Gewebegesetz: Die Ethik bleibt draußen

Der Entwurf legalisiert die Kommerzialisierung der Körper von Toten

Eigentlich sollte die vor knapp drei Jahren in Kraft getretene EU-Richtlinie 2004/23/EG lediglich einheitliche Qualitäts- und Sicherheitsstandards bei der Verwendung menschlicher Gewebe und Zellen im Rahmen medizinischer Behandlungen in den Mitgliedsstaaten schaffen. Ihre Umsetzung in deutsches Recht wird voraussichtlich aber viel weiter reichende Konsequenzen haben: Der Referentenentwurf aus dem Bundesgesundheitsministerium - derzeit in Überarbeitung befindlich- schafft einen umfassenden gesetzlichen Rahmen für die effektive und gewinnbringende Verwertung der Körper von Toten.

Es war voll bei der öffentlichen Anhörung zum geplanten Gewebegesetz am 7. März im Gesundheitsausschuss des Bundestages (GA). Das lag keinesfalls am Interesse der Medien: Nur vereinzelt hatte das Thema seit der Vorstellung des Referentenentwurfes und der Stellungnahme des Bundesrates im Oktober vergangenen Jahres Eingang in die mediale Öffentlichkeit gefunden. (1) Der voll besetzte Fraktionssaal im Berliner Reichstagsgebäude zeugte vielmehr von der Vielzahl der Interessengruppen, die in das Geschäft mit menschlichem Gewebe involviert sind. Die Gewebeindustrie ist ein zwar junger, aber dynamisch wachsender Wirtschaftsbereich, und so war ein breites Spektrum an Verbänden, Institutionen und Unternehmen anhörungsberechtigt: Neben den Institutionen, die die Organtransplantation in der Bundesrepublik organisieren und verwalten, kamen die Betreiber von Gewebebanken, etwa von Knochen-, Hornhaut- oder Herzklappensammlungen, und die Blutspendedienste, die nicht nur Blut entnehmen, sondern auch Blutbestandteile und Blutprodukte vertreiben. Vertreten waren auch die Krankenhäuser, die mit der Entnahme, Lagerung und Weitergabe des Gewebes von Patienten und Verstorbenen wirtschaften. Daneben waren die Fachgesellschaften derjenigen Ärzte erschienen, die Körpersubstanzen und –gewebe bei ihrer Arbeit verwenden, seien es nun plastische Chirurgen oder ReproduktionsmedizinerInnen. Verbandsvertreter der pharmazeutischen Industrie, die Zellen und Geweben für die Herstellung von Medizinprodukten und für die Forschung nutzt, wurden ebenso gehört wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die der Forschung an Zellen und Gewebe für die so genannte regenerative Medizin den Rücken frei hält. Und nicht zuletzt waren da die öffentlichen Krankenkassen, die all die alten und neuen Anwendungen bezahlen sollen, die aus der regen Zirkulation von Körpersubstanzen resultieren.

