Brustkrebs: Sicherheit durch Vorsorge?

Weil das 1996 aufgelegte Schwerpunktprogramm "Familiärer Brust- und Eierstockkrebs" der Deutschen Krebshilfe demnächst ausläuft, wird über eine Übernahme des Angebotes in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen verhandelt. Im Vordergrund der Argumentation steht dabei die Versorgung der Frauen mit Beratung, genetischer Diagnostik, Früherkennung und Prophylaxe. Zeitgleich postulieren Genetiker die Notwendigkeit, Studien zu den beiden bisher bekannten Brustkrebs-Genen BRCA 1 und 2 auf die Gesamtbevölkerung auszuweiten.


Für die Forschung ist die Zeit gekommen, Tests auf BRCA1/2-Mutationen in der allgemeinen Bevölkerung durchzuführen, um zu bestimmen, ob die vorgefundenen Krebsrisiken ein allgemeines Screening rechtfertigen." Mit diesem Satz endet ein kürzlich erschienener Artikel der beiden Genetiker Ephrat Levy-Lahad und Sharon E. Plon in der renommierten Wissenschaftszeitschrift "Science" unter dem bezeichnenden Titel "Das Brustkrebsrisiko abzuschätzen ist ein riskantes Geschäft".(1) Ein deutlicher Umschlag in der Rhetorik, denn bisher galt: Für die Forschung an den beiden so genannten Brustkrebs-Genen BRCA 1 und 2 sind nur die fünf bis zehn Prozent der Erkrankten mit einer familiären Häufung von Brust- beziehungsweise Eierstockkrebs interessant. Die überwiegende Mehrheit der Erkrankten ist nicht relevant, weil Brustkrebs zumeist sporadisch auftritt. Studien zum Einfluss der BRCA-Mutationen auf das Erkrankungsrisiko beschränkten sich deshalb bisher auf Frauen aus Familien mit einer Häufung der beiden Krebserkrankungen.
Die Diskussion um eine Ausweitung der BRCA-Forschung auf die Normalbevölkerung wurde ausgelöst durch die New York Breast Cancer Study (NYBCS, siehe Kasten 1). Die 1008 Frauen mit Brustkrebs, die dort auf Mutationen in BRCA 1 und 2 getestet wurden, waren unabhängig davon, ob die Krankheit in der Familie der Patientinnen gehäuft auftrat, ausgewählt worden. Bei 104 Frauen war das Testergebnis positiv. Deren Familienmitglieder 1. und 2. Grades wurden dann ebenfalls getestet.(2) Bei 50 Prozent der Mutationsträgerinnen lag keine Häufung der beiden Krebserkrankungen in der Familie vor. "Diese Frauen wären nur dann rechtzeitig vor dem Ausbruch von Symptomen identifiziert worden, wenn genetische Tests in der Gesamtbevölkerung durchgeführt würden", schreiben Levy-Lahad und Plon. Deshalb seien "Studien, deren Design auf bevölkerungsweite Tests gerichtet ist, eindeutig erforderlich."(3)

