicht. Auch bei diesem Test geht es nicht um einen medizinischen Nutzen, sondern nur darum intergeschlechtliche Föten zu finden.
Andere Tests suchen nach weiteren sehr seltenen genetischen Abweichungen. Je seltener die Abweichungen sind, desto häufiger sind die Tests falsch-positiv. Das heißt: der Test sagt, der Fötus hat eine genetische Besonderheit, das stimmt aber nicht. Für Schwangere bedeutet das viel Stress. Und das, obwohl die Firmen damit werben, dass die Tests den Schwangeren Sicherheit geben würden. Einige Schwangere brechen die Schwangerschaft ab, ohne weitere Untersuchungen zu machen.
Die Testfirmen verdienen viel Geld. In Zukunft werden weitere Tests entwickelt. Es ist denkbar, dass in Zukunft auch nach psychischen Erkrankungen oder Neurodivergenz, also zum Beispiel Autismus oder ADHS, gesucht wird. In der Forschung wird aktuell auch versucht, genetische Abweichungen zu finden, die mit Eigenschaften wie sozialem Status oder Sexualität in Verbindung stehen. All diese Forschung könnte für solche Tests benutzt werden.
Bisher bestimmt vor allem der Fortschritt der Technologie, was gemacht wird. Wir denken: stattdessen sollten wir in der Gesellschaft darüber reden, warum es solche Tests überhaupt gibt. Warum Firmen solche Tests auf den Markt bringen können, wenn wir doch angeblich eine so inklusive Gesellschaft sind. Und erst recht darüber, warum wir alle dafür mitbezahlen – in Form unseres Krankenkassenbeitrages und in Form von Steuergeldern, die in Forschungsförderung fließen.
Das GeN wird gemeinsam mit anderen Initiativen und Organisationen weiter kämpfen. Dafür, dass der Test auf Down Syndrom nicht mehr von der Krankenkasse bezahlt wird. Dafür, dass weitere Tests nicht einfach so verkauft werden können. Dafür, dass schwangere Menschen bessere Infos bekommen. Damit sich all das ändern kann, müssen wir zusammen laut werden. Wir müssen Druck auf die Politik ausüben. Alle Menschen sollen sich für oder gegen Kinder entscheiden können. Aber es darf nicht darum gehen, welche Kinder geboren werden sollen.
Gen-ethisches Netzwerk e.V.