Schweine als Organspender

Die Xenotransplantation rückt in die Klinik vor

Den Mangel an menschlichen Spenderorganen mittels Organen von Tieren beheben zu können, ist eine alte Idee. Die Entwicklungen der Genome Editing-Technologien haben dem Forschungsfeld einen neuen Anstoß gegeben. Nach Misserfolgen in den 1980er Jahren rückt die Forschung an Tiermodellen erneut in die Kliniken und zu Patient*innen vor.

Zwei Minischweine

Das Biotech-Unternehmen eGenesis verwendet eine Miniaturschweinerasse für die passende Organgröße. Foto: flickr.com

Im Januar letzten Jahres fokussierte sich die internationale mediale Aufmerksamkeit auf den US-Amerikaner David Bennett, dem am University of Maryland Medical Center in den USA das weltweit erste transgene Schweineherz implantiert wurde. Der 57-jährige war vor dem Eingriff wegen einer lebensbedrohlichen Herzrhythmusstörung sechs Wochen mit einer Herz-Lungen-Maschine am Leben erhalten worden. Für eine normale Herztransplantation kam er ebenso wenig in Frage wie für ein künstliches Herz. Die US-Arzneimittelbehörde FDA genehmigte das risikoreiche Experiment über seine „compassionate access“-Regelung, nach der nicht-zugelassene Behandlungen als letzte Heilversuche zum Einsatz kommen können. Zwei Monate nach dem Eingriff verstarb Bennett an einem plötzlichen Herzversagen, obwohl sich das Transplantat laut seinen Ärtz*innen über Wochen hinweg als voll funktionsfähig erwiesen hatte. Zunächst lautete die Botschaft der Klinik eine Abstoßung sei ausgeblieben. In einer drei Monate später veröffentlichten Studie ist von mehreren sich überschneidenden Faktoren die Rede, die zu dem Herzversagen geführt haben – neben dem schlechten Gesundheitszustand des Patienten und seinem geschwächten Immunsystem auch eine Antikörper-vermittelte Abstoßung. Zudem löste die Reaktivierung eines Schweinevirus im Xenotransplantat „möglicherweise eine schädliche Entzündungsreaktion aus“. Unbeirrt von diesem Rückschlag wurde im September in Maryland dem zweiten Patienten, dem 58-jährigen Lawrence Faucette, mit einer Herzerkrankung im Endstadium, ein Schweineherz transplantiert. Laut einer Pressemitteilung des Krankenhauses zwei Tage nach der OP „erholt er sich gut und kommuniziert mit seinen Angehörigen “, über seinen momentanen Zustand ist der Öffentlichkeit nichts bekannt.

Ein steiniger Weg zum Ziel

Auch wenn das Ergebnis des zweiten Revivicor-Versuchs noch aussteht, historisch hat sich der Ansatz der Xenotransplantation als auf mehreren Ebenen schwierig erwiesen. Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts waren Xenotransplantationen nicht denkbar – durch den begrenzten Stand der Medizin. Bereits in den 1960er Jahren hatte es erfolglose Versuche gegeben, Organe aus Schimpansen in Menschen zu transplantieren Der erste prominente Versuch war „Baby Fae“, einem wenige Tage alten Baby mit einem nicht operierbaren angeborenen Herzfehler. 1984 transplantierte der Chirurg Leonard Bailey ihr am Loma Linda Medical Center in Kalifornien ein Pavianherz, das Kind starb nach 20 Tagen durch eine akute Abstoßung des Organs durch ihr Immunsystem. Seitdem wurden immer bessere Immunsuppressiva entwickelt und das Verständnis der Immunbiologie der Transplantatabstoßung erweitert.