Im Mittelpunkt steht die Wahrscheinlichkeit

Dieser Schritt liegt nahe, wenn die Genetik der Referenzpunkt der Krankheitsursachenforschung ist: Denn mittlerweile gilt als sicher, dass Mutationen auf BRCA 1 und 2 das Erkrankungsrisiko deutlich erhöhen. "Funktional muss die Veränderung rezessiv vorliegen. Die Brustepithelzelle oder die Eierstockzelle verliert dann das nicht mutierte Gen durch komplexe somatische Veränderungen, und damit ist nichts mehr da. Dann erst wirkt sich die Mutation voll aus", erklärt Alfons Meindl, Extraordinarius für Gynäkologische Tumorgenetik an der Frauenklinik der TU München. "Ob die ‘Unterbesetzung’ allein schon der Initialschritt ist, das wissen wir noch nicht. Wir wissen nur, dass es in einem Zusammenspiel mit der hormonellen Regulation mit einer hohen Wahrscheinlichkeit irgendwann mal zu diesem Verlust kommt."
Seit der Entdeckung der beiden BRCA-Gene 1994 und 1995 geht es in zahlreichen Studien hauptsächlich um diese Erkrankungswahrscheinlichkeit. In den zehn Jahren, die seitdem vergangen sind, wurden eine Menge Daten gesammelt, auf deren Grundlage die BRCA-Mutationen mit Brust- beziehungsweise Eierstockkrebs und familiärer Häufung statistisch korreliert wurden. Auf diesem Weg haben sich nicht nur eine Menge neuer Fragen rund um die Erblichkeit von Dispositionen und die Rolle der BRCA-Gene aufgetan. Die BRCA-Forschung ist auch eine Geschichte über die Produktion von Wahrheit, die die Komplexität des Prozesses eindrücklich deutlich macht, der hinter der griffigen Formel von der "Genetifizierung von Krankheiten" steht.

Das Schwerpunktprogramm "Familiärer Brust- und Eierstockkrebs"

Eine der weltweit größten Datensammlungen zum familiär gehäuft auftretenden Brust- und Eierstockkrebs befindet sich in der Bundesrepublik. 1996 startete die Deutsche Krebshilfe an Kliniken in zunächst zehn, später zwölf deutschen Großstädten das Schwerpunktprogramm "Familiärer Brust- und Eierstockkrebs".(4) Von den insgesamt etwa 7000 Frauen, die im Laufe der vergangenen sieben Jahre beraten wurden, wurden etwa 3000 auf Mutationen in BRCA 1 und 2 getestet.
Erklärtes Ziel war dabei die Betreuung der so genannten Hochrisiko-Patientinnen, das heißt Fauen aus Familien mit einer deutlich überdurchschnittlichen Häufung von Brust- und/oder Eierstockkrebs. Diese Betreuung umfasst deutlich mehr als die genetische Diagnostik: Bei entsprechender familiärer Vorgeschichte werden Rat suchende Frauen - unabhängig davon, ob sie erkrankt oder nicht erkrankt sind - zunächst über das Ergebnis der Stammbaumanalyse informiert und dann umfassend zur Genetik von Brust-und Eierstockkrebs und zur Aussagekraft und den möglichen Ergebnissen der genetischen Diagnostik beraten, bevor sie kostenlos einen Gentest machen können. Die Krebshilfe gibt den Anteil der Frauen, die sich nach der Beratung für einen Test entschieden, mit 60 Prozent an.
Nach dem Test werden die Frauen abermals über das Ergebnis informiert und bei Vorliegen einer Mutation psychologisch und gynäkologisch beraten. Bei deutlich erhöhtem Risiko haben sie die Möglichkeit, an dem in den Zentren angebotenen "engmaschigen Früherkennungsprogramm" teilzunehmen und prophylaktische Maßnahmen in Anspruch zu nehmen (siehe Kasten 2).
Für eine Studie zur Genetik von Brustkrebs hatte sich erstmals bereits 1994 die Deutsche Gesellschaft für Humangenetik mit der Begründung ausgesprochen, dass sich die Anfragen nach einem Gentest häufen würden. Zu diesem Zeitpunkt wurde die Entdeckung der BRCA-Gene noch als "Meilenstein im Kampf gegen Krebs" gefeiert, und entsprechend groß war das Echo in der Bevölkerung. Mittlerweile ist der Pathos verschwunden. Die Schritte sind kleiner und fokussierter, das Forschungsfeld komplexer. Gentests in Familien mit einer Häufung von Brust- und/oder Eierstockkrebs sind der Ausgangspunkt, von dem aus sich das Modell der Vererbung in die Wahrnehmung der weit verbreiteten Krankheit Brustkrebs einschreibt. Denn die Forschungsergebnisse der genetischen Diagnostik im Schwerpunktprogramm der Krebshilfe werfen viele neue Fragen auf.

