Kurz Notiert - Mensch & Medizin

Schwangerschaft

Kommissionsbericht zu Abtreibung und Repro-Technologien

Nach einjähriger Arbeit hat die von der Bundesregierung beauftragte Expert*innenkommission zu reproduktiver Selbstbestimmung und Fortpflanzungstechnologien nun ihren Abschlussbericht vorgelegt. Darin erörtert sie Möglichkeiten zur Regelung von Abtreibung außerhalb des Strafrechts, aber auch eine Legalisierung von Eizelltransfer und Leihschwangerschaft. Es handelt sich dabei nicht um einen Gesetzesentwurf, vielmehr trifft die Kommission eine rechtliche Einschätzung und zeigt den Spielraum des Gesetzgebers auf. Der Bericht stellt klar, dass ein grundsätzliches Verbot des Schwangerschaftsabbruchs nicht haltbar ist, wirft aber auch Fragen hinsichtlich der bisherigen medizinischen Indikation insbesondere in Bezug auf Abbrüche nach pränataldiagnostischen Befunden auf. In diesem Zusammenhang stellt sie auch eine Wiedereinführung der embryopathischen Indikation in den Raum. Die Empfehlungen hinsichtlich einer Legalisierung von Eizelltransfer und Leihschwangerschaft sind weniger eindeutig. (PM BMJ, 15.04.24, www.bmj.de; PM GeN, 16.04.24, www.gen-ethisches-netzwerk.de/node/4687) (jl)


Abtreibung: Ergebnisse der ELSA-Studie

Nach 3,5 Jahren Arbeit wurden am 10. April erste Ergebnisse der ELSA-Studie (Erfahrungen und Lebenslagen ungewollt Schwangerer – Angebote der Beratung und Versorgung) der breiteren Öffentlichkeit vorgestellt. Die im Forschungsverbund von sechs Hochschulen und Universitäten durchgeführte Untersuchung liefert erstmals umfassende und belastbare Daten zur Situation ungewollt Schwangerer in Deutschland hinsichtlich ihrer subjektiven Lebenslagen und Erfahrungen, der psychosozialen und der medizinischen Versorgung und verknüpft diese mit Handlungsempfehlungen für Politik und Praxis. Die Studie belegt eklatante Lücken in der Versorgung: besonders im Süden Deutschlands finden sich unterversorgte Regionen, zudem zeigen sich Hürden bezügliche Informationen, Finanzierung und Zugang zum Schwangerschaftsabbruch, insbesondere marginalisierte Gruppen werden mit der derzeitigen Struktur nicht angemessen erreicht. Der Gesamtbericht einschließlich der Handlungsempfehlungen wird im Herbst erwartet. (taz, 10.04.24, www.taz.de; Informationsdienst Wissenschaft, 10.04.24, www.idw-online.de) (jl)


NIPT: Neuer Antrag im Bundestag 

Die Interfraktionelle Gruppe Pränataldiagnostik hat einen Antrag an die Bundesregierung eingereicht, in dem sie erneut ein Monitoring der Kassenzulassung des Bluttests für Schwangere auf Trisomien des Fötus fordert. Zudem schlagen die Abgeordneten aller demokratischen Fraktionen die Einrichtung eines Expert*innengremiums vor, das die ethischen, rechtlichen und gesundheitspolitischen Grundlagen der Kassenzulassung prüft. Dies war bereits Teil eines im Juni 2023 gefassten Bundesratsbeschlusses, der in den Gesundheitsausschuss verwiesen wurde. Mit dem Antrag erhöht die Gruppe den Druck auf die Bundesregierung, die Umsetzung noch in dieser Legislaturperiode auf den Weg zu bringen. (BT Drucksache 20/10515, 28.02.24, www.bundestag.de) (jl)

 

Reproduktionsmedizin

USA: Gerichtsurteil erklärt Embryos zu Menschen

Das Verfassungsgericht des US-Bundesstaates Alabama hat im Februar mit einem Urteil menschliche Embryos rechtlich zu Kindern erklärt. Vorausgegangen war eine Klage von drei Paaren, deren kryokonservierte Embryos bei einem Vorfall in einer Fertilitätsklinik beschädigt worden waren. Ein untergeordnetes Gericht hatten die Klage auf Tötung von Minderjährigen abgewiesen, da es sich nicht um Kinder handele. Das Verfassungsgericht hat diese Entscheidung nun kassiert und geurteilt, dass das Verbot der Tötung Minderjähriger für „alle ungeborenen Kinder“, egal ob innerhalb oder außerhalb des Uterus, gelte. Das Urteil, das vor allem im Einklang mit jüngsten Entwicklungen in den USA im Zusammenhang mit der Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen gesehen wurde, sorgte allerdings auch für Rechtsunsicherheit bei Fertilitätsbehandlungen. Hier ist inzwischen ein Gesetz erlassen worden, das Fertilitätskliniken vor Klagen schützt. (The 19th News, 20.02.24, www.kurzelinks.de/gid269-la; BioNews 1230, 11.03.24, www.progress.org.uk) (jl) 