In der Gewebeküche

So unterschiedlich die Perspektiven der angehörten Verbände, Institutionen, Unternehmen und Fachgesellschaften im Detail auch sein mögen, es gab grundsätzliche Übereinstimmungen: Zum einen ist kaum jemand wirklich zufrieden mit der Gesetzesvorlage. Beklagt wird die Schaffung überflüssiger bürokratischer Hürden und die Zerschlagung bereits existierender und funktionierender Strukturen bei der Qualitätssicherung, Beschaffung und Verteilung von Gewebe. "Der Entwurf weist zum einen Lücken in der Umsetzung der Richtlinie auf, zum anderen geht er weit über deren Vorgaben hinaus", fasste der Sachverständige Arnd Pannenbecker, Mitglied im Rechtsausschuss des Bundesverbandes der pharmazeutischen Industrie (BPI), die Kritik zusammen. Die Gesetzesvorlage müsse deshalb grundlegend überarbeitet werden. Zum anderen zeigte sich im Gesundheitsausschuss, dass im Mittelpunkt der Besorgnis trotz gelegentlicher gegenteiliger Äußerungen nicht die Kommerzialisierung von Gewebe an sich steht. Die Institutionen, Verbände und Fachgesellschaften stören sich vielmehr an deren konkreter Ausgestaltung: Gewebe wird in dem Gesetzentwurf als Handelsware im Sinne des Arzneimittelgesetzes definiert, und damit spielt es keine Rolle, ob es sich um einfache Transplantate wie Hornhäute oder Knochen oder um so genannte Gewebezubereitungen handelt, das heißt, ob die Zellen oder Gewebe vor der Verwendung für eine Behandlung von Patienten noch be- oder verarbeitet werden. "Undifferenziert werden hier Gewebezubereitungen und Transplantate in einen Topf geworfen", so Pannenbecker vom BPI. "Das zieht sich wie ein roter Faden durch das Gesetz." Tatsächlich macht der Entwurf lediglich Unterschiede zwischen der Gewebegewinnung und der Gewebeverwendung. Die Gewebegewinnung wird unter das Transplantationsgesetz (TPG) gestellt. Die Verwendung, das heißt die Lagerung, Prüfung und Verarbeitung menschlicher Zellen und Gewebe wird dagegen dem Arzneimittelgesetz (AMG) zugeordnet.(2) Das bedeutet im Ergebnis nicht nur, dass viele der bereits eingespielten Gewebeverwertungsketten zum Missfallen der involvierten Anbieter und Abnehmer mit neuen bürokratischen Hürden konfrontiert sind. Vor allem legitimiert und strukturiert der Gesetzentwurf die Inwertsetzung des Körpers und seiner Bestandteile erschreckend eindeutig und umfassend: Tritt das Gesetz in Kraft, ist menschliches Gewebe auch juristisch eine Handelsware. Sofern es nicht als ganzes Organ für eine Transplantation in Frage kommt, wird es zum Arzneimittel, sobald es einem Patienten, einem Sterbenden oder einem Toten entnommen worden ist.

Der Körper wird zur Arzneimittelquelle

Diese Lesart führt auf einzelnen Gebieten der medizinischen Behandlung zu absurden Situationen, etwa bei der Notbehandlung von Brandverletzten. Gängige Praxis ist bei Verbrennungsopfern die autologe Rückverpflanzung von den Patienten entnommener, unversehrter Haut, die zuvor über mehrere Tage konserviert und, wenn nötig, über bestimmte Kulturverfahren zu Zelltransplantaten aufbereitet worden ist. Auch wenn diese Behandlung sicherlich nicht frei von ökonomischen Interessen ist – sie macht Absurditäten des Gesetzentwurfes zur Umsetzung der EU-Richtlinie deutlich: Für die Entnahme der Haut im Rahmen der Erstversorgung fände nach dem Gesetzentwurf das Transplantationsgesetz Anwendung; da Verbrennungsopfer häufig intubiert oder beatmet werden und demzufolge nicht ansprechbar sind, müsste das jeweilige Verbrennungszentrum zunächst Angehörige ausfindig machen, um der im TPG verankerten Informations- und Zustimmungspflicht bei einer Gewebeentnahme nachzukommen. Selbst wenn das in der Kürze der in solchen Notfällen zur Verfügung stehenden Zeit möglich sein sollte, sind damit die Probleme, die der Entwurf des Gewebegesetzes mit sich bringt, noch nicht gelöst: Da die Haut gelagert wird, untersteht sie nach erfolgter Entnahme dem AMG. Die Klinik, in der die Behandlung stattfindet, müsste daher den Anforderungen einer Gewebeeinrichtung genügen. Dazu gehören unter anderem eine Herstellererlaubnis und umfassende Dokumentations- und Inspektionspflichten. Die Gesellschaft für Verbrennungsmedizin weist in ihrer Stellungnahme darauf hin, dass nur wenige der Kliniken, die Brandopfer behandeln, über die erforderlichen personellen und finanziellen Ressourcen verfügen, um als Gewebeeinrichtung zertifiziert werden zu können.(3) Ein ähnliches Problem stellt sich auch auf anderen Gebieten, auf denen solche so genannten autologen Transplantationen vorgenommen werden.(4) "Durch die Geltung arzneimittelrechtlicher Vorschriften bei der Entnahme von menschlichen Geweben und Zellen, die nicht in ein und demselben chirurgischen Eingriff rückübertragen werden, werden bewährte, übliche medizinische Behandlungen nicht mehr möglich sein", so das Fazit der Deutschen Krankenhausgesellschaft in ihrer schriftlichen Stellungnahme, "da die investiven und personellen Ressourcen nicht zur Verfügung stehen werden".(5)

