"Die Realität ist fantastisch genug"
Im Januar ist der neue Roman des Science Fiction Autors Michael Crichton (Jurassic Park; Emergency Room) über das Leben im Gen-Zeitalter erschienen mit einem Nachwort des Gen-ethischen Netzwerks. Dadurch bot sich die Gelegenheit, beim Autor selbst noch einmal nachzuhaken...
In ihrem Buch NEXT bekommen es die Akteure praktisch mit jedem Aspekt der reproduktiven Medizin und der Gentechnik zu tun: Gentherapie, künstliche Befruchtung, Eizellspende, Abstammungstests, transgene Tiere, Genpatente ... Das meiste davon hört sich sehr real an. Gleichzeitig blühen in öffentlichen Debatten über diese Themen zahlreiche Mythen und Fiktionen. Wo ziehen Sie, als Science Fiction-Autor, die Grenze zwischen Science und Fiction?
Das ist eine Frage der Beurteilung - und ist genau das, was das Buch meiner Ansicht nach den Lesern vermitteln soll. Die Realität ist heutzutage fantastisch genug. Ich wollte nicht über Unsterblichkeit oder Designerbabys schreiben, weil ich glaube, dass das Fantasien sind. Wahrscheinlich wird es sie nie geben. Alle Geschichten in meinem Buch sind wahr, in dem Sinne, dass sie tatsächlich bereits passiert sind in einigen Fällen bereits vor Jahrzehnten. Die einzigen Geschichten, die nicht wahr sind, sind die Storys über Dave, den transgenen Affen, und Gerard, den transgenen Papagei, sowie die Sache mit dem Kopfgeldjäger, der auf der Jagd nach Zellen ist. Diese Geschichten sind einfach übertrieben. Aber transgene Tiere an sich sind überhaupt nichts Neues: Es werden bereits seit dreißig Jahren menschliche Gene in Tiere eingeschleust. Es ist ganz einfach nur eine Frage der Zeit, bis wir den ersten transgenen Affen produziert haben. Ob man das für eine gute Sache hält oder nicht.
Ihre Leser werden wahrscheinlich ein ziemlich kritisches, zum Teil sogar zynisches Bild von den Motivationen und Praktiken der Biotech-Unternehmen bekommen. Es gibt auch eine ziemlich komische, aber gewiss nicht schmeichelhafte Geschichte über Berlusconis Körperfett, das zu einer neuen Luxus-Seife verarbeitet wird. Haben Sie keine Angst, verklagt zu werden?
Nein. Die Berlusconi-Geschichte ist wahr und genauso geschehen, wie es im Buch beschrieben wird. Das Buch enthält mehrere Abschnitte mit Berichten aus der Presse. Es scheint in den Medien selbst einige Verwirrung zu geben, welche dieser Storys wahr sind und welche nicht. In der Bibliographie im Anhang habe ich versucht, Internetquellen für jene Geschichten anzugeben, die tatsächlich passiert sind. Berlusconis Seife ist also wahr, ebenso wie die Fleischklöße, die aus dem Körperfett des Künstlers hergestellt wurden. Die BBC-Geschichte über das Aussterben der Blondinen gab es auch. Auch die Meldung, dass wir alle immer kindischer werden, ist wahr - in der Hinsicht, dass in den Zeitungen darüber berichtet worden ist.
In ihrem Buch argumentieren Befürworter und Gegner der Gentechnologie mit der Religion. Das scheint typisch für die Diskussion in den USA...
Ich würde nicht sagen, dass religiöse Argumente hinsichtlich der Grenzen von Wissenschaft typisch für die USA sind. Dem ist nicht so. (Die Vorstellung, die USA sei voller Halb-Gebildeter, die ständig auf die Bibel pochen, ist ohnehin ein weit verbreiteter Irrglaube, genauso wie die Vorstellung, Chicago werde von Gangstern regiert und im Westen gäbe es noch Cowboys). Was stimmt ist, dass religiöse Argumente bei Diskussionen über Fortschritte in der Biologie und Medizin am konservativen Ende des Spektrums anzutreffen sind und einige Wissenschaftler, die gläubig sind, argumentieren so wie in dem Buch. Wenn man ihre Argumente aber vorsichtig liest, dann stellt man fest, dass sie religiöse Überzeugungen eigentlich dafür benutzen, die Wissenschaft voranzutreiben und nicht um sie aufzuhalten. Damit wollte ich auch auf den instrumentellen Gebrauch von Religion hinweisen.
