Blutdrucksenkende Tomaten und ballaststoffreicher Weizen?
Neue Gentechnik: was wächst auf den Äckern?
Die angekündigte Welle der Produktzulassungen im Bereich der neuen Gentechnik lässt weiterhin auf sich warten. Zudem werden Pflanzen, die kurz vor der Markteinführung stehen, wohl kaum den versprochenen Beitrag zu einer nachhaltigeren oder gar klimaresilienten Landwirtschaft leisten.

Die gentechnisch veränderte Tomate soll eine blutdrucksenkende Wirkung haben. Foto: gemeinfrei auf pixabay.com (2556426)
Es mag angesichts des euphorischen Diskurses über die neue Gentechnik überraschend sein, aber bis jetzt (Stand: April 2022) sind wohl erst vier Pflanzen im kommerziellen Anbau, die mit den Verfahren der neuen Gentechnik (Oligonukleotid-gerichtete Mutagenese, TALEN und CRISPR-Cas) entwickelt wurden. Der starke öffentliche und mediale Fokus auf die neue Gentechnik lässt darüber hinaus aus dem Blick geraten, dass beim Großteil der gentechnisch veränderten (gv) Pflanzen, die aktuell entwickelt werden und in den Anbau kommen sollen, nach wie vor alte Gentechnik zur Anwendung kommt. Die Eigenschaften dieser Pflanzen sind bekannt: Sie haben mehrere Herbizidresistenzen und/oder sie produzieren verschiedene Bt-Proteine, die gegen Schädlinge wie den Maiszünsler wirken sollen.
Was wächst auf dem Acker?
Die vier mittels neuer Gentechnik entwickelten Pflanzen, die bereits vermarktet werden, sind: 1. Ein herbizidresistenter Raps der Firma CIBUS, der mittels des RTDSTM Verfahrens (Oligonukleotid-gerichtete Mutagenese) entwickelt wurde. Der Raps wird in den USA und Kanada angebaut, der Anbauumfang ist unbekannt. 2. Eine Soja mit einem veränderten Ölsäuregehalt der Firma Calyxt, bei der TALEN zum Einsatz kam. Der Anbau findet bislang ausschließlich in den USA statt. Für 2020 wird ein Anbauumfang von 30.000 Hektar angegeben. 3. Das erste CRISPR-Produkt ist eine Tomate mit erhöhtem Gehalt an Gamma-Amino-Buttersäure (GABA). Diese Aminosäure kann die Übertragung bestimmter Reize im zentralen Nervensystem hemmen, weswegen sie u.a. eine blutdrucksenkende Wirkung haben soll. Sie wurde vom Unternehmen Sanatech Seed entwickelt. Nach einer ersten Testphase in Japan, in der Hausgärtner*innen die Tomate anbauen konnten, findet dort seit 2021 auch ein kommerzieller Anbau statt. Der Anbauumfang ist unbekannt. 4. Im April 2021 wurde der erste Zulassungsantrag für CRISPR-Pflanzen in der EU veröffentlicht.1 Der Antrag auf Importzulassung in der Datenbank der Europäischen Lebensmittelbehörde (EFSA) bezieht sich auf den Mais DP915635 der US-Firma Pioneer (gehört zu Corteva). Der Mais ist resistent gegen das Herbizid Glufosinat und produziert ein Insektengift, das in bestimmten Farnen zu finden ist, die auf Bäumen wachsen. Die Firma hat in Europa bereits Patente auf entsprechende Pflanzen erhalten. Der Mais wurde mit einer Kombination von ‚alter‘ und neuer Gentechnik (CRISPR) erzeugt. Ob und in welchem Umfang der Mais in den USA und ggf. weiteren Ländern angebaut wird, ist unklar.
Wenig Transparenz
An welchen Pflanzen mit welchen Eigenschaften arbeiten die Unternehmen? Mit welchen Anbauzulassungen im Bereich der neuen Gentechnik ist in den nächsten Jahren zu rechnen? Eine Anschluss-Recherche, die im Auftrag des Schweizer Bundesamtes für Umwelt durchgeführt wurde, zeigt zunächst vor allem, wie schwierig die Datenlage ist.
Marktakteur*innen sind v.a. multinationale Konzerne wie Bayer, BASF, Corteva oder Syngenta sowie Start-ups, die zum Teil mit den Konzernen kooperieren, und Unternehmen für computergestützte Agrartechnologie und Lizenzgeber der Verfahren. Neun US-amerikanische Unternehmen (Arcadia Biosciences, Benson Hill Biosystems, Calyxt, Cibus, Inari Agriculture, Pairwise Plants, Precision Biosciences, Tropic Biosciences und Yield10 Bioscience) dominieren bislang den Markt für neue gv-Pflanzen. Dieser wird von Analyst*innen weiterhin als Nischenmarkt bezeichnet. Es handelt sich bei diesen Unternehmen überwiegend um Start-ups bzw. Ausgründungen von wissenschaftlichen Instituten, die erst mit dem Aufkommen der neuen Verfahren entstanden sind. Deren Kommerzialisierungspipeline ist relativ transparent, dabei allerdings einer starken Fluktuation unterworfen – bereits angekündigte Projekte verschwinden ohne Angabe von Gründen, stattdessen tauchen praktisch jährlich neue Projekte auf. An welchen Pflanzen und Eigenschaften die großen, marktbeherrschenden Unternehmen wie Bayer oder Corteva arbeiten, bleibt dagegen weitgehend unklar. Ein Beispiel ist der oben erwähnte Mais DP915635. Weder bei Pioneer, noch bei Corteva sind zu dieser Pflanze Informationen verfügbar.
