Rezension – Ausstellung: Genetik und Identität
Von Genen und Menschen im Deutschen Hygienemuseum
Zwei Jahrzehnte Forschung seit der vermeintlichen Entschlüsselung des „Code des Lebens“ haben gezeigt, dass es wohl doch nicht so einfach ist, unser Schicksal aus der DNA abzulesen wie Genetiker*innen zunächst dachten.

Noch bis zum 10. September zu sehen: Von Genen und Menschen. Wer wir sind und werden könnten.
Die Komplexität stieg und steigt mit jeder neuen Erkenntnis über die Funktionsweise von Genen, ihre Regulationselemente und der Interaktion mit Umweltfaktoren. Was ist also der aktuelle Wissensstand der Genetik, was sagt unsere DNA tatsächlich über uns aus und was nicht? Dieser Frage widmet sich eine Ausstellung im Hygienemuseum Dresden – glücklicherweise nicht von einer rein naturwissenschaftlichen Perspektive, sondern vor allem soziologisch und kulturwissenschaftlich. Leser*innen des GID werden viele Themen bekannt sein: Kommerzielle Abstammungsgentests werden kritisch hinterfragt; die Gefahr von rassistischen Pauschalverdächtigungen durch forensische DNA-Analysen einer „biogeografischen Herkunft“ wird anschaulich dargestellt; das Bündnis #NoNIPT ist Teil eines Exponats, indem es um die Debatte rund um die Kassenfinanzierung des nicht-invasiven Pränataltests geht. Und ganz am Ende werden die trockenen ethischen Abwägungen „kann, soll, muss, darf der Mensch?“ nochmal blutig vergegenwärtigt, wenn ein Video die Kaiserschnittgeburt und den siebenminütigen Todeskampf eines geklonten ausgestorbenen Pyrenäensteinbockbabys zeigt. Die interessante Mischung aus Exponaten langweilt nicht. Einige erinnern mit ihren Diagrammen und Texten etwas an wissenschaftliche Konferenzposter, sie werden aber abgelöst durch Videointerviews, künstlerische Werke, interaktive Elemente und Gegenstände aus der Wissenschaftsgeschichte. Weiter in die Tiefe geht der lesenswerte Begleitband. An der ein oder anderen Stelle hätte es natürlich noch etwas kritischer sein können, hier und da fehlen Argumente, aber insgesamt ist die Ausstellung sehr gelungen – auch um die Relevanz der Arbeit des Gen-ethischen Netzwerks der letzten Jahrzehnte zu verdeutlichen.
Von Genen und Menschen. Wer wir sind und werden könnten. Bis zum 10. September 2023 im Deutschen Hygienemuseum, Lingnerplatz 1, 01069 Dresden. Online: www.dhmd.de.
Krason, V./Lehmann, N.H. (2021): Von Genen und Menschen. Wer wir sind und werden könnten. Wallenstein Verlag, 224 Seiten, 20,- Euro, ISBN 978-3-83535-386-2.
Dr. Isabelle Bartram ist Molekularbiologin und Mitarbeiterin des GeN.