Schweinegrippe und andere Phobien

Die Inszenierung des nationalen Notstands

In Deutschland, so wollen uns jedenfalls Politik und Medien weismachen, grassiert die Schweine-Grippe-Panik. Bisher beruht sie vor allem auf Zahlendrehereien - und darauf, dass der Virus als etwas Fremdes, Abartiges inszeniert wird.

In Zeiten der Krise werden Grenzen nachdrücklicher gezogen - zwischen Freund und Feind, Gesunden und Kranken, Mensch und Tier. Wer sich in den letzten Monaten mit der Neuen Grippe infizierte, konnte dies am eigenen Leib erfahren. Über Betroffene verhängen Ärzte und Behörden absolutes Kontaktverbot. Mehrere Schulen und andere öffentliche Einrichtungen wurden aufgrund von Krankheitsfällen geschlossen. Selbst die massive Verletzung von Persönlichkeitsrechten scheint angesichts der Bedrohung durch die Neue Grippe legitim: In China standen unlängst alle Besucher eines Hotels mehrere Tage unter Quarantäne, weil ein erkrankter Tourist dort abgestiegen war.1 Ganz offensichtlich verlaufen die Schutzgrenzen der öffentlichen Infektionspolitik dabei verstärkt entlang nationaler und rassistischer Markierungen. Begriffe wie „Mexikanische Grippe“ oder „Amerikanische Grippe“ transportieren populäre Ängste vor Ansteckung mit Krankheitskeimen und vor kultureller Überfremdung. In den USA lebende Latinos berichteten, dass Diskriminierungen im Zusammenhang mit der Angst vor der Neuen Grippe zunehmen. Der mexikanische Nationalfeiertag wurde von den US-Behörden „vorsorglich“ abgesagt und konservative Nachrichtensender wettern tagtäglich über „illegale“ ImmigrantInnen, die neue Krankheiten ins Land bringen.2 Solche Zuschreibungen sind selbstverständlich nicht auf die USA beschränkt: Ein österreichischer Virologe, der das erste „Pandemieopfer“ in seinem Land betreute, äußerte pikiert sein Unverständnis darüber, dass die junge Dame in einem Flugzeug „voller mexikanischer Passagiere“ geflogen war.

Grenze zwischen Mensch und Tier

Doch offensichtlich richtet sich die Angst auch gegen andere Formen der Entgrenzung. Rinderwahnsinn, Maul- und Klauen-Seuche, Fuchsbandwurm - solche Wortkreationen bekräftigen die performative Grenze zwischen Mensch und Tier, zwischen rein und unrein - und markieren gleichzeitig deren Gefährdung. Sie ist „fremd“ und „unnatürlich“ - schon allein deshalb löst die Vorstellung einer grassierenden Schweinegrippe Angstvorstellungen aus. Influenza-A-Virus H1N1 (so die wissenschaftliche Typisierung des Erregers) klingt weitaus weniger dramatisch.3

Inszenierung des nationalen Notstands

Seit mehreren Monaten versuchen uns Gesundheitsbehörden, Medien und zuweilen Wissenschaftler den Eindruck einzuimpfen, dass sich mit der Neuen Grippe etwas Neues, Artfremdes und nur schwer zu Kontrollierendes „unter uns“ gemischt hat, was sich mit heimtückischer Schnelligkeit ausbreitet und - immer häufiger - tödliche Folgen hat. Nicht von ungefähr erinnert der anfänglich auch von offizieller Seite verbreitete Name „Schweinegrippe“ an die Vogelgrippe, an eine Tierseuche, die sich auf den Menschen ausgebreitet hat. Auf diese Weise soll die Hektik gerechtfertigt werden, mit der Regierung und Behörden exorbitante Pandemiepläne umsetzen, inklusive der doch recht pikanten Anordnung, dass die „Ordnungshüter“, also Polizei, Soldaten, Richter, Mediziner und Angehörige der Regierung, die Schutzimpfung als erste und in einer vermeintlich verträglicheren Zusammensetzung erhalten sollen. Bereits jetzt ist abzusehen, dass im Zuge dieser Inszenierung des nationalen Notstands auch Freiheitsrechte beschnitten werden. So ist die Impfung der oben genannten Berufsgruppen zwar offiziell freiwillig, erfolgt aber am Arbeitsplatz... Ein genauerer Blick auf die Geschichte der Schweinegrippe und ihre öffentliche Darstellung zeigt, dass die Befürchtungen hinsichtlich der Gefährlichkeit und des Ausmaßes der Erkrankung bislang Spekulationen sind.

