In der Informationsfalle
Ist doch ganz einfach: Ein Wissenschaftler denkt sich ein Projekt aus und forscht ein paar Jahre. Dann publiziert er seine Ergebnisse in einem Fachmagazin, welches seinerseits von einer Journalistin einer Tageszeitung gelesen wird. Diese trifft sich gegebenfalls noch mit einem Mitarbeiter der Pressestelle des Wissenschaftlers, dann schreibt sie darüber. Nun ja, möglicherweise ist das manchmal tatsächlich so. Hier werden allerdings andere Geschichten erzählt.
Wissen ist umkämpft
... wissenschaftliches Wissen erst recht: Die Hochglanzbroschüren der Bundesregierung werben für Gentechnik und Genomforschung. Die Hochschulen geben ihr Geld für werbe-professionalisierte Presseabteilungen aus, die die Presseagenturen mit Wissenschafts-Neuigkeiten bei Laune halten und der Hochschule einen Vorsprung im Wettbewerb um mediale Aufmerksamkeit und Drittmittel erarbeiten sollen. Große Forschungsinstitutionen locken Tageszeitungen mit jährlichen Pauschalzahlungen. Die Wissenschaftsredaktionen berichten im Gegenzug regelmäßig über die „bahnbrechenden“ und „zukunftsweisenden“ Arbeiten eben jener Institutionen. Es gibt aber auch die andere Seite: JournalistInnen, die selbst recherchieren und kritisch nachfragen. Diese finden sich in vielen Redaktionen, aber es ist sicher kein Wunder, wenn sie immer wieder darüber klagen, dass in den heute vorherrschenden Redaktionssystemen kaum noch Zeit bleibt für tiefgründige Prüfungen. Und dann gibt es auch noch die, die sich selbst organisieren: Das Internetprojekt Medien-Doktor etwa testet journalistische Beiträge über Medizin, neue Therapien und Arzneimittel auf Herz und Nieren. Und natürlich sehen wir uns selbst auch in dieser Rolle. Die Menschen hinter GeN und GID wollen an der Geschichte von Wissenschaft und Fortschritt bei Gen- und Reprotechnologien mitschreiben. Hypes wollen enttarnt werden, und es gibt viele Stimmen, denen wir aus guten Gründen und gegebenen Anlässen auch in Zukunft Gehör verschaffen wollen. Kritische Berichterstattung braucht auch Rückhalt innerhalb der Welt der Wissenschaft selbst. Derzeit macht sich beispielsweise eine Gruppe von sieben WissenschaftlerInnen für die Einhaltung wissenschaftlicher Standards stark und protestiert gegen das von Oxford University Press, dem nach eigenen Angaben größten Wissenschaftsverlag der Welt, herausgegebenen Buch Food Politics - What Everyone Needs to Know von Robert Paarlberg.1 Nach Einschätzung der Gruppe verfehlt das Buch die minimalen Standards wissenschaftlicher Arbeit. Dies gilt insbesondere in Bezug auf die Quellen der dargestellten Sachverhalte sowie die Beziehungen des Herausgebers Paarlberg zu dem US-amerikanischen Monsanto-Konzern. Paarlberg war in der Vergangenheit als Berater für Monsanto tätig und bricht auch in seinem Buch eine Lanze für den Konzern.
Strukturen, Geld, Ideologie
In diesem Schwerpunkt wollen wir den Weg verfolgen, den Wissen aus dem Labor nimmt. Denn es ist kein Zufall, dass eine hintergründige Berichterstattung einen schweren Stand hat. Dieser Weg wird durch herrschende Strukturen bestimmt, durch Einfluss, der sich nicht zuletzt an Finanzkraft bemisst, und durch eine affirmative Ideologie der Wissenschaftsberichterstattung. Diese Ideologie hat der Medienwissenschaftler Matthias Kohring 2004 als das „Paradigma der Wissenschaftspopularisierung“ auf den Punkt gebracht: Die Pioniere des Wissenschaftsjournalismus beschränken sich diesem zufolge darauf, über das Treiben der Wissenschaft genau zu informieren und Wissenschaft populär zu machen. Zwar haben Anti-AKW-Bewegung, Ökologie-Debatte und feministische Wissenschaftskritik das Vertrauen von Teilen der Öffentlichkeit in die Wissenschaft erschüttert, doch bis heute orientiert sich der Wissenschaftsjournalismus am Popularisierungsparadigma.
