Nord-Süd-Transit

Auf dem Internationalen Parkett ist das Schlagwort Bioökonomie in den letzten Jahren zum Inbegriff von Innovation, Standortwettbewerb und wirtschaftlichen Wachstum durch die “neuen Biotechnologien” geworden.
“In den nächsten dreißig Jahren werden neue Techniken aus den Bereichen Biotechnologie, Genomik, Genetik und Proteomik mit anderen Technologien zusammen treffen und dadurch - möglicherweise sehr große - Veränderungen der globalen Ökonomie herbeiführen”, heißt es beispielsweise in einer Broschüre, welche die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und entwicklung (OECD) im letzten Jahr herausgegeben hat. Und im nächsten Satz wird gleich darauf verwiesen, dass - wer sich diesen Bedingungen des biotechnologischen Wettbewerbs nicht stellt - auch etwas zu verlieren hat. “Tatsächlich wächst die Bioökonomie in China, Indien und Singapur schneller als in vielen Ländern der OECD. Die Führungsposition, die von diesen OECD-Ländern bisher in vielen Bereichen eingenommen wurde, wird herausgefordert.” Die OECD-Publikation zum Projekt “The Bioeconomy to 2030: Designing a Policy Agenda”, ist denn auch eine Mischung aus Strategiepapier für die Standortsicherung der biotechnologischen Industrie und Rechtfertigungspapier der dafür zu tätigenden öffentlichen Investitionen: In Aussicht gestellt werden eine “hoch-qualitative Gesundheitsversorgung”, Medikamente und Therapien für “altbekannte chronische Krankheitsmuster”, zur Verbesserung des Lifestyles und zur Verlängerung der Lebensdauer. Armut und Hunger würden in der Bioökonomie der Zukunft obsolet: Biowissenschaftliche Entwicklungen könnten die Nahrungsmittelversorgung verbessern und überhaupt “eine ganze Reihe größerer sozioökonomischer Probleme lösen, denen sich die schätzungsweise neun Milliarden Menschen, welche in der Welt von morgen leben werden” stellen müssten. “Bioenergie, hergestellt aus Biomasse und möglicherweise anderen, exotischeren Quellen wie zum Beispiel ozeanischen mikrobischen und bio-voltaischen Prozessen, kann dazu beitragen, die Abhängigkeit der Länder von Energiequellen aus dem Ausland und von fossilen Energieträgern zu reduzieren.” Soviel zu den Visionen von Forschungsministerien und Industrie. Doch was verbirgt sich tatsächlich hinter der so genannten Bioökonomie? Welche Auswirkungen der technologischen und ökonomischen Strategien auf globale Machtverhältnisse sind abzusehen? Die vorliegenden Beiträge des GID-Spezial greifen - teils direkt, teils indirekt - Hauptargumente des Diskurses um die Bioökonomie auf, um sie insbesondere hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die globale Ökonomie und das Nord-Süd-Verhältnis zu hinterfragen. Kaushik Sunder Rajan untersucht die Dynamik klinischer Studien, die vorwiegend im Auftrag von Pharmafirmen aus dem Norden, in Indien durchgeführt werden. Dabei entwickelt er ein eigenes Konzept von Biokapital und fragt nach der Rolle der Ethik in neuen Abhängigkeiten zwischen dem industrialisierten Norden und dem globalen Süden. Kean Birch durchleuchtet das Argument der “Wettbewerbsfähigkeit”: eine Kopfgeburt der neoliberalen Ideologie, welche bei der Rechtfertigung großer öffentlicher Investitionen in die biotechnologische Forschung und Entwicklung eine zentrale Rolle spielt. Babette Müller-Rockstroh geht anhand eines konkreten Fallbeispiels auf die “Knifflichkeiten” eines Technologietransfers in einen anderen kulturellen Kontext ein: Ihre Ausführungen zu Ultraschall in Tanzania illus-trieren, wie medizinisches und technologisches Wissen in der Gemengelage aus kulturellen Vorannahmen, örtlichen Gegebenheiten und regionalen sowie überregionalen Interessen transformiert wird. Dass die biotechnologischen Innovationen auf der kommerziellen Nutzung (nicht nur) biologischer Ressourcen aus dem Süden bauen, zeigt Anne Hild am Beispiel von El Salvador: Bilaterale Abkommen, wie das Freihandelsabkommen CAFTA zielen darauf ab, einerseits die Absatzmärkte für gen- und biotechnologische Produkte zu erschließen; andererseits schaffen sie die Bedingungen für die Monopolisierung lokalen Wissens durch ausländische Investoren. Doch es gibt auch Widerstand.
GID Meta
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