Verwertungsperspektive Biobanken
AKTIONS-SPECIAL
Als „Biobanken“ werden Sammlungen menschlicher DNA-Proben, die mit medizinischen Daten und weiteren Informationen verknüpft sind, bezeichnet. Sie werden zumeist von Universitäten oder Pharmaunternehmen betrieben. Pharmaunternehmen bauen Biobanken vor allem auf, um die Wirkung von Substanzen auf genetischer beziehungsweise molekularer Ebene auszutesten. Demgegenüber geht es bei Sammlungen an Universitäten und - seltener - von privaten Forschungsunternehmen darum, durch statistische Operationen Beziehungen zwischen genetischen Varianten, Umwelteinflüssen und weit verbreiteten Erkrankungen herzustellen. Diese Forschung, auch als „genetische Epidemiologie“ bezeichnet, zielt also in der Konsequenz darauf ab, individuelle „Anfälligkeiten“ für häufige Erkrankungen zu konstruieren - oder auch für Umwelteinflüsse, die diese Krankheiten begünstigen.
Modell für die ökonomische Nutzung der Versprechen der Genforschung
Die erste Biobank dieser Art wurde 1998 in Island gegründet. Mit ihr wurde nicht nur eine neue Phase der Genom- und Genforschung eingeläutet: Geplant war ursprünglich, DNA-Proben, medizinische und genealogische Informationen der gesamten Bevölkerung zu katalogisieren. Darüber hinaus entstand hier auch ein Modell für die ökonomische Nutzung der Versprechen der Genforschung: Ein privates Unternehmen erhielt die Lizenz, die Biobank zu betreiben und die Infrastruktur des Gesundheitssystems für die Sammlung der Proben zu nutzen.1 Mittlerweile gibt es weltweit eine ganze Reihe solcher Biobanken. Einige Beispiele: An der schwedischen Umeå University lagern Blutproben und Daten von insgesamt rund 85.000 Menschen. Die Biobank des Biotechnologie-Unternehmens Genomics Collaborative in Massachusetts enthält menschliche DNA, RNA, Seren und Gewebeproben und detaillierte medizinische Informationen von über 120.000 Menschen. In Großbritannien sollen in den nächsten Jahren Proben und Daten von 500.000 Menschen gesammelt werden. Und in der Bundesrepublik ist geplant, ab 2012 für eine so genannte „Helmholtz-Kohorte“ von 200.000 Menschen Blut- und Urinproben zu sammeln sowie Daten zu Lebenswandel und sozialem Hintergrund zu erheben.2 Die Datensätze solch großer, bevölkerungsweiter Biobanken will ein internationales Projekt mit Sitz in Kanada, das Public Population Project in Genomics zusammenführen. Ein Ziel besteht dabei erklärtermaßen darin, Erkenntnisse aus der genetischen Epidemiologie weit verbreiteter Erkrankungen in die Gesundheitssysteme zu transportieren.3 Denn die mit Biobanken betriebene Forschung zu genetischen Dispositionen für weit verbreitete Erkrankungen hat gesundheitsökonomische Potenziale. So machte beispielsweise das Beratungskomitee zur Gesundheitsforschung der Weltgesundheitsorganisation in seinem Bericht „Genomics and the World Health“ schon 2002 klar: „Ist erst einmal die Erstellung von genetischen Profilen für Individuen möglich (...), können gesundheitspolitische Maßnahmen deutlich effektiver auf die Prävention dieser Erkrankungen gerichtet werden.“ Allerdings werde noch viel Zeit bis zum Einsatz flächendeckender Bevölkerungsscreenings vergehen.4 Neben den gesundheitspolitischen und -ökonomischen Perspektiven der präventiven Kontrolle bieten Biobanken aber vor allem eine Ressource für gegenwärtige und zukünftige Verwertungsperspektiven. Insbesondere die vielen krankheitsbezogenen Sammlungen an Universitäten sind ein wichtiges Instrument für die marktförmige Organisation von Forschung. In der Bundesrepublik ist diese Marktförmigkeit gezielt in Gang gesetzt worden: Der Aufbau von Biobanken wurde im Rahmen des Nationalen Genomforschungsnetzes und der Kompetenznetz-Programme über Jahre gefördert, und zwar explizit, um wirtschaftliche Dynamiken und ökonomisches Wachstum anzustoßen. Die Forschung mit Biobanken sollte durch eine möglichst nahe Kooperation mit der Industrie schnell in vermarktbare Produkte umgesetzt werden. Die Normalisierung dieser Kooperationen ist durch Biobanken erheblich beschleunigt worden; zugleich etablierten und festigten sich mit den Sammlungen unternehmerische Strukturen. Biobanken fungieren heute als Basis für unternehmerische Aktivitäten der sie tragenden Forschungsverbünde und -institutionen und als Reservoir für verwertbare Ergebnisse. Sie haben wesentlich dazu beigetragen, dass Körpersubstanzen und medizinische Daten auch in der Forschung Warencharakter annehmen.
- 1Vgl. GID 131 (1999), S.41-47 und 140 (2000), S.13-14. De Code Genetics verfügt heute über Proben und Daten von etwa 110.000 Menschen, das ist etwa die Hälfte der isländischen Bevölkerung.
- 2Vgl. die Tageszeitung, 20.2.2009, S.18.
- 3Vgl. www.p3g.org/secretariat.
- 4Vgl. Genomics and the World Health. Report of the Advisory Committee on Health Research. WHO 2002, S.55 ff.
Uta Wagenmann war Mitarbeiterin des GeN und GeN-Vorstandsmitglied.
AKTIONS-SPECIAL Gebt und Euch wird gegeben (Erika Feyerabend)
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