Das Herz in der Chirurgen-Hand

Die Unterstellung menschlicher Gewebe unter das Arzneimittelrecht verändert aber auch auf ganz anderen Ebenen bisher übliche Abläufe im Medizinbetrieb. "Stellen Sie sich doch das frisch explantierte Herz in der Hand des Chirurgen vor", so Roland Hetzer von der Rotterdamer gemeinnützigen Einrichtung BioImplant Service.(6) "Er wird sich zweimal überlegen, ob es als Organtransplantat verwendbar ist, wenn die Verwertung der Herzklappen als Gewebe im Sinne des Gesetzentwurfs deutlich lukrativer ist." Auch die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) will "kommerzielle Interessen unbedingt von der Gewebespende fern halten, um die Organspende nicht zu gefährden", so DSO-Vertreter Günter Kirste. Organe könnten künftig von den Entnahmeeinrichtungen als nicht transplantationsfähig deklariert werden, um sie als Gewebe kommerziell verwerten zu können. Hintergrund dieser Befürchtung ist das als "Organknappheit" titulierte Verhältnis zwischen der Anzahl der auf ein Spenderorgan wartenden Menschen und der Anzahl explantierter Organe.(7) Weil viel zu wenig Organe verfügbar seien, so der Tenor auf der Anhörung, müsste die Organspende Vorrang vor der Gewebespende haben. "Potenzielle Spender sind prioritär der Organspende zuzuführen", betonte etwa Renate Höchstetter von der Deutschen Krankenhausgesellschaft. Die "Priorisierung der Organspende" müsse im Transplantationsgesetz konsequenter umgesetzt werden als geplant.(8) Dass ein "duales System" von kommerziellen und nicht-kommerziellen Elementen über kurz oder lang zu Lasten der letzteren geht, ist spätestens seit der Einführung des privaten Rundfunks in der Bundesrepublik offenkundig. Auch die parallele Existenz eines kommerziellen und eines nicht-kommerziellen Bereichs bei der Verwertung menschlicher Körper, die das geplante Gewebegesetz anstrebt, hat keine große Zukunft. Der Entwurf öffnet vielmehr Türen, die später garantiert nicht mehr zu schließen sind. So lobte der Einzelsachverständige Gundolf Gubernatis vom Deutschen Krankenhausinstitut e.V. das neue Gewebegesetz, weil nun "ein qualitätsbasierter Wettbewerb im Bereich der Gewebe" entstehen könne. Für Organ- wie für Gewebespenden sollten aber dieselben Rahmenbedingungen gelten, um Konflikte zu vermeiden. Deshalb müsse das existierende Monopol der Organverwaltung aufgehoben werden. Nur so könne sich ein freier Wettbewerb verschiedener Organanbieter entfalten. Dies wäre dann auch "eine konsequente Umsetzung des ‚Geld-folgt-Leistung’-Prinzips, das dem Umbau des Gesundheitssystems zugrunde liegt", so der bis 2005 für die DSO tätige Sachverständige.(9)

Akkumulation durch Altruismus?

Von der dominanten Marktrhetorik blieben nur zwei verschont: Der edle Spender und die edle Spenderin. Hier waren sich Kritiker und Verfasser des Gesetzentwurfes merkwürdig einig. Gewebespenden dürfen keinesfalls ökonomisch motiviert sein. "Wir dürfen keine finanziellen Anreize für Organ- und Gewebespenden schaffen", unterstrich beispielsweise Gerhard Ehninger von der Bundesärztekammer. "Wir müssen die altruistische Komponente aufrecht erhalten." Wie das mit der Kommerzialisierung von Gewebespenden zusammengehen kann, darüber herrscht allerdings Dissens. Die DSO etwa schreibt in ihrer schriftlichen Stellungnahme, es sei "der Bevölkerung nicht zu vermitteln, dass einerseits die Organ- bzw. die Gewebespende altruistisch und damit unentgeltlich ist, mit dem gespendeten Gewebe anschließend aber Handel betrieben werden darf".(10) So logisch er erscheinen mag, so doppelzüngig ist dieser Einwand. Denn die Explantation von Organen und Gewebe ist schon heute keinesfalls frei von monetären Anreizen. "Machen wir uns doch nichts vor", so der Sachverständige Gubernatis, "hier gehen doch beträchtliche Summen über den Tisch." Seinen Angaben zufolge bekommt eine so genannte Entnahmeeinrichtung für die Explantation aller Organe und sonstigen verwend- und verwertbaren Gewebe, Zellen und Körperteile (wie etwa Knochen, Hornhäute oder Knorpelgewebe) aus dem Körper eines Menschen derzeit 3.370 Euro; das Chirurgenteam wird mit einem Honorar von 7.400 Euro für die mehrere Stunden dauernde Operation entlohnt.