„Edutainment“
Wissenschaftspopularisierung meint nicht nur „informieren“. Die Skandale und Versäumnisse von Wissenschaft und Forschung werden weggeredet, stattdessen die Krise im Verhältnis von Wissenschaft und Öffentlichkeit als reines Informations-Vermittlungsproblem interpretiert. Die herrschende Doktrin sieht nicht vor, dass „sich die Funktion journalistischer Wissenschaftsberichterstattung auch gegen die Interessen der Wissenschaft richten könnte“.2 Als Aufgabe von Wissenschaftsberichterstattung gilt gemeinhin Akzeptanzschaffung. Die aktuelle Steigerung der Popularisierungs-Doktrin findet sich im Trend zum „Edutainment“. Eine Studie hat 2011 ermittelt, dass führende Medien immer häufiger dazu übergehen, „Entertainment“ und „Education“ miteinander zu verschmelzen. Wer Sendungen wie den „Darwin-Code“ gesehen hat, weiß gleich, was gemeint ist. Die Schlagworte sind: Eventmanagement, Emotionalisierung und Inszenierung. Der Präsident der europäischen Wissenschaftsjournalisten, Hans-J. Neubert (EUSJA), spricht deshalb unverblümt von einer „Tendenz zur Wissenschaftsesoterik“.3
Gegensätzlicher geht es nicht
Zum Einstieg in den Schwerpunkt dieser Ausgabe erinnert Rainer Hohlfeld mit einem Blick in die Geschichte an die großen Fragen (die heute oft nicht mehr beziehungsweise nicht häufig genug gestellt werden): Warum brauchen wir eigentlich kritische Wissenschaftsberichterstattung und was heißt das? Gleich im Anschluss zeigen wir an einem besonders eklatanten Fall, was schief läuft und wie unverhohlen mächtige Interessen auf die Veröffentlichungspraxis von Wissenschaft Einfluss nehmen. Das Beispiel: die Pharmaindustrie und ihr Zugriff auf medizinische Fachzeitschriften. Sergio Sismondo hat zutage gefördert, wie sich ein ganzes Heer von „Publikationsplanern“ im Auftrag der Konzernzentralen damit beschäftigt, die von der pharma-industriellen Forschung ermittelten Daten ausgewählt in die Form neutraler, wissenschaftlicher Artikel zu gießen. Diese Publikationen erscheinen dann unter dem Namen von angesehenen Universitätsprofessoren - nach meist nur minimaler Bearbeitung. Ein auch für hartgesottene GID-LeserInnen und GeN-AktivistInnen erschreckender Blick hinter die Kulissen.
Neue Medien - mehr Demokratie?
Längst wird Wissen über Wissenschaft nicht nur in den Printmedien vermittelt, sondern auch via Wikipedia, Facebook und Twitter. Die digitalen Medien folgen ihren eigenen Gesetzen. Wikipedia ermöglicht es allen, an Informationen über Wissenschaft mitzubasteln und ist insofern ein echt demokratisches Angebot. Der Nachteil ist jedoch, so Autor Uwe Wendling: Wer mehr Zeit hat, hat auch mehr Einfluss - und so gibt es hier so manchen Terraingewinn der Lobbyisten, den es wieder einzudämmen gilt. Wiederum anders gestaltet sich die interaktive Kommunikation bei Twitter. Wie Torben Klußmann am Beispiel des Gentestvermarkters 23andMe zeigt, ist es das Besondere dieser Plattform, extrem schnelllebig zu sein, wenig Zusammenhänge zu erfassen, dafür aber sehr affektive und persönliche Zugänge zum Thema zu ermöglichen. Und genau dies macht das Medium kompatibel für die Vermarktung von Gentests.
Die Nadelöhre
Doch auch an hehren Orten der Wissensvermittlung, wie der Hochschule, sind es komplexe, höchstpersönliche und affektive Gemengelagen, die bestimmen, was an die Öffentlichkeit kommt. Regina Bartel plaudert aus dem Innenleben der Hochschulpressestelle und zeigt, von welchen Arbeitsbelastungen, internen professoralen Vorlieben und welchem Spiel von Nähe und Distanz zur Presse es abhängt, was von universitärer Forschung nach außen dringt. Christoph Then berichtet, wie das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu dem Verbot der Patentierung embryonaler Stammzellen in den Medien verarbeitet wurde. Der Geschäftsführer von „Testbiotech - Institut für unabhängige Folgenabschätzung in der Biotechnologie“ äußert die Vermutung, dass die Journalisten nicht immer von alleine auf die Idee gekommen sind, aus diesem Anlass gleich das „Ende der Forschung“ zu beklagen. Zurück zum vielleicht wichtigsten Nadelöhr des Wissenschaftsjournalismus, nämlich zu der enormen Macht der Wissenschaftsjournale wie Nature und Science: Die Analyse von Martina Franzen zeigt, welche Selektionsmechanismen hier im Verhältnis zwischen Wissenschaft und Massenmedien greifen - und inwiefern die Wissenschaft auch wiederum vom massenmedialen Reputationsgewinn abhängig ist. Auch wir im GID sind abhängig, etwa von Wissenschaftszeitschriften und medial kursierenden Nachrichten: Drei GID-RedakteurInnen reflektieren am Beispiel der GID-Kurznachrichten offen über ihre Zweifel und die Grenzen des eigenen Tuns.
- 1Siehe www.scholarlystandardsatrisk.wordpress.com für die detaillierte Darstellung der Kritik in Form eines 25-seitigen Briefes an den Präsidenten des Verlages vom 6. September 2011 und den Aufruf, der unterzeichnet werden kann.
- 2Matthias Kohring: Die Wissenschaft des Wissenschaftsjournalismus, in: C. Müller: SciencePop. Wissenschaftsjournalismus zwischen PR und Forschungskritik, Graz/Wien 2004: S. 161-183, hier: S. 169.
- 3Alexander Gerber: Vorhang auf für Phase 5. Chancen, Risiken und Forderungen für die nächste Entwicklungsstufe der Wissenschaftskommunikation, Berlin 2011, hier: S. 11.
GID-Redaktion