Geburt einer Pandemie

Die Angst vor der Schweinegrippe hat ein Geburtsdatum: Am 11. Juni, zwei Monate, nachdem der Erreger erstmals bei einem Menschen nachgewiesen worden war, rief die Weltgesundheitsorganisation WHO die höchste Warnstufe aus. Die Neue Grippe galt damit als Pandemie - allerdings nur, weil zuvor die Kriterien für eine Pandemie verändert worden waren. Während bisher eine enorme Anzahl von Krankheits- und Todesfällen in mehreren WHO-Staaten auftreten mussten, reicht es jetzt aus, wenn sich Erreger schnell und massiv in mindestens zwei der WHO-Regionen ausbreiten.4 Mit der Neudefinition wurde jedoch nicht nur der Keim für die sich ausbreitende Schweinegrippen-Angst gesät; automatisch kam auch eine riesige Präventionsmaschinerie in die Gänge. Denn im Pandemiefall sind die Mitgliedstaaten der WHO verpflichtet, massenhaft Impfstoffe und Medikamente zu produzieren und Reserven anzulegen. Allein die Bundesregierung hat beim Impfstoffhersteller GlaxoSmithKline (GSK) 50 Millionen Impfdosen im Wert von insgesamt 700 Millionen Euro bestellt.5 Eindeutige Zahlen zur Verbreitung und Gefährlichkeit der Krankheit gibt es bislang nicht. Zwar überschlagen sich die Medien täglich mit Meldungen von neuen Todesfällen, auch in Deutschland. Dabei kommt es aber nicht selten vor, dass sich die Berichte widersprechen und Zahlen teils innerhalb weniger Tage drastisch nach unten korrigiert werden. Zudem scheint es, dass Berichte über die saisonale Grippe und die neue Grippe teils bewusst, teils unbewusst vermischt werden. So wurde in der Ukraine der nationale Notstand ausgerufen. Es hieß, mehrere hunderttausend Menschen seien infiziert, mindestens 60 Todesfälle seien zu beklagen. Dass offensichtlich in den meisten Fällen der Schweinegrippe-Erreger gar nicht nachzuweisen war, stand nur im Kleingedruckten.6 Ähnlich irreführend sind die offiziellen Zahlen zur Schweinegrippe, die von den nationalen Gesundheitsbehörden veröffentlicht werden. Generell werden die Erkrankungszahlen hier laufend addiert - das heißt, die meisten Kranken, die in dieser Statistik aufgeführt werden, sind inzwischen längst wieder gesund. Doch die Behörden erlauben sich weitere Augenwischereien: Bei der US-Seuchenkontrollbehörde CDC beispielsweise werden „auch Todesfälle durch Sekundär-Infektionen“ mitgezählt, sowie Tote, „bei denen eine Infizierung mit dem H1N1-Virus nicht nachgewiesen wurde.“ Dadurch hat sich die Zahl der Schweinegrippe-Toten in den USA nach Darstellungen der Ärzte Zeitung „sprunghaft erhöht“.7 Auch das deutsche Robert Koch Institut veröffentlicht weiterhin einmal wöchentlich Erkrankungszahlen - worauf sich diese stützen ist allerdings unklar, da die Meldepflicht für Schweinegrippe in Deutschland inzwischen wieder aufgehoben worden ist.8 Beobachtet man diese und andere haarsträubenden Zahlendrehereien, drängt sich geradezu der Eindruck auf, dass die Ängste vor der Pandemie künstlich angeschürt werden.