Der sinnlose Gentest

Ein Problem ist zunächst der Gentest selbst: Bei BRCA 1 und 2 wird von Vererbung ausgegangen (siehe Kasten 3). Legt das Ergebnis der Stammbaumanalyse einen autosomal-dominanten Erbgang nahe, ist es vor einem Gentest an nicht erkrankten Angehörigen notwendig, festzustellen, ob bei der erkrankten Person in der Familie eine BRCA-Mutation vorliegt. Nicht selten sind diese so genannten Indexfälle aber bereits verstorben, wenn Tochter oder Schwester beschließen, etwas über ihr eigenes Risiko mittels Gendiagnostik erfahren zu wollen. In diesem Fall "ist der Ausschluss eines erhöhten Erkrankungsrisikos für Brust- und Eierstockkrebs nicht möglich."(5) Auf einen Gentest bei den Rat suchenden Angehörigen muss in diesem Fall verzichtet werden.

Der "nicht-informative" Gentest

Wenn die Erkrankte noch lebt, bei ihr aber keine Mutation gefunden wird, macht ein Gentest auf BRCA-Mutationen bei den gesunden Angehörigen zur Vorhersage ihres Risikos ebenfalls keinen Sinn – eine BRCA-Mutation können sie dann ja nicht geerbt haben. "50 Prozent der Familien sind negativ, und weisen in der Stammbaumanalyse trotzdem den autosomal-dominanten Erbgang auf. Ein negatives Ergebnis bedeutet deshalb nicht, dass keine genetische Veränderung in der Familie vorliegt", so Rita Schmutzler, Universitätsprofessorin für Molekulare Gynäko-Onkologie an der Medizinischen Fakultät Köln und eine der Sprecherinnen des Konsortiums aus Molekularbiologen, Genetikern, Bioinformatikern und Psychoonkologen, das die Forschung im Schwerpunktprogramm der Krebshilfe koordiniert. "Ein negativer Test ist vielmehr automatisch ein nicht-informativer Test."
Dann kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Angehörigen trotzdem ein gegenüber der Normalbevölkerung erhöhtes Risiko haben, an Brust- beziehungsweise Eierstockkrebs zu erkranken. "Wenn wir bei einer Erkrankten keine Mutation finden, kann ich tausendmal sagen, wir können nicht ausschließen, dass ein anderes Gen unterwegs ist - das ist denen vollkommen wurscht", so Alfons Meindl, Extraordinarius für Gynäkologische Tumorgenetik an der Frauenklinik der TU München und ebenfalls Sprecher des Konsortiums. "Später dämmert es dann vielleicht, aber die erste Reaktion ist immer sehr euphorisch."
In sehr vielen Familien werden so genannte "unclassified variants" gefunden. Von diesen Veränderungen der BRCA-Gene kann man bisher nicht sagen, ob sie das Risiko, an Brust- beziehungsweise Eierstockkrebs zu erkranken, erhöhen. "Bei BRCA 1 gibt es das sehr selten, aber bei BRCA 2 ist das ein echtes Problem", so Meindl. Auf hundert getestete Frauen kämen 30 bis 40 Fälle, in denen eine solche Variante gefunden wird. "Das ist ein signifikanter Anteil", so Meindl. Auch bei diesem Testergebnis kann keine klare Aussage über das Risiko getroffen werden.