Erschwerend kommen nun auch noch Änderungen in der US-amerikanischen Zulassungspraxis hinzu: Seit dem 17. August 2020 ist in den USA die sogenannte SECURE-Regel in Kraft – SECURE steht für Sustainable, Ecological, Consistent, Uniform, Responsible, Efficient = nachhaltig, ökologisch, konsistent, einheitlich, verantwortungsbewusst und effizient. Zu den neuen gentechnischen Verfahren sieht die neue Regel vor: Pflanzen können ohne Regulierungsauflagen vermarktet werden, wenn bei deren Herstellung Gene abgeschaltet wurden, ein Basenpaar geändert wurde oder das eingebaute Gen im Genpool der Art vorkommt. Zulassungsfrei sind auch alle gentechnischen Veränderungen, die theoretisch durch konventionelle Züchtung erreicht werden könnten. Ob eine dieser Ausnahmen vorliegt, entscheidet allerdings nicht die für die Zulassungen zuständige US-Behörde Animal and Plant Health Inspection Service (APHIS), sondern das jeweilige Unternehmen selbst. Es kann sich bei APHIS durch eine Nachfrage rückversichern, muss dies aber nicht tun. Derzeit gibt es zwar noch Anfragen einzelner Unternehmen; diese werden allerdings nicht durch relevante öffentlich zugängliche Dokumente begleitet. Anfragen dieser Art werden wohl abnehmen, wenn sich der Markt für neue gv-Pflanzen weiterentwickelt. Um die Marktentwicklung in Zukunft verfolgen zu können, wird die Einrichtung einer globalen Datenbank, in die alle Entwickler*innen neuer gentechnisch veränderter Pflanzen alle für einen Nachweis und ein Monitoring erforderlichen Angaben verpflichtend eintragen müssten, also immer wichtiger.
Welche Pflanzen könnten in den nächsten Jahren auf den Markt kommen?
Klare Prognosen hierzu sind schwierig, weil sich Züchtungs- und Kommerzialisierungsprojekte aus unterschiedlichen Gründen immer wieder verzögern können. Die von den Unternehmen angegebenen Jahreszahlen für die Markteinführungen sind daher regelmäßig zu überprüfen. Hier einige Beispiele: Das Unternehmen Calyxt hat für 2023 eine mittels TALEN veränderte Luzerne angekündigt, die eine verbesserte Nährstoffzusammensetzung und bessere Verdaulichkeit aufweisen soll. 2024 soll ein ebenfalls mit TALEN entwickelter Weizen mit erhöhtem Ballaststoffgehalt auf den Markt kommen. Da jedoch 2020 großflächig Freisetzungsversuche mit diesem Weizen durch Pestizidabdrift zerstört wurden, kann es zu weiteren Verzögerungen kommen. Das Unternehmen CIBUS hatte bereits für 2021 die Markteinführung von herbizidresistentem Reis angekündigt. Ob diese in den USA inzwischen erfolgt ist, ist unklar. In Entwicklung hat CIBUS auch weitere herbizidresistente Rapssorten. Diese will das Unternehmen, wenn es die Regulierungsauflagen zulassen, auch auf den europäischen Markt bringen: „We believe that it will be particularly important in Europe where there are no herbicide tolerance traits“, heißt es auf der Webseite.2
Weitere Pflanzen sind wohl frühestens ab 2025 zu erwarten. Die angekündigte und von vielen erwartete „Zulassungsschwemme“ im Bereich der neuen Gentechnik lässt also weiterhin auf sich warten. Zudem zeigt sich, dass die Pflanzen, die kurz vor der Markteinführung stehen sollen, kaum den versprochenen Beitrag zu einer „nachhaltigeren“ oder gar „klimaresilienten“ Landwirtschaft leisten werden. Leider sind die Anwender*innen der neuen Gentechnik nur selten so ehrlich wie der CEO von Pairwise, Tom Adams (früher: Vice President of Global Biotechnology bei Monsanto), der sich auf dem Online-Portal Successful Farming eher zurückhaltend gegenüber den neuen Verfahren äußert: „Wenn in der Presse von Gene-Editing die Rede ist, klingt es oft so, als könnten wir einfach alles im Genom verändern, was wir wollen. Es ist aber deutlich komplizierter; die Bearbeitungswerkzeuge zu entwickeln ist eine komplexe Angelegenheit“.3 Auf systemische Lösungen zu setzen und endlich eine Agrarwende einzuleiten, die diesen Namen verdient, erscheint vor diesem Hintergrund wirklich als einzig vernünftiger Weg.
- 1EFSA (2020): Application for authorisation of genetically modified plants and derived food and feed in accordance with regulation (ec) no 1829/2003. Online: www.kurzelinks.de/gid261-pai [letzter Zugriff: 22.04.22].
- 2CIBUS (o.D.): Trait Product Pipeline. Online: www.kurzelinks.de/gid261-paj [letzter Zugriff: 22.04.22].
- 3Successful Farming (11/29/2021): Plant breeding advances may spark annual corn and soybean yield increases. Online: www.kurzelinks.de/gid261-pak [letzter Zugriff: 22.04.22].
Dr. Eva Gelinsky ist politische Koordinatorin der Interessengemeinschaft gentechnikfreie Saatgutarbeit und Mitglied in der Eidgenössischen Ethikkommission für die Biotechnologie im Ausserhumanbereich (EKAH). Sie arbeitet auch für die schweizerische Stiftung für die kulturhistorische und genetische Vielfalt von Pflanzen und Tieren ProSpecieRara.