Pränataldiagnostik aus Sicht einer Hebamme
Standpunkte des Bundes deutscher Hebammen
In den letzten zehn Jahren erlebe ich eine deutliche Zunahme der pränatalen Diagnostik.
In den letzten zehn Jahren erlebe ich eine deutliche Zunahme der pränatalen Diagnostik. Die werdenden Eltern wählen hauptsächlich die nicht-invasiven Untersuchungen wie Ultraschall und die Messung der Nackentransparenz mit oder ohne Serums-Diagnostik (siehe Kasten S. 10). Sie nutzen auch invasive Verfahren – wenn auch wesentlich seltener. Meine Wahrnehmung ist, dass sie dies weitgehend unabhängig von persönlichen Risikofaktoren tun - wie dem eigenen Lebensalter, Vorkommen vererbbarer Erkrankungen in der Familie oder Auffälligkeiten bei Untersuchungen im Rahmen der normalen Mutterschaftsvorsorge. Wenn keine medizinische Notwendigkeit diagnostiziert wird, müssen die schwangeren Frauen bei diesen so genannten IGeL-Leistungen (Individuellen Gesundheitsleistungen) die Kosten selbst tragen. In den Frauenarztpraxen erfahren sie schon bei den ersten Untersuchungen in der Frühschwangerschaft von der großen Anzahl diagnostischer Methoden. Sie erhalten oft Hochglanzbroschüren mit detaillierten Beschreibungen einschließlich der Preisangaben. Ich halte diese Tests aus vielen Gründen für problematisch: Es ist fragwürdig, ob die wirtschaftlichen Interessen der Arztpraxen eine zurückhaltende und ergebnisoffene Beratungsatmosphäre zulassen. Zumindest ein Teil der Ärzte nimmt aus verkaufsstrategischen Gründen billigend in Kauf, dass werdende Eltern die Idee entwickeln: Wenn wir alle Untersuchungen durchführen lassen, ist die Wahrscheinlichkeit für ein gesundes Kind größer. Die Paare erhalten jedoch bei Verfahren wie Nackentransparenzmessung, Ersttrimester-Test oder Triple-Test nur Zahlenwerte über Risiken, also Wahrscheinlichkeitsberechnungen. Diese Tests sind lediglich Entscheidungsgrundlage für weitere invasive Untersuchungen. Genaue Antworten, die das Kind betreffen, geben diese Berechnungen und Laborwerte nicht. So folgt oft eine Untersuchung der nächsten, eine Dynamik, aus der die Frauen oder Paare nur schwer wieder ausbrechen können. Zwar verstehe ich den Wunsch nach einem gesunden Kind; doch die Flut der diagnostischen Maßnahmen schafft keine gesünderen Babys. Die erhobenen Befunde sind zudem immer abhängig von der Kombination zwischen Technik und Anwender (Arzt). Eine ungenaue Anwendung kann zusätzlich dazu beitragen, falsche auffällige Werte zu produzieren. „Positive“ Befunde führen aber fast immer zum Abbruch der Schwangerschaft, da es keine Therapie für genetische Abweichungen gibt. So stellt die Pränataldiagnostik ein Selektionsverfahren dar. Als Hebamme kontaktieren mich die Frauen erst nach dem Frauenarzt, wenn sie bereits einen Teil der Pränataldiagnostik absolviert haben. Ich bin an der Entscheidung für oder gegen die Tests kaum beteiligt. Die Schwangeren kommen erst dann mit konkreten Fragen auf mich zu, wenn sie eine für sie problematische Diagnose erhalten haben oder sie Antworten auf diese Diagnose suchen. Ich vermisse, dass es oft keinen Raum mehr dafür gibt, „guter Hoffnung zu sein“, wie es früher hieß. Das Entstehen und Wachsen von Leben ist ein zu großes Geschehen, um auf rein medizinische Standards reduziert zu werden. Auch in Zukunft wünsche ich mir als Hebamme Leben in Vielfalt. Dazu gehören Menschen aller Hautfarben, aller Geschlechter, kranke und behinderte Menschen. Ich lehne eine Schwangerschaft auf Probe ab. Nur wenn ein Kind alle Tests bestanden hat, darf es leben. Und ich möchte nicht, dass Eltern sich der Frage stellen müssen: Warum ist euer Kind geboren? Habt ihr das nicht vorher untersuchen lassen? Die Standpunkte des Deutschen Hebammenverbands gehen auf diese Probleme der derzeitigen Praxis ein. Ich schließe mich ihnen an und wünsche mir, dass sich Frauen in die gesellschaftliche Diskussion um pränatale Diagnostik einmischen.
Einige Forderungen des Bundes Deutscher Hebammen
(1) Wir Hebammen fordern in Bezug auf die derzeitige Praxis:
- eine rechtzeitige und umfassende Aufklärung vor jeder pränataldiagnostischen Maßnahme (auch vor Ultraschalluntersuchungen), die der Suche nach Fehlbildungen dient,
- die Befristung von Schwangerschaftsabbrüchen nach pränataler Diagnostik bis zur extrauterinen Lebensfähigkeit des Kindes (24. Schwangerschaftswoche) unter der Berücksichtigung besonderer Ausnahmefälle, bei denen postnatal keine Überlebenschancen bestehen,
- die Information der Frauen, deren Kinder eine so genannte infauste Prognose haben, über die Möglichkeit ihr Kind bis zum Ende der Schwangerschaft auszutragen und die kompetente Begleitung dieser Frauen,
- die Ablehnung der intrauterinen Tötung Ungeborener (Fetozid) und unabdinglich zum Fetozid führender Maßnahmen wie zum Beispiel Rivanol-Einleitungen,
- die professionelle medizinische und psychosoziale Betreuung jeder betroffenen Frau/jedes Paares - unabhängig von ihrer individuellen Entscheidung.
Auszüge aus dem Forderungskatalog in: Bund Deutscher Hebammen e.V. (2006): Hebammen-Standpunkte: Pränatale Diagnostik, online: www.bdh.de
Pia Oleimeulen ist Hebamme in Berlin.
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