Moratorium für den Bluttest!
Gemeinsame Stellungnahme zum Bericht der IQWiG über nichtinvasive Pränataldiagnostik
Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat am 26. Juni seinen Abschlussbericht zur Testqualität der nichtinvasiven Bluttests auf Trisomie 21 veröffentlicht. Dazu und zu dem Verfahren des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), in dem über die Einführung der Tests in die Regelversorgung der gesetzlichen Krankenkassen entschieden wird, nehmen wir wie folgt Stellung:
Der Abschlussbericht unterscheidet sich nur in wenigen Details von dem im Dezember letzten Jahres veröffentlichten Zwischenbericht, den das GeN unter der Überschrift „Technische Logik - schlecht gemacht“ kritisiert hat. Mit dieser technischen Logik hat das Institut auch für den Endbericht nicht gebrochen. Einige Formulierungen sind zwar abgeschwächt worden, hier und da wurden Relativierungen eingefügt, weiterhin werden aber lediglich zwei Szenarien entworfen:
- Der NIPT als sogenannte Zweitlinienstrategie für nach einem Ersttrimesterscreening (ETS) als Risikoschwangere definierte Frauen, wobei der G-BA über den anzunehmenden Risikofaktor entscheiden müsste.
- Der NIPT als Erstlinienstrategie für alle schwangeren Frauen, also als Screening.
Dabei sind die das IQWiG interessierenden Konsequenzen vor allem die Fehlgeburtenrate und möglicherweise nicht erkannte Trisomien. In Deutschland wird der ETS nicht von den Krankenkassen übernommen, weil der Test für zu wenig aussagekräftig gehalten wird. Auf die absurd erscheinende Konstruktion, eine für unzuverlässig gehaltene Risikoeinschätzung zur Basis einer Krankenkassenleistung zu machen, geht der Bericht nicht ein. Die Option, die NIPTs nicht in die gesetzliche Kassenversorgung aufzunehmen, kommt ebenfalls nicht vor. Im Unterschied zum Zwischenbericht geht das IQWiG nunmehr nicht mehr „notwendigerweise von einer Verringerung der invasiven Untersuchungen im Vergleich zum Status quo“ aus. Das macht das Hauptargument der Befürworter_innen der nichtinvasiven Tests und deren Einführung in die Kassenfinanzierung - die vermeintliche Reduzierung der Fehlgeburten - gegenstandslos.
Wir halten die Herangehensweise des G-BA für falsch! Die Bluttests sind reine selektive Pränataldiagnostik, die keinerlei positiven Effekt für die medizinische Versorgung der Schwangeren oder des werdenden Kindes haben. Stattdessen verstärken immer mehr Angebote die Ängste von Schwangeren vor einer Behinderung des werdenden Kindes, statt diese abzubauen, beschleunigen die Angst-Kontroll-Spirale und tragen zu einer Medikalisierung der Schwangerschaft bei.
Die unterzeichnenden Organisationen sind weiterhin der Meinung, dass die Tests daher von Gesetz wegen gar nicht in die Krankenkassenversorgung zu übernehmen sind: Das SGB V sieht vor, dass Untersuchungen ohne medizinischen und therapeutischen Nutzen von den Krankenkassen nicht übernommen werden dürfen. Der G-BA interpretiert das Gesetz offenbar anders als einige Bundestagsabgeordnete1 und wir. Wir halten es daher für wünschenswert und notwendig, dass die Frage nach der Definition eines „medizinischen Nutzens“ politisch geklärt wird, bevor der G-BA auf Grundlage des IQWiG-Berichtes zu einer Entscheidung kommt und fordern, das Methodenbewertungsverfahren zu pausieren. Wir fordern also ein Moratorium für das G-BA-Verfahren um eine grundlegende, gesellschaftspolitische Debatte führen zu können. Dabei wären auch die gesetzlichen Vorgaben für den G-BA zu prüfen um sicherzugehen, dass gesellschaftlich problematische Methoden nicht über technizistische Verfahren eingeführt werden.
Ohne die Einbeziehung von Betroffenen und ohne eine breite, gesellschaftliche und politische Debatte, die die grundsätzliche Wünschbarkeit einer solchen Entwicklung diskutiert, die Medikalisierung in der Schwangerenvorsorge thematisiert und im emanzipatorischen Sinn der Behindertenbewegung Diskriminierungen hinterfragt, sollten keine weiteren Schritte zur Ausweitung der pränatalen Diagnostik möglich sein. Diese Debatte muss vor dem Hintergrund der UN-Behindertenrechtskonvention und der damit einhergehenden Verpflichtungen geführt werden.
Wir begrüßen allerdings, dass die Tests auf die Trisomien 13 und 18 mit diesem Bericht aus dem Verfahren entfernt wurden. Als der G-BA das Erprobungsverfahren 2016 in ein Methodenbewertungsverfahren umwandelte, fügte er selbstständig die Trisomien 13 und 18 zu der Fragestellung hinzu. In dem ursprünglichen Antrag der Hersteller des NIPT waren sie nicht enthalten. Der Endbericht spricht keine Empfehlung für die Tests auf diese Trisomien aus, da für eine Beurteilung der Qualität dieser Tests die Datenlage zu schlecht sei. Dies bedeutet immerhin eine erwartbare Verzögerung der Finanzierungsausweitung für die NIPTs, die nach Behinderungen mit geringen Fallzahlen suchen.
Darauf können und wollen wir uns jedoch nicht verlassen und fordern:
Keine Ausweitung der selektiven Pränataldiagnostik!
Keine Aufnahme weiterer selektiver Untersuchungen ohne therapeutischen und medizinischen Nutzen in die Regelversorgung!
Statt dessen eine breite politische gesellschaftliche Debatte über die Sinnhaftigkeit selektiver Pränataldiagnostik unter Beteiligung der Betroffenen, d.h. die Personengruppen, nach deren „Abweichung“ pränatal systematisch gesucht wird, müssen in die Diskussion mit einbezogen werden!
Überprüfung der gesetzlichen Vorgaben für die Entscheidungskompetenzen und -kriterien des G-BA!
Stellungnahme "Moratorium für den Bluttest!" als PDF (200kb)
Pressekontakte
Kirsten Achtelik, Gen-ethisches Netzwerk
Verantwortliche Fachbereich Reproduktionstechnologien
Tel.: 030 6857073, 0152 17582723
eMail: k.achtelik[at]gen-ethisches-netzwerk.de
Silke Koppermann, Netzwerk gegen Selektion durch Pränataldiagnostik
Frauenärztin und Sprecherin des Netzwerks
Tel.: 040 5118485
eMail: silke.koppermann[at]hamburg.de
Unterzeichner
BioSkop Forum zur Beobachtung der Biowissenschaften und ihrer Technologien e.V.
GeN - Gen-ethisches Netzwerk e.V.
Netzwerk gegen Selektion durch Pränataldiagnostik
- 1Offener Brief von Hubert Hüppe, Corinna Rüffer, Dagmar Schmidt und Kathrin Vogler am 17. August 2016 anlässlich der 91. öffentlichen G-BA Sitzung am 18. August 2016.
Gen-ethisches Netzwerk e.V.