Genmanipulation unbestätigt

Neue Studie heizt Spekulationen um Genveränderungen durch mRNA-Impfungen an

Verändern mRNA-Impfstoffe das menschliche Genom? Eine neue Veröffentlichung schwedischer Wissenschaftler*innen verunsichert – die Aussagekraft ihrer Studie ist jedoch fraglich.

Fast 100.000-mal wurde der Artikel des Forschungsteams um Markus Aldén und Yang De Marinis aufgerufen.1 Vielfach wurde er in sozialen Medien geteilt und diskutiert. Für viele haben die Autor*innen endlich den Beweis geliefert: Der mRNA-Impfstoff BNT162b2 von Pfizer/BioNtech soll bei Geimpften das Genom verändern und so möglicherweise schwerwiegende Nebenwirkungen auslösen. Doch wie so oft bei wissenschaftlichen Studien, lohnt es sich genauer nachzulesen.

Imperfektes Modellsystem

Anders als gewöhnliche Gewebezellen, lassen sich Zelllinien unbegrenzt in Kulturmedien vermehren. Viele stammen aus Tumoren und sind genetisch stark verändert – so auch die hier verwendete Leberzelllinie Huh7. Sie wurde 1982 aus einem Leberkarzinom gewonnen und besitzt ein stark mutiertes Erbgut mit 55 bis 63 statt 46 Chromosomen. Es wurde eine Leberzelllinie gewählt, da Tierversuche gezeigt hatten, dass mRNA-Gabe mit Lipidnanopartikeln in Tierversuchen zu reversiblen Veränderungen der Leber geführt hatte.

Die Autor*innen wollten daher genauer untersuchen, was der Impfstoff in Leberzellen macht. Um den Effekt, der in Tierversuchen beobachtet wurde, zu erklären, spekulieren sie, ob der mRNA-Impfstoff das Genom von Leberzellen verändern könnte. Dafür verweisen sie auf eine umstrittene Studie der Arbeitsgruppe von Rudolf Jeanisch vom Massachusetts Institute of Technology (MIT).2 Diese hatte berichtet, einen Einbau von Sequenzen aus dem Erbgut von SARS-CoV-2 in das menschliche Genom beobachtet zu haben. Dies soll durch LINE1, ein sogenanntes Transposon im menschlichen Genom, möglich sein. Transposons sind DNA-Sequenzen, die im menschlichen Genom hin- und herspringen können. LINE1 beinhaltet u.a. die Information für eine reverse Transkriptase, d.h. ein Protein das RNA in DNA umschreiben kann. So könnte also sowohl das Genom des Virus, das aus RNA besteht, als auch der mRNA-Impfstoff in DNA umgewandelt werden. Diese DNA-Sequenz könnte dann wiederum in das menschliche Genom eingebaut werden. Doch die Ergebnisse wurden von anderen Wissenschaftler*innen u.a. als Artefakte erklärt. Das heißt, die Beobachtungen von Jeanisch und Kolleg*innen würden nur durch die verwendete Methode zustande kommen.
In der aktuellen Studie versetzte das schwedische Forschungsteam die Huh7-Zellkulturen mit sehr hohen Konzentrationen des Impfstoffes, die bei Geimpften nicht erreicht werden. Anschließend untersuchten sie die Aktivität von LINE1 in den behandelten Zellen. Sie stellten fest, dass sechs Stunden nach Behandlung mit dem Impfstoff eine hohe Aktivität von LINE1 vorlag. Wie ein Beitrag auf der wissenschaftlichen Diskussions-Plattform Pubpeer bemerkt, wurde die höchste LINE1-Aktivität allerdings bei der unbehandelten Kontrolle nach zwei Tagen gemessen.3 Es muss also kein Zusammenhang zwischen Impfstoff und einer vermehrten LINE1-Aktivität bestehen, wie es die Autor*innen suggerieren.

Kein Nachweis einer Genomveränderung

Die Forschenden untersuchten dann die DNA in den mit Impfstoff behandelten Zellen und konnten tatsächlich kleine Stücke der BNT162b2-Sequenz nachweisen. Einen Einbau dieser DNA-Fragmente in das Erbgut der Zellen haben die Wissenschaftler*innen jedoch nicht nachgewiesen. Sie schreiben dies sei möglich und der Impfstoff könnte demnach Schäden im menschlichen Genom verursachen – Belge dafür liefern sie nicht. Insgesamt ist die Übertragbarkeit ihrer Entdeckung durch das gewählte experimentelle Setting auf die Anwendung beim Menschen fraglich.

Die gründliche Erforschung der Wirkung von mRNA-Impfstoffen im menschlichen Körper ist notwendig. Der Hinweis darauf, dass es grundsätzlich möglich sein könnte, dass mRNA in DNA umgeschrieben wird, sollte weiter untersucht werden. Bei der großen Brisanz der Forschungsfrage erscheint der Wissensgewinn der Studie jedoch sehr gering, im Vergleich zu der Wirkung der falschen Schlüsse die von den Autor*innen durch ihre spekulativen Formulierungen befeuert werden.

  • 1Aldén, M./Olofsson Falla, F./Yang, D. et al. (2022): Intracellular Reverse Transcription of Pfizer BioNTech COVID-19 mRNA Vaccine BNT162b2 In Vitro in Human Liver Cell Line. In: Current Issues in Molecular Biology, 44, 3, S.1115-1126, www.doi.org/10.3390/cimb44030073.
  • 2Zhang, L./Richards, A./Barrasa, M.I. et al. (2021): Reverse-transcribed SARS-CoV-2 RNA can integrate into the genome of cultured human cells and can be expressed in patient-derived tissues. In: PNAS, 118, 21, www.doi.org/10.1073/pnas.2105968118.
  • 3Pubpeer (2022): Kommentar von Alexander Samuel. Online: www.kurzelinks.de/gid261-ia1 [letzter Zugriff: 14.04.22].
GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
261
vom Mai 2022
Seite 36

Dr. Isabelle Bartram ist Molekularbiologin und Mitarbeiterin des GeN.

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