GB: Fehlinformationen zu Kryokonservierung 

Eine BBC-Recherche zeigt, dass 41 Prozent der britischen Fertilitätskliniken gegen die Werberichtlinien verstoßen und irreführende Angaben zu den Erfolgsaussichten von Kryokonservierung und In-Vitro-Fertilisation (IVF) machen. Von 78 analysierten Internetauftritten der Anbieter machten 32 keine oder undurchsichtige Angaben zu den Erfolgschancen. Beispielsweise veröffentlichten sie Prozentzahlen, wie häufig Menschen auf ihre eingefrorenen Eizellen zurückgriffen, machten aber keine Angaben dazu, auf wie viele Patient*innen diese Daten zurück gehen. Die zuständige Behörde Human Fertilisation and Embryology Authority (HFEA) zeigte sich ebenfalls besorgt über das ausgehändigte Informationsmaterial zur Kryokonservierung. Tatsächlich kommen nur wenige Patent*innen zurück, um sich einer IVF-Behandlung mit den zuvor kryokonservierten Eizellen zu unterziehen. Die Informationen auf den Seiten der Kliniken sind häufig auch deswegen irreführend, weil sie potentielle Patient*innen über die Auswirkungen von Faktoren wie Alter auf den Erfolg von Fertilitätsbehandlungen im Unklaren lassen. (BBC, 13.03.24, www.bbc.com) (jl)

 

Genomforschung

Neugeborenen-Sequenzierung in Deutschland

Kommt die routinemäßige Gesamtgenomsequenzierung für alle Babys in Deutschland? Die Machbarkeit eines solchen Screenings erforscht das BMBF-finanzierten Projekt „NEW_LIVES: Genomic Newborn Screening Programs“ an der Universität Heidelberg seit eineinhalb Jahren. Etwa 100 bis 250 Krankheiten könnten Bestandteil eines genomweiten Screenings bei Neugeborenen in Deutschland werden, schätzt der Genetiker Christian Schaaf, der Teil des Projektes ist. Ziel ist es u.a. Kriterien für die Auswahl der Erkrankungen zu treffen, nach denen gesucht wird. In einem Fachartikel des Projekt-Teams wird jedoch auch der Umgang mit Zufallsbefunden bei einer Sequenzierung des gesamten Genoms diskutiert. Ihre Entdeckung könnte nicht nur für das Kind selber, sondern auch für Familienangehörige von Vorteil sein, so die Autoren. Um Eltern umfassend vorher aufzuklären, müsse ggf. ein neues Berufsbild des*der „genetic counselors“ (genetische*r Berater*in) etabliert werden, so der ebenfalls beteiligte Medizinrechtler Ralf Müller-Terp. Ob die Gendaten der Neugeborenen nach Analyse zur späteren Verwendung archiviert oder gelöscht werden sollen, ist noch unklar. Bei einem ähnlichen Projekt in Großbritannien soll die Datensammlung auch als Ressource für die Forschung dienen. (Tagesschau, 28.03.24, www.tagesschau.de; Bundesgesundheitsblatt, 13.10.23, www.doi.org/10.1007/s00103-023-03777-2; New_Lives, o.D., https://gnbs.ukhd.de) (ib)


Klinische CRISPR-Studie gestoppt

Eine klinische Studie, bei der die Möglichkeit einer Gentherapie gegen zu hohe Cholesterinwerte untersucht wurde, musste gestoppt werden, nachdem ein Patient eine schwere Nebenwirkung entwickelte. Bei der Therapie „VERVE-101“ des Unternehmens Verve Therapeutics wird ein in Lipid-Nanopartikel verpackter sog. Base Editing-Komplex direkt in den Blutkreislauf verabreicht (in vivo), wo er in Leberzellen eindringen und diese genetisch verändern soll. Diese sollen dann weniger Cholesterin produzieren. Die Proband*innen der Studie besitzen eine Genvariante, die zu hohen Cholesterinwerten führt, die wiederum das Risiko für Herzerkrankungen erhöhen. Bei dem sechsten Patienten, dem VERVE-101 verabreicht wurde, kam es innerhalb der ersten vier Tage nach der Verabreichung zu einem Anstieg der Werte eines problematischen Leberenzyms sowie zum Absinken der Anzahl bestimmter Blutzellen. Die Firma setzt nun auf das Medikament „VERVE-102“, dass ein anderes Einbringungssystem verwendet. (Kurz Notiert: Genome Editing gegen Cholesterin, GID 268, S.26; Reuters, 02.04.24, www.reuters.com; PET, 08.05.24, www.progress.org.uk) (ib) 