Haben Sie auch die Diskussion in Europa verfolgt und glauben Sie, dass hier anders argumentiert wird?
Mein Eindruck ist, dass die Diskussionen wenn man die unterschiedlichen Gesetzeslagen und die unterschiedlichen kulturellen Hintergründe bedenkt doch sehr ähnlich sind. Die Menschen teilen die gleichen Anliegen und sie definieren sie meistens auf dieselbe Weise. Aber das heißt nicht, dass ihre Antworten dieselben sind. In Italien zum Beispiel hat sich die Bevölkerung in einem Referendum entschieden, ein Moratorium gegen die künstliche Befruchtung aufrecht zu erhalten. Zum selben Zeitpunkt war in England dasjenige Mädchen, das dort vor mehr als dreißig Jahren als erstes weltweit nach einer künstlichen Befruchtung auf die Welt gekommen war, bereits selber schwanger. (Sie hat inzwischen ein ganz "normales" Kind bekommen.) In Großbritannien und den USA wird die künstliche Befruchtung im Allgemeinen als ethisch bedenkenlos eingestuft. Es gibt Zweifel bezüglich der Kosten, der Sicherheit und bestimmter extremer Anwendungen - zum Beispiel fragen sich manche, ob man eine 60-Jährige damit behandeln soll. Aber die Technologie selbst ist nicht umstritten. Es wird wohl noch ein Jahrhundert oder noch länger dauern, bis wir einen breiteren Konsens gefunden haben, wie diese Technologien genutzt werden sollten.
Im Nachwort sprechen sie sich nachdrücklich gegen Genpatente aus und fordern striktere Regeln bei klinischen Studien. Andererseits sagen sie aber, jeder Versuch, eine bestimmte Forschungsrichtung zu verbieten, sei von vornherein zum Scheitern verurteilt, weil dann einfach in einem anderen Land geforscht wird. Woher nehmen Sie denn Ihr Vertrauen, dass wir in einer solchen Situation überhaupt die Rechte der Patienten schützen können?
Ich denke, dass es geht. Es wird nicht einfach und in den USA gibt es derzeit eher Gerichtsurteile gegen die Interessen der Patienten. Aber letztendlich verfügen die Patienten über die Gewebe, welche die Wissenschaftler brauchen. Und sie werden in der Lage sein, zu entscheiden, wofür ihre Gewebe verwendet werden. Es kann aber noch einige Jahre dauern, bis dieses Problem gelöst wird.
Noch einmal zur Grenze zwischen Science und Fiction. In ihrem Roman lässt das Ergebnis eines Vaterschaftstests die betroffene Familie vermuten, dass der (verstorbene) Vater eine menschliche Chimäre ist: In einigen seiner Organe sind Zellen mit unterschiedlichen Genomen aufgetaucht. Die Erklärung lautet, zweieiige Zwillinge seien in einem frühen Entwicklungsstadium zu einem Embryo verschmolzen. Ist das Science oder Fiction?
Science. Es sind mindestens dreißig menschliche Chimären bekannt und es wird angenommen, dass weit mehr existieren. Darüber berichtete beispielsweise die britische Zeitung Telegraph.
Warum heißt der Titel ihres Buches "NEXT"?
Warum nicht? Ehrlich gesagt verstehe ich den Titel ironisch. Es heißt "NEXT", aber eigentlich spielt der Großteil der Geschichte "jetzt". Ich wollte darauf anspielen, dass wir immer in die Zukunft schauen, während sich genau vor unserer Nase Sachen abspielen, die weit über unsere Vorstellungskraft hinausgehen.
Michael Crichton ist Science Fiction Autor (Next, Jurassic Park, Emergency Room).