Auf eigenen Pfaden wandeln

Weil sie sich für die "Rekrutierung" von Patienten anbieten, sind Selbsthilfeorganisationen in den letzten Jahren verstärkt in das Blickfeld der Forschung geraten. Insbesondere Unternehmen haben sich über das Sponsoring vielfach spezielle Zugänge zu Patientengruppen eröffnet. Aus diesen problematischen Partnerschaften entsteht ein neues Biobank-Modell.

In vielen Fragen der Forschungs- und Gesundheitspolitik gibt es gemeinsame Interessen", heißt es auf den Internetseiten des Verbands der forschenden Arzneimittelhersteller (VfA). "Deswegen arbeiten wir seit der Gründung unseres Verbandes im Jahre 1994 eng mit Bundesverbänden von Patienten-Selbsthilfegruppen zusammen”.(1) Dass Selbsthilfegruppen und Patientenorganisationen ein ideales Feld für Material- und Datenbeschaffung bieten, hat die Industrie begriffen. Pharmaunternehmen knüpfen seit Jahren über das Sponsoring von Selbsthilfe-Aktivitäten dauerhafte Verbindungen zu Patientengruppen. Mindestens 23 große Pharmaunternehmen haben eigens Ansprechpartner für Selbsthilfegruppen, die über die Internetseiten des VfA kontaktiert werden können.(2)

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"Die Unternehmen haben verstanden, dass sie Patienten in ihre Kommunikation einbeziehen müssen", sagt Irmi Gallmeier, eine von drei Vorständlerinnen der gemeinnützigen Stiftung PATH, der “Patienteneigenen Tumorbank der Hoffnung”. Die Biobank wurde 2002 aus der größten Vereinigung von Brustkrebs-Patientinnen in der Bundesepublik "mamazone – Frauen und Forschung gegen Brustkrebs e.V." heraus gegründet. PATH will Brustkrebspatientinnen laut Selbstdarstellung "unabhängig von wirtschaftlichen und sonstigen Gruppeninteressen (...) Zugang zu den individuell besten Chancen für aktuelle und künftige Behandlungsmöglichkeiten" verschaffen.(3) Ihr Angebot: Frauen, die an Brustkrebs erkrankt sind, können nach einer Operation einen Teil ihres Tumorgewebes bei der Stiftung einfrieren lassen. "Es gibt Tausende von Tumorbanken für die Forschung", so Gallmaier. "Aber nicht eine lagert Tumorgewebe für die Patientin ein." Die Aufbewahrung des Gewebes über die PATH-Stiftung ermögliche Patientinnen endlich, in der Zukunft von neu entwickelten Testverfahren, Diagnostika oder sogar Therapien zu profitieren. Etwa wenn es darum geht, die Wahrscheinlichkeit von Rezidiven – der Entstehung von neuen Tumoren nach Behandlung des Primärtumors – vorherzusagen.(4) Einzige Bedingung für die kostenlose Aufbewahrung: Die Spenderinnen müssen einen Teil des Gewebes für die Forschung zur Verfügung stellen. Dieser "leibhaftige Beitrag für mehr und schnelleren Fortschritt in der Krebsforschung", so heißt es auf den Internetseiten der Stiftung, sei für Krebspatientinnen "ein Weg, Einfluss auf die Krebsforschung von morgen zu nehmen."(5) Dabei gäbe es allerdings klare Prioritäten: "An erster Stelle steht die Routinediagnostik", so Gallmeier. "Dann wird eine Probe genommen, die zur freien Verfügung der Patientin eingefroren wird. Zuletzt ist dann die Forschung dran. Wenn genügend Tumorgewebe vorhanden ist, wird eine Probe in die Forschungsbank von PATH eingelagert."

...patientenbestimmt...

Die Bedürfnisse der Patientin stehen an erster Stelle, das ist die Botschaft von PATH. "Wir sind eine patienteneigene Tumorbank", so Gallmeier. "Auch über die Verwendung der Proben für Forschungsprojekte bestimmen die Patientinnen mit." Ein Blick auf die Strukturen der Stiftung lässt Zweifel aufkommen an dieser Darstellung: Laut Satzung entscheidet zwar der Vorstand über die Vergabe von "finanziellen und biologischen" Stiftungsmitteln, allerdings "gegebenenfalls auf Grund von Richtlinien, welche das Kuratorium festlegt".(6) Zudem wird der Vorstand nicht nur vom Kuratorium gewählt; es kann ihn auch jederzeit absetzen. Dem dreiköpfigen Vorstand gehören zwei Patientinnen an. Im Kuratorium dagegen sehen die Mehrheitsverhältnisse etwas anders aus: Zum einen ist dem Gremium ein wissenschaftlicher Beirat mit derzeit sechzehn Mitgliedern aus biomedizinischer Forschung und ärztlicher Versorgung beigestellt, zum anderen sitzen hier neben vier MedizinerInnen und einem Juristen nur noch drei Patientienvertreterinnen. Eine von ihnen ist zugleich Mitarbeiterin der Bayer HealthCare AG. Ein Zufall? Der Vorstand von PATH beteuert, sie sei in ihrer Eigenschaft als Patientin Mitglied des Kuratoriums. Das Unternehmen dagegen streicht ihre Eigenschaft als Mitarbeiterin von Bayer HealthCare heraus.(7)

...uneigennützig...