Die sicheren Testergebnisse

Die genetische Diagnostik entlastet nur die Frauen, bei denen die bei der Erkrankten in der Familie gefundene Mutation nicht vorliegt. Solche Angehörige mit einem negativen Testergebnis haben dann lediglich das Risiko, das auch in der so genannten Normalbevölkerung besteht. Für Brustkrebs liegt diese Erkrankungswahrscheinlichkeit bei zehn, für Eierstockkrebs bei zwei Prozent.
Eine klare Aussage kann außerdem dann gemacht werden, wenn bei einer Testperson die Mutation in der Familie nachgewiesen werden kann. In diesem Fall erfährt eine Frau, dass sie mit einer Wahrscheinlichkeit von bis zu 80 Prozent im Laufe ihres Lebens an Brustkrebs (beziehungsweise von 20 bis 60 Prozent an Eierstockkrebs) erkrankt. Damit weiß sie immer noch nicht sicher, ob sie an Krebs erkranken wird. Auch wann die Erkrankung ausbricht, kann ihr nicht gesagt werden.

Vom erblichen Brustkrebs-Gen zu sporadischen Brustkrebs-Genvarianten?

Weil nur bei etwa 50 Prozent der Frauen aus so genannten Hochrisikofamilien BRCA-Mutationen gefunden werden, wird längst davon ausgegangen, dass noch andere Gene bei Brust-und Eierstockkrebs eine Rolle spielen. "Wir glauben, dass entweder ein autosomal-rezessiver Stammbaum existiert", so Rita Schmutzler, "oder dass es sich um ein Zusammenspiel mehrerer Gene im Sinne einer komplexen Vererblichkeit handelt." Nicht nur die in der New York Breast Cancer Study bei Frauen aus Familien ohne familiäre Häufung von Brust- beziehungsweie Eierstockkrebs vorgefundenen BRCA 1 und 2 – Mutationen legen eine Erweiterung der Forschung zur Genetik der beiden Erkrankungen auf die Gesamtbevölkerung nahe. Auch die beiden im Moment diskutierten Erklärungsmodelle für die Häufung von Erkrankungsfällen in manchen Familien ohne Vorliegen einer BRCA 1- oder BRCA 2 – Mutation haben das Potential zur Ausweitung.
Das monogene Modell: Es gibt noch mindestens ein, vielleicht aber auch mehrere einzelne Gene, deren Mutationen vererbt werden und die mit Brust- beziehungsweise Eierstockkrebs assoziiert sind. Sie haben eine ähnlich hohe Penetranz wie BRCA 1 und 2, das heißt, bei Vorliegen einer Mutation kommt es sehr häufig zur Erkrankung. Das polygene Modell: Es gibt ein Zusammenspiel vieler niedrig-penetranter Gene. Niedrig penetrante Gene sind im Jargon der Genetik DNA-Abschnitte, deren Mutationen ein bestimmtes Merkmal, hier: eine Krebserkrankung, auslösen können, es aber nur selten tun. "Wir haben da relativ wenig Phantasie", so Alfond Meindl. "Ich kann mir jedenfalls schwer vorstellen, wie so ein Zusammenspiel von mehreren Genvarianten oder –mutationen vererbt werden soll. Es könnte sich um bis zu 50 solcher Varianten handeln." Insbesondere dieses Modell wäre auch für den so genannten sporadisch auftretenden Brustkrebs von Bedeutung. Beim sporadischen Brustkrebs, also in der so genannten Normalbevölkerung, müsste sich allerdings eine sehr viel größere Zahl dieser Varianten in immer anderen Kombinationen finden. "Von komplexer Vererblichkeit zu sprechen, ist im Moment eher als Hilfsphrase zu verstehen", so Alfons Meindl. "Je unübersichtlicher die Dinge werden, desto mehr sehnen sich die Leute nach eindeutigen Modellen, das ist leider auch in der Wissenschaft so."

