Rezension: Arbeit am Leben?

Eine Lücke in der hiesigen Auseinandersetzung um die Reproduktionsmedizin füllen Felicita Reuschling und Susanne Schultz mit ihrer Übersetzung und Kommentierung von zwei Texten der US-Amerikanerinnen Melinda Cooper und Catherine Waldby: Sie analysieren Leihmutterschaft und Eizellspende aus marxismuskritischer feministischer Perspektive und machen auf diese Weise nicht nur Ausbeutungsverhältnisse sichtbar, sondern auch ihre strukturellen Grundlagen. So zeigt Cooper in ihrer historischen Untersuchung die miteinander verschränkte Entwicklung von Familien- und Vertragsrecht, macht damit deutlich, dass die geschlechtliche Arbeitsteilung von Anfang an konstitutiv für den Kapitalismus gewesen ist und liefert einen überzeugenden Erklärungsansatz dafür, dass biologische Familienmodelle umso beherrschender werden, je liberaler die Reproduktionsmedizin reguliert ist. Weniger konsistent ist die Kernthese der beiden US-Feministinnen: Sie betrachten Leihmutterschaft und Eizellspende als Arbeit. Diese These provoziert Widerspruch - nicht nur bei den beiden Kommentatorinnen, die sie in ihren Texten kritisch unter die Lupe nehmen. Auch ich bin bei der Lektüre auf Etliches gestoßen, etwa auf die Rede von einer „biologischen Arbeit von lebendigem  Gewebe“, das - vorsichtig ausgedrückt - diskussionswürdig ist. Aber genau das macht das Buch auch so unbedingt empfehlenswert: Es eröffnet eine längst überfällige analytische Diskussion.

 Uta Wagenmann

➤ Melinda Cooper, Catherine Waldby, Felicita Reuschling, Susanne Schultz: Sie nennen es Leben, wir nennen es Arbeit. Biotechnologie, Reproduktion und Familie im 21.Jahrhundert, Bd.3 der Reihe Kitchen Politics - Queerfeministische Interventionen, edition assemblage (2015), 150 Seiten, 9,80 Euro, ISBN 978-3-942885-86-7.

GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
234
vom Februar 2016
Seite 48

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