Super-Impfstoff trifft Supervirus

Es scheint, als sollte die Bevölkerung durch das Horrorszenario einer tödlichen Pandemie auf eine Massenimpfung vorbereitet werden. Jedenfalls sind die Beschwörungen einer heraufziehenden Bedrohung durch einen massiven Werbezug für die neuen Impfstoffe begleitet worden. Die Strategien reichten von Propaganda über moralischen Appell bis zur Androhung von Verknappung („Nicht jeder kann sofort geimpft werden.“).9 Seit Ende Oktober haben nun in einigen Arztpraxen die Impfungen begonnen. Dabei gibt es weder ausreichend Belege für die Sicherheit, noch für die Wirksamkeit der verfügbaren Vakzinen. Das ist insofern nicht ungewöhnlich, als auch die saisonalen Grippeimpfstoffe laut einer neuen Metastudie der Cochrane-Institute nie ausreichend evaluiert wurden.10 Bedenklich stimmt aber, dass die Impfstoffe nach einem völlig neuen Verfahren und unter Verwendung neuer Inhaltsstoffe produziert wurden. Dieses Herstellungsverfahren ist von Novartis, GSK und anderen Unternehmen speziell für die beschleunigte Massenproduktion vor wenigen Jahren entwickelt und patentiert worden.11 Demnach handelt es sich um „gestreckte Impfstoffe“ mit stark reduzierter Wirkstoffmenge und beigefügten Wirkstoffverstärkern. Obwohl dies grundlegende Fragen hinsichtlich der Sicherheit der Impfstoffe aufwirft, wurden sie in einem stark verkürzten Verfahren von der Europäischen Arzneimittelbehörde EMEA und dem für Deutschland zuständigen Paul-Ehrlich-Institut (PEI) zugelassen. Dies heißt, dass üblicherweise vorgeschriebene Kontrollstufen übersprungen und die Anforderungen herabgesetzt wurden. Da ist es nur konsequent, dass die Impfstoffhersteller von der Haftung für potentielle Impfschäden befreit wurden.12 Für den französischen Pharmaexperten Marc Girard zeugt dies vom Einfluss der großen Pharmafirmen, die in den letzten Jahren das Impfgeschäft für sich entdeckt haben. Impfungen gelten als sicheres Geschäft - sie werden an allen Bevölkerungsgruppen eingesetzt und sind im Unterschied zu neuen Therapeutika erst einmal über jeden Verdacht von schweren Nebenwirkungen erhaben. „Unsere Gesundheitsbehörden haben nie ernsthaft vorgehabt, die Grippeimpfstoffe wirklich zu evaluieren“, kritisiert Girard. Wie sonst sei es zu erklären, dass unsere Regierungen den Herstellern das Produkt schon vor Abschluss der Entwicklungsphase und vor seiner Bewertung durch die Zulassungsbehörden in großer Menge abgekauft und der Öffentlichkeit eine Zusage für die Bereitstellung der Impfungen gegeben haben?13