Der Nutzen Nicht-Einwilligungsfähiger

Wenn die Doppelzüngigkeit der moralischen Appelle, die sich an potenzielle Organspender richten, bisweilen auch bis zur Unerträglichkeit deutlich wurde – eine Auseinandersetzung mit grundsätzlicheren Fragen der Organ- und Gewebeverwertung sterbender und toter Menschen fand nicht statt. Lediglich in einigen wenigen schriftlichen Stellungnahmen für die Anhörung wurde vereinzelt auf weiter reichende Konsequenzen des Gesetzentwurfs hingewiesen. So hatten Patienten- und Behindertenverbände den Referentenentwurf in einer gemeinsamen Erklärung abgelehnt, weil er die Lebendspende von Gewebe bei Kindern und nichteinwilligungsfähigen Erwachsenen grundsätzlich zulässt. Die einschränkende Bedingung, dass kein anderer einwilligungsfähiger Spender zur Verfügung steht, stelle "keinen ausreichenden Schutz dar." Darüber hinaus kritisieren die Gruppen und Verbände, dass die einschränkende Bedingung des minimalen Risikos für Nichteinwilligungsfähige wegfällt und die Gewebespende nicht mehr auf die Forschung begrenzt ist, sondern sich auf die medizinische Praxis bezieht. "Die rechtspolitischen Gefahren für den Schutz der Rechte von Minderjährigen und nichteinwilligungsfähigen Erwachsenen sind nicht tragbar", heißt es in der Stellungnahme.(11) Auch Sigrid Graumann vom Institut Mensch, Ethik, Wissenschaft kritisiert in ihrer schriftlichen Stellungnahme, dass mit den vorgesehenen Regelungen "eine potenzielle Instrumentalisierung von nichteinwilligungsfähigen Personen (...) rechtlich legitimiert" werde. (12) Darüber hinaus wies sie darauf hin, dass "das Gesetz auch in den gesellschaftlichen Umgang mit Sterben und Tod und das sittliche Verhältnis zum Leichnam" eingreife. (13)

Verschobene Ethik

Auf der Anhörung selbst kam eine einzige Sachverständige auf solche grundsätzlichen Fragen zu sprechen. Die von der Fraktion Die Linke geladene Erika Feyerabend vom Essener Verein zur Beobachtung der Biowissenschaften, BioSkop e.V. fragte nach dem Verhältnis der Gesellschaft und der Politik zu kulturellen Gewohnheiten wie dem Respekt vor der Totenruhe, sprach die Warenförmigkeit des menschlichen Körpers an, die mit dem Entwurf zementiert würde und meldete Zweifel an der allseits unterstellten Notwendigkeit an, die Transplantationsmedizin zu fördern. "Wenn Transplantationen von Organen, Geweben und Zellen entwickelt und ausgebaut werden, (...) dann hat das dramatische Konsequenzen für das soziale Zusammenleben, für den Umgang mit den existentiellen Seiten des Lebens – Schwangerschaft, Geburt und Sterben", so die Sachverständige. "Die Tatsache, dass ‚hirntote‘, tote und lebende Menschen einen ‚verwertbaren Faktor‘ in sich tragen, rückt immer mehr in die konkrete Erfahrungswelt."(14) Solche Fragen zur gesellschaftlichen und kulturellen Tragweite der geplanten gesetzlichen Regelungen hatten ansonsten jedoch schlicht keinen Raum. Die drei Stunden währende Diskussion juristischer Details war im wesentlichen von dem Motiv geleitet, eine möglichst reibungslose Zirkulation von Organen und Geweben zu gewährleisten. An einer grundsätzlicheren Debatte bestand nicht nur unter den anwesenden Vertretern von Interessengruppen, Verbänden und Institutionen kein Interesse; auch die Mitglieder des Gesundheitsausschusses stellten nur vereinzelt Fragen zu den gesellschaftlichen Konsequenzen der Inwertsetzung des Körpers, die der Gesetzentwurf juristisch zementiert. Das scheint ganz im Sinne der für die Umsetzung der EU-Richtlinie zuständigen Referenten im Bundesgesundheitsministerium. "Die Ethik regeln wir später", so Ministerialrat Friedger von Auer, der den Entwurf mit verfasst hat, im persönlichen Gespräch nach der Anhörung. Grundsatzfragen könnten in der Kürze der verbleibenden Zeit nicht mehr aufgegriffen werden. "Wir müssen die EU-Richtlinie jetzt umsetzen, sonst wird ein Verfahren gegen die Bundesrepublik eröffnet." Das allerdings ist unwahrscheinlich: Die Richtlinie sollte zwar bis spätestens April 2007 in nationales Recht implementiert werden.(15) Bisher ist das aber noch nirgendwo der Fall. Einige Mitgliedsstaaten haben noch nicht einmal mit der Umsetzung begonnen. Die Bundesrepublik ist im EU-Vergleich bereits weit fortgeschritten mit der Implementierung der Richtlinie.

