Indien: Alternativen zur Bt-Baumwolle

Auf dem indischen Subkontinent kocht ein heftiger Streit über den Einsatz gentechnisch veränderter Baumwollsorten. Es zeigt sich, dass die Saaten die Bedürfnisse der Bäuerinnen und Bauern nicht bedienen können. Nachhaltiger Landbau auf der Bais einer möglichst weit gehenden Autonomie dagegen verbessert die Situation von den Menschen auf dem Lande.

Ich möchte Sie bitten, mit ein paar Sätzen über ihre Organisation zu beginnen.

Ich arbeite als Direktor für die Deccan Development Society. Wir sind seit etwa 20 Jahren engagiert in der ländlichen Entwicklung im indischen Bundesstaat Andra Pradesh, das liegt im Südosten von Indien, im so genannten Baumwollgürtel. Andra Pradesh ist ein sehr großer Bundesstaat, ungefähr so groß wie Neusseeland. Etwa 70 Millionen Menschen leben dort, von denen mehr als die Hälfte, das heißt ungefähr 40 Millionen, in der Landwirtschaft beschäftigt sind. Wir arbeiten mit etwa 5.000 Bäuerinnen zusammen, die auf verschiedene Art und Weise marginalisiert sind. Wie Sie sicher wissen, gibt es in Indien das Kastenwesen. Und viele der Frauen, mit denen wir arbeiten, gehören zu der niedrigsten Kaste der Unberührbaren, zu den Dalits. Zudem sind sie marginalisiert, weil sie in ländlichen Gebieten leben - im Gegensatz zu den Menschen mit urbanem Wohnunfeld. Sie sind arm, das heißt sie sind marginalisiert im Arm-reich-Kontrast, und zu guter Letzt sind sie wegen ihres Geschlechts - als Frauen - marginalisiert.

Wie gehen Sie, wie gehen die Frauen vor, mit denen Sie arbeiten?

Einer der wichtigsten Schritte, den diese Frauen gegangen sind, ist, dass sie nachhaltige Landwirtschaft betreiben; dass sie dies ökologisch tun und, dass sie es in einer traditionellen Art und Weise tun. Bei ihrer Arbeit stehen die Nahrungspflanzen für die eigene Versorgung im Vordergrund, nicht die Cash-Crops für den Markt. Das heißt, wir haben ihnen im Prinzip nichts neues gebracht - sie fahren fort mit dem, was sie schon immer getan haben und wir sagen ihnen, dass sie genau das richtige tun. Die Frauen leben in zirka 75 Dörfern und praktisch alle sind unabhängig von Nahrungsmitteln von außen. Sie sind ebenso unabhängig, was die Versorgung mit Saatgut angeht, da sie bei ihrer Ernte einen Teil für die Aussaat im nächsten Jahr aufbewahren. Für den Fall, dass eine der Bäuerinnen nicht mit dem zufrieden ist, was sie hat, gibt es in jedem der Dörfer eine Saatgutbank. Eine der Frauen wacht über das Saatgut. Sie hat etwa fünfzig bis achtzig verschiedene Saatgut-Varietäten und jede der Bäuerinnen, die eine Varietät haben möchte, kann diese leihen. Es gibt in diesem Prozess kein Verkauf und Kauf. Niemand verkauft Saatgut. Du leihst es dir und gibst es eineinhalbfach zurück.

Was bauen die Frauen an?

