Was ist und wie funktioniert Gendoping?

Eine Einschätzung des TAB

Dies war eine der Kernfragen des Gendoping-Projekts, das das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) auf Initiative des Sportausschusses durchführte.

Beim Gendoping wird versucht, gentherapeutische Verfahren aus der Medizin, von denen man sich neue Behandlungsmöglichkeiten für Krankheiten erhofft, zweckentfremdet zur Leistungssteigerung im Sport zu verwenden. 2003 wurde Gendoping in den Katalog der pharmakologischen Mittel und medizinischen Methoden aufgenommen, die im (Wettkampf-)Sport verboten sind. Laut Welt-Anti-Doping Agentur (WADA) sind unter Gendoping Verfahren mit einem Potenzial der sportlichen Leistungssteigerung zu verstehen, bei denen Zellen oder Genelemente (zum Beispiel DNA, RNA) übertragen werden oder bei denen pharmakologische oder biologische Substanzen angewendet werden, die die Genexpression verändern.1 Die wissenschaftliche Basis dieser neuen (Gen-) Dopingmöglichkeiten bilden die zunehmenden Kenntnisse über molekulare Mechanismen der Zellfunktion und die darauf aufbauenden immer avancierteren molekularbiologischen Techniken, von denen sich die Medizin neue Therapieansätze gegen Krankheiten erhofft, die jedoch auch zu (Gen-) Dopingzwecken im Sport verwendet werden können.

Übertragung von Zellen oder Genelementen

Im medizinischen Bereich werden Strategien zur Behebung genetischer Defekte, bei denen Gene beziehungsweise genetische Elemente mittels Transportvektoren („Genfähren“) in Zellen eingebracht werden, als Gentherapie bezeichnet. Diese therapeutischen Gene oder Genelemente können theoretisch in jede Zelle, das heißt in normale Körperzellen (somatische Zellen) wie auch in Keimbahnzellen (Ei- oder Samenzellen), eingebracht werden. Sowohl in Deutschland als auch weltweit gibt es jedoch einen weitreichenden Konsens, dass lediglich somatische Gentherapieversuche am Menschen wissenschaftlich und ethisch vertretbar sind. Bisher am Menschen getestete somatische Gentherapieversuche richteten sich vor allem gegen Krebserkrankungen, monogene Erbkrankheiten, Infektionskrankheiten (vor allem HIV) und kardiovaskuläre Störungen. 2 Der Gentransfer erfolgt bei diesen Verfahren entweder ex-vivo, das heißt spezifische, meist Stammzellen, werden dem Körper entnommen, erhalten das entsprechende therapeutische Gen beziehungsweise Genelement und werden anschließend wieder in den Körper eingebracht. Oder der Transfer erfolgt in-vivo, das heißt das therapeutische Gen oder Genelement wird direkt im Organismus in Zellen eingeschleust. Beide Verfahren gelangen bisher nur in ganz wenigen Fällen. Schwierigkeiten bei ex-vivo-Verfahren liegen unter anderem darin, dass bisher nur wenige somatische Zellarten erfolgreich in Kultur genommen und rückübertragen werden konnten. Bei in-vivo-Verfahren werden auch die verwendeten Transportvektoren für etliche Nebenwirkungen mitverantwortlich gemacht. Es gibt unterschiedliche Vektorenarten, die jeweils auf eine spezifische Therapieform abgestimmt werden. Bisher wurden meist abgewandelte Viren eingesetzt. Zunehmend testet man neue Transportmöglichkeiten bis hin zu sogenannter „nackter DNA“. Eine gezielte Steuerung der ablaufenden Prozesse ist bisher kaum möglich.

Veränderung der Genexpression durch pharmakologische oder biologische Substanzen

Andere therapeutische Strategien versuchen, das Einbringen von zusätzlichen Genen zu umgehen, und zielen stattdessen auf die Veränderung des Expressionsprozesses einzelner körpereigener Gene (zum Beispiel durch Aktivierung, Verstärkung, Abschwächung oder Blockade) ab. Dabei ist jeder Schritt der Genexpression (vom Ablesen der genetischen Information über die Produktion bis zur Wirksamkeit der Proteine) einer physiologisch hochkomplexen Regulierung unterworfen und bietet Ansatzpunkte zur Modifikation (siehe Abbildung auf Seite 6). Die zugrunde liegenden biochemischen und physiologischen Prozesse sind jedoch sowohl auf der Ebene der Zellen als auch auf der Ebene der Gesamtregulation im Körper in ihrer Komplexität bisher nur teilweise verstanden. Aus der Erforschung der vernetzten Regelkreise leistungsphysiologisch relevanter Eigenschaften resultiert eine Vielzahl von Ansatzpunkten für pharmakologische und molekularbiologische Interventionen, die auch zum Doping im Sport verwendet werden können.
Grafik (pdf): Ansatzpunkte für die Änderung der körpereigenen Genexpression (Quelle: P. Diehl, unter Verwendung einer Abbildung der Fa. Roche)
Die Spezifik des Gendopings gegenüber herkömmlichen Dopingmethoden liegt darin, dass nicht mehr direkt wirksame Substanzen oder Proteine (wie zum Beispiel Epo zur Verbesserung der Sauerstoffversorgung) dem Körper „von außen“ zugeführt werden, sondern dass einzelne Körperzellen oder Zellbestandteile angeregt werden, diese Substanzen selbst vermehrt zu produzieren, indem die spezifischen Steuerungs- und Regelungsprozesse verändert werden. Die Missbrauchsgefahr von Substanzen, die die Genexpression verändern, wird gegenwärtig als wesentlich größer eingeschätzt, da sie sich viel leichter anwenden lassen als gentherapeutische Verfahren.