Alles neu macht der Mai?

Ganz so eilig scheint es die Bundesregierung denn auch nicht zu haben. Aufgrund der geäußerten Kritik hat das Gesundheitsministerium Ende März angekündigt, den Gesetzentwurf in den kommenden zwei Monaten noch einmal zu überarbeiten. "Jetzt bietet sich die Chance zu einer grundlegenden Korrektur des Gesetzentwurfes", heißt es in einer Pressemitteilung, in der die Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen die Ankündigung begrüßt und fordert, die Unterstellung von Gewebe unter das Arzneimittelgesetz zurückzunehmen. "Sollte das Ministerium die Zeit bis Mai allerdings nur dazu nutzen, ein paar kleine Änderungen am Entwurf vorzunehmen, um so Druck aus dem Kessel zu lassen, wäre dies ein Täuschungsmanöver gegenüber den Abgeordneten und der Öffentlichkeit", heißt es weiter. Für diese Strategie spricht allerdings nicht nur der kurze Zeitraum, der angesetzt worden ist. Von einer ‚grundsätzlichen Korrektur’ ist im zuständigen Referat des BMG nicht die Rede: Die Überarbeitung sei ein ganz normaler Vorgang, so Friedger von Auer auf Nachfrage des GID. Man sehe sich die Kritkpunkte und Alternativvorschläge an und werde dann die eine oder andere Änderung vornehmen. "Die Systematik des Gesetzentwurfs wird ganz sicher nicht geändert, in der sind wir schon lange drin", so der Ministerialrat.