Die erste große Hürde im Falle einer Transplantation ist die akute Abstoßungsreaktion, ausgelöst durch körperfremde Marker auf den Tierzellen, die sich in einer Zerstörung des Transplantats und Blutgerinnungen zeigt. Beim Schwein sind es vor allem die drei Antigene α-Gal15, Neu5Gc16 und Sd(a)1, die das menschliche Immunsystem triggern. Daneben gibt es möglicherweise jedoch eine Menge anderer Proteine die vom menschlichen Körper als „fremd“ erkannt und bekämpft werden. Forschende hoffen durch eine gentechnische „Humanisierung“ der Spendertiere die Abstoßungsreaktion möglichst gering halten zu können. Dafür werden bestimmte menschliche Gene in die Tierzellen eingefügt. Eine weitere Gefahr ist die Krankheitsübertragung. Dieser wird versucht durch eine keimfreie Haltung der Tiere zu begegnen, und seit CRISPR-Cas9 auch durch die gentechnische Inaktivierung von bestimmten Viren, die im Genom der Tiere ruhen und reaktiviert werden können. Nicht nur für die betroffenen Patient*innen könnten fremde Keime gefährlich werden. Die Erfahrungen aus der Corona-Pandemie haben die Sorge vor einer „Xenozoonose“ noch gesteigert, schließlich wird geschätzt, dass drei von vier neu auftretenden menschlichen Erkrankungen von Tieren stammen. Grade Transplantationspatient*innen könnten mit ihrem geschwächten Immunsystem die ideale Brutstätte für neue Infektionskrankheiten darstellen. Nicht zuletzt stellen auch die unterschiedlichen Organgrößen ein Problem dar – Organe von Hausschweinen wachsen nach Transplantationen zu schnell weiter. Dies kann durch die Entfernung der Gene für Wachstumshormonrezeptoren gehemmt werden, doch die bringt neue biologische Probleme mit sich. Und schließlich muss das Organ natürlich funktional sein, also nicht nur anatomisch, sondern auch physiologisch z.B. in die hormonellen Signalwege der Empfänger*innen passen.

Biotech-Startups im Wettlauf

Schweineorgane stehen im Fokus der Forschung, da sie bereits eine hohe Ähnlichkeit zu denen des Menschen haben, die durch gentechnische Eingriffe weiter gesteigert werden soll. Auch in Deutschland wird an diesem Ansatz geforscht. Die Firma XTransplant wurde 2020 in München gegründet um „eine Welt zu schaffen, in der es keinen Mangel an Spenderherzen gibt“. Die beteiligten Wissenschaftler*innen entwickeln in Zusammenarbeit mit der Ludwig-Maximilians-University of Munich gentechnisch „humanisierte“ patentierte Schweine als Organspender.

Das bei Bennett und Faucette verwendete transgene Schweineherz mit dem Markennamen UHeart™ wurde von der Firma Revivicor vorbereitet. Das University of Maryland Medical Center hatte zuvor 15,7 Mio. US-Dollar erhalten, um die Transplantation der Herzen in Paviane zu testen. Laut einer Veröffentlichung bleiben sie in den Affen bis zu drei Jahre funktional. Ähnliche Erfolge berichtet auch eine kürzlich veröffentlichte Studie, bei der Nieren von transgenen Schweinen in Affen transplantiert wurden und einige davon über zwei Jahre lang am Leben erhielten. Durchgeführt wurde das Experiment von dem Biotech-Startup eGenesis, dass von dem umstrittenen Genetiker George Church mitgegründet wurde, der der Welt noch die versprochene Auferstehung des Mammuts schuldet. Die beteiligten Wissenschaftler*innen verwendeten anders als Revivicor eine Miniaturschweinerasse für die passende Organgröße und verglichen den Effekt von verschiedenen genetischen Veränderungen auf die Abstoßungsreaktion und Funktion des Organs nach einer Transplantation in Langschwanzmakaken. Insgesamt bis zu 69 genetische Änderungen wurden in den Schweinen durchgeführt – so viele wie noch nie für eine Xenotransplantation. Die Affen mit den Organen, bei dem alle genetischen Veränderungen durchgeführt wurden, lebten am längsten – in einem Fall 768 Tage, bevor das Tier wegen Ödemen und Niereninsuffizienz eingeschläfert wurde. Die Forschenden entdeckten in seiner Schweineniere Zysten unbekannten Ursprungs. Laut Dr. Joachim Denner, Experte für Xenotransplantationen am Institut für Virologie der Freien Universität Berlin, müsse zunächst geklärt werden, warum einige Tiere wesentlich kürzer überlebten, aber „im Grunde könnten die Nieren von den beschriebenen gentechnisch modifizierten Tieren […] mit einer an den Menschen angepassten Immunsuppression für eine klinische Studie verwendet werden.