CH: Gentherapie wird umbenannt

Das Schweizer Heilmittelgesetz (HMG) soll umfassend geändert werden. Bis Ende März hatten zivilgesellschaftliche Organisationen Gelegenheit, sich an der Vernehmlassung zu beteiligen. Neben der Digitalisierung im Gesundheitswesen weist der Entwurf eine Reihe von Bestimmungen auf, die eine deutliche Ausweitung des Geltungsbereiches bedeuten. So sollen Gentherapeutika neu im HMG geregelt werden. Sie werden jetzt aber als „Arzneimittel für neuartige Therapien“ bezeichnet. So will man den Marktzugang für Gentherapeutika erleichtern. Das soll auch den Forschungs- und Pharmastandort Schweiz fördern. Auch im Tierarzneimittelbereich soll die Zulassung und Anwendung „neuartiger Medikamente“ erleichtert werden. Mit den geplanten Änderungen wird eine vermehrte Zulassung von experimentellen Therapeutika erwartet, was zu höheren Gesundheitskosten und zu einer Steigerung des Sicherheitsrisikos für Patient*innen führen kann. Die Zulassungsbehörde, Swissmedic, soll mit der Revision umfangreiche Kompetenzen erhalten. (Bundesamt für Gesundheit, 08.12.23, www.bag.admin.ch; Stellungnahme biorespect, 20.03.24, www.biorespect.ch) (gp/tp)

 

Datenschutz

DNA-Analyse und Gesichts­erkennung

Laut einem Bericht des Magazins Wired hat ein Ermittler in den USA ein vermeintliches Phantombild eines Verdächtigen, dass die Firma Parabon NanoLabs anhand von DNA-Spuren generiert hat, durch eine Gesichtserkennungssoftware auswerten lassen. Die DNA-Spur stammte vom Tatort eines ungelösten Sexualmords von 1990. Der kontroverse Ermittlungsansatz wurde nur bekannt, weil er in einer Sammlung von gehackten Polizeiakten vermerkt war, die vom Kollektiv Distributed Denial of Secrets veröffentlicht wurde. Es wird nicht das einzige Mal gewesen sein, dass die Ergebnisse einer sog. DNA-Phänotypisierung so verwendet wurden: Mehrere von Wired befragte Polizist*innen gaben an, dass das Vorgehen gerechtfertigt und hilfreich sei. Expert*innen weisen darauf hin, dass schon die Qualität der von Parabon Nanolabs generierten Bilder sehr fragwürdig ist, bei einer Kombination mit Gesichtserkennungssoftware kann es erst recht zu Falschverdächtigungen kommen. (Wired, 22.01.24, www.wired.com; Der Standard, 24.01.24, www.derstandard.de) (ib)


Erforschung von Gesundheitsdaten 

Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung ist laut einer Umfrage positiv gegenüber der Nutzung ihrer Gesundheitsdaten für Forschungszwecke eingestellt; über 80 Prozent würden anonymisierte Datensätze mit Patient*inneninformationen dafür zur Verfügung stellen. Der Pharmaindustrie würden nur rund 30 Prozent der Befragten ihre Daten überlassen wollen. Das sind die Ergebnisse einer Studie durch das GIHF-AI (German Israeli Health Forum for Artificial Intelligence), einer Initiative des European Leadership Network (ELNET), bei der 2023 insgesamt 1.219 deutsche und 833 israelische Personen befragt wurden. Die Durchführenden ziehen daraus den Schluss, dass die „deutsche Bevölkerung in ihrer Akzeptanz von Digital Health weiter fortgeschritten [sei] als Politik, Gesetzgebung und Regulierung des deutschen Gesundheitssystems“. (GIHF-AI, 18.01.24, www.gihf-ai.eu) (ib)

 

Stammzellforschung

USA: Erste Xenotransplantation einer Schweineniere

Am 16. März wurde dem 62-jährigem Richard Slayman als erstem lebenden Menschen eine Schweineniere eingesetzt. Zwei Monate später verstarb er, wie zuvor alle Patient*innen bei denen ein tierisches Organ transplantiert wurde. Bei Slayman hatte eine Diabeteserkrankung zu einem chronischen Nierenversagen geführt. Eine 2018 eingesetzte menschliche Niere versagte nach fünf Jahren. Da seine einzige Hoffnung die experimentelle Operation mit einer Schweineniere war, gewährte die Food and Drug Administration (FDA) die Xenotransplantation am Massachusetts General Hospital. Das Schwein wurde von der Firma eGenesis gezüchtet: Bestimmte schweinspezifische Gene wurden durch die CRISPR-Cas9-Methode deaktiviert und das Schwein humanisiert, indem menschliche Gene eingesetzt wurden. Dadurch sollte eine Abstoßreaktion verhindert und die Gefahr vor Infektionen minimiert werden. Slayman war bisher der erste Patient der nach einer Xenotransplantation das Krankenhaus verlassen konnte, laut seinen Ärzt*innen hatte der Tod nichts mit der Transplantation zu tun. (Deutsches Ärzteblatt, 22.03.24, www.aerzteblatt.de; ZDF, 12.05.24, www.zdf.de) (lm)
 

GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
269
vom Mai 2024
Seite 26 - 27

GID-Redaktion

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