  1. Vgl. etwa "Zuerst die ganzen Organe”, die tageszeitung, 16.6.06; "Geplantes Gewebegesetz isoliert Deutschland in Europa”, Ärztezeitung, 31.8.07 oder "Frische Leichenteile weltweit”, Die Zeit, 15.2.2007
  2. Das geplante Gewebegesetz ist ein so genanntes Artikelgesetz; es besteht ausschließlich aus Änderungsparagraphen zu bestehenden Gesetzen, hier hauptsächlich zum TPG (Artikel 1), zum AMG (Artikel 2) und – wegen der Sonderstellung von Blut und Blutprodukten – zum Bluttransfusionsgesetz (Artikel 3). Daneben werden in drei weiteren Artikeln geringfügige Änderungen am Infektionsschutzgesetz und an den Betriebsverordnungen für Apotheken und für Arzneimittelgroßhandelsbetriebe vorgenommen. Vgl. "Entwurf eines Gesetzes über Qualität und Sicherheit von menschlichen Geweben und Zellen” vom 25.10.06, Bundestagsdrucksache 16/3146, im Netz unter www.bundestag.de/ausschuesse/a14/anhoerungen/044/index.html. Unter dieser Adresse sind auch alle im folgenden zitierten Stellungnahmen abrufbar.
  3. Vgl. die gemeinsame Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen und der Deutschen Gesellschaft für Verbrennungsmedizin, 29.1.07, S.1 f.
  4. Nicht zuletzt sind auch die Techniken der assistierten Reproduktion von dieser Problematik betroffen, denn der Entwurf nimmt Keimzellen ausdrücklich nicht aus dem Regelungsbereich des Gesetzes aus.
  5. Vgl. Stellungnahme der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), 27.2.2007, S.10
  6. Die Eurotransplant-Tochter BioImplant Service (BIS) ist für die europaweite Verteilung menschlicher Gewebetransplantate zuständig, die keine Organe sind. Analog zu der gemeinnützigen Einrichtung Eurotransplant in Rotterdam, die gespendete Organe in den EU-Staaten verwaltet und verteilt, untersteht der BIS beispielsweise die EU-weite Verteilung von Herzklappen.
  7. Nach Angaben der DKG kamen im Jahr 2005 insgesamt 2.090 Hirntote medizinisch und juristisch für Organexplantationen in Betracht; in knapp 40 Prozent dieser Fälle hätten die Angehörigen dies aber abgelehnt. Vgl. Stellungnahme der DKG, S.4
  8. "Durch eine Gewebeentnahme darf eine mögliche Organentnahme oder –übertragung nicht beeinträchtigt werden.” heißt es in § 11, Absatz 4, Satz 4 des Entwurfes. Angesichts der geschilderten Interessenkonflikte sei diese Bestimmung aber reine Deklaration, so die verbreitete Kritik unter den angehörten Verbänden.
  9. Vgl. die schriftliche Stellungnahme von G.Gubernatis, 23.2.07, S. 4 und S. 6 f.
  10. Die DSO fordert deshalb, Gewebespenden wie bisher durch eine zentrale, gemeinnützige Einrichtung zu verwalten (siehe Fußnote 5), wenn sie nicht für eine Weiterverarbeitung gedacht sind. Vgl. Stellungnahme der DSO, 27.2.07, S.2.
  11. Vgl. die schriftliche Gemeinsame Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft Spina bifida und Hydrocephalus, der BAG Selbsthilfe, des Bundesverbandes evangelische Behindertenhilfe, des Bundesverbandes Körper- und Mehrfachbehinderte, der Bundesvereinigung Lebenshilfe, der Caritas Behindertenhilfe, der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben, des Sozialverbandes VdK und des Verbandes für anthroposophische Heilpädagogigk und Sozialtherapie, Januar 2007, S.3
  12. Schriftliche Stellungnahme von Sigrid Graumann vom 27.2.07, S.6
  13. Ebda., S.2
  14. Vgl. auch die schriftliche Stellungnahme von Erika Feyerabend vom 2.3.07, S.3
  15. Die im März 2004 verabschiedete Richtlinie 2004/23/EG zur Qualität und Sicherheit von menschlichen Geweben und Zellen sah eine Frist bis April 2006 vor, den EU-Mitgliedsstaaten wurde aber eine Übergangsfrist bis zum April diesen Jahres gewährt. Vgl. http://eur-lex.europa.eu/
GID Meta
Erschienen in
GID-Ausgabe
181
vom April 2007
Seite 51 - 55

Uta Wagenmann war Mitarbeiterin des GeN und GeN-Vorstandsmitglied.

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Fötales Gewebe

Mit dem Entwurf eines Gewebegesetzes würde erstmals die Entnahme von Organen und Geweben toter Föten und Embryonen geregelt werden; bisher findet dessen Verwendung in einer rechtlichen Grauzone statt. Auch hier wird die Entnahme dem TPG unterstellt; die entnommenen Organe und Gewebe fallen dann unter das AMG und werden somit zur Handelsware. Die im nebenstehenden Artikel angerissenen Konflikte, die sich aus diesem dualen System ergeben, werden durch die Tatsache verschärft, dass die Entscheidung über die Verwertung von toten Embryonen und Föten in der Regel im Rahmen von Schwangerschaftsabbrüchen gefällt wird. Der Gesetzentwurf trifft jedoch keinerlei Vorkehrungen, um eine informierte und freiwillige Entscheidung schwangerer Frauen zu gewährleisten; so können am Abbruch beteiligte Ärzte theoretisch mit der Einholung der Zustimmung betraut sein. Interessenkonflikte sind hier vorprogrammiert. „Eine Beeinflussung der Bedingungen und des Zeitpunktes von Schwangerschaftsabbrüchen ist vor diesem gesetzlichen Hintergrund zumindest möglich“, kritisiert die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) in ihrer Stellungnahme zum Gewebegesetzentwurf. „Ob und inwieweit eine Kommerzialisierung dieses sensiblen Bereiches vom Gesetzgeber gewollt ist, bleibt offen.“ (Vgl. schriftliche Stellungnahme der DGGG, 15.1.07, S.6) (uw)

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