„Weiter so” ist keine Option

Die Internetplattform www.weltagrarbericht.de schreibt „Unser Ernährungs-System ist eine der wichtigsten Ursachen für den Klimawandel, für das Artensterben, für Umweltvergiftung, Wasserknappheit, vermeidbare Krankheiten, Kinderarbeit, Armut und Ungerechtigkeit. Dieses System ist krank.“ Es ist also kein Wunder, wenn die 400 WissenschaftlerInnen des Weltagrarberichtes, die über einen Zeitraum von vier Jahren nach tragfähigen Konzepten für die Zukunft der globalen Landwirtschaft gesucht haben, 2008 zu dem Schluss kommen: „Weiter so” ist keine Option. Um auf die zukünftige Agrarpolitik der Europäischen Union geschlossen Einfluss zu nehmen, haben sich Verbände in der Kampagne „Meine Landwirtschaft - unsere Wahl“ zusammengeschlossen. Die Schlussfolgerung des Weltagrarberichtes ist eines der Leitmotive der Kampagne. Im Mai und Juni machten sich Bäuerinnen und Bauern - insbesondere der jungen Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft und des Bundesverbandes Deutscher Milchviehhalter - im Rahmen der Kampagne mit einer Bauernsternfahrt auf den Weg nach Berlin. Das Motto: „Angela, wir müssen reden“. Unterwegs machten sie immer wieder Halt, um die regionalen Aspekte kennen zu lernen und in mehr als 50 Veranstaltungen ihre Vorstellungen von Landwirtschaft zu diskutieren. Eindrücke von vier Sternfahrern im ersten Beitrag des Schwerpunkts. Thematisch eng mit der Kampagne „Meine Landwirtschaft“ verknüpft, zeigt der Beitrag über Esther Leiva welche Folgen unsere, die europäische Landwirtschaft, am anderen Ende der Welt hat. Die Kleinbäuerin und Aktivistin aus Paraguay besuchte Deutschland für eine Vortragsreise. Sie beschrieb ihre Kämpfe für den Zugang zu Land für KleinbäuerInnen und Landlose und gegen die permanent wachsende Anbaufläche von gentechnisch veränderter Soja. Soja, die gerade auch nach Europa exportiert wird und hier in den Futtertrögen von allzuoft überdimensionierten Mastanlagen landet. Nicht jedoch im Futter der Tiere, die in der Metzgerei Pfaffenberger in Partenstein verarbeitet werden. Holger Pfaffenberger hat - mit Unterstützung seiner Frau Katja - die Umstellung auf gentechnikfreie Produktion zu „seinem Ding” gemacht. Jetzt dürfen sie als erste handwerkliche Metzgerei in Deutschland das Label „Ohne GenTechnik“ nutzen. Aus Unterfranken berichtet GID-Redakteur Christof Potthof. Um den zukünftigen Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen in Europa und nicht den aktuellen in Südamerika geht es in Potthofs zweitem Artikel: Das EU-Parlament stimmte ab über die Re-Regionalisierung der Entscheidung, ob ein gentechnisch veränderter Organismus in einem EU-Mitgliedstaat angebaut werden soll oder nicht - eine der zentralen aktuellen Gentechnik-Debatten in Brüssel und so manchem Mitgliedsland. Ein anderes hochbrisantes Thema ist derzeit, inwieweit sozioökonomische Faktoren in die Bewertung von gentechnisch veränderten Organismen eingehen können. GVO werden in der EU in einem gemeinschaftlichen Verfahren zentral zugelassen. Einer Zulassung geht die Risikoabschätzung voraus. Bisher werden - mehr schlecht als recht - Umwelt und Gesundheit betreffende Argumente untersucht. Nach Meinung von Armin Spök vom Interuniversitären Forschungszentrum für Technik, Arbeit und Kultur im österreichischen Graz steht die EU noch relativ am Anfang bei der Klärung der Rolle der sozioökonomischen Aspekte im Zulassungsverfahren. Eine ganz eigene Sicht auf die Ökonomie landwirtschaftlicher Produktion hat das neu gegründete Netzwerk solidarische Landwirtschaft. Zwischen den Bauern, Bäuerinnen und den AbnehmerInnen knüpfen die Mitglieder des Netzwerks besonders enge Bande. Birgit Peuker beleuchtet die Gründung und zeigt, dass gerade weil sich hier Menschen mit unterschiedlichen politischen Hintergründen wiederfinden können, Potential für eine breite Bewegung besteht. Den Abschluss bildet die Dokumentation eines Offenen Briefes zur Forschungspolitik der EU. Mehr als einhundert Nichtregierungsorganisationen haben den an EU-Kommissionspräsident Manuel Barroso und weitere EU-Offizielle gerichteten Brief unterstützt. Sie sind der Meinung, dass die Forschungsförderung in der Union der Gesellschaft und nicht der Großindustrie dienen müsse. Da sich unsere Gesellschaften „mit großen ökologischen, sozialen und ökonomischen Herausforderungen konfrontiert“ sehen, sei im Moment „nicht der richtige Zeitpunkt für ein ‚weiter so‘“. Vielmehr fordern sie einen „radikalen“ Wandel in der Gesellschaft, „um diesen Herausforderungen zu begegnen. Forschung und Entwicklung spielen dabei eine entscheidende Rolle“.

Erschienen in
GID-Ausgabe
207
vom August 2011
Seite 6

GID-Redaktion

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