Das Risiko und die Kassen

Die Fragen, die sich aus der Forschung am so genannten erblichen Brustkrebs ergeben, wollen bearbeitet werden. Deshalb ist es ein Anliegen der Krebshilfe, dass das Verbundprojekt weitergeführt wird. "Um tatsächlich valide Aussagen machen zu können, braucht man viel längere Zeiträume", so Eva Kalbheim, Pressesprecherin der Deutschen Krebshilfe. "Es geht um Früherkennung und die Senkung der Mortalität. Diese Fragen sind erst in Jahrzehnten zu beantworten."
Bis Ende 2004 sollen deshalb die Angebote der Zentren in die Regelversorgung überführt werden. "Die Zeichen sehen eigentlich ganz positiv aus, dass das tatsächlich übernommen wird", so Kalbheim. Weil sich die Verhandlungen mit den Spitzenverbänden der Krankenkassen aber noch hinziehen, hat die Krebshilfe beschlossen, den Forschungsverbund noch bis Ende 2004 weiter zu finanzieren. "Im Moment geht es darum, die Strukturen an den Zentren zu erhalten", so Kalbheim. "Die Datenmenge, die große Zahl von Patientinnen, die im Früherkennungsprogramm ist - das ist weltweit ein einzigartiges Kollektiv. Deshalb setzt die Krebshilfe alles daran, dass es weitergeht", so Kalbheim.
Schwierig ist allerdings die Frage, wie das Risiko gefasst werden soll, bei dem ein Gentest von den Krankenkassen getragen wird und wann Frauen selbst zahlen müssen.(6) Bei weniger als drei Erkrankten in der Familie? Bei Fehlen eines weiteren Erkrankungsfalles? Die dargestellten Ergebnisse der Forschung zur Genetik bei Brust- und Eierstockkrebs können hier kaum zur Orientierung dienen. "Wenn wir das mit den Kostenträgern besprechen, müssen wir überlegen, wo wir einen Schnitt machen", so Rita Schmutzler. "Das wird in gewisser Weise willkürlich sein. Das ist wie bei der Amniozentese: Vor zehn Jahren hieß es, die Krankenkassen bezahlen es nur bei Frauen ab 35, da ist das Risiko hoch genug. Dann hat man gesagt: Welches Risiko jemand in Kauf nehmen will, ist subjektiv, deshalb lassen wir jedem die freie Wahl."

Regeln der Versorgung

Für die Fortführung des Verbundprojektes argumentiert wird denn auch weniger mit den Ergebnissen der Forschung an der Genetik von familiärem Brust- und Eierstockkrebs. Herausgestellt wird vielmehr die Qualität der Versorgung von Frauen aus Familien mit einer Häufung der Erkrankung. So kämen die normalerweise erst mit dem 50. Lebensjahr beginnenden Früherkennungsuntersuchungen für viele dieser Frauen zu spät, da sie zu diesem Zeitpunkt oft schon erkrankt seien. Hingewiesen wird auch auf die standardisierte Qualität der prophylaktischen Operationen gegenüber dem breiten Spektrum operativer Verfahren außerhalb der Zentren. (siehe Kasten 2) Nicht zuletzt sei bei Frauen mit familiärer Vorbelastung eine intensive Beratung zum Risiko und zu möglichen Präventionsmaßnahmen erforderlich.(7) "Für die Frauen, das sagt die praktische Erfahrung, ist entscheidend, dass sie überhaupt mal in so einem Programm sind, betreut werden und sich jederzeit an jemanden wenden können", so Alfons Meindl. Insgesamt, so das Credo, verbessere die Aufnahme in das Projekt die Lebensqualität der Frauen.
Was aber ist Lebensqualität? Eva Kalbheim berichtet von einer jungen Patientin im Verbundprojekt, die sich sowohl Brust wie Eierstock entfernen ließ, weil sie "endlich ohne ständige Früherkennungsuntersuchungen einfach leben können" wollte. Intensiviert also das aus statistischen Operationen generierte Wissen über Erkrankungswahrscheinlichkeiten nicht doch nur die Risikowahrnehmung? Und folgen die versprochenen neuen Handlungsräume, die durch die genetische Diagnostik entstehen sollen, nicht eher altbekannten Mustern des Zwangs zur Entscheidung? "Die Frauen, die sich vorbeugend operieren lassen, muss man respektieren", sagt Kalbheim. "Das ist entsetzlich, wenn in jeder Generation die Frauen zwischen 30 und 45 wegsterben. Mit diesen BRCA-Genen hat uns die Molekulargenetik nun endlich etwas an die Hand gegeben. Natürlich wissen wir wenig über die Penetranz und wie es wirklich aussieht mit dem individuellen Lebensrisiko der einzelnen Genträgerinnen. Auch ist klar, dass das Ganze eingebunden ist in ein System von vielen Faktoren. Aber immerhin ist da ein Faktor, an den man rankommen kann. An viele andere Faktoren kommt man eben nicht."