Fast jede von ihnen pflanzt zwischen zehn und zwanzig verschiedene Pflanzensorten. Darunter Sorghum, Linsen, Hirse, Kicher- und Taubenerbsen. Auch wenn das beackerte Land nur einen halben Hektar groß ist wird so eine extrem hohe Biodiversität gepflegt. Die Frauen benutzen ihr eigenes Verfahren, sie benutzen praktisch keine Chemikalien, sie benutzen ihr eigenes Saatgut und ihr eigenes Wissen. Gerade die Verwendung des eigenen Wisssens ist von extrem hoher Bedeutung für uns. Was in der Zeit der so genannten grünen Revolution passierte, war, dass die Leute uns nicht nur neues Saatgut brachten. Sie brachten uns neue Düngemittel, neue Pestizide und damit war auch neues Wissen verbunden. Das hat dazu geführt, dass unsere ländlichen Gemeinschaften ihr Wissen verloren haben. Das traditionelle Wissen hat seine Bedeutung verloren. Die Bauern wussten nicht mehr, was zu tun ist, wenn zum Beispiel Schädlinge ihre Pflanzen befallen haben. Wir sind regelmäßig mit drei Prozessen konfrontiert: Der Erosion des Wissens, der Erosion der Ökologie und der Erosion der genetischen Pflanzenvielfalt. Wenn Sie mich jetzt also fragen, worauf sich die Deccan Development Society konzentriert in ihrer Arbeit, dann ist dies Souveränität der Gemeinschaften. Es sind fünf Bereiche, in denen wir Autonomie anstreben: Die Automie in der Versorgung mit Lebensmitteln, die Autonomie über das Saatgut, autonome Kontrolle der natürlichen Ressourcen, ein autonomer Markt und autonome Medien.

Warum arbeiten Sie mit den Frauen?

Es gibt bei uns eine lange Tradition in der Arbeit der Frauen in den ländlichen Regionen von Andra Pradesh. Die Frauen machen einen Großteil der Arbeit. Sie helfen bei der Aussaat und übernehmen ab diesem Zeitpunkt die Pflege der Kulturen. Sie sind es, die nach der Ernte die Samen verlesen und nach dem Saatgut schauen. Sie sind die Trägerinnen des Wissens um das Saatgut und um den Anbau der Pflanzen. Sie waren mit diesem Wissen auch die "leaders of the communities". Mit dem Aufkommen des Saatgutmarktes und der neuen Sorten ging für die Frauen auch diese Position verloren.

... und die Männer?

Es ist nicht so, dass die Männer nicht in der Landwirtschaft arbeiteten. Sie kümmern sich zum Beispiel um die Bewässerung der Felder. In den ärmeren Familien ist es allerdings so, dass die Männer oft zum arbeiten weggehen. Sie versuchen, Geld außerhalb der Landwirtschaft zu verdienen.

Wie ist es mit der landwirtschaftlichen Beratung in Indien?

Bis vor zwei Jahen hatten wir eine Regierung, die genau hier eine wichtige Veränderung eingeläutet hat. Sie begann, diese Beratung zu privatisieren, was die Zivilgesellschaft deutlich kritisiert hat. Mittlerweile ist die Regierung abgewählt, so dass dies aktuell kein dringender Aspekt für uns ist. Aber die Privatisierung wird trotz alledem kommen. Es gibt allerdings auch ein anderes Problem mit den Beratern, die von der Regierung eingesetzt werden - den so genannten Extension Offficers, wie man sie bei uns nennt: Sie sind faul, sie bekommen ihr Gehalt, egal ob sie die Beratung tatsächlich durchführen oder nicht. Das führt dazu, dass viele Bauern mit ihren Fragen zu den Saatguthändlern gehen, und diese geben die Ratschläge, die sich rechnen. Auf diese Weise haben sich die Hochertrags- und Hybridsorten, die chemischen Dünge- und Spritzmittel verbreitet.

Wie ist die Einführung der gentechnisch veränderten Sorten vonstatten gegangen?

Als die gentechnisch veränderten Saaten vor fünf Jahren bei uns eingeführt wurden, gab es eine sehr starke Protestbewegung. Wir reden hier nur über Bt-Baumwolle, das ist bei uns die einzige transgene Pflanze auf dem Markt. Damals sagten uns die Vertreter der Biotech-Industrie: Was habt ihr? Wir geben doch nur eine weitere Option für die Bauern. Wenn die Bauern dieses Saatgut nicht wollen, dann brauchen sie es nicht zu kaufen. Was wir aber beobachten konnten ist, dass in den vergangenen fünf Jahren - zwanzig oder dreißig Saatgutfirmen, praktisch alle, die es bei uns gibt, größere und kleinere, auf Bt-Baumwolle umgestellt haben. Zunächst kam nur Monsanto mit gentechnisch veränderten Sorten auf unseren Markt. Aber mittlerweile haben alle die Varietäten von Monsanto gekauft und bezahlen Lizenzen an den Konzern. Das heißt, wenn heute ein Bauer konventionelle Sorten kaufen will, dann wird er sie nicht bekommen, weil sie nicht verfügbar sind auf dem Markt. Also sind die gentechnischen Sorten ganz eindeutig nicht eine erweiterte Option für die Bauern.

Und das ist in ganz Indien der Fall?

Nein, nicht in ganz Indien, aber in vier Bundesstaaten: Andra Pradesh, wo wir arbeiten, außerdem in Karnataka, Maharashtra und Tamil Nadu. Aber auch in diesen Regionen liegt der Anteil der Bt-Sorten am Gesamt-Baumwollanbau nicht über dreißig Prozent. Nur gibt es eben in diesen Regionen, in denen Bt-Baumwolle angebaut wird, keine konventionellen Sorten mehr zu kaufen.

Ist es nicht möglich, einen eigenen Markt für konventionelle Sorten aufzubauen?

Das ist genau das, was wir in der Zukunft vorhaben. Aber es ist alles so schnell gegangen, wir waren nicht vorbereitet. Ich muss sagen, dass uns die Entwicklung förmlich überrannt hat. Wir haben selber nicht damit gerechnet.

Ihre Organisation hat sich die Erträge der gentechnischen Saaten angesehen. Sie haben über einen Zeitraum von drei Jahren Daten gesammelt und einen Bericht verfasst. Was ist dabei herausgekommen?

Der Bericht, den wir veröffentlicht haben, deckt die Jahre von 2002 bis 2004 ab. Und wir werden ihn fortsetzen, die weiteren Ergebnisse werden wir in den nächsten Wochen veröffentlichen. Was die Daten immer wieder zeigen ist, dass die Erträge schlecht sind. Die gentechnisch veränderten Sorten sind ein Totalausfall.

Und dieser Totalausfall bei den transgenen Sorten führt zu den Selbstmorden von den Bauern, über die in den vergangenen Jahren so viel berichtet wurde?

Wir finden hier eine Schuldenfalle, aus der die Bauern nicht wieder herauskommen. Lassen Sie mich ein wenig ausholen: Keiner der Bauern, die traditionelle Pflanzen mit eigenen Inputs, Dünger und so weiter, anbaut, hat jemals Selbstmord begangen. Dies ist eine Erscheinung, die erst mit den neuen - kommerziellen - Pflanzen aufgetreten ist, zunächst mit den Hybrid- und jetzt mit gentechnisch veränderten Pflanzen. Das liegt an dem hohen Input, der notwendig ist, um diese Pflanzen anzubauen. Die Kosten für das Saatgut, den Dünger und die Pestizide, das alles stellt für die Bauern eine finanzielle Belastung dar, die sie nicht meistern können. Sie bauen also diese Pflanzen an und müssen, um diese Inputs bezahlen zu können, Kredite aufnehmen - entweder bei einer Bank, oft genug aber auch bei den Saatguthändlern. In dem Moment, die Ernte nicht so ausfällt wie geplant, geraten sie in eine Schuldenfalle. Sie werden immer tiefer in diesen Kreislauf hinein gezogen, gerade weil die Pflanzen kontinuierlich nicht den Ertrag gebracht haben, der zur Deckung der Kosten nötig gewesen wäre.

Die Bauern verlieren auch das Land?

Sie verlieren auch das Land, aber das Land zu übertragen ist sehr kompliziert. Deshalb versuchen die Geldverleiher erst einmal das Letzte aus dem Besitz der Bauern herauszupressen. Zunächst natürlich Geld, oft aber auch das Vieh, wenn es Vieh gibt dann die Erträge aus anderen Pflanzen. Ich kenne ein Beispiel, bei dem die Haustür abgebaut wurde, um sie zu Geld zu machen. So etwas ist natürlich eine schwere Erniedrigung. Und an diesem Punkt entscheiden sich dann viele für den Selbstmord. Der Verlust der Würde, der Verlust des Gesichtes - das ertragen viele nicht. Ob der Selbstmord tatsächlich dazu führt, dass der Verleiher des Geldes auf seinen Forderungen sitzen bleibt, ist nicht immer gesagt, aber es besteht zumindest die Chance darauf. Zusätzlich können die Familien auf Unterstützung von der Regierung hoffen. Wie gesagt, das alles ist ein Phänomen der letzten zehn Jahre.

Und die Selbstmorde treten insbesondere bei den Baumwollbauern auf?

Ja, das kann man ganz deutlich sehen. Es liegt vermutlich daran, dass es sehr teuer ist, Baumwolle anzubauen. Die Baumwolle ist empfindlich gegen den Baumwollkapselbohrer und man muss sehr viel spritzen, wenn die Baumwolle intensiv angebaut wird. Deshalb schien der Anbau von gentechnischen Sorten mit dem versprochenen Schutz gegen die Schädlinge für viele Bauern eine Option zu sein. Diese Erwartung hat sich aber nicht erfüllt. Wir konnten beobachten, dass die gentechnisch veränderten Sorten nur in den ersten 90 Tagen des Wachstums der Pflanzen einen Schutz gegen die Schädlinge bieten. Außerdem gibt es einen Wechsel der Schädlinge: Mittlerweile geht nicht mehr nur der Kapselbohrer auf die Baumwollpflanzen, sondern auch - zum Beispiel - Blattläuse.

Hat das Kastenwesen einen Einfluss auf dieses Phänomen der hohen Anzahl von Selbstmorden?

Meiner Ansicht nach spielt das Kastenwesen in diesem Zusammenhang keine Rolle. Die Selbstmorde sind quer durch alle Kasten zu beklagen. Aber auch bei uns im Hinduismus ist der Selbstmord eine Sünde. Das heißt, er wird aus religiös-kultureller Sicht eigentlich nicht akzeptiert. Es ist wohl eine Art Trend. Bauern haben bei anderen Bauern gesehen, dass diese sich umgebracht haben, und haben daraufhin auch für sich entschieden, von eigener Hand in den Tot zu gehen. Und unsere Regierung hat bisher keinen Weg gefunden, etwas dagegen zu unternehmen. Die Politik hat sich nicht geändert, so gibt es weiter Selbstmorde.

In den letzten Tagen gab es Nachrichten, dass Monsanto verurteilt wurde, Kompensationen an die Bauern zu zahlen als Ausgleich dafür, dass die Bt-Baumwolle nicht funktioniert und die Ernten so schlecht sind.

Bereits vor einiger Zeit hat die Regierung unseres Bundesstaates Monsanto aufgefordert, Ausgleichszahlungen an die Bauern zu leisten, was der Konzern ablehnte. Monsanto ging deshalb sogar vor Gericht, was unsere Regierung sehr geärgert hat. Daraufhin hat sie Monsanto gedroht, den Konzern aus unserem Bundesstaat rauszuwerfen. Es sollten nicht nur die Bt-Baumwollsorten nicht mehr verkauft werden dürfen, sondern alle Monsanto-Produkte sollten aus Andra Pradesh verbannt werden. Im letzten Jahr hat Monsanto dann tatsächlich die Preise für das Bt-Baumwollsaatgut deutlich gesenkt. Das hat aber nur dazu geführt, dass doch wieder Bauern zu diesen Saaten gegriffen haben. Und erneut sind die Ernten nicht so gewesen, wie es versprochen wurden.

Erschienen in
GID-Ausgabe
180
vom Januar 2007
Seite 43 - 45

P.V. Satheesh ist Direktor der Deccan Development Society und im Vorstand der weltweit aktiven Nichtregierungsorganisation GRAIN (Barcelona, Spanien). Im Netz: www.ddsindia.com und www.grain.org.

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