Was Gendoping nicht ist

Eine häufig anzutreffende Vorstellung vom Ziel möglichen Gendopings ist die einer „Verbesserung“ der genetischen Ausstattung (Gendisposition) von Athleten, zum Beispiel mittels gezielten Austauschs oder Hinzufügens von Genvarianten ins Erbgut oder gar mittels pränataler Auslese. Eine detaillierte Untersuchung der Ergebnisse der Genomanalyse ergab jedoch, dass das molekulargenetische Wissen zu „Hochleistungsgenvarianten” bislang äußerst begrenzt, unscharf und widersprüchlich ist. Man geht derzeit mehrheitlich davon aus, dass sportliche Höchstleistungen nicht mit einzelnen Hochleistungsgenvarianten assoziiert werden können, sondern im Zusammenspiel einer Vielzahl von Genen und Umweltbedingungen entstehen. „Erfolgversprechende“ Verfahren zur gezielten Veränderung der genetischen Disposition sind auf absehbare Zeit höchst unwahrscheinlich. Bisher deuten keinerlei Hinweise darauf hin, dass Strategien der Menschenselektion oder -züchtung, um gezielt sportliche Höchstleistungen erbringen zu können, in naher Zukunft technisch umsetzbar wären. Entsprechende Vor- und Darstellungen zu einem zukünftigen Gendoping sind wissenschaftlich derzeit nicht untermauert.