Fußnoten:

  1. Ephrat Levy-Lahad und Sharon E.Plon: "A Risky Business - Assessing Breast Cancer Risk", Science Vol.302/24.10.03, S.575.
  2. Mary Claire King/Joan H.Marks/Jessica B.Mandell for the New York Breast Cancer Study Group: "Breast and Ovarian Cancer Risks Due To Inherited Mutations In BRCA 1 and BRCA 2", Science Vol. 302/24.10.03, S. 643 ff.
  3. Levy-Lahad et al., a.a.O, S.575.
  4. Zum Schwerpunktprogramm vgl. GID Nr. 139, April/Mai 2000, S.34 ff. und Nr. 151, April/Mai 2002, S. 34 ff.
  5. Rita Schmutzler/Brigitte Schlegelberger/ Alfons Meindl/Wolf-Dieter Gerber/Marion Kiechle: "Beratung, genetische Testung und Prävention von Frauen mit einer familiären Belastung für das Mamma- und Ovarialkarzinom. Interdiziplinäre Empfehlungen des Konsortiums ‘Familiärer Brust- und Eiersstockkrebs’ der Deutschen Krebshilfe", Pressematerialien zum Statusseminar, Köln, Oktober 2003, S.6.
  6. Der Gentest kostet im Verbundprojekt etwa 1500 Euro. "Wenn das in einem Privatlabor gemacht wird, dann geht das bis an die 5000 Euro. Durch eine Umstellung der Technologie und durch die Tatsache, dass da in wenigen Zentren ganz viele Gentests gemacht werden, konnte das so kostengünstig eingerichtet werden", so Eva Kalbheim von der Krebshilfe. Der Preis ist auch deshalb relativ niedrig, weil im Rahmen eines wissenschaftlichen Forschungsprojektes keine Lizenzgebühren anfallen - für beide Gene besteht nämlich Patentschutz. "Da kommt noch einiges auf die Mediziner, aber natürlich auch auf die Kassen zu. Wenn der Test erst in der Regelversorgung ist, werden Gebühren fällig, das heißt, er wird vermutlich teurer werden", so Kalbheim. Die Beratungsgespräche sollen mit etwa 200 Euro für drei Einstunden-Beratungen zu Buche schlagen.
  7. Schmutzler et al., S.9.

Brustkrebs, Vererbung und die BRCA-Gene

Jährlich erkranken insgesamt etwa 46 000 Frauen neu an Brustkrebs, die Tendenz ist steigend. Geschätzt wird, dass 5 bis 10 Prozent der erkrankten Frauen aus Familien kommen, in denen die Krankheit gehäuft auftritt. Dieser so genannte familiäre Brustkrebs gilt Genetikern als Beispiel einer autosomal-dominant vererbten Anlage für eine "verbreitete, genetisch komplexe, im Erwachsenenalter ausbrechende Krankheit." (Definition aus: Ephrat Levy-Lahad und Sharon E.Plon: "A Risky Business - Assessing Breast Cancer Risk", Science, 24.10.03, S.574) Diese Formen von Brust- und Eierstockkrebs treten in der Regel relativ früh auf, das heißt, noch vor der Menopause. "Es wäre schön gewesen, wenn wir hätten sagen können, es gibt 10 häufige Mutationen auf den beiden BRCA-Genen, die bei 90 Prozent der familiär vorbelasteten Frauen vorliegen", sagt Alfons Meindl, Sprecher des Konsortiums im Verbundprojekt der Deutschen Krebshilfe. Diese Hoffnung wurde allerdings enttäuscht: Zum einen finden sich nur bei etwa der Hälfte der Familien mit einer Häufung von Brust- und Eierstockkrebs Veränderungen auf den beiden Genen. Zum anderen sind bei den in den vergangenen sieben Jahren im Schwerpunktprogramm positiv getesteten Frauen über 1000 verschiedene Mutationen gefunden worden. Ein Spektrum der in der deutschen Bevölkerung vorkommenden Mutationen gibt es demnach nicht. Die BRCA-Gene sind sehr groß, und ein "hot spot", das heißt ein eingegrenztes Gebiet, auf dem die häufigsten Mutationen liegen, hätte die Gendiagnostik wesentlich beschleunigt. (uw)

