Rezensionen: Landwirtschaft im Fokus
„Weiter wie bisher ist keine Option“ - so lautet die Kernbotschaft des 2008 erschienenen Weltagrarberichts (Download unter www.weltagrarbericht.de). Er forderte von Agrarforschung und -politik, sich vom Fokus auf die industrialisierte Landwirtschaft zu verabschieden und die kleinbäuerliche Landwirtschaft, insbesondere in den Ländern des Südens, stärker in den Blick zu nehmen. Die beiden hier vorgestellten Bücher unterstreichen diese Forderung. Gleichzeitig leisten sie einen Beitrag zur aktuellen Debatte um die Reform der Gemeinsamen EU-Agrarpolitik (GAP). Das Büchlein von Choplin und KollegInnen ist leicht lesbar und erfreut die Leserin mit einer angenehmen Mischung aus Fließtext, Infoboxen und Grafiken. In fünf Kapiteln rekonstruieren die AutorInnen - größtenteils Mitglieder von attac sowie der Kleinbauernorganisation Via Campesina - zunächst die Geschichte der GAP: eine Geschichte, die in den Nachkriegsjahren als Segen begann, zunehmend jedoch zum Fluch mutierte, da sie ungeachtet der veränderten Rahmenbedingungen am Dogma der produktivistischen, exportorientierten Landwirtschaft festhielt. Die AutorInnen machen klar, dass eine Abkehr von diesem Dogma mit seinen verheerenden Auswirkungen unumgänglich ist. Sie fordern eine Agrarpolitik, die an den Leitlinien Ökologie, Demokratie und Solidarität ausgerichtet ist. Das Buch endet mit der Vorstellung einiger Initiativen, die bereits alternative Landwirtschafts-Modelle praktizieren und bietet somit neben der Kritik an der EU-Agrarpolitik auch Vorschläge, sie „von Grund auf neu zu denken“. Wer Genaueres über die agrarwissenschaftliche Perspektive und die landwirtschaftliche Praxis außerhalb Europas erfahren möchte, sollte zum in diesem Jahr erschienenen Bericht „Zur Lage der Welt“ greifen. Herausgegeben vom Worldwatch Institute in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Böll-Stiftung und Germanwatch, dreht sich hier alles um die Landwirtschaft in Afrika, insbesondere in den Ländern südlich der Sahara. In 14 Kapiteln berichten AutorInnen aus Wissenschaft, Politik und Praxis - darunter auch der Stellvertretende Vorsitzende der Geschäftsstelle des Weltagrarberichts Hans Herren - von den Herausforderungen, denen sich die (Klein-)Bauern und Bäuerinnen gegenüber sehen: Wassermangel, nachlassende Bodenfruchtbarkeit, hohe Nach-Ernte-Verluste, Land-Grabbing und Mangelernährung sind hier lediglich einige Stichworte. Viele Probleme werden durch den Klimawandel noch verschärft, und so schlagen einige AutorInnen beim Ausblick in die Zukunft nahezu katastrophale Töne an. Gleichzeitig geben die Beiträge jedoch Anlass zur Hoffnung, wenn sie von Projekten vor Ort berichten, in denen gemeinsam mit den Betroffenen nach Lösungsmöglichkeiten gesucht wird. Bei aller thematischen Unterschiedlichkeit sind sich die AutorInnen dabei in einem einig, und das ist ihr entschiedenes Eintreten für eine agro-ökologische Landwirtschaft, die die ProduzentInnen und KonsumentInnen vor Ort in den Mittelpunkt rückt. Und die Gentechnik? Ähnlich der Einschätzung des Weltagrarberichts, dass gv-Pflanzen in absehbarer Zukunft keine nennenswerte Bedeutung für die kleinbäuerliche Landwirtschaft einnehmen werden, spielt die Gentechnik auch in diesem Band eine Nebenrolle. An der ein oder anderen Stelle wird der gentechnologischen Pflanzenzüchtung ein großes Potential (auch) für die kleinbäuerliche Landwirtschaft zugesprochen, da mit ihrer Hilfe trockentolerante sowie insekten- oder virusresistente Sorten gezüchtet werden könnten. Insbesondere Charles Benbrook, Wissenschaftler am Organic Center im US-Bundesstaat Colorado, macht jedoch in einem Vergleich zwischen gentechnologischen und agro-ökologischen Systemen deutlich, dass letztgenannte „wahrscheinlich wirkungsvoller und kosteneffektiver“ in der Lage sind, zu einer nachhaltigen Landwirtschaft beizutragen. Die AktivistInnen um Choplin betrachten die Thematik weniger ambivalent: In ihren Augen stellt die Gentechnik einen „Angriff auf die bäuerliche Landwirtschaft“ und eine „Katastrophe für die Biodiversität“ dar. Und ist schlussendlich „nichts anderes als die Privatisierung des Saatguts“.
Anne Bundschuh
Gérard Choplin, Alexandra Strickner, Aurélie Trouvé (Hg.): Ernährungssouveränität. Für eine andere Agrar- und Lebensmittelpolitik in Europa. Mandelbaum Verlag, Wien (2011), 127 Seiten, 9,90 Euro, ISBN 978-3-85476-346-8. Worldwatch Institute (Hg.): Zur Lage der Welt 2011: Hunger im Überfluss. Neue Strategien im Kampf gegen Unterernährung und Armut. Oekom Verlag, München (2011), 286 Seiten, 19,95 Euro, ISBN 978-3-86581-241-4.