eGenesis strebt nicht nur Xenotransplantationen von Nieren an, in einer weiteren Studie testet die Firma auch die Transplantation von Herzen ihrer transgenen Schweine in zwölf Baby-Paviane. Die Studie soll den Grundstein legen, für die Anwendung am Menschen. Bereits im nächsten Jahr hofft eGenesis, Schweineherzen in Menschenbabys mit schweren Herzfehlern zu transplantieren, um diese am Leben zu erhalten, bis ein menschliches Spenderorgan einsetzbar ist. Die ersten operierten Tiere lebten jedoch nur wenige Tage, laut der Firma durch operative Komplikationen und nicht wegen Abstoßungsreaktionen. Die US-amerikanische Ethikerin Syd Johnson wies darauf  hin, dass Babys – anders als die bisherigen zwei Probanden der Experimente mit den Revivicor-Herzen – keine informierte Einwilligung geben können. Eltern würden „verzweifelt nach allem suchen, was das Leben ihres Kindes retten könnte“, so Johnson. Die Herzen könnten tatsächlich eine Chance sein für Kinder, deren Überlebenschancen sonst sehr schlecht sind. Ein Scheitern des risikoreichen Experiments würde jedoch eine Verlängerung ihres Leides durch zusätzliche OPs und intensivmedizinische Behandlungen bedeuten, die von den Betroffenen aufgrund ihres jungen Alters nicht verstanden und nicht verweigert werden können. Letztendlich braucht es jedoch klinische Studien, denn durch spezifische Unterschiede der Spezies sind Ergebnisse aus Tierversuchen nur begrenzt aussagekräftig über die Funktionalität der Organe. Auch an hirntoten Menschen wurden die Xenotrasplantationen schon mehrfach erprobt – im August berichteten Mediziner*innen des New Yorker Krankenhauses NYU Langone, dass die bei einen hirntoten Patienten eingesetzte, genetisch veränderte Schweineniere seit 32 Tagen funktionierte. Doch diese Experimente sind nur für einen begrenzten Zeitraum möglich und können nicht alle offenen Fragen beantworten.

Komplexe Abwägung

Allein in Deutschland stehen momentan rund 8.500 Menschen auf der Warteliste für ein Spenderorgan, sie warten zumeist auf eine Niere. Letztes Jahr  sind 743 Personen auf der Warteliste verstorben. Dem gegenüber stehen bundesweit nur 869 Organspender*innen im Jahr 2022. Der Bedarf nach alternativen Quellen für Organe ist also hoch. Xenotransplantationen sind nicht der einzige Forschungsansatz, doch die Erfolge von dem Versuch, Organe aus menschlichen Stammzellen im Labor wachsen zu lassen, sind trotz Jahrzenten Forschung bisher bescheiden. Doch neben dem hohen Risiko für die Proband*innen sind auch die Bedenken in Bezug auf das Tierwohl der unter stark beschränkten Bedingungen gehaltenen Spendertiere, nicht vernachlässigbar. Nicht umsonst hält eGenesis aus Angst vor Tierrechts -Protest den Standort seiner Forschungseinrichtung, in der etwa 400 geklonte Schweine hausen, geheim. Je weiter die Schweine genetisch „humanisiert“ werden, desto mehr ethische Komplexität kommt hinzu. Ein Forschungszweig beschäftigt sich beispielsweise mit der Schaffung von Chimären, also Mischwesen aus Spezies, die geringere Abstoßungsreaktionen mit sich bringen sollen. Diese Forschungsziele wecken dystopische Gedanken an die Erschaffung von Schweinemenschen, die in Organfarmen bis zur „Ernte“ vegetieren. Ob die Gesellschaft wirklich eine Forschung in diese Richtung vorantreiben möchte, ist fraglich – gleichzeitig scheint sie derzeit alternativlos.

27. Oktober 2023

Dr. Isabelle Bartram ist Molekularbiologin und Mitarbeiterin des GeN.

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