Radikalaktiv

Eine Vollzeitaktivistin und die Medien

Das Buch von Hanna Poddig und ihre Lebensweise als Vollzeitaktivistin, die ihre Lebensmittel vom Müll holt, haben eine Lawine von Medienterminen und -berichten losgetreten.

Ihr Buch hat in den letzten Monaten einige Wellen geschlagen. Warum haben Sie das Buch geschrieben?

Ich bin nicht selbst auf die Idee gekommen. Der Verlag ist an mich herangetreten und hat mich gefragt, ob ich nicht ein Buch über das Containern schreiben will. Ich fische mein Essen aus den Mülltonnen dieser Welt. Darauf stehen die Medien total. Armut vermarktet sich einfach gut. Ich war eine Weile mit Kamerateams unterwegs, weil ich dachte, ich könnte so vermitteln, dass ich das tue, um mir ein Leben mit möglichst wenig Geld zu ermöglichen. So kann ich politisch aktiv sein, ohne viel arbeiten zu müssen. Die Dokumentation 1 hatte jemand vom Verlag gesehen. Dass es im Buch letztendlich nicht nur um das Containern geht, hat sich in der Folge ergeben.

Und dann waren Sie plötzlich Teil der Medienmaschinerie?

Die MitarbeiterInnen des Verlages haben von vornherein gesagt, dass sie versuchen wollen, etwas Größeres aus dem Buch zu machen: Prominente Darstellung in den Prospekten des Verlages und auf der Buchmesse und so weiter. Dann kamen die ersten Vorgespräche mit Talk­shows und ich dachte bei mir: „Aha, ob das wohl klappt?“ Dann kam der erste Termin in der Talkshow „3nach9“. Das ist ja eine Werbe-Talkshow und keine Diskussionsrunde. Die Gäste dort bewerben ein neues Produkt, entweder eine neue Staffel einer Fernsehserie, eine CD oder eben - wie bei mir - ein Buch. Das macht die Show auf der einen Seite langweilig, auf der anderen Seite aber auch harmlos und somit gut als Einstieg.

Das hört sich an, als sei es nicht bei dieser einer Talkshow geblieben.

Mit diesem Auftritt war ich plötzlich auf dem Wahrnehmungsschirm der Medien gelandet. Das hätte ich vorher nicht erwartet, aber überrascht hat es mich auch nicht. Ein Zeitungsartikel führte zu der ersten Talkshow und diese zu den nächsten fünf Talkshow-Anfragen. Da hatte sich ein neuer Status herausgebildet: Die Frau kann man einladen, die sagt ganze Sätze, die kann man anmalen, ist unter dreißig und weiblich.

Welche Talkshows waren das?

Ich war unter anderem im SWR-Nachtcafé, bei Maischberger, ich war zweimal bei Maybrit Illner, bei west.art und im ZDF bei Kavka. Und mittlerweile kann ich sagen, ich traue mir jedes Gegenüber zu - natürlich nicht zu jedem Thema. Allerdings zweifle ich gerade sehr an der Sinnhaftigkeit des Ganzen. Ich habe jetzt auch schon mehrere Termine abgesagt, weil ich es politisch nicht zielführend finde. Einfach nur, um dort die Quoten-„Dagegen-Frau” zu geben, dafür tue ich mir das nicht an.

Wie ist das Feedback von der Straße?

Es gibt natürlich Leute, die sagen, dass sie es irgendwie nicht gut finden, was ich mache. Allerdings finde ich es unglaublich schade, dass ich kaum fundierte Kritik aus der Bewegung bekomme.

In Ihrem Buch scheuen Sie nicht davor zurück, Kritik an den Argumenten anderer und an der Art, wie diese vorgetragen wird, zu üben.