Erschienen in
GID-Ausgabe
161
vom Dezember 2003
Seite 31 - 35

Uta Wagenmann war Mitarbeiterin des GeN und GeN-Vorstandsmitglied.

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Die New York Breast Cancer Study (NYBCS)

Ein vielbeachtetes Ergebnis der NYBCS betrifft die Bedeutung "nichtgenetischer Faktoren" für das Erkrankungsrisiko - auch von Frauen mit einer Mutation auf einem der beiden BRCA-Gene: Mutationsträgerinnen, die vor 1940 geboren wurden, erkrankten deutlich später an Brustkrebs als nach 1940 geborene Familienmitglieder. "Das müsste dringend reevaluiert werden", sagt Alfons Meindl, einer der Sprecher des Konsortiums im Schwerpunktprogramm der Deutschen Krebshilfe. "Wenn die Daten ernst zu nehmen sind, dann liegt das Erkrankungsrisiko für die vor 1940 geborenen Frauen, im Alter von 50 zu erkranken, bei nur 25 Prozent. Das ist ein erheblicher Unterschied zu nach 1940 geborenen Frauen, da liegt das Risiko schon bei 50 Prozent." Welche Umweltfaktoren das sein können, darüber wird momentan diskutiert. (uw)

Prävention genetischer Risiken

Mit 5 Prozent gibt die Deutsche Krebshilfe den Anteil der Frauen an, die sich nach einem positiven Gentest und gynäkologischer Beratung prophylaktisch den Eierstock entfernen oder die Brust amputieren ließen. Die Operation wird an den Zentren des Verbundprojektes durchgeführt. Sie gehört neben dem Früherkennungsprogramm zu den Optionen, die Frauen nach einem positiven Gentest angeboten werden. In den Pressematerialien der Krebshilfe findet sie deutlich häufiger als Maßnahme zur Prävention der beiden Krebserkrankungen Erwähnung als noch vor drei Jahren, als nach dem Ende der ersten Förderperiode eine Zwischenbilanz des Projektes gezogen wurde. "Das ist im Manuskript sicher ein bisschen falsch rübergekommen", so Eva Kalbheim, Pressesprecherin der Krebshilfe. "Die Option wird auf keinen Fall mehr in den Vordergrund gerückt, aber sie wird den Frauen selbstverständlich angeboten und erläutert." Voraussetzung für die Operation ist eine nachgewiesene Mutation, ein aus Gendiagnostik und Stammbaumanalyse errechnetes "sehr hohes Erkrankungsrisiko" und eine ausführliche Beratung über "Chancen und Risiken des Eingriffs". Wichtig sei, so die Krebshilfe in den Pressematerialien zum Statusseminar, dass "die Frauen in die Entscheidung aktiv eingebunden werden." Um sich den Eierstock entfernen zu lassen, müssen die Frauen mindestens 35 Jahre alt sein, für die vorbeugende Brustamputation genügt die Vollendung des 25. Lebensjahres. (uw)