Gendoping: Ziele und Entwicklungsstand

Die Ansatzpunkte eines möglichen Gendopings unterscheiden sich wahrscheinlich nicht wesentlich von bisherigen Dopingstrategien. Es geht um eine Fortsetzung des bereits Möglichen mit neuen Mitteln. Die Ansatzpunkte werden in drei physiologischen Bereichen und deren molekularer Regulation gesehen: • Skelettmuskulatur: Wachstum, Struktur, Kraft, Ausdauer, Regeneration (molekulare Ziele: Myostatin, HGH/ IGF/MGF, Pax7, PPAR-delta) • Sauerstoffversorgung: Hämoglobinkonzentration, Blutgefäßversorgung (molekulare Ziele: EPO, HIF, VEGF) • Energiebereitstellung: Fettsäure- und Glucosestoffwech­sel in Leber und Muskel (molekulare Ziele: AMPK, FATPs, GLUTs, PTP-1B) Hier sind die zugrundeliegenden physiologischen Prozesse bereits teilweise bis auf Molekülebene bekannt. In den genannten Bereichen gibt es unterschiedliche Forschungsansätze und Entwicklungsvorhaben zur Behandlung von Krankheiten (Muskel-, Blut- oder Herzerkrankungen, Krebs, Diabetes, Adipositas), denen aufgrund der direkten leistungssteigernden Wirkung ein unmittelbares Dopingpotenzial innewohnt. Von den im Rahmen des TAB-Projekts „Gendoping“ identifizierten, in klinischer Erprobung befindlichen Verfahren hatte lediglich eines einen explizit gentherapeutischen Ansatz: die Induktion der Expression von VEGF-2 im Herzmuskel mittels „nackter“ DNA. Mit verschiedenen anderen Verfahren sollte die Genexpression verändert werden. PPAR-δ-/AMPK-Agonisten sind seit 2009 entsprechend in der Liste der verbotenen Substanzen der WADA unter der Rubrik „M3 - Gendoping“ explizit verboten (siehe Kasten). Vier weitere unterschiedliche Verfahren zielten auf die Hemmung von Myostatin, wodurch das Muskelwachstum nicht mehr abgebremst wird. Die Verfahren befanden sich meist im präklinischen Stadium (Tierversuche), vereinzelt bereits in der Phase II der klinischen Prüfung (Überprüfung des Therapiekonzeptes, Dosisfindung, an gesunden Freiwilligen).3 Bisher führte noch kein therapeutisches Forschungsvorhaben zu einer Zulassung. Die kontinuierliche Beobachtung des Dopingmilieus (sowohl im Profi- als auch im Bodybuildingbereich) liefert jedoch Hinweise darauf, dass besonders risikobereite Personen Substanzen auch ohne Zulassung anwenden. Insgesamt haben bisher nur wenige Studien zu gentherapeutischen Behandlungsstrategien überhaupt die klinische Phase III (Wirksamkeitsnachweis) erreicht, nach deren erfolgreichem Abschluss eine Zulassung erteilt werden kann. Zur Behandlung von seltenen Tumorerkrankungen wurde eine Zulassung in Europa und eine in China erteilt. Am Menschen erfolgreich waren nur Ansätze der Genaddition (ein therapeutisches Gen wird in eine Zelle eingeschleust, ohne das ursprüngliche zu entfernen) oder der Geninaktivierung (verschiedene Möglichkeiten auf DNA- oder RNA-Ebene, siehe Abbildung). Die präventive Anti-Dopingforschung verfolgt aufmerksam die Forschungsaktivitäten auf dem Gebiet der si-RNA (Neutralisation des Transkripts, als eine Möglichkeit der Geninaktivierung). Hinweise mehren sich, dass eine orale Applikation derartiger Moleküle tatsächlich wirksam sein kann. Anders als vielfach angenommen, gelangen die Veränderungen bisher meist nur vorübergehend. Verfahren der Genkorrektur, des Genersatzes und der Genaktivierung glückten lediglich im Tierversuch. Trotz der nach wie vor frühen Entwicklungsphase, in denen sich gentherapeutische Verfahren oder Verfahren zur Veränderung der Genexpression befinden, bleibt festzuhalten, dass Gewebshormone (zum Beispiel Wachstumsfaktoren) - diejenigen Moleküle, die bereits heute für die „konventionelle“ Dopingpraxis interessant sind - besonders häufig Studiengegenstand sind. Konkrete Hinweise auf eine in manchen Darstellungen angeführte Beeinflussung der Schmerzempfindlichkeit mittels Gendoping konnten im Rahmen des TAB-Projekts nicht gefunden werden. Es erscheint durchaus plausibel, dass zukünftig die Möglichkeiten zur gezielten Steigerung der physischen Leistungsfähigkeit zunehmen, subtiler und dadurch vermutlich immer schwerer direkt nachweisbar werden. Ob dies durch die Übertragung von genetischem Material im eigentlichen Sinn (DNA oder RNA) oder sonst wie pharmakologisch erfolgt, ist zwar für die Entwicklung von Nachweis- und Kontrollverfahren wichtig, für eine darüber hinausgehende Folgenbetrachtung und Vorsorgeforschung insbesondere unter dem Blickwinkel zukünftiger Antidoping-Maßnahmen jedoch weitgehend irrelevant.
Gerlinger, K., Petermann, Th., Sauter, A. (2008): Gendoping. Wissenschaft­liche Grundlagen - Einfallstore - Kontrolle. Berlin: edition sigma.

GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
202
vom Oktober 2010
Seite 5 - 7

Arnold Sauter ist stellvertretender Leiter des Büros für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB). Er leitet dort das aktuell laufende Projekt „Synthetische Biologie“. Das TAB im Netz unter www.tab-beim-bundestag.de.

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Katrin Gerlinger ist Mitarbeiterin des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB).

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Thomas Petermann ist Mitarbeiter des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB).

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Gelistete Gendopingsubstanzen der WADA

• PPAR-δ-Agonisten (zum Beispiel GW 1516) • AMPK-Agonisten (zum Beispiel AICAR) Beide Substanzen stimulieren über unterschiedliche biochemische Signalwege die Aktivität von Genen, die für den Fettstoffwechsel und den Muskelaufbau von Bedeutung sind. Muskelfasern vom Typ II werden vermehrt in den Typ I umgewandelt, wodurch die Ausdauerleistung der Muskulatur steigt (auf die Kurzzeitleistungen haben die Substanzen einen eher negativen Effekt). PPAR-δ- und AMPK-Agonisten können synergetisch wirken und werden teilweise sogar als pharmakologische Alternative zum körperlichen Training gesehen. GW 1516 ist noch im Entwicklungsstadium. Es soll zur Behandlung von Adipositas und Diabetes mellitus Typ II (metabolisches Syndrom) eingesetzt werden und befindet sich in der Phase II der klinischen Prüfung. GW 1516 kann mittels Tabletten oral verabreicht werden und gehört in die Gruppe der Substanzen, die die Genexpression verändern. Ein erstes Nachweisverfahren wurde in Deutschland entwickelt. Für AICAR liegen bisher tierexperimentelle Befunde vor. Ein Nachweisverfahren gibt es nicht.
Gerlinger, K., Petermann, Th., Sauter, A. (2008): Gendoping. Wissenschaft­liche Grundlagen - Einfallstore - Kontrolle. Berlin: edition sigma.