  • 1„Profiteure der Angst”, ARTE Dokumentation, Deutschland, 2009, NDR Erstausstrahlung, 20.10.09.
  • 2„USA: Schweinegrippe und Rassismus“, Reportage, ARTE Info, 06.05.09. „Klinische Aspekte der mexikanischen Grippe (Schweinegrippe)“, Dr. Christoph Wenisch, Kaiser-Franz-Josef-Spital, Wien www.youtube.com/watch?v=U83ROZZl3FQ, 29.04.09.
  • 3Mit H und N werden die Eiweiße der Virushülle Hämagglutinin und Neuraminidase abgekürzt.
  • 4„Sehnsucht nach der Pandemie”, Interview mit dem Epidemiologen Tom Jefferson, Der Spiegel 30, 20.07.09, 114-116; „Schweinegrippe - eine inszenierte Pandemie als Konjunkturprogramm?”, Der Arzneimittelbrief 43, September 2009, 68.
  • 5Angela Spelsberg, „Das Geschäft mit der Grippe”, Blätter für deutsche und internationale Politik 11/2009, 23-25.
  • 6„Hilferuf der Ukraine. Schweinegrippe bedroht die nationale Sicherheit”, Ärzte Zeitung, 02.11.09.
  • 7„Schweinegrippe: Aktuelle Zahlen und Daten”, Ärzte Zeitung, 16.11.09.
  • 8„Meldepflicht bei Verdacht auf Schweinegrippe ist aufgehoben”,Ärzte Zeitung, 16.11.09.
  • 9Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) in der Ärzte Zeitung, 11.11.09.
  • 10www.cochrane.org/influenza/reviews.html
  • 11Es handelt sich um Impfstoffe, die eine reduzierte Wirkstoffmenge (Antigenmenge) enthalten. Dafür wurden verschiedene Wirkstoffverstärker (Adjuvantien) und das quecksilberhaltige Konservierungsmittel Thiomersal beigemischt. Siehe „Schweinegrippe - eine inszenierte Pandemie als Konjunkturprogramm?”, Arzneimittelbrief 43, September 2009.
  • 12In Deutschland wird die Herstellerhaftung von den Bundesländern übernommen, Ärzte Zeitung, 22.10.09.
  • 13Marc Girard,„Swine Flu: to Vaccinate or not?”, 27.09.09
Erschienen in
GID-Ausgabe
197
vom Dezember 2009
Seite 37 - 39

Monika Feuerlein ist freie Journalistin und arbeitete mehrere Jahre lang als Redakteurin für den Gen-ethischen Informationsdienst (GID).

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Wieviel Schwein ist in der Schweinegrippe?

Bei dem Erreger der Neuen Grippe handelt es sich um eine Variante bestimmter Grippeviren vom Typ A/H1N1, die in Schweinen, Enten, Menschen, aber auch in anderen Säugetieren zirkulieren. Diese Virustypen treten seit mehreren Jahrzehnten in unterschiedlichen Varianten auf, unter anderem auch in saisonalen (also den altbekannten) Grippen. Üblicherweise haben sie einen kurzen (drei- bis viertägigen) und eher milden Verlauf.
Als nahezu widerlegt gilt inzwischen die anfängliche These, das neue Grippevirus sei direkt von Schweinen auf den Menschen übertragen worden. Das Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit (Friedrich-Loeffler-Institut) bezeichnet den Begriff Schweinegrippe als „irreführend“.„ Es handelt sich nicht um einen Erreger, der direkt vom Schwein auf den Menschen übertragen wird, sondern um eine von Mensch zu Mensch übertragene humane Influenzainfektion“, heißt es auf den Webseiten des Instituts. Zwar weise das Virus mehrere DNA-Stränge auf, die auch in Grippeviren von Schweinen und Enten zu finden seien. Der neue Subtyp sei vermutlich aber dadurch entstanden, dass verschiedene Influenzaviren gleichzeitig eine Körperzelle befallen und dabei ihre Genabschnitte kombiniert haben. Solche Kombinationen werden durch die Schweinezucht vermutlich begünstigt, da sich Schweine an allen Grippeviren, auch an menschlichen, infizieren können und daher quasi „Mischgefäße“ für die Entstehung neuer Virenstämme bieten.
(mf)
Quellen: „Die neue Influenza - A(H1N1) Virus („Schweinegrippe“) Deutsches Notfallvorsorge-Informationssystem deNIS, www.denis.bund.de. „Antworten auf Fragen zum neuen Grippevirus (A/H1N1)”, Friedrich-Loeffler-Institut, www.fli.bund.de. Angela Spelsberg, „Das Geschäft mit der Grippe”, Blätter für deutsche und internationale Politik 11/2009, 23-25.