"Die Einlagerung der Tumorproben kostet viel Geld", sagt Irmi Gallmeier. Deshalb könne PATH nicht auf Kooperationen mit der Industrie verzichten. Wichtig sei dabei aber Transparenz. "Die Unternehmen, die PATH finanziell unterstützen, haben kein Vorgriffsrecht auf die Proben", versichert sie. "Der Deal ist ein anderer". PATH und die Brustkrebs-Initiative Mamazone stünden bei Veranstaltungen, die die Unternehmen für Patienten machen, "zur Verfügung." Wie auch immer der Deal in der Praxis aussieht - die Unternehmen lassen sich die Kooperation etwas kosten. Astra Zeneca beispielsweise, seit diesem Jahr mit im Boot, finanzierte eine Kühltruhe für das Marburger Klinikum. Das dortige Brustzentrum ist neben den Universitätskliniken Kassel und Augsburg seit kurzem Vertragspartner von PATH. Mit dem Brustzentrum der Ruhr-Uni Bochum in Herne und der Bonner Universitätsklinik stehen Verträge vor dem Abschluss. Verhandelt wird außerdem mit der Universität Tübingen. Die Personalkosten, die bei der Einlagerung des Gewebes anfallen, tragen die Kliniken. "Wenn sie die Einlagerung anbieten, fördert das ihren Ruf als gutes Krankenhaus", so Gallmeier. "Das ist viel wert in der Konkurrenzsituation, die heute zwischen den Kliniken besteht." Seit die Kooperation mit Universitätskliniken ins Rollen gekommen ist, hat auch die Anzahl der Unternehmen, die die Stiftung finanziell unterstützen, deutlich zugenommen. Als Sponsoren eingestiegen sind in den vergangenen zwölf Monaten neben Astra Zeneca auch Bristol Myers Squibb, die Bayer Health Care AG, das Klinikum Augsburg und Ortho Biotech. Nur Roche ist von Anfang an dabei. Das Pharmaunternehmen entdeckte bereits lange vor der Gründung von PATH die Brustkrebs-Selbsthilfe: Die Kooperation begann Ende der 90er Jahre in den USA im Zusammenhang mit dem Brustkrebs-Medikament Herceptin; in der Bundesrepublik entfaltete Roche erste Sponsoring-Aktivitäten im Jahr 2000.(8)

...Akzeptanz gesichert?

Nach zwei eher verhaltenen Jahren kommt das Projekt PATH nun richtig in Schwung. Zunächst hatten die Stiftungsgründerinnen bei der Einrichtung der Tumorbank auf das Modell der privatwirtschaftlichen Dienstleistung gesetzt. Bis zum Mai 2004 wurden die Gewebeproben bei dem Hannoveraner Biotechunternehmen Liponova eingelagert – gegen Zahlung von 500 und jährliche Aufbewahrungsgebühren von 100 Euro. Lediglich 35 Proben konnten auf diese Weise gesammelt werden; sie lagern immer noch in Hannover.(9) Schnell begann man deshalb bei PATH, sich nach anderen Möglichkeiten umzusehen und entdeckte die Universitätskliniken. "Marburg und Augsburg haben jeweils 400, Kassel sogar 600 primäre Tumoren im Jahr", berichtet Irmi Gallmeier. An allen drei Kliniken wird der behandelnde Arzt nun Brustkrebspatientinnen vor einer Operation detailliert die Bedingungen einer Einlagerung von Tumorgewebe bei PATH erläutern. Entscheiden sich Patientinnen dafür, unterschreiben sie eine Einwilligungserklärung, in der sie dezidiert über ihre Rechte aufgeklärt werden. Der Tumor wird direkt nach der Operation für die Schockfrostung präpariert – in sauber nach Zweck getrennte Proben. "Wir rechnen mit großer Akzeptanz", sagt PATH-Vorständlerin Gallmeier. "Die Patientinnen geben ja ihr Gewebe nicht einfach so für die Forschung weg, sondern haben selbst einen Vorteil daraus. Und das ist doch eine legitime Haltung für eine Erkrankte, oder?"

Fußnoten

  1. www.vfa.de/de/patienten/psg-grundsaetze.html
  2. www.vfa.de/de/patienten/ansprechpartner.html#appsg
  3. Broschüre der Stiftung PATH, zu beziehen über Postfach 310220, 86063 Augsburg
  4. Ausgeschlossen sind lediglich immuntherapeutische Anwendungen, weil die Zellen bei der Schockfrostung des Gewebes beschädigt werden.
  5. www.stiftungpath.org
  6. Vgl. Satzung der Stiftung PATH. Sie ist derzeit nicht im Internet verfügbar, liegt der GID-Redaktion aber vor. Auf den neuen Internetseiten der Stiftung heißt es: "Für die Vergabe von Stiftungsmitteln kann das Kuratorium in Abstimmung mit dem Vorstand Empfehlungen aussprechen."
  7. "Bayer HealthCare unterstützt Brustkrebsforschung. Patienteneigene Gewebebank für mehr Qualität und Sicherheit", Presse-Information der Bayer HealthCare AG vom 19. November 2003
  8. Vgl. GID Nr. 144, Februar/März 2001, S.36 ff.
  9. Von der engen Verbindung zu Liponova zeugt heute nur noch die Mitgliedschaft der für Selbsthilfegruppen zuständigen Mitarbeiterin von Liponova im Kuratorium von PATH
Erschienen in
GID-Ausgabe
167
vom Dezember 2004
Seite 16 - 17

Uta Wagenmann war Mitarbeiterin des GeN und GeN-Vorstandsmitglied.

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