Eigentlich ist mir das sehr wichtig. In den Fällen, in denen Kritik kam, hat mich diese sehr zum Nachdenken angeregt. Zum Beispiel haben Freundinnen und Freunde mit mir eine Medienanalyse gemacht und das mir sehr geholfen. Was bei mir angekommen ist war einerseits „Du bist so toll - ich will dich heiraten“ [schmunzelt] oder andererseits - vor allem von alten Kämpferinnen und Kämpfern - „Ich war früher auch mal so und du hast mir wieder neue Kraft gegeben, weiterzuarbeiten.“ Das ist zwar moralische Unterstützung und insofern auch wichtig, gerade weil ich natürlich auch die entgegengesetzte „Hass-Post” bekomme. Aber es ist eben nicht das, was mir politisch neue Anreize gibt. Die wenigen Sachen, die solidarisch-kritisch waren, haben mir zum Beispiel im Laufe der Zeit auch geholfen zu entscheiden, bei welcher Talkshow sage ich zu und bei welcher sage ich ab. Es gibt natürlich trotzdem solche, bei denen ich im Nachhinein sagen würde, es war ein Fehler dort hinzugehen. Aber alles gar nicht zu machen, nur weil ich Fehler machen könnte, finde ich auch falsch.

Was war Ihre Lieblings-„solidarische Kritik“?

In der Kavka-Sendung ging es um die Frage „Wo bleibt der Aufstand der Jungen?“ und dort hat so eine explizit unpolitische „Karriere-und-Familie-unter-einen-Hut-bring-Frau“ gesagt, dass sie das ja alles schon irgendwie ganz interessant findet, und dann gefragt, ob meine Art von Aktionen nicht verboten sei, und ob man dafür nicht Strafen bekommt und in den Knast geht. Darauf habe ich geantwortet, dass es ja auch Aktionen gebe, für die man nicht gleich Strafverfolgung kassiert. Später hat mich jemand gefragt, warum ich mit diesem Punkt nicht selbstbewusster umgegangen bin. Ich hätte in diesem Sinne auch sagen können, vielleicht sogar sagen sollen: „Ja, für einige Dinge gibt es strafrechtliche Folgen, aber ich halte sie trotzdem für notwendig und dann muss ich die Folgen eben auch tragen.“ Also lieber eine Verurteilung für das Kaputtmachen eines Genfeldes in Kauf nehmen, als das Feld heil lassen und straffrei bleiben.

Hat sich Ihre Art, politisch aktiv zu sein, durch das Schrei­ben des Buches und die Medienerfahrungen geändert?

Ich habe jetzt einen besonderen Bekanntheitsgrad und muss deshalb aufpassen, dass ich nicht allzusehr eine Sonderrolle bekomme. Und ich habe ja auch Presse an mir kleben, was mich wieder mehr in den Mittelpunkt rückt. Es gibt zum Beispiel gerade jetzt wieder ein Kamerateam, das mich portraitiert. Das führt zu der Situation, dass wir uns im Vorfeld einer Aktion fragen müssen, ob wir sie mit oder ohne Medienbegleitung machen wollen. Außerdem merke ich gerade, dass ich mehr Zeit für Veranstaltungen benötige.

In Ihrem Buch beschreiben Sie ja auch verschiedene Erfahrungen mit der Presse. Wie ist das jetzt? Frau Poddig schnippt mit den Fingern und die Presse steht bereit?

Es ist natürlich sehr viel einfacher, aber es ist kein Automatismus. Es reicht nicht immer, meinen Namen unter irgend­etwas zu schreiben und dann funktioniert das. Nichtsdestotrotz gibt es diese Wirkung ganz eindeutig. Allerdings kann das auch einen ganz anderen als den gewünschten Effekt haben. So geschehen zum Beispiel im Vorfeld des Prozesses in Saarbrücken gegen Jörg Bergstedt und die Publikation seiner Boschüre „Organisierte Unverantwortlichkeit“, in dem es um die Seilschaften in der Agro-Gentechnik und um Meinungsfreiheit ging. Ich habe dort am Vorabend eine Lesung gemacht, um auf den Prozess hinzuweisen. Aber die lokalen Medien wollten lieber das tausendste Personenportrait über mich machen - nun aber mit einem Foto von mir vor ihrem Dorfbrunnen, als über die Inhalte des Prozesses zu berichten. Das war so ein Moment, wo ich mich gefragt habe, ob die Bekanntheit überhaupt irgendeinen Wert hat und sie zum Beispiel dazu genutzt werden kann, dass über bestimmte Inhalte mehr berichtet wird. Wir danken für das Gespräch und wünschen alles Gute.
Das Interview führte Christof Potthof

Erschienen in
GID-Ausgabe
202
vom Oktober 2010
Seite 25 - 26

Hanna Poddig ist Umweltaktivistin und Autorin.

zur Artikelübersicht