1987: Enquête-Kommission

Vor zwanzig Jahren wurde der erste Bericht einer Enquête-Kommission des Deutschen Bundestages zu den "Chancen und Risiken der Gentechnologie" vorgelegt. Mehr als zwei Jahre hatten die ExpertInnen für die Ausarbeitung ihres Berichts benötigt. Wir nehmen dies zum Anlass für einen Medien-Rückblick.

"Konkurrenz für die Chemie durch Mikroorganismen nach Maß?

Faszinierend an der Gentechnik ist nicht zuletzt, daß sich mit ein und demselben Verfahren das Erbgut aller Lebewesen – vom Einzeller bis zum Menschen – analysieren lässt. Hoffnungen sind damit verbunden, aber auch Vorbehalte und Ängste; denn die Gentechnik macht es möglich, Organismen mit bestimmten Eigenschaften zu erkennen oder zu erzeugen und gezielt zu nutzen. Das Spektrum der möglichen Anwendungen ist breit – es umfasst die biotechnische Gewinnung einzelner Substanzen mit genetisch abgewandelten Organismen, die Entwicklung neuartiger Mikroorganismen für die Zersetzung von Schadstoffen oder die Bekämpfung von Schädlingen, die Übertragung gewünschter Eigenschaften auf Pflanzen oder Tiere und schließlich die Analyse und Beeinflussung auch des menschlichen Erbgutes."(Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.01.1987)

"Wenn die Natur zum Lego-Baukasten wird

(...) Einer der Forscher hat bereits den achten Schöpfungstag ausgerufen. (...) Es ist kaum anzunehmen, daß es dem unvollkommenen Menschen gelingt, vollkommene Dinge zu schaffen, die nur gut und nicht zumindest ein wenig schlecht sind. Die Vorstellung, der Mensch könne sein wie Gott, offenbart aber einen erschreckenden Übermut. In der Geschichte mußte solche Hybris meist mit verheerenden Erfahrungen bezahlt werden. Es tun sich grauenvolle Visionen auf: Lebewesen, in denen mehrere Tierarten gekreuzt sind, Pflanzen, die nur noch dem Gesetz des Nutzens unterworfen sind, Züchtung von Menschen. (...) Durch die Gentechnik bekommen die Manipulationsmöglichkeiten (...) eine neue Qualität. Die Traditionelle Züchtung benötigte Jahrzehnte und Jahrhunderte, bis die Auslese gewünschter Eigenschaften vollendet war. In der Zeitspanne konnte man die Wirkungen der veränderten Lebensformen auf Umwelt und andere Lebewesen überblicken und notfalls die Entwicklung aufgeben. Die Gentechnik verkürzt die Zeitspanne für Veränderungen extrem, neue Formen entstehen auf einen Schlag. (...) Niemand kann Einwände dagegen erheben, wenn die Wissenschaft wirksame Abwehrstoffe gegen Krankheiten entwickelt, die heute unheilbar sind. Es wäre begrüßenswert, wenn sich schon vor der Geburt Krankheiten erkennen und abwehren ließen. Aber es wäre schlimm, wenn Schwangerschaften gezielt nach erwünschten oder unerwünschten Eigenschaften des werdenden Kindes erhalten oder abgebrochen würden. Licht und Schatten liegen eng beieinander, die Übergänge zu Inhumanität sind fließend. Die Gesellschaft darf nicht tatenlos abwarten, wohin die Forscher ihr Ehrgeiz treibt. Die Politik muß der Wissenschaft mit den Grundbausteinen des Lebens gesetzliche Grenzen setzen. Von geschäftlichen Interessen unabhängige Institutionen müssen über deren Einhaltung wachen. Möglicherweise ist das Restrisiko der Gentechnik noch weitaus größer als das der Kernenergie. (Der Tagesspiegel, 01.02.1987)

"Was kann die Gentechnologie?

(...) Die Kommission warnt davor, die mühsam erreichte Toleranz der Gesellschaft gegenüber Behinderten könne wieder schwinden. Maßnahmen des Gesetzgebers werden nicht vorgeschlagen."(Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.01.1987)

"Künstliche Natur mit Restrisiko

(...) Gentechnik soll also dazu dienen, Fehler, welche die Natur macht, auszubügeln. Abgesehen von der Wahrscheinlichkeit, daß dabei künstlich ein hohes Maß an Ausschuß produziert wird – die Kommission merkt dies ausdrücklich an und lehnt mehrheitlich aus diesen und anderen Gründen die Keimbahntherapie ab -, zeigt sich an diesem Punkt, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird. Für den Menschen soll der Maßstab des Gesunden gelten, für die Natur der des Nutzens."(Süddeutsche Zeitung, 20.01.1987)

"Enquête –Kommision legt Ergebnisse vor

(...) In einer ersten Stellungnahme erklärte das Ökoinstitut Freiburg, die Kommission habe die Chance vertan, vor Einführung der Gentechnik eine offene Debatte zu führen. Mögliche Alternativen zu gentechnischen Verfahren seien nicht beachtet worden. (...) In dem Sondervotum der Grünen heißt es unter anderem, Tiere und Pflanzen dürften nicht als Baukastensysteme betrachtet werden, in denen Gene nach Bedürfnissen der Produktion beliebig zusammengesetzt und angeschltet werden können. Dagegen seien Pflanzliche Inhaltsstoffe aus nicht gentechnisch manipulierten Pflanzen durchaus eine Möglichkeit, giftige und umweltunverträgliche Produkte zu ersetzen. Entschieden lehnten die Grünen die Vergabe von Patentrechten für "gentechnisch zugerichtete Organismen" ab. Dies bedeute eine Privatisierung der Naturschätze und ermögliche die Aneignung von Lebensformen und Erbsubstanz."(Gen-ethischer Informationsdienst, GID, Januar 1987)
Zusammengestellt von Andrej Schönhof

Erschienen in
GID-Ausgabe
180
vom Januar 2007
Seite 